ergoscience 2006; 01(3): 124-125
DOI: 10.1055/s-2006-927173
Kongress

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bericht vom 14. Kongress des World Federation of Occupational Therapists (WFOT) vom 23. - 28. Juli 2006 in Sydney, Australien

Ergotherapeuten in Aktion: Lokal und globalM. Feiler, M. le Granse
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Publication Date:
05 October 2006 (online)

Ganz im Sinne des Kongressmottos Ergotherapeuten in Aktion: Lokal und global trafen sich bei der WFOT 2006 mehr als 2300 Teilnehmer aus 63 Ländern. In Erinnerung bleiben werden ihnen der rege Wissensaustausch, die belebende Atmosphäre des Kongresses und viele neue Freundschaften und Kontakte. Es ging vor allem darum, wie der Öffentlichkeit das Fachwissen unseres Berufsstands vermittelt, ein Wissensaustausch stattfinden, relevante Themen auf die Tagesordnung gebracht und die Standards und Werte unseres Berufs gefördert werden können. Weltweit finden gegenwärtig in allen Bereichen der Gesundheitsfürsorge und im Umgang mit behinderten Menschen signifikante Veränderungen statt. Diese waren Gegenstand zahlreicher Präsentationen, die einen großen Teil des Kongressprogramms ausmachten.

Das hervorragende Programm beinhaltete unter anderem Prä-Kongress Workshops, einen Education Day, programmatische Vorträge haltende Keynote Speakers, Workshops, Forumsdiskussionen mit internationalen Experten, Vorträge und Plakate. Ein umfangreiches Rahmenprogramm bot zur Pflege informeller Kontakte reichlich Gelegenheit.

Den Inhalt der Prä-Kongress Workshops bestimmten verschiedene Themenkomplexe, wie z. B. EBP (Evidenz-basierte Praxis), Forschungsethik, disziplinübergreifende Forschung und klinische Praxis, aber auch MOHO mit Kindern und Jugendlichen, CO-OP (Cognitive Orientation to Daily Occupational Performance), Gesundheitsförderung, POL (problemorientiertes Lernen).

Thema des Education Day war das E-Learning, wobei der Fokus auf neuen Technologien und ihrem Nutzen für eine flexiblere und mobilere Gestaltung der Aus- und Fortbildung lag. Mehr als 100 Vortragende aus allen Teilen der Welt diskutierten 2 Themenschwerpunkte: 1. Methoden und Hilfsmittel (Tools): Nutzen der Technologie für die Feldforschung, Internationalisierung der Aus- und Fortbildung, Lernen und Wissensaustausch, Praxis und Forschung in ICT und 2. Mobiles Lernen und die vielfältigen Bedürfnisse der Studenten und Akademiker: Wie umfassend sind unsere Ausbildungsprogramme in Bezug auf Behinderungen, Lernökonomie und Ansätze für öffentlich zugängliche Lernprogramme, berufliche Entwicklung der Aus- und Fortbildung, digitale Immigranten (Dozenten) vs. digitale Einheimische (Studenten) und wie kann die Kluft zwischen ihnen geschlossen werden? (Diskussionen und Empfehlungen der Teilnehmer unter: www.wfoteducators.blogspot.com)

4 bekannte Keynote Speakers befassten sich mit Aspekten der Globalisierung:

Sohail Inayatullah nahm die Teilnehmer mit auf eine intellektuell anregende Reise durch ihre Vision unserer Zukunft. Er untersuchte insbesondere die Zukunft der Ergotherapie und befasste sich in einem allgemeineren Sinn mit der der Gesundheitssysteme und des Umgangs mit behinderten Menschen. Wir müssen uns nicht nur darüber klar werden, was sich zukünftig verändern wird und was nicht, sondern auch darüber, welche Zukunft wir für erstrebenswert halten, und wen das diese Entscheidungen treffende „Wir” überhaupt umfasst. In diesem Zusammenhang stellte Inayatullah auch die Frage, ob es nur eine oder mehrere alternative Zukünfte geben kann. Nach seiner Meinung ist die Ergotherapie in verschiedene Diskurse verstrickt, die sich mit Biomedizin, Rehabilitation, Politik und zunehmend auch mit Ökologie und Spiritualität auseinandersetzen. Neben Diskursen zur Definitionsbildung wird sie vor allem von den gewichtigeren und oft sehr viel dramatischeren Veränderungen beeinflusst werden, die weltweit stattfinden: der globale Rechtsruck (Sicherheitsdiskurs), technokratische Veränderungen (immerwährende Suche nach dem Allheilmittel für alle Probleme), Veränderungen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Struktur (Ökonomisierung der globalisierten Welt) und der Religion (Moraldiskurs). Alle zusammen stellen eine Herausforderung für unsere Wahrnehmung der sozialen (und anderer) Konzepte der Ungleichheit dar. Nach Inayatullahs Kernaussage kommt es darauf an, wie es den Ergotherapeuten gelingt, sich unentbehrlich zu machen. Was sie als Profis zu bieten haben, wird darüber entscheiden, ob es sie in allen möglichen Zukunftsszenarien noch geben wird oder nicht.

Rachel Thibeault präsentierte einen Überblick über aktuelle Ereignisse von gobaler Bedeutung, um unsere Rolle als „Agenten” sozialer Veränderungen klarzumachen. Programmpunkte ihrer Präsentation: Ergotherapie und Globalisierung. Wenn sich die Welt auf radikale Weise verändert, stellen sich folgende Schlüsselfragen: Wie werden diese neuen Realitäten uns als Bürger und Ergotherapeuten betreffen? Wird sich die Kernüberzeugung unseres Berufs, die Arbeit mit unseren Patienten vor Ort auf lokaler Ebene mit den neuen Erwartungen arrangieren oder in Konflikt mit ihnen geraten? Wird das essenzielle Wissen zukünftiger Generationen von Ergotherapeuten soziale und ökonomische Projektionen ausmachen? Thibeault versuchte eine Darstellung der zunehmenden Bedeutung unseres Berufs in einer globalisierten Welt mit Nachdruck auf patientenorientierter Praxis, dauerhafter Rehabilitation und sozialer Gerechtigkeit. Unsere Rolle als „Agenten” sozialer Veränderungen muss ebenso diskutiert werden wie unsere Verantwortung, die kulturelle, ökonomische und ökologische Integrität der Gesellschaften zu schützen, in denen wir arbeiten.

Ruth Watson beleuchtete Aspekte kulturell angemessener Lebensunterhaltkonfigurationen im Kontext von Leben und Welt. Ihr Schwerpunkt war die kulturelle Identität (Essenz) der Ergotherapie. Ein Bewusstsein für Unterschiedlichkeit ist für die Ergotherapie unverzichtbar, aber allein nicht ausreichend, um die komplexe Kluft zwischen Ergotherapeuten und Patienten zu überwinden, selbst wenn beide aus demselben kulturellen Umfeld stammen - umso weniger, wenn dies nicht der Fall ist. Um wirklich effektiv zu sein, müssen jede Kultur und die ergotherapeutischen Bedürfnisse jedes Individuums von den Patienten selbst und nicht von den Ergotherapeuten interpretiert werden. In unserer Arbeit geht es zuerst und vor allem um Menschen, nicht um Probleme. Nur wenn die Therapeuten für die Stimme und die inneren Überzeugungen des Anderen offen sind, haben die Patienten die Freiheit zu tun, was für sie am besten ist, und den Therapeuten bietet sich die Möglichkeit, das Beste aus ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten zu machen, ohne den Patienten etwas aufzudrängen oder sie zu übergehen. Die Fähigkeit, interkulturell zu arbeiten, sollte für Ergotherapeuten von besonderer Wichtigkeit sein, weil keine menschliche Aktivität frei von kulturellen Einflüssen ist.

Marilyn Pattison untersuchte unternehmerische Herangehensweisen an die Praxis und warf einen „Blick über den Tellerrand”, um unsere Zukunft zu konstruieren und Visionen in die Realität umzusetzen. Der offensichtliche Mangel an gesellschaftlichem Bewusstsein für die Ergotherapie wird oft mit dem Umstand des „jungen” Berufes erklärt. Der manchmal mangelnde Erfolg der spezifischen beruflichen Aspekte und Standpunkte wird oft darauf zurückgeführt, dass wir „noch nicht lange dabei sind”. Ist es das Schicksal der Ergotherapie, ein gut gehütetes Geheimnis zu bleiben? Dies wird der Fall sein, wenn sich Ergotherapeuten nicht den Herausforderungen stellen. Marketing wird (über) lebenswichtig, da ein immer stärkerer Wettbewerb den Gesundheitsmarkt prägt. Aus welchem Grund sollten Ärzte Klienten an einen Ergotherapeuten überweisen? Was unterscheidet uns von anderen „Gesundheitsdienstleistern”? Sind wir unser Geld wert? Wie können Menschen Antworten auf diese Fragen finden, wenn nicht wir selbst sie ihnen geben? Wir Ergotherapeuten müssen Kapazitäten und Kräfte entwickeln, um unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wir selbst sind für unsere Zukunft verantwortlich, und in 20 oder 100 Jahren ist unser Erfolg der einzige verlässliche Maßstab für die Beurteilung, wie effektiv wir unsere Vision verfolgt haben. Ein unternehmerischer Ansatz besteht darin, neue Perspektiven zu finden und unsere Arbeit zu demystifizieren. Um dies zu erreichen, müssen wir die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft annehmen.

Die Vorträge der Keynote Speaker werden in der Septemberausgabe des Australian Journal of Occupational Therapy abgedruckt (kostenlos online abrufbar unter: www.blackwell-synergy.com/loi/AOT oder www.blackwellpublishing.com/aot).

Mehr als 700 Plakate und ungefähr 350 Vorträge befassten sich mit den oben genannten Themenbereichen (Abstracts aller Plakate und Präsentationen unter: www.Wfot.org/wfot2006).

Der Vorstand nutzte die WFOT Plenary Session, um die neu gewählten Board-Mitglieder vorzustellen und über Aktivitäten, erreichte und gestellte Ziele zu berichten. Der Honorary Fellow als höchste Auszeichnung des WFOT wurde an Hanneke van Bruggen (Holland) für ihr Engagement verliehen, die federführend bei der Gründung von COTEC und ENOTE war. Sie wurde für ihren unermüdlichen Einsatz um eine qualitativ hochwertige ergotherapeutische Ausbildung geehrt. Vor allem in den neuen europäischen Ländern hat sie durch ihre tatkräftige Unterstützung, ihr Wissen und ihre Fertigkeit, gute Kontakte herzustellen beim Aufbau von Ausbildungsstätten Großartiges geleistet. Die Verleihung kommentierte sie mit einer für sie typischen Aussage: „Don’t start in a corner, profile yourself immediately” (Fangt nicht unterwürfig in einer Ecke zu arbeiten an, profiliert euch sofort).

Den Merit Award erhielten Clare Hocking (Auckland University, Neuseeland) und Nils Erik Ness (Sør Trøndelag Universitet, Trondheim/Norwegen) als Anerkennung für die letzte Fassung der Minimum Standards of Education. Mit ihrer Überarbeitung der traditionellen Publikation leiteten sie eine revolutionäre Änderung unserer Berufsausbildung ein, die dem Kongressthema Unter globalen Gesichtspunkten ausbilden und lokale Bedürfnisse und Gegebenheit berücksichtigen gerecht wird.

Außerdem wurde über die WFOT Tsunami Response berichtet, mit der Anregung, die dabei gemachten Erfahrungen weltweit zu überdenken, da immer mehr Länder unter Umweltkatastrophen (Überschwemmungen, Stürme, Brände) leiden. Wie die Formulierung und das Bekenntnis der Mitgliedsländer zum neuen Positionspapier über Human Rights erkennen lassen, zeigt sich der WFOT zunehmend politischer.

Mieke le Granse, MScOT

Email: a.le.granse@hszuyd.nl

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