NOTARZT 2021; 37(06): 326-327
DOI: 10.1055/a-1614-2682
Leserbrief

Antwort auf den Leserbrief zum Beitrag "Chest Seals zur temporären Versorgung offener Thoraxverletzungen im Rahmen bedrohlicher Einsatzlagen"

Valentin Kuhlwilm
1   Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Hamburg, Deutschland (Ringgold ID: RIN74924)
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Andreas Schwartz
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Sehr geehrter Herr Richter,

wir danken Ihnen zunächst für Ihr Interesse an unserem Beitrag zur Verwendung von Chest Seals durch primär nichtmedizinisches Personal zum Verschluss offener Thoraxwunden.

Mit Ihrer Kritik werfen Sie 3 Fragen auf:

  • Dürfen Empfehlungen von vergleichsweise kleinen Organisationen (wie TREMA e. V. oder Co-TCCC) von Leitlinien (beispielsweise des GRC) abweichen?

  • Ist das Risiko für den Patienten mit einer penetrierenden Thoraxverletzung nach einer Versorgung mittels Chest Seal größer als ohne?

  • Sollte nichtmedizinisches Personal dazu ausgebildet werden, Minithorakotomien durchzuführen?

Dazu möchten wir nachfolgend Stellung nehmen.

Bei genauerer Betrachtung der GRC-Leitlinie fällt auf, dass die geäußerte Empfehlung, offene Thoraxverletzungen nicht luftdicht abzudecken, auf einer einzigen Studie aus dem Jahr 2004 beruht, welche noch dazu von schwacher Evidenz ist [1]. Dennoch beschreiben auch die neuesten GRC-Leitlinien die Anwendung spezieller Verbände mit Ventilfunktion, wenn diese indiziert, die Anwender speziell ausgebildet sind und die Patienten engmaschig überwacht werden.

Stich-, Schuss- oder Explosionswaffen verursachen vor allem bei Zivilbevölkerung aufgrund der fehlenden Schutzausrüstung häufig penetrierende Verletzungen des Rumpfes [2] [3] [4]. Gerade beim spontan atmenden Patienten mit einer offenen Verletzung der Thoraxwand einschließlich der Pleura parietalis wird Luft dem Unterdruck der Inspiration folgend durch die Verletzung nach intrapleural gelangen. Denkbar sind nun 2 Wundsituationen: eine, bei der Luft durch die penetrierende Verletzung in die Pleura frei ein- und ausströmen kann, sowie eine weitere, bei der bedingt durch die verschiedenen Gewebsschichten ein Ventilmechanismus entsteht, welcher die Luft zwar in die Pleura einströmen, jedoch nicht mehr entweichen lässt. Somit kann sich bei dieser zweiten Form auch beim spontanatmenden Patienten ein Spannungspneumothorax entwickeln. Der Verschluss der Wunde mit einem Chest Seal würde das Einströmen der Luft verhindern und den Spannungspneumothorax vermeiden, ohne auf den zuerst beschriebenen Mechanismus Einfluss zu nehmen, da Luft, die nicht mehr einströmt, auch nicht mehr entweichen müsste. Zusätzlich wird die respiratorische Beeinträchtigung durch den offenen Pneumothorax begrenzt [5] [6].

Sollte die penetrierende Verletzung auch die Pleura visceralis betreffen und Luft über diesen Weg in die Pleura gelangen, könnten Chest Seals mit Ventilfunktion erlauben, diese Luft zuverlässig nach außen zu evakuieren, sofern der Wundkanal in der Thoraxwand dies zulässt. Lässt die Thoraxwunde jedoch die Luft aus der Pleura nicht entweichen, wird die Versorgung mit einem Chest Seal die Entwicklung eines Spannungspneumothorax weder verhindern noch begünstigen.

Wie Sie richtigerweise anführen darf die Anwendung eines Chest Seals nicht dazu führen, die kontinuierliche Überwachung der Vitalfunktionen des Patienten zu vernachlässigen. Damit kommen wir zu der Schwierigkeit, einen Spannungspneumothorax zu erkennen und zeitkritisch zu therapieren. Die von Ihnen angesprochene Arbeit des Kollegen Buschmann zeigt tatsächlich auf, dass selbst durch Notärzte diese vitalbedrohliche Situation beim stumpfen Trauma nicht zuverlässig erkannt, zumindest jedoch oft nicht konsequent therapiert wird. Beim penetrierenden Thoraxtrauma jedoch ist die Verletzung der Thoraxwand offensichtlich und der Behandler für die Problematik leichter zu sensibilisieren als beim stumpfen Trauma.

So bleibt es, wie so oft in der Notfallmedizin, eine Frage der Ausbildungsqualität. Es reicht eben nicht, ein „Pflaster“ auf die Wunde zu kleben. Vielmehr müssen wir dem nichtärztlichen wie dem ärztlichen Personal vermitteln, dass die Versorgung von penetrierenden Thoraxwunden mittels Chest Seal das Risiko für die Entstehung eines Spannungspneumothorax vermindern, niemals aber ausschließen kann. Entsprechend beinhaltet die Ausbildung nach den Empfehlungen von Co-TCCC und TREMA e. V. das Erkennen eines Spannungspneumothorax einschließlich der vorübergehenden Therapie mittels Entlastungspunktion, welche nötigenfalls auch mehrfach erfolgen muss.

Ob wir versuchen sollten, nichtmedizinisches Personal zur Durchführung einer Minithorakotomie anzuleiten, welche, wie Buschmann und Kollegen beschreiben, nicht einmal zuverlässig von Notärzten durchgeführt wird, muss gut abgewogen werden [7]. In jedem Fall wäre ein noch umfangreicheres Training erforderlich, als wir es bisher darstellen können. Grundsätzlich dürfen aber mangelnde diagnostische Fähigkeiten im Erkennen einer akut vitalen Bedrohung und mangelnde Handlungssicherheit bei der Durchführung notfallmedizinischer Maßnahmen nicht die Maßnahme per se in Frage stellen.

Mit freundlichen Grüßen

Valentin Kuhlwilm, Andreas Schwartz, Björn Hossfeld



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Article published online:
06 December 2021

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