NOTARZT 2023; 39(03): 169-170
DOI: 10.1055/a-2069-9619
Verbandsmitteilungen

Telenotfallmedizin als wichtiger Baustein für die Zukunft der prähospitalen Notfallmedizin

BAND-Statement zu den Potenzialen der Telenotfallmedizin Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands e.V.

Die Einführung von Möglichkeiten für eine telenotfallmedizinische Unterstützung des Rettungsdienstes durch sogenannte Telenotärzte (TNA) ist in einigen Bundesländern weit fortgeschritten, in anderen ist die Einführung bereits beschlossen. Es ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren eine bundesweite Ausweitung der Telenotfallmedizin erfolgen wird. Aus Sicht der BAND ist diese Entwicklung richtig und zu begrüßen, sofern dabei gewisse Rahmenbedingungen erfüllt sind.

Diese einschneidende Ausweitung des rettungsdienstlichen Leistungsspektrums erfordert einheitliche Standards sowohl für die Systemtechnik, deren organisatorische Struktur als auch die angewendeten medizinischen Prozesse und die Qualifizierung des ärztlichen Personals. Die einzelnen Systeme müssen zueinander interoperabel sein und eine medienbruchfreie Weitergabe von Daten sowie die Anbindung von Rettungsmitteln aus anderen Rettungsdienstbereichen zulassen. Etwaige ausschreibungsrechtliche Erschwernisse wegen bundesländerübergreifendem Verfahren dürfen dabei kein Hinderungsgrund sein.

Zur klaren Differenzierung der beiden Funktionen plädiert die BAND dafür, den vor Ort präsenten Notarzt weiterhin als Notarzt und den telenotfallmedizinisch Tätigen als Telenotarzt zu bezeichnen. Hierbei ist vordringlich die Funktionsbezeichnung gemeint, die verschiedenen Geschlechter sind stets eingeschlossen.

Potenziale der Telenotfallmedizin sieht die BAND vor allem in Bezug auf

  1. ärztliche Unterstützung von Rettungsfachpersonal

    • bei Einsätzen ohne Notarzt

    • bis zum Eintreffen eines Notarztes bei paralleler oder Nachalarmierung

  2. ärztliche Unterstützung von Rettungsfachpersonal im Interhospitaltransfer ohne ärztliche Begleitung

  3. fachliche Beratung von Notärzten und Rettungsfachpersonal bei besonderen Einsatzsituationen und Fragestellungen (bspw. Kinder- oder geburtshilfliche Notfälle)

  4. Supervision und Qualitätssicherung

    • von lernenden Notärzten innerhalb eines definierten Zeitraums nach Abschluss der Zusatzweiterbildung

    • von Notärzten und Rettungsfachpersonal mit anschließendem strukturiertem Feedback

Zu 1: Bereits heute ist das Rettungsfachpersonal durch die Einführung des Notfallsanitäters gut qualifiziert und in der Lage, umschriebene Notfallbilder eigenständig zu behandeln. Standardarbeitsanweisungen geben hier einen guten Rahmen. Im Bereich der Primäreinsätze bietet die Telenotfallmedizin ein großes Potenzial in einem intersektoralen Ansatz gerade die sogenannten Low-Code-Einsätze gemeinsam mit Rettungsfachpersonal abzudecken. Bei diesen Einsätzen, die unterhalb der Notarzt- und oft unterhalb der Rettungsdienstschwelle liegen, könnte der TNA auch neuartige Einsatzmittel wie bspw. Gemeindenotfallsanitäter bei der Abwicklung der Hilfeersuchen unterstützen und so unnötige Krankenhauseinweisungen vermeiden. In diesem Kontext kann Telenotfallmedizin auch bei der Entscheidung und Abwicklung eines Transportverzichts durch das Rettungsfachpersonal behilflich sein und bei Transportverweigerungen seitens des Patienten unterstützen.

Dort, wo die Einsatzsituation vor Ort die klare Zuordnung zu einer Standardarbeitsanweisung nicht zulässt, kann Telenotfallmedizin das Rettungsfachpersonal vor Ort beraten und im Wege der individuellen Delegation eine situationsgerechte Behandlung ermöglichen.

Zu 2: Die Zahl der Interhospitaltransporte wird durch die Veränderungen der Krankenhauslandschaft und die weitere Zentrumsbildung steigen. Dabei werden auch mehr arztbegleitete Interhospitaltransporte erforderlich werden. Durch die Kompetenz der Notfallsanitäter (NotSan) kann ein Teil dieser Einsätze telenotfallmedizinisch begleitet werden.

Zudem kann die Telenotfallmedizin die Leitstelle und das abgebende Krankenhaus bei der Auswahl des erforderlichen Rettungsmittels beraten und bspw. durch ein vorgeschaltetes Arzt-Arzt-Gespräch zur Differenzierung unterstützen.

Zu 3: Der Facharztstandard wird in der prähospitalen Notfallmedizin in den meisten Bundesländern durch die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin sichergestellt. Telenotfallmedizin kann zum einen genutzt werden, um Einsteiger in den Notarztdienst über einen definierten Zeitraum engmaschig zu begleiten. Zum anderen ist auch die Beratung erfahrener Notärzte bei besonderen Einsatzsituationen wie bspw. Kindernotfällen, Palliation oder Einsätzen in der Schwangerschaft denkbar und in Bezug auf Patienten- und Mitarbeitersicherheit sinnvoll. Zusätzlich kann der TNA ggf. erforderliche Gespräche mit spezialisierten Einrichtungen (bspw. Giftinformationszentrale, Expertenkonsil) initiieren. Auch ist eine unterstützende Funktion im Zusammenhang mit Großschadenslagen denkbar.

Zu 4: Neben der reinen Beratung des eingesetzten Personals im Rettungsdienst bietet die Telenotfallmedizin Potenzial im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung und Qualitätssicherung. So wäre etwa die Begleitung von Einsätzen notärztlicher Berufsanfänger mit anschließendem kollegialem Debriefing über einen definierten Zeitraum ein geeignetes Mittel, um die Qualifizierung der Notärzte weiter zu steigern.

Ähnlich anderen Hochzuverlässigkeitsbereichen könnte auch in der prähospitalen Notfallmedizin die Supervision aller eingesetzten Berufsgruppen einen höheren Stellenwert bekommen. Hier könnte die Telenotfallmedizin für die ärztlichen Leitungen Rettungsdienst oder andere für das Qualitätsmanagement verantwortliche Ärzte eine niederschwellige Chance bieten, einzelne Einsätze zu begleiten und im Nachgang standardisiert und strukturiert zu debriefen. Das Debriefing sollte hierbei weniger einen beurteilenden als vielmehr einen kollegial beratenden Charakter besitzen. In diesem Kontext sind wiederkehrende medizinische Supervisionen, aber auch Kompetenzüberprüfungen denkbar und ohne wesentlichen personellen Mehraufwand darstellbar.



Publication History

Article published online:
31 May 2023

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