NOTARZT 2021; 37(06): 297-298
DOI: 10.1055/a-1677-6916
Gast-Editorial

Nicht gleich auf jeden Zug aufspringen

Björn Hossfeld
1   Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm, Ulm, Deutschland
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„Leben retten“ ist das Ziel aller notfallmedizinisch Tätigen. Dabei suchen wir immer wieder nach neuen Möglichkeiten, dieses Ziel besser zu erreichen. Dass Patienten versterben, findet weniger Akzeptanz, je jünger die Opfer sind. In der Patientengruppe der unter 40-Jährigen ist das schwere Trauma die Haupttodesursache, und die Hämorrhagie hat wesentlichen Anteil daran. Entsprechend greifen wir nach jeder Option, die eine Verbesserung für diese Patientengruppe verspricht.

Mögliche Ansätze haben uns die Erfahrungen militärmedizinischer Kollegen geboten, die in Ihren Einsätzen genau diese jungen Patienten versorgen. Mit der Zunahme terroristischer Bedrohung in Europa ist es das Ziel der Arbeitsgruppe „Taktische Medizin“ des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Notfallmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), einen entsprechenden Wissenstransfer von der militärischen in die zivile Notfallmedizin – und umgekehrt – auf wissenschaftlicher Basis zu ermöglichen.

Nachdem uns über Dekaden beigebracht wurde, dass eine Abbindung mehr Schäden verursacht als zu helfen, hat sich die Idee von Tim Hodgetts [1], dem ABCDE-Algorithmus der Traumaversorgung ein <C> für die kritische Blutung voranzustellen, in den vergangen 15 Jahren fest etabliert.

Tourniquet und Hämostyptika sind inzwischen im zivilen Rettungsdienst weit verbreitet und finden (manchmal zu) großzügig Anwendung. Unzweifelhaft ermöglicht die Unterbindung der arteriellen Blutzufuhr durch Anlage eines Tourniquets gerade in zeitkritischen Situationen eine unmittelbare Blutungskontrolle bei stark blutenden Extremitätenverletzungen [2]. Trotzdem sollte, sobald es die Zeit erlaubt, auch im Rahmen der prähospitalen Versorgung kurz überlegt werden, ob nicht ein Druckverband, ggf. unterstützt durch ein Packing mit Hämostyptika, ausreicht, um eine suffiziente Blutstillung zu gewährleisten.

Ähnlich verhält es sich mit der prähospitalen Applikation von Tranexamsäure (TXA). Nach Publikation der CRASH-2-Studie [3] sangen Hörsäle voller Studenten dirigiert von ihrem Professor „Give tranexamic acid“. Das Medikament war günstig und versprach, Traumapatienten vor dem Verbluten zu retten, vor allem, wenn man es innerhalb der ersten Stunde nach Trauma applizierte. Bald wurde jedem Patienten mit einer noch so kleinen blutenden Wunde bereits im Rahmen der prähospitalen Versorgung TXA appliziert. Unerwünschte Wirkungen wurden dabei als zu vernachlässigen erachtet. Das darf jedoch nur angenommen werden, wenn der Nutzen dieses Medikaments – nämlich die Therapie einer Hyperfibrinolyse – überwiegt. Doch der Anteil der Traumapatienten, bei denen bereits prähospital eine solche Hyperfibrinolyse nachzuweisen ist, stellte sich mit 6,1 % als vergleichsweise gering heraus [4]. Entsprechend muss heute mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass TXA prähospital denjenigen Patienten appliziert werden sollte, die sich infolge einer starken Blutung derart im hämorrhagischen Schock befinden, dass die weitere Versorgung Transfusionsbedarf vermuten lässt [5].

Nach Erfahrungen aus militärischen Einsätzen haben uns Kollegen des Rettungshubschraubers in London gezeigt, dass die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten bereits prähospital dazu führt, dass mehr Traumapatienten den Schockraum und damit die klinische Versorgung lebend erreichen [6].

Diese Ergebnisse haben viele Kollegen motiviert, auch in ihrem Bereich über die Möglichkeit der prähospitalen Gabe von Blut nachzudenken. Der Londoner Hubschrauber wird allerdings – anders als andere notarztgestützte Rettungsmittel – ausschließlich zur Versorgung von Traumapatienten alarmiert. Entsprechend gilt es, nicht unkritisch auf diesen Zug aufzuspringen, sondern zu überlegen, wie wir diejenigen Patienten erkennen können, die von der Gabe von Blut- und/oder Gerinnungsprodukten bereits prähospital profitieren. Anders als bei Tranexamsäure handelt es sich hier um für den Rettungsdienst kostenintensive, für die Allgemeinheit aber auch wertvolle Produkte, da Erythrozytenkonzentrate vielfach knapp sind und die Rückführung in den klinischen Kreislauf bei Nichtgebrauch gewährleistet sein muss.

Dementsprechend erscheint es richtig, Blut prähospital an einigen Standorten insbesondere in der Luftrettung einzuführen und wie im Beitrag von Rudolph et al. [7] über das Projekt „Heli Blut“ die Indikationen für einen sinnvollen Einsatz kritisch zu hinterfragen.



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Article published online:
06 December 2021

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