NOTARZT 2023; 39(03): 113
DOI: 10.1055/a-2073-8874
Editorial

Telenotarzt – same, same but different!

Andreas Bohn

Die derzeit laufende Einrichtung von Telenotarzt-Systemen in vielen Regionen Deutschlands wird nicht nur begrüßt. Ablehnung und Ängste aufseiten der Ärzteschaft begleiteten die wegweisende Arbeit der Aachener Telemedizin-Pioniere [1] von Beginn an. Nun aber befürchten Kritiker in den Reihen des Rettungsdienst-Fachpersonals die dauerhafte Abhängigkeit der Notfallsanitäter/-innen von einem virtuellen ärztlichen System, das keinen Raum für die Entwicklung ihres noch jungen Berufsbildes ließe. Ich bin überzeugt: Das Gegenteil wird passieren!

In einer sehr lesenswerten Arbeit hat Janina Bathe in unserer Zeitschrift die Stärken, aber eben auch die Limitierungen von „Algorithmen und Verfahrensanweisungen in der Notfallmedizin“ [2] dargestellt: Was, wenn die Patientin nicht zum Algorithmus passt? Was, wenn es gar keinen passenden Algorithmus zur Situation gibt? Und nicht zuletzt: „Wer immer nur Standards trainiert, bekommt auch nur ‚Standard‘ im Einsatz“ [2]. Gerade jenseits von Standards kann ein Telenotarzt-System wirkungsvoller Partner der RTW-Besatzungen werden und helfen, deren Arbeit besser zu machen. Eine Telenotärztin, die einem Notfallsanitäter einfach nur eine SOP vorliest – nein, das ist nicht die Leistung, die ich erwarten möchte.

Ich erwarte, dass wir uns mittels Telemedizin jenseits der bekannten Algorithmen, der „Safety-first-Strategien“, der immer gleichen Antworten auf unsere immer vielfältiger werdenden Herausforderungen weiterentwickeln. Und ja, wir müssen auch über die Qualifikation von Telenotärzten sprechen, bei denen das „Machen“ von Notfallmedizin in den Hintergrund tritt und das Überblicken und Vermitteln notfallmedizinischen Wissens wesentliches Tätigkeitsmerkmal wird. Mehr allgemeinmedizinische Weiterbildungsinhalte sind am ehesten in einer Zentralen Notaufnahme zu erlernen – darüber wird zu reden sein.

Telenotarzt-Systeme sollten nicht zum Ziel haben, den Status quo des Rettungsdienstes einzufrieren und Abhängigkeiten zu festigen, sondern die Weiterentwicklung zu begleiten, Motor der Entwicklung zu werden. Eine Dekade nach Etablierung des neuen Berufsbildes Notfallsanitäterin und Notfallsanitäter stehen wir mit der Möglichkeit zum Aufbau telemedizinischer Strukturen in unseren Rettungsdiensten vor einer weiteren Großchance. Es wird von uns abhängen, was wir daraus machen!

Prof. Dr. med. Andreas Bohn



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Article published online:
31 May 2023

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