Rehabilitation (Stuttg) 2009; 48(3): 127
DOI: 10.1055/s-0029-1220926
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zielvereinbarungen in der medizinischen Rehabilitation

Goal Agreements in Medical RehabilitationF. Schliehe
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Publication Date:
09 June 2009 (online)

Die Festlegung von Rehabilitationszielen ist seit längerem ein zentrales Thema sowohl der Rehabilitationspraxis als auch der Rehabilitationsforschung sowie auch Gegenstand der Qualitätssicherung. Zielorientierung wird nicht nur als generelle Voraussetzung für eine erfolgreiche Rehabilitation – nicht nur der medizinischen – verstanden. Vereinbarungen über Ziele zwischen Therapeuten und Patienten gelten geradezu als Schlüssel für eine optimale Rehabilitation und zugleich als Merkmal für die Patientenorientierung eines Teams oder einer Einrichtung. In regelmäßigen Abständen wird dieses wichtige Qualitätsmerkmal jedoch nach wie vor als Schwachpunkt in der medizinischen Rehabilitation beschrieben. Die Ergebnisse von Patientenbefragungen und Analysen von Entlassungsberichten im Rahmen der Qualitätssicherungsprogramme der Rehabilitationsträger zeigen – bei einem insgesamt hohen Niveau der Zufriedenheit der Patienten – immer wieder bestehende Defizite auf.

Das Dauerthema der Zielorientierung deutet nicht nur auf die Vielschichtigkeit dieser selbstverständlich erscheinenden Thematik hin. Offenbar ist gerade die Festlegung und Umsetzung von Zielen in Vereinbarungen mit dem Patienten sehr voraussetzungsvoll und nicht immer einfach. Die Vielschichtigkeit wird u. a. daran deutlich, dass Zusammenhänge bestehen mit Themenkomplexen wie Motivation und Einstellungen der Patienten, Patientenorientierung der Behandlungsteams und Einrichtungen oder zeitlichen Ressourcen der Mitarbeiter. Auch in forschungs- und auswertungsstrategische Überlegungen wirkt die Thematik hinein.

In Fachkreisen ist die Notwendigkeit von Zielvereinbarungen meist unbestritten und wird besonders in den Rehabilitationsteams als eine zentrale Voraussetzung für die Ausrichtung von Rehabilitationsprozessen gesehen. Auch in der nachtherapeutischen Phase oder bei neueren Leistungsformen – wie etwa dem persönlichen Budget – sind Vereinbarungen über Ziele wichtig. Unterschiede bestehen allenfalls in der Rolle und Bedeutung, die dem einzelnen Patienten bei Zielvereinbarungen zugeschrieben werden, sowie in den Strategien, zu effektiven Zielvereinbarungen zu gelangen.

In dieser Ausgabe greift ein Beitrag dieses wichtige Thema auf und berichtet von den Ergebnissen einer Studie dazu. Der Beitrag verdeutlicht zunächst bestehende Diskrepanzen zwischen Zielvorstellungen von Rehabilitanden und Ärzten in der Rehabilitation am Beispiel von Untersuchungen in ausgewählten Rehabilitationseinrichtungen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass unterschiedliche Zielvorstellungen selbst dann bestehen können, wenn die Patienten die Zielvereinbarungen als besonders gut einschätzen. Im Kern stellte sich heraus, dass Rehabilitanden erhebliche Schwierigkeiten haben, über ihre eigenen Ziele, die sie mit der Rehabilitation verbinden, zu sprechen. Sie kommen zum Teil ohne konkrete Erwartungen in die Rehabilitation und es fällt ihnen schwer, ihre eigenen Zielvorstellungen zum Ausdruck zu bringen. Die Autoren schlussfolgern, dass es in der gegenwärtigen Praxis nur wenige Ansatzpunkte gibt, die Situation grundlegend zu verbessern. Die Vorschläge laufen – auch unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen in Rehabilitationseinrichtungen – darauf hinaus, die Festlegung von Rehabilitationszielen schon im Vorfeld der Rehabilitation vorzunehmen oder zumindest zu beginnen.

Die Diskussion der Ergebnisse ist weitgehend nachvollziehbar. Aber bedeutet ein Vorziehen oder Vorbereiten von Zielvereinbarungen nicht auch, dass der notwendige Diskussionsprozess ohne Beteiligung des Rehabilitationsteams Distanzen erhöhen könnte und sich die Diskrepanz zwischen den Professionellen und den Rehabilitanden möglicherweise erhöht? Der Beitrag könnte zu einer intensiveren Diskussion eines Dauerthemas – auch in dieser Zeitschrift – führen, in die auch Modelle der partizipativen Entscheidungsfindung noch stärker einbezogen werden könnten (vgl. dazu [1] [2]).

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