Rural health / Gesundheit im ländlichen Raum

Esther Rind , Birgit Reime , Christian Weidmann

(letzte Aktualisierung am 26.08.2022)

Zitierhinweis: Rind, E., Reime, B. & Weidmann, C. (2022). Rural health / Gesundheit im ländlichen Raum. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i133-2.0

Zusammenfassung

Die Verbesserung der Gesundheit und der Gesundheitsversorgung von Menschen im ländlichen Raum ist eine aktuelle Herausforderung. Durch den höheren Altersdurchschnitt im ländlichen Raum finden sich dort mehr chronisch Erkrankte. Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung erweist sich jedoch gerade im ländlichen Raum durch die demografischen Veränderungen zunehmend als schwierig. Auch das Angebot an Präventionsmaßnahmen ist im ländlichen Raum reduziert. Der spezifische Kontext des ländlichen Raums sollte bei der Konzeption von Gesundheitsförderungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Dieser ist gekennzeichnet durch eine häufig eher schwierige sozioökonomische Lage, eher geringen Gesundheitskompetenzen, erschwertem Zugang zu gesunden und vielfältigen Nahrungs- und Bewegungsangeboten sowie weiten Wegen zu Gesundheitsdienstleistern. Die häufig engeren sozialen Bindungen und das Gemeindeleben können hier als Ressourcen genutzt werden.

Schlagworte

Gesundheit im ländlichen Raum, Kommune, Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitsförderung, Settingansatz


Theoretischer Hintergrund

Rural health/Gesundheit im ländlichen Raum beschäftigt sich (in Abgrenzung zu Urban Health/Stadtgesundheit) mit dem Gesundheitszustand, der Gesundheitsversorgung und der Gesundheitsförderung der Bevölkerung im ländlichen Raum. Studien zur Gesundheit im ländlichen Raum haben vor allem den Zugang zu Gesundheitsinstitutionen, die Qualität und die Kosten der Gesundheitsversorgung untersucht. Außerdem wurden Besonderheiten hinsichtlich physischer, sozioökonomischer und kultureller Einflussgrößen von Gesundheit im ländlichen Raum beschrieben und Konsequenzen für die Gesundheitsförderung formuliert. In diesen Studien kommen eine Gemeindeorientierung/Sozialraumorientierung und die damit verbundene Überzeugung zum Ausdruck, dass Gesundheitsförderung den unmittelbaren Kontext und die Lebenszusammenhänge jedes Einzelnen berücksichtigen sollte.

Obwohl die Gesundheit im ländlichen Raum in den letzten Jahren eine größere Aufmerksamkeit erhalten hat, gibt es international bislang keine einheitliche Definition des sogenannten ländlichen Raums, wodurch Forschungsergebnisse oft nur schwer vergleichbar sind. In Deutschland hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung eine Einteilung auf Basis der Einwohnerdichte und des Bevölkerungsanteils in Groß- und Mittelstädten vorgelegt, nach der im Jahr 2019 68 % der Fläche und 32 % der deutschen Bevölkerung zum ländlichen Raum zählten.

Wird der Gesundheitszustand der Bevölkerung im ländlichen Raum betrachtet und mit der urbanen Bevölkerung verglichen, ist das durch die Abwanderung der jüngeren Bevölkerung bedingte höhere Durchschnittsalter im ländlichen Raum zu berücksichtigen, das im Jahr 2019 zwei Jahre über dem der Stadtbevölkerung lag. Bei vielen chronischen Erkrankungen zeigte sich daher im ländlichen Raum eine erhöhte Prävalenz. So lag beispielsweise die Diabetes-Prävalenz unter AOK-Versicherten in dünn besiedelten ländlichen Kreisen bei 10,1 %, wohingegen in kreisfreien Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnerinnen und Einwohnern lediglich 7,6 % der Versicherten betroffen waren (WIdO 2019). Nach Adjustierung der Altersstruktur reduzieren sich diese Unterschiede zwar, bleiben aber erkennbar, was vor allem auf die stärkere Ausprägung von Übergewicht und Adipositas im ländlichen Raum zurückgeführt werden kann. Auch bei Hüft- und Knieersatzraten in Folge einer Arthrose zeigten sich deutliche regionale Unterschiede mit erhöhten Raten im ländlichen Raum (Schäfer et al. 2013).

Die Ursachen der stärkeren Verbreitung von Übergewicht und Adipositas wurden vor allem in den USA, wo diese Unterschiede sehr ausgeprägt sind, untersucht. Hierbei zeigte sich, dass der Konsum von Obst und Gemüse im ländlichen Raum geringer ausfällt, obwohl diese Lebensmittel überwiegend auf dem Land angebaut werden (Cohen et al. 2018). Auch bei der körperlichen Aktivität zeigten sich Nachteile für die Landbevölkerung insbesondere bei der intensiven körperlichen Aktivität, die länger als zehn Minuten unter hoher Belastung ausgeübt wurde (Fan et al. 2014). Diese Ursachen können teilweise auf geringere Gesundheitskompetenzen und teilweise auf das geringere Nahrungs- und Bewegungsangebot zurückgeführt werden (Lenardson et al. 2015).

Derartige Stadt-Land-Unterschiede unterstreichen den Bedarf einer regionalisierten Gesundheitsberichterstattung. In einigen Bundesländern wurden vor diesem Hintergrund regionale Gesundheitskonferenzen eingerichtet, um die Akteurinnen und Akteure der Gesundheitsversorgung vor Ort stärker zu vernetzen und den Gesundheitszustand der Menschen in den Regionen zu verbessern. Leider werden sie nur in Nordrhein-Westfalen und in Baden-Württemberg flächendeckend in allen Stadt- und Landkreisen durchgeführt. Mit den Gesundheitsregionen Niedersachsen und den Gesundheitsregionenplus in Bayern gibt es zudem zwei Modellansätze zur regionalen Vernetzung und Stärkung der Gesundheitsförderung. Erste Evaluationen belegen, dass die Netzwerkbildung in den teilnehmenden Regionen erfolgreich war. Viele der beteiligten Stadt- und Landkreise befinden sich im ländlichen Raum und konnten von der verbesserten Koordination profitieren.

Das physische Umfeld

In Bezug auf das physische Umfeld spielen Luftverschmutzung, Feinstaubbelastungen, Lärm oder hohe Kriminalitätsraten auf dem Land meistens eine deutliche geringere Rolle als in der Stadt. Besonders hervorzuheben sind potenziell gesundheitsförderliche Ressourcen auf dem Land wie unverbaute Landschaften oder größere Gärten, die sich positiv auf körperliche Aktivitäten (z. B. Radfahren, Wandern) oder auch die Ernährung (Gemüse-, Obstanbau) auswirken können.

Allerdings beschäftigen sich aktuelle Forschungsansätze mit den Auswirkungen des allgemeinen Rückgangs infrastruktureller Ressourcen auf die Gesundheit der ländlichen Bevölkerung (z. B. Rückbau des öffentlichen Nahverkehrs und des Einzelhandels, Zentralisierung von Gesundheitseinrichtungen).

Des Weiteren haben Studien gezeigt, dass mangelnde Straßenbeleuchtung, fehlende Bürgersteige, geringe Möglichkeiten für einem aktiven Transport zu Schulen oder Arbeitsstätten sowie wenige sichere Bewegungsstätten wie Parks oder Spielplätze einen negativen Einfluss auf die physische Aktivität der ländlichen Bevölkerung und damit auf die Gesundheit haben können (Hansen et al. 2015).

Zugang zur Gesundheitsversorgung

Die zunehmende Peripherisierung des ländlichen Raumes spielt bei der Gestaltung der Gesundheitsversorgung eine zentrale Rolle. Von politischer und gesundheitswissenschaftlicher Seite wird v. a. die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung im ländlichen Raum diskutiert. Sowohl die drohende Unterversorgung als auch die Qualität hausärztlicher Leistungen stehen dabei häufig im Mittelpunkt des Interesses. Die Gründe für die mangelnde Bereitschaft, sich als Hausarzt oder Hausärztin im ländlichen Raum niederzulassen, sind vielfältig. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) verhindern v. a. Budgetierung, zunehmende Bürokratisierung und eine schwache ländliche Infrastruktur eine flächendeckende hausärztliche Versorgung.

Zusammenfassend kann die unzureichende ländliche Gesundheitsversorgung in folgende Kategorien eingeteilt werden (Weinhold & Gurtner 2014):

  • Mangelnde Angebote bezüglich Quantität und Qualität
  • Fehlverteilung
  • Eingeschränkter Zugang durch z. B. Mobilitätsproblematik auf dem Land (Autoabhängigkeit, eingeschränkter ÖPNV)
  • Ineffiziente Nutzung vorhandener Angebote (z. B. mangelhafte Breitbandinfrastruktur verhindert Nutzung telemedizinischer Versorgungsangebote)

Weniger diskutiert werden Stadt-Land-Unterschiede in der Versorgung mit Beratungsstellen oder approbierten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie der Versorgung mit Hebammenleistungen oder Angeboten zur Gesundheitsförderung. Bezüglich der psychotherapeutischen Versorgung wartet die ländliche Bevölkerung durchschnittlich doppelt so lange auf einen Behandlungsplatz (ca. 4 Monate) wie die städtische Bevölkerung, obwohl psychische Krankheiten mit Ausnahme von Psychosen und affektiven Störungen auf dem Land kaum seltener auftreten als in der Stadt (Jacobi et al. 2014).

Inwieweit sich dieser Mangel an professionellen Anlaufstellen unterschiedlich auf verschiedene Zielgruppen auswirkt, wurde bisher nicht systematisch untersucht. Zum Beispiel sind Kinder und Jugendliche in psychischen Krisen durch weite Distanzen zu Hilfsangeboten, das Angewiesensein auf schlecht ausgebaute öffentliche Verkehrsmittel und die gegenüber Gleichaltrigen in der Stadt geringeren „Abtauchmöglichkeiten“ in die Anonymität gegebenenfalls in besonderem Maße beeinträchtigt. Hier bleibt dann oft nur der Rückgriff auf eine Online-Beratung, wie sie beispielsweise von der bke-Jugendberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V.angeboten wird.

Die unzureichende Versorgung mit Hebammenleistungen hängt z. B. auch mit der Erreichbarkeit des nächsten Krankenhauses zusammen, welche im ländlichen Umland bei durchschnittlich mehr als 9 km liegt (Kernstädte: ca. 2 km). Am Beispiel der Kaiserschnittraten zeigt sich allerdings, dass die regionalen Unterschiede stärker auf sozioökonomische Faktoren als auf Unterschiede in der Bevölkerungsdichte zurückzuführen sind (Zipfel & Weidmann 2021).

Deutliche Stadt-Land Unterschiede finden sich hinsichtlich der Angebote zur Gesundheitsförderung. Eine Beratung zur Aufnahme körperlich-sportlicher Aktivitäten findet in ländlichen Regionen deutlich seltener statt als in dichter besiedelten Gebieten (Görig et al. 2016).

Das soziokulturelle Umfeld

Viele Gesundheitsprobleme im ländlichen Raum sind weniger auf das physische Umfeld oder den Zugang zur medizinischen Versorgung zurückzuführen, sondern hängen mit der Lebensführung zusammen. Forschungsergebnisse aus dem internationalen Kontext zeigen zum Beispiel, dass im Gegensatz zum städtischen Raum auf dem Land häufiger geraucht wird (für Deutschland wurde ein entgegengesetzter Trend dokumentiert). Des Weiteren ist der Anteil sportlicher Aktivitäten und Alltagsbewegung (z.B. Laufen, Radfahren) niedriger, der Obst- und Gemüsekonsum weniger ausgeprägt und die Lebensqualität (bezüglich Bildung, Kultur, medizinischer Versorgung und Warenangebot) wird als geringer eingestuft (Weidmann & Reime 2021). Dieser Trend kann nicht (nur) auf Unterschiede in Angeboten im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung zurückgeführt werden. Die soziokulturellen Ursachen dieser Unterschiede sind wenig erforscht, werden aber auf unterschiedliche sozioökonomische Bedingungen (Einkommen, Erwerbslosigkeit, Bildung) und die zunehmende Peripherisierung des ländlichen Raumes (Rückgang der Infrastruktur, soziostrukturelle Abkoppelung) zurückgeführt.

Soziokulturelle Aspekte des ländlichen Lebens können sich aber auch positiv auf die Gesundheit auswirken. Sozialkapital, soziale Netzwerke und die Reziprozität sozialer Beziehungen haben auf dem Land eine besondere Bedeutung. Obwohl die soziale Verbundenheit auch im ländlichen Raum in den letzten Jahren abgenommen hat (z. B. Familienleben, Nachbarschaftshilfe, Bereitschaft zum Ehrenamt, Vereinszugehörigkeit), so ist das kulturelle Gemeindeleben nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des Lebens im ländlichen Raum (Bourke et al. 2012). Aspekte der Gemeindeorientierung/Sozialraumorientierung sind daher wichtige Faktoren hinsichtlich gesundheitlicher Ressourcen, Prävention und Krankheitsprävention sowie der Gesundheitsförderung im ländlichen Raum (siehe unten).

Ein besseres Verständnis der Interaktionen zwischen dem soziokulturellen Umfeld und Gesundheit spielt insbesondere im Rahmen der Entwicklung kultursensibler Präventions- und Gesundheitsförderungsprogramme für Menschen mit Migrationshintergrund eine wichtige Rolle. Internationale und deutschsprachige Studien zu Migrantenpopulationen basieren überwiegend auf Erhebungen im städtischen Kontext, weshalb über die gesundheitliche Lage von Migrantinnen und Migranten im ländlichen Raum und deren speziellen Bedürfnisse wenig bekannt ist. Gesundheitssoziologische Ansätze aus der Lebensstilforschung (Lebensweisen/Lebensstile) sowie der Setting-Ansatz (Settingansatz/Lebensweltansatz) bieten einen konzeptionellen Rahmen, um gesundheitsrelevante Verhaltensmuster im ländlichen Raum in ihren sozialen, ökonomischen und soziokulturellen Zusammenhängen besser zu verstehen.

Gesundheitsförderung im ländlichen Raum

Während in Deutschland Stadt-Land-Unterschiede in Gesundheit, Gesundheitsverhalten und Gesundheitsversorgung bislang nur unsystematisch untersucht wurden, liegen vor allem aus den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien zahlreiche Studien zur Gesundheit im ländlichen Raum vor. In diesen Ländern zeigte sich, dass die Krankheitslast der Bevölkerung im ländlichen Raum bei fast allen Indikatoren höher ist als bei der städtischen Bevölkerung. Der erschwerte Zugang zu medizinischer Versorgung insbesondere in sehr entlegenen Gegenden wird hier als wichtigste Ursache diskutiert. Aber auch die vergleichsweise schwierigen sozioökonomischen Bedingungen der ländlichen Gebiete und die Lebensstile der ländlichen Bevölkerung werden als Gründe genannt. Darüber hinaus wird auf die erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsraten der indigenen Bevölkerung (z. B. der American Indians, der Alaska Natives oder der Aboriginal Australians) und der ethnischen Minderheiten in ländlichen Gebieten (z. B. Rural Black Americans) hingewiesen. Die Ursachen der unterschiedlichen Morbiditäts- und Mortalitätsraten werden kontrovers diskutiert.

Im Rahmen einer Kooperation zwischen australischen akademischen Institutionen und Kirchengemeinden wurde das Programm Heart Smart for Women (HSFW) etabliert, das unter anderem aus angeleiteten Gruppentreffen über 12 Wochen in Kirchengemeinden bestand. Verhaltensänderungen im Hinblick auf Ernährung (Obst- und Gemüsekonsum) und Bewegung (Minuten mit moderater oder intensiver körperlicher Aktivität) waren die Folge (Zimmermann et al. 2018). Bezogen auf Veränderungen bei der Ernährung können die engmaschigen Netzwerke der ländlichen Bevölkerung von Vorteil sein. Bei sozialen Anlässen in der Gemeinde werden oft traditionelle, vertraute Lebensmittel bevorzugt, so dass Ernährungsumstellungen für Einzelpersonen schwierig sein können. Bei der männlichen australischen Landbevölkerung war ein soziales Netzwerk, das Personen aus unterschiedlichen Berufen und Perspektiven umfasste, mit einer gesünderen Ernährung verbunden. Frauen, die regelmäßig soziale Kontakte in Kleinstädten pflegten, hatten eine positivere Ernährungseinstellung (Burgis-Kasthala et al. 2019).

Ein weiterer Schwerpunkt von Gesundheitsförderung im ländlichen Raum ist die Implementierung von E-Health-Angeboten. Allerdings zeigte sich bei älteren australischen Männern eine geringe Akzeptanz solcher Angebote. Sie favorisierten Hands-on-Ansätze wie konkrete Praxisanleitungen, wogegen Informationen aus dem Internet keinen hohen Stellenwert hatten (Misan et al. 2017).

Im ländlichen Raum der USA, wo sich vor allem bei ärmeren Müttern und Babys höhere Morbiditäts- und Mortalitätsraten finden, berichteten Schwangere von ungestillten Informationsbedürfnissen (Jacobson et al. 2018). Dies betraf beispielsweise Sport in der Schwangerschaft, empfohlene Ernährung sowie die Selbst- und Peer-Edukation. Web-basierte Gesundheitsedukation könnte die Versorgung der jüngeren Bevölkerung im Kontext des Mangels an Hebammen sowie Gynäkologinnen und Gynäkologen verbessern.

Der große Stellenwert, den die Gesundheit und die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum in diesen Ländern genießt, drückt sich unter anderem in eigenen Fachzeitschriften zu diesen Themen aus (z. B. The Journal of Rural Health, Australian Journal of Rural Health). Des Weiteren finden sich für die Bevölkerung im ländlichen Raum ebenso wie für Entscheidungsträgerinnen und -träger zahlreiche Internetplattformen mit Informationen zu den Herausforderungen in ländlichen Gebieten sowie zu Ansätzen der Prävention und Gesundheitsförderung speziell im ländlichen Kontext. Die Entwicklung eines vergleichbaren Informationsangebotes in Deutschland steht noch aus.

Eventuell ist für den ländlichen Raum stärker relevant, in welchem soziokulturellen Kontext Gesundheitsförderung angeboten wird. Dies zeigte sich auch im deutschen Kontext, wo mehr Landbewohnerinnen und -bewohner als Stadtbewohnerinnen und -bewohner betriebliche Gesundheitsförderung in Anspruch nehmen (Lindert et al. 2022), obwohl die Teilnahmeraten bei anderen Gesundheitsförderungsangeboten sonst im ländlichen Raum niedriger sind. Maßnahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements könnten stärker kulturell akzeptiert werden als andere Angebote der Gesundheitsförderung.

Best Practice-Interventionen

Best Practice-Interventionen für den ländlichen Raum sind in der Literatur kaum zu finden. Bei internationalen Studien zu Gesundheitsförderung im ländlichen Raum handelt es sich in der Regel um isolierte Pilotprojekte und nicht um Interventionen, die bereits erfolgreich evaluiert wurden. Dabei wurden soziokulturelle Merkmale des ländlichen Raums oft genutzt, um Gesundheitsförderung zu implementieren.

Best Practice-Beispiele für Gesundheitsförderung im ländlichen Raum fehlen insbesondere dann, wenn es sich nicht um die Mehrheitsbevölkerung, sondern um vulnerable Zielgruppen wie beispielsweise Migrantenpopulationen handelt. Im Schwarzwald wurde 2014 mit Hilfe eines partizipativen, empowerment-basierten Ansatzes eine gesundheitsbezogene Bedarfsanalyse in türkischen Gemeinden aus Südbaden durchgeführt (Weidmann & Reime 2021). Dabei stellte sich die häusliche Pflege als das Thema mit dem höchsten Informationsbedarf heraus. Zu den Themen Depression, Demenz und Ernährung wurden ebenfalls mehr Informationen gewünscht. Die partizipativ erarbeiteten Maßnahmen sahen u. a. zweisprachige Informationsveranstaltungen in den Gemeinden vor sowie die Erstellung zweisprachiger Flyer zu den Themen Pflege und Depression mit Hinweisen zu Anlaufstellen.

Fazit und Ausblick

Stadt-Land-Unterschiede in Gesundheit und Gesundheitsverhalten betonen die Bedeutung der unmittelbaren Lebenszusammenhänge und erfordern eine kontextspezifische Gesundheitsförderung. Durch die sich abzeichnenden demografischen Veränderungen wird sich die Bedeutung des Kontextes vermutlich noch weiter erhöhen.

Die Herausforderungen für den ländlichen Raum bestehen vor allem in der Sicherung eines angemessenen und kultursensiblen Angebots an Gesundheitsförderung und medizinischer Versorgung. Telemedizin und E-Health-Angebote können hierbei eine bedeutsame Rolle einnehmen, indem sie den Rückgang klassischer Infrastruktur kompensieren und neue Technologien für Maßnahmen der Gesundheitsförderung nutzen.

Literatur:

Bourke, L. et al. (2012). Understanding rural and remote health: A framework for analysis in Australia. Health & place, 18(3), S. 496−503.

Burgis-Kasthala, S. et al. (2019). Social and community networks influence dietary attitudes in regional New South Wales, Australia. Rural and Remote Health, 19, 5328.

Cohen, S. A. et al. (2018). Assessment of dietary patterns, physical activity, and obesity from a national survey: Rural-urban health disparities in older adults. PLoS One, 13(12), e0208268. doi.org/10.1371/journal.pone.0208268.

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WIdO − Wissenschaftliches Institut der AOK (2019). Gesundheitsatlas Deutschland, Diabetes Typ 2. Berlin. Zugriff am 26.07.2022 unter: https://logauswertung.wido.de/fileadmin/Dateien/Dokumente/Publikationen_Produkte/Buchreihen/Gesundheitsatlas/wido_int_gesundheitsatlas_deutschland_1119.pdf.

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Zipfel, L. & Weidmann, C. (2021). Einflussfaktoren auf die Kaiserschnittraten in deutschen Krankenhäusern in den Jahren 2015–2017. Eine ökologische Studie. Das Gesundheitswesen, eFirst. DOI: 10.1055/a-1531-4998.

Internetadressen:

Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung / Laufende Raumbeobachtung − Raumabgrenzungen:
www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/raumbeobachtung/Raumabgrenzungen/deutschland/kreise/siedlungsstrukturelle-kreistypen/kreistypen.html

Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V.:https://jugend.bke-beratung.de

Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung: www.inkar.de

Journal of Rural Health: https://onlinelibrary.wiley.com/journal/17480361

National Rural Health Alliance: https://ruralhealth.org.au

Rural Health Information Hub: www.ruralhealthinfo.org/about

Verweise:

Gemeindeorientierung / Sozialraumorientierung, Gesundheitsberichterstattung, Gesundheitskonferenzen, Lebensweisen/Lebensstile, Prävention und Krankheitsprävention, Settingansatz/Lebensweltansatz, Urban health / StadtGesundheit