Z Geburtshilfe Neonatol 2022; 226(01): 68-69
DOI: 10.1055/a-1701-6686
Brief an die Redaktion

Reanalyse: Wie hoch ist die optimale Mindestmenge für die Behandlung Frühgeborener mit einem Geburtsgewicht unter 1250 g in Deutschland?

Günther Heller
1   Fachbereich Medizin, Philipps-Universität Marburg, Marburg
,
Maurilio Gutzeit
2   Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen
,
Johannes Rauh
2   Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen
,
Jona Cederbaum
2   Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen
,
Rainer Rossi
3   Kinder- und Jugendmedizin – Perinatalzentrum, Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin
,
Teresa Thomas
4   Abteilung für Neonatologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig
,
Rolf F. Maier
1   Fachbereich Medizin, Philipps-Universität Marburg, Marburg
› Author Affiliations

Sehr geehrte Damen und Herren,

Im Jahr 2020 veröffentlichten wir in Ihrer Zeitschrift einen Artikel mit dem Titel „Wie hoch ist die optimale Mindestmenge für die Behandlung Frühgeborener mit einem Geburtsgewicht unter 1250 g in Deutschland?“ [1]. Ziel des Artikels war es, einen Volume-Outcome-Zusammenhang in der Versorgung von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1250 g (FG<1250) abzubilden und einen ggf. existierenden Schwellenwert zu ermitteln. Dazu wurden die auf der Webseite www.perinatalzenten.org öffentlich verfügbaren Daten der Analyseintervalle 2010–2014, 2011–2015, 2012–2016, 2013–2017 und 2014–2018 genutzt. Der Volume-Outcome-Zusammenhang wurde wie folgt analysiert: für alle empirisch besetzten Fallzahlen oberhalb der damaligen Mindestmenge von 14 FG<1250 wurde unter Berücksichtigung der Risikoadjustierung ermittelt, wie sich die Sterblichkeit verändern würde, wenn alle Kinder in Perinatalzentren mit mindestens dieser Fallzahl behandelt worden wären. Dabei beschreibt die Anzahl der potentiell vermeidbaren Todesfälle die geschätzte Anzahl von Kindern, die in einem Jahr nicht gestorben wären, wenn alle FG<1250 in Perinatalzentren mit mindestens dieser Fallzahl behandelt worden wären [2].

Im Nachgang des Artikels erreichte uns ein Leserbrief von Herrn Prof. Dr. Pohlandt [3], dessen kritische Würdigung unseres Artikels von uns umfänglich beantwortet wurde [4].

Jenseits der dort angesprochenen Kritikpunkte wurden wir von Mitarbeiter/innen des „Fachbereichs Biometrie“ des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) auf problematische Eigenschaften der zur Berechnung der „potentiell vermeidbaren Todesfälle“ genutzten Formel (Formel vii in [2]) hingewiesen. Die Problematik besteht darin, dass die mathematischen Eigenschaften der Formel dazu führen, dass die Kurven nur bestimmte Verläufe annehmen können, weshalb das Maximum nicht als Hinweis auf eine optimale Mindestmenge gedeutet werden kann.

Daraufhin haben wir gemeinsam mit o. g. Mitarbeiter/innen die Formel noch einmal überarbeitet (Online-Zusatzmaterial [5]) und die beschriebenen Probleme behoben.

Anhand dieser modifizierten Formel wurden die potentiell vermeidbaren Todesfälle erneut berechnet. Die Ergebnisse sind in der folgenden Abbildung dargestellt ([Abb. 1]).

Wie bei der ersten Auswertung zeigt sich dabei eine Zunahme der potentiell vermeidbaren Todesfälle bis zu einer Mindestmenge von etwa 25 Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1250 g pro Jahr, anschließend ein Rückgang bis zu einer Mindestmenge von etwa 35 und darauffolgend wieder eine Zunahme. Entgegen der vorherigen Analyse findet sich diese Zunahme aber bis zu einer Mindestmenge von etwa 70 und ergibt für diese Mindestmenge, mit etwa 75 potentiell vermeidbaren Todesfällen pro Jahr, einen größeren Effekt als zuvor berichtet. Oberhalb der Mindestmenge von 70 flacht die Kurve für die Analyseintervalle 2011–2015, 2012–2016, 2013–2017 ab bzw. sinkt. Dagegen zeigt sich für die Analyseintervalle 2010–2014 und 2014–2018 eine weitere Zunahme der potentiell vermeidbaren Todesfälle bis zu einer Mindestmenge von 90. Letzteres entspricht der vom IQTIG im Auftrag des G-BA durchgeführten Auswertung [6], die auf Basis der Daten von 2014–2018 zeigte, dass die Anzahl an potentiell vermeidbaren Todesfällen über den gesamten Fallzahlbereich monoton ansteigt. Die breiter werdende Punktewolke in unserer Analyse, wie auch die unterschiedlichen Ergebnisse der Lowess-Regressionen oberhalb einer Mindestmenge von 70 weisen auf hohe statistische Unsicherheiten in diesem Bereich hin.

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Abb. 1 Streudiagramm und lokal gewichtete Regression (lowess) mit einer Bandbreite von 0,4. Potentiell vermeidbare Todesfälle nach Mindestmenge (Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1250 g) pro Jahr in Perinatalzentren Level 1 (dargestellt sind Fallzahlen von 14 bis 90 Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1250 g), Analysezeiträume 2010–2014, 2011–2015, 2012–2016, 2013–2017 und 2014–2018, Datenquelle: www.perinatalzentren.org.

Zusatzmaterial



Publication History

Article published online:
18 February 2022

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