ZFA (Stuttgart) 2005; 81(11): 467
DOI: 10.1055/s-2005-918165
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Eine versteckte Form von Werbung kommt auf uns zu

H.-H. Abholz
  • 1Facharzt für Allgemeinmedizin, Abteilung für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf
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Publication Date:
29 November 2005 (online)

Bisher haben wir Werbung als Produktwerbung - also für eine Firma - wahrgenommen. Es gibt aber zunehmend Hinweise, dass es heute auch ganz anders geht: Baue ein Themenfeld auf, weise nach, dass hier Unterversorgung herrscht. Alles andere findet sich dann. Dabei muss ja nicht eine Firma alles bekommen, denn dort, wo vorher nichts oder wenig zu verkaufen war, ist es für alle von Gewinn, wenn jetzt überhaupt oder mehr verkauft werden kann.

Aus dem Bereich von Alkohol- und Tabakwerbung wissen wir, dass es primär immer nur darum gehen kann, große Märkte zu erschließen oder bestehende auszuweiten - hierfür muss das Thema entfaltet, beworben werden. Die Festlegung auf die einzelne Marke ist dann fast ein sekundäres Moment. Es gibt große Untersuchungen aus den 80er-Jahren über zum Beispiel den New Yorker Druckerstreik, der über mehrere Monate angehalten hat. Der Konsum von Tabak ging drastisch zurück, die Verteilung der Marken blieb; und nach Wiedererscheinen aller Presseorgane pegelte sich in etwa das gleiche Gleichgewicht der Firmen bei dann wiederum hohen Verkaufszahlen ein.

Unsere Argumentation, dass bei Pharma-gesponserten Veranstaltungen, bei denen mehrere Firmen Träger sind, der Inhalt nicht durch die einzelne Firma vorbestimmt wird, also solches Sponsoring unproblematisch ist, wird somit brüchig: Es geht vielleicht gar nicht mehr um den Firmenanteil, sondern nur noch um die Erweiterung des Marktes - an dem dann jeder mehr absetzen kann. Es mag sogar Querabsprachen in einer solchen Strategie geben: Ich bezahle hier, obwohl ich im Sektor A keine Produkte habe; dafür zahlt ihr auch im Sektor B, in dem ihr wiederum keine Produkte verkauft.

Auf einem solchen Hintergrund sollte man einmal die Themenfelder Demenz, Depression, Hochdruck, Adipositas, Rückenschmerz, COPD, Hochdruck, pAVK etc. sehen. Alles bekannte Krankheiten, die jetzt massiv an „Raum” gewonnen haben: Allein schon über eine definitorische Grenzwert-Absenkung betreffen sie - jeweils einzeln - zwischen 10 und 25 % der Bevölkerung. Sind da die wissenschaftlichen Studien, die die katastrophale Unterversorgung nachweisen, nicht nur flankierende Maßnahmen für die Marktausweitung?

Und kann man da nicht gar interdisziplinär hergestellte Leitlinien zur „Verbesserung” der Versorgung auch als flankierende Maßnahme für einen Themen-Werbefeldzug sehen?

In letzter Zeit ist übrigens auch auffällig, dass einige Spezialisten-Verbände die gegliederte Versorgung entdeckt haben. Die Botschaft lautet: Die Hausärzte sind für die breite Versorgung zuständig, wir sind es nur (noch) für ganz spezielle Patienten. Dafür aber geben wir euch die Leitlinien, wie ihr es richtig macht. Oder wir schaffen mit Euch - eine von 23 Stimmen in der Leitlinien-Arbeitsgruppe - zusammen eine verbindliche Leitlinie!

Die Allgemeinmedizin wird fachmännisch zu dem angeleitet, was eine massive Ausweitung von Behandlung - nicht unbedingt nur zum Wohle des Patienten - beinhaltet, und sie ist dann noch für diese Ausweitung verantwortlich.

Für die Allgemeinmedizin wäre dieses Konzept auf die Dauer fatal: Wir würden unseren Patienten durch faktische Überversorgung nicht mehr gerecht. Durch von uns verursachte Medikamentenkosten kommen wir und das System unter Druck. Weitere Privatisierungen können nur die Antwort sein. Hierunter wird ein nennenswerter Teil unserer Patienten leiden - und wir werden es auch.

Ihr Harald Abholz

Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz

Facharzt für Allgemeinmedizin · Abteilung für Allgemeinmedizin ·
Universitätsklinikum Düsseldorf

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

Email: abholz@med.uni-duesseldorf.de

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