Psychiatr Prax 2008; 35(7): 361
DOI: 10.1055/s-0028-1100470
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Franco Basaglia (1924-1980)

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Publication Date:
20 October 2008 (online)

 

Die italienische Psychiatrie bestand bis Ende der 70er-Jahre aus riesigen, baufälligen Bewahranstalten mit fast nur Zwangseingewiesenen. Durch seine Praxis und seine provokanten Schriften machte sich der mit der KPI Sympathisierende Basaglia zum Kopf der spät einsetzenden, besonders tief greifenden italienischen Psychiatriereform und Gorizia zum Fanal. Die Undurchlässigkeit der Anstalten und die darin herrschenden inhumanen Behandlungsmethoden ließen ihn zum konsequenten Bekämpfer psychiatrischer Kliniken werden, die sich nach seiner Meinung wichtiger nähmen als ihre Patienten und sich weigerten, das System aus deren Sichtweise zu verstehen, und stattdessen technokratisch fortführen, Kranke zu klassifizieren und unterdrücken und so zu Anstaltsartefakten machten. Unter dem Eindruck seines Charismas wurde 1978 das "Gesetz 180" erlassen, das bis in die 90er-Jahre die Abschaffung der Anstalten nach sich zog. Von ihm angestrebte Ambulanzen, Tageskliniken und kleine Stationen an Allgemeinkrankenhäusern konnten jedoch nicht entsprechend schnell aufgebaut werden, sodass für viele frisch Erkrankte eine Behandlung unerreichbar wurde. In privat aufsprießenden Großkliniken entstanden unhaltbare Zustände. Diese, ihrer besonderen Radikalität geschuldeten Fehlentwicklungen erlebte Basaglia nur anfangs mit, er erlag 1980 den Folgen eines Hirntumors.

Nachdem der gebürtige Venezianer vorübergehend in die Ecke der Antipsychiater abgeschoben wurde, erscheinen jetzt vermehrt Würdigungen, die seine berechtigte Kritik an den damaligen Zuständen der Institution Psychiatrie betonen. Vielleicht konnten nur mit seinem Übereifer für entmündigte, totalhospitalisierte und zwangsbehandelte psychisch kranke Menschen humanitäre Lebens- und Versorgungsstrukturen erzwungen werden.

Holger Steinberg

Email: Holger.Steinberg@medizin.uni-leipzig.de

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