1 Einleitung

Mit der Expertise zur Formulierung nationaler Bildungsstandards wurde vor inzwischen mehr als einem Jahrzehnt die Umsteuerung von einem input- zu einem output-orientierten Bildungssystem eingeläutet (Klieme et al. 2003). Bildungsstandards benennen Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler am Ende einzelner Bildungsabschnitte wie der Primarstufe, der Sekundarstufe I oder der Sekundarstufe II erworben haben sollten (z. B. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Bundesrepublik Deutschland [KMK] 2003, 2004, 2012a). Kompetenzstrukturmodelle bilden den Rahmen für die Formulierung von Kompetenzerwartungen wie z. B. Mindest- bzw. Regelniveaus aus (z. B. Blum et al. 2013). Kompetenzentwicklungsmodelle beschreiben, wie sich Kompetenzen in Folge von Instruktion idealtypisch entwickeln. Sie sollen die Grundlage bilden für Unterricht, der Lernende über längere Zeiträume systematisch darin unterstützt, die Kompetenzerwartungen zu erreichen (Schecker und Parchmann 2006). Damit soll ein weiteres Defizit des deutschen Bildungssystems neben den Schwächen deutscher Schülerinnen und Schüler bei der Anwendung von Wissen insbesondere bei komplexen und Problemlöseaufgaben (Baumert et al. 2002, 2000) adressiert werden: die Tatsache, dass der Unterricht wenig kohärent ist, häufig wieder „von vorne“ beginnt, so dass Kompetenzentwicklung kaum stattfindet (Baumert et al. 1997).

Empirisch fundierte Kompetenzentwicklungsmodelle liegen bisher nur in geringem Umfang vor (für einen Überblick siehe Leutner et al. 2017); die vorliegenden fokussieren vielfach auf die Kompetenzentwicklung in Folge von Instruktion über längere Zeiträume, z. B. mehrere Schuljahre (z. B. Neumann et al. 2013). Sie bilden die Grundlage für eine kohärente Sequenzierung von Kompetenzerwartungen (z. B. im Rahmen von Lehrplänen, vgl. Neumann 2017). Diese Modelle sind jedoch häufig noch sehr grob, zudem beruhen sie oft auf querschnittlichen Untersuchungen bzw. Datensätzen. Es fehlen Erkenntnisse über individuelle Entwicklungsverläufe, weshalb Schlussfolgerungen zur kohärenten Sequenzierung von Instruktion kaum möglich sind (siehe dazu auch Renkl 2012). Zwar wurde verschiedentlich die Auswirkung von Instruktion auf die Entwicklung von Kompetenz längsschnittlich untersucht (z. B. Bögeholz et al. 2017), Häufig wurde dabei jedoch „lediglich“ die Wirkung von Instruktionen über vergleichsweise kurze Zeiträume – von wenigen Schulstunden bis hin zu einigen Monaten – ohne besondere Berücksichtigung der Kohärenz der instruktionalen Aktivitäten erfasst. In der Folge liegen bisher keine Modelle vor, die Erkenntnisse bieten, wie kohärent sequenzierte Instruktion auf kurzen Zeiträumen und die Entwicklung von Kompetenzen auf längeren Zeiträumen zusammenspielen. Damit fehlt eine Basis für die Gestaltung kohärenten Unterrichts, der Kompetenzentwicklung systematisch unterstützt.

Ziel des vorliegenden Thementeils ist es vor diesem Hintergrund, vielversprechende Arbeiten aus dem Bereich der Mathematik- und Naturwissenschaftsdidaktiken vorzustellen, die in der einen oder anderen Weise darauf zielen, die beschriebenen Desiderata zu adressieren. Darüber hinaus soll anhand dieser Arbeiten aufgezeigt werden, mit welchen Herausforderungen die Forschung zur Kompetenzentwicklung, insbesondere mit Blick auf die Bedeutung instruktionaler Kohärenz für die Kompetenzentwicklung, konfrontiert ist. Zu diesem Zweck wird im Folgenden zunächst der Begriff der Kompetenz in der Form, in der er den Beiträgen zugrunde liegt, die Entwicklung von Kompetenz(en) sowie darauf aufbauend das Konzept instruktionaler Kohärenz erläutert, bevor die Beiträge in der Zusammenschau diskutiert werden.

2 Kompetenz und Kompetenzentwicklung

Kompetenzen sind nach Weinert (2001) „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (S. 27). Klieme und Leutner (2006) fokussieren ausschließlich auf die kognitiven Aspekte von Kompetenz und klammern die motivationalen, volitionalen und sozialen Voraussetzungen aus. Bransford et al. (2000) identifizieren ein wohl organisiertes Wissen als Kern von Kompetenz. Kompetenz ist demnach ein Konglomerat aus Wissen und weiteren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie es zur Bewältigung typischer Situationen oder Anforderungen einer Domäne oder eines Teilbereiches einer Domäne benötigt werden (siehe auch Kerrie et al. 2020). Für den schulischen Bereich steht dabei die Frage im Vordergrund, welches Wissen, welche Fähigkeiten und welche Fertigkeiten Kompetenz umfasst, und wie diese bei der Bewältigung typischer Situationen oder Anforderungen einer Domäne oder eines Teilbereiches einer Domäne zusammenspielen (vgl. Neumann et al., 2019). Die Antwort auf diese Frage sind Kompetenzstrukturmodelle. Sie identifizieren das Wissen, die Fähigkeiten und die Fertigkeiten, die eine bestimmte Kompetenz (von einer einzelnen Kompetenz wie z. B. experimenteller Kompetenz bis hin zu Kompetenz in Mathematik und den Naturwissenschaften) konstituieren (Schecker und Parchmann 2006).

Kompetenzentwicklungsmodelle (englisch: learning progressions, vgl. Duncan und Hmelo-Silver 2009) beschreiben darauf aufbauend sowohl, wie sich einzelnes Wissen, einzelne Fähigkeiten oder Fertigkeiten, als auch, wie sich das Zusammenspiel von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in Folge entsprechender Instruktion, entwickelt (Ufer und Neumann 2018). Die Entwicklung einzelnen Wissens, einzelner Fähigkeiten oder einzelner Fertigkeiten geschieht dabei eher auf kürzeren Zeitskalen (so ist z. B. denkbar, eine Intervention zu entwickeln, die über mehrere Unterrichtsstunden hinweg erfolgreich die Fähigkeit zur isolierenden Variablenkontrolle fördert, z. B. Schwichow et al. 2016). Das Zusammenspiel wird eher längere Zeiträume erfordern (so dürfte z. B. die Entwicklung experimenteller Kompetenz als Zusammenspiel verschiedener Fähigkeiten und Fertigkeiten, darunter die Fähigkeit zur isolierenden Variablenkontrolle, mehrere Schuljahre benötigen, vgl. KMK 2012b). Kompetenzentwicklungsmodelle müssen also eigentlich mehrere Zeitskalen (einzelne Schulstunden bis hin zu mehreren Schuljahren) überspannen. In der Praxis sind die Modelle aber häufig auf einzelnen Zeitskalen beschränkt (vgl. Alonzo und Gotwals 2012). Dies ist nicht grundsätzlich ein Problem, solange die Modelle systematisch „ineinandergreifen“. Das heißt, dass Kompetenzentwicklungsmodelle, die auf einzelnes Wissen, einzelne Fähigkeiten oder einzelne Fertigkeiten zielen (und damit auf kürzeren Zeitskalen angesiedelt sind), einfach nur höher aufgelöste Teile entsprechender Modelle sind, die auf das Zusammenspiel von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zielen (und damit längere Zeitskalen überspannen) (vgl. Neumann 2013). Die empirische Validierung entsprechender Modelle hat sich bisher jedoch als keinesfalls trivial erwiesen. Denn während sich bei geringerer Auflösung bzw. auf größeren Zeitskalen häufig Stufen der Kompetenzentwicklung zumindest einigermaßen eindeutig identifizieren ließen (z. B. Mohan et al. 2009; Liu und McKeough 2005), zeigten sich bei höherer Auflösung bzw. auf kürzeren Zeitskalen nur schwer interpretierbare Ergebnisse (z. B. Alonzo und Steedle 2009; Plummer und Maynard 2014). Bisher ist weitgehend unklar, ob die Erwartung falsch ist, dass sich die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler mehrheitlich in der angenommen idealtypischen Form entwickelt, oder methodische Limitationen ursächlich für die beobachteten Schwierigkeiten sind (siehe auch Steedle und Shavelson 2009).

3 Kompetenzentwicklung und instruktionale Kohärenz

Die Idee der Entwicklung von Kompetenz(en) in einer Domäne als Bildungsziel und die Idee instruktionaler Kohärenz sind eng verwoben (Fortus und Krajcik 2012). So erhielt die Entwicklung von Kompetenz(en) als Bildungsziel Auftrieb durch Befunde, dass viele Schülerinnen und Schüler zwar über ein breites Faktenwissen in Mathematik und den Naturwissenschaften verfügten, nicht aber über die Fähigkeiten und Fertigkeiten, dieses Wissen zur Lösung typischer Probleme in diesen Domänen einzusetzen (u. a. Baumert et al. 2002, 2000). Parallele Untersuchungen zeigten, dass die entsprechenden Curricula stärker durch den Umfang der zu behandeln Inhalte, denn durch die Tiefe, mit der die Inhalte behandelt werden, gekennzeichnet sind (Schmidt et al. 1997). Dies führte zur Forderung nach kohärenteren Curricula. Diese sollte auf wenige, zentrale Inhalte fokussieren, die an fachlichen und fachdidaktischen Gesichtspunkten orientiert – sprich: kohärent – sequenziert sind (Schmidt et al. 2005). Dadurch sollte die Entwicklung eines anwendbareren Wissens – sprich: Kompetenz – unterstützt werden (siehe auch Baumert et al. 1997).

Das Konzept curricularer Kohärenz hat seitdem zunehmend an Bedeutung gewonnen (für einen Überblick siehe Sikorski und Hammer 2017). Dabei hat der Begriff eine sukzessive Erweiterung erfahren. Fortus und Krajcik (2012), zum Beispiel, fassen im Begriff curriculare Kohärenz neben der Systematik mit der Bildungsziele über Bildungsabschnitte hinweg auf einander aufbauen: die Kongruenz zwischen instruktionalen Aktivitäten und Lernzielen, die Sequenzierung von Lernzielen, die eine tiefere Durchdringung eines definierten Bereichs innerhalb einer Domäne unterstützt, sowie die Systematik, mit der instruktionale Einheiten aufeinander aufbauen. Neben Erkenntnissen, dass eine größere Systematik in der Art und Weise, in der die Bildungsziele über Bildungsabschnitte hinweg aufeinander bauen, mit einer höheren Leistung der Schülerinnen und Schüler einhergeht (Schmidt et al. 2005), findet sich vor allem Evidenz für die Bedeutung der Sequenzierung von Lernzielen (z. B. Drollinger-Vetter 2011) und der Systematik, mit der instruktionale Einheiten aufeinander aufbauen (z. B. Fortus et al. 2015). Dies betont die Bedeutung des implementierten Curriculums – der Instruktion. Es geht gerade darum, dass einzelne instruktionale Aktivitäten innerhalb von Einheiten und über Einheiten (auch verschiedener Schuljahre) hinweg so sequenziert werden, dass sie die Entwicklung der angestrebten Bildungsziele (sprich: Kompetenzen) maximal unterstützen. In der Folge erscheint der Begriff „Instruktionale Kohärenz“ passender und im Übrigen auch weniger belastet.

In Anlehnung an Fortus und Krajcik (2012) lassen sich vier Ebenen instruktionaler Kohärenz unterscheiden, die hierarchisch aufeinander aufbauen: 1) Kohärenz instruktionaler Aktivitäten, 2) Kohärenz instruktionaler Einheiten, 3) Kohärenz zwischen instruktionalen Einheiten und 4) Kohärenz übergeordneter Ziele von Instruktion. Die Kohärenz instruktionaler Aktivitäten ergibt sich aus der Passung zwischen den Zielen instruktionaler Aktivitäten und den tatsächlichen Aktivitäten. Die Kohärenz instruktionaler Einheiten bezieht sich auf die Sequenzierung von Zielen bzw. Aktivitäten und inwieweit diese Sequenz geeignet ist, das Erreichen der Ziele bestmöglich zu unterstützen. Die Kohärenz zwischen Einheiten bezieht sich in analoger Weise darauf, inwieweit die Einheiten so aufeinander aufbauen, dass sie systematisch auf die Erreichung übergeordneter Ziele von Instruktion (d. h. die Erreichung ausgewählter Bildungsziele) ausgerichtet sind. Die Kohärenz übergeordneter Ziele von Instruktion wiederum basiert darauf, dass diese übergeordneten Ziele (z. B. für einzelne Bildungsabschnitte formulierte Kompetenzen) mit Blick auf die Erreichung der letztendlichen Zielvorgaben (z. B. den Kompetenzstand am Ende der Sekundarstufe II) sinnvoll angeordnet sind. Eine optimale Kompetenzentwicklung setzt instruktionale Kohärenz auf allen vier Ebenen voraus. Gleichzeitig setzt instruktionale Kohärenz Erkenntnisse über eine optimale Kompetenzentwicklung voraus. Erkenntnisse über eine optimale Kompetenzentwicklung und damit über instruktionale Kohärenz zu gewinnen, ist jedoch keineswegs trivial; unter anderem, weil es methodisch nicht trivial ist, individuelle Entwicklungsverläufe zu einer idealtypischen Kompetenzentwicklung zu aggregieren bzw. weil theoretisch überhaupt nicht geklärt ist, inwieweit individuelle Entwicklungsverläufe und idealtypische Kompetenzentwicklung einander entsprechen müssen. So zweifeln Sikorski und Hammer (2017) die Bedeutung instruktionaler Kohärenz für erfolgreiches Lernen (geschweige denn: Kompetenzentwicklung) an und werfen die Frage auf, inwieweit gerade eine gewisse Inkohärenz im Sinne inhaltlicher Widersprüche nicht das Bemühen der Schülerinnen und Schüler um Kohärenz fördern würde und daher der Ausgangspunkt für erfolgreiches Lernen (und Kompetenzentwicklung) sein sollte. Diese und andere Schwierigkeiten zeigen sich trotz positiver Befunde auch an den Beiträgen in diesem Thementeil.

4 Die Beiträge in diesem Thementeil

Der vorliegende Thementeil umfasst vier Beiträge aus dem Bereich der Mathematik- und Naturwissenschaftsdidaktiken. Der Beitrag von Heinze, Arend, Grüßing und Lipowsky untersucht den Einfluss kohärenten Unterrichts auf die Entwicklung der Rechenkompetenz von Grundschülerinnen und -schülern, konkret die adaptiven Nutzung von Rechenstrategien. Die Grundlage bilden das Strategy-Change-Modell von Lemaire und Siegler (1995), das vier Aspekte der adaptiven Strategienutzung unterscheidet: Strategierepertoire, Strategieverteilung, Strategieausführung und Strategieauswahl. Darauf aufbauend wird eine an empirischen Befunden zur Kompetenzentwicklung orientierte Einheit konzipiert. In dieser Einheit wurden sukzessive fünf Rechenstrategien eingeführt und -geübt (Strategierepertoire und -ausführung). Ab der zweiten Rechenstrategie wurden die Rechenstrategien hinsichtlich ihrer Effizienz verglichen und die effizienteste Strategie identifiziert (Strategieverteilung und -auswahl). Nach Einführung aller Rechenstrategien folgte eine weitere Phase mit Übungsaufgaben, Vergleich der Effizienz der verschiedenen Strategien und Identifikation der effizientesten (Strategieauswahl). Der empirische Vergleich mit einer nicht-kohärenten (bzw. nicht kohärent sequenzierten) Einheit zeigt einige Vorteile instruktionaler Kohärenz für die Entwicklung der adaptiven Strategienutzung. Dieses Ergebnis widerspricht, mit Blick darauf, dass die Vergleichseinheit ähnliche Lerngelegenheiten bot, die nicht in spezieller Weise sequenziert wurden, Sikorski und Hammers (2017) Annahme, wonach es ausreicht, die Schülerinnen und Schülern mit (angemessenen) Herausforderungen zu konfrontieren, ihnen Raum zu geben, diese zu explorieren und potenzielle Widersprüche selbständig aufzulösen.

Der Beitrag von Bernholt, Höft und Parchmann untersucht die Entwicklung um die zentralen Konzepte (die sogenannten Basiskonzepte) der Chemie organisierten Wissens in Folge eines entsprechend organisierten Curriculums. Die Untersuchung basiert auf der Annahme, dass eine instruktionale Kohärenz auf der Ebene übergeordneter instruktionaler Ziele (d. h. ein um Basiskonzepte organisiertes Curriculum) dazu führen soll, dass Wissen zu den Basiskonzepten in höheren Jahrgängen deutlich von entsprechendem Wissen in niedrigeren Jahrgängen abhängen sollte. Das Wissen zu einem Basiskonzept in Jahrgang 9 sollte z. B. das Wissen in Jahrgang 11 vorhersagen. Da die Basiskonzepte die Vernetzung von Wissen über Inhaltsbereiche hinweg unterstützen, sollte zudem das Wissen zu den einzelnen Basiskonzepten zunehmend stärker miteinander zusammenhängen. Das Wissen zum Basiskonzept Chemische Reaktion sollte mit dem Wissen zum Basiskonzept Energie in Klasse 11 stärker korreliert sein als in Klasse 9. Die gefundenen Effekte spiegeln diese Annahmen in der Struktur wider, sind jedoch allesamt klein bzw. deutlich kleiner als erwartet. Dies könnte einerseits darin begründet liegen, dass der Chemieunterricht im Hinblick auf Kompetenzentwicklung nicht ausreichend kohärent ist; d. h. dass es an Kohärenz zwischen Einheiten und innerhalb Einheiten mangelt. Anderseits könnte es sein, dass individuelle Entwicklungsverläufe doch deutlich von den durch Kompetenzentwicklungsmodelle beschriebenen abweichen.

Der Beitrag von Vorholzer, Hägele und von Aufschnaiter fokussiert auf die Entwicklung von Experimentierkompetenz in Folge einer speziell zu diesem Zweck entwickelten Intervention im Fach Physik. Die Sequenzierung der instruktionalen Aktivitäten in dieser Intervention folgt vorläufigen, auf einer Kombination von theoretischen Überlegungen und empirischen Erkenntnissen fußenden Annahmen zur Entwicklung von Experimentierkompetenz. Die Autoren unterscheiden zwischen Progressionen erster und zweiter Art. In einer Progression zweiter Art ordnen sie drei Teilkompetenzen experimenteller Kompetenz nach einander an: Fragen und Hypothesen formulieren (FH), Untersuchungen planen (UP) sowie Daten auswerten und interpretieren (AI). Für jede diese Teilkompetenzen identifizieren Vorholzer, Hägele und von Aufschnaiter die Fähigkeiten und Fertigkeiten und postulieren eine idealtypische Sequenzierung. Orientiert an einer Progression erster Art beschreiben sie, wie diese Fähigkeiten und Fertigkeiten erstmalig erworben und in der Folge gefestigt werden. Vorholzer, Hägele und von Aufschnaiter kombinieren damit offensichtlich ein generisch(er)es Modell des Lernens bzw. Kompetenzaufbaus (Progression erster Art) mit einem fachspezifisch(er)en Modell der Kompetenzentwicklung. Neben einer Messung der Kompetenzzuwachses in Folge der Intervention, haben die Autoren Videodaten von ausgewählten Schülergruppen erhoben. Die Ergebnisse zeigen eine hohe Varianz in den empirisch beobachteten Progressionen und belegen damit eindrucksvoll ein zentrales Problem der Kompetenzentwicklungsforschung. Während die theoretisch begründeten Modelle der Kompetenzentwicklung notwendigerweise idealtypische Progressionen als Grundlage der Herstellung instruktionaler Kohärenz beschreiben, zeigen empirische Untersuchungen häufig eine hohe Varianz in den tatsächlichen Lernverläufen. Dabei ist bisher völlig offen, inwieweit dies methodisch begründet ist, weil sich die tatsächlichen Lernprozesse eben nur unvollständig erheben lassen oder – wie Sikorski und Hammer (2017) nahelegen – darin begründet ist, dass Lernen mit einer gewissen Inkohärenz einhergeht.

Im Beitrag von Koenen, Kobbe und Rumann wird die Wirkung eines systematisch sequenzierten Trainings zur Förderung piktorialer Literalität (d. h. eines kompetenten Umgangs mit Bildern und bildspezifischen Symbolsystemen) im Kontext der Naturwissenschaften dargestellt. Die Sequenzierung des Trainings beruht auf einer inhaltlichen Sequenzierung in vier Abschnitten. Der erste Abschnitt fokussiert auf den Zweck von Bildern, Strategien im Umgang mit Bildern sowie den Aufbau von Bildern. Der zweite widmet sich Tabellen und Achsendiagrammen, deren Aufbau und bildlicher Codierung; der dritte in ähnlicher Weise Schnittzeichnungen. Der vierte Abschnitt zielt auf Wiederholung und Festigung. Die instruktionalen Aktivitäten in den einzelnen Abschnitten sind entlang der lose an die Lernzieltaxonomie von Bloom (Bloom und Engelhart 1976) bzw. Anderson et al. (2001) angelehnten, in den Bildungsstandard für den Mittleren Schulabschluss in den Naturwissenschaften ausgewiesenen Anforderungsbereiche sequenziert. Auch hier lässt sich in gewisser Weise also eine Progression erster Art finden, die auf einer allgemeinen Lerntheorie beruht, und eine Progression zweiter Art, die einer gegenstandsspezifisch begründeten Sequenzierung folgt. Der Vergleich mit den Wirkungen eines nicht-systematischen Trainings belegt die überlegene Wirkung des systematischen Trainings im Hinblick auf den Kompetenzerwerb. Die kleinen Effektstärken weisen jedoch darauf hin, dass hinter den Ergebnissen möglicherweise ähnlich wie im Beitrag von Vorholzer, Hägele und von Aufschnaiter eine hohe Varianz im Verlauf der Lernprogressionen zugrunde liegt. Interessant ist in diesem Kontext die Beobachtung, dass (in der Interventionsgruppe) die Leistungen im Bereich Anwenden von den Leistungen im Bereich Erinnern abhängen, die Schere aber eben erst für Anwenden und Transferieren auseinander geht. Dies lässt die Vermutung zu, dass sich instruktionale Kohärenz möglicherweise weniger in kurzfristigen Lernergebnissen, sondern eher in der langfristigen Kompetenzentwicklung ausdrückt.

5 Diskussion und Ausblick

Die Beiträge dieses Thementeils zeigen, dass die mathematik- und naturwissenschaftsdidaktische Forschung die verschiedenen Ebenen instruktionaler Kohärenz durchaus im Blick hat – mit der Ausnahme der Ebene der Kohärenz zwischen instruktionalen Einheiten (auch wenn der Beitrag von Heinze et al. die Bedeutung dieser Ebene zumindest diskutiert). Dabei werden die Ebenen bisher weitgehend singulär betrachtet. Die Befunde zur Bedeutung der Kohärenz instruktionaler Einheiten für die Kompetenzentwicklung sind vielversprechend. Die Beiträge von Heinze et al., Vorholzer et al., und Koenen et al. belegen, dass die Kohärenz instruktionaler Einheiten im Sinne einer systematischen, an einer idealtypischen Kompetenzentwicklung orientierten Sequenzierung instruktionaler Ziele und Aktivitäten die tatsächliche Entwicklung von Kompetenz unterstützt. Man muss aber gleichzeitig konstatieren, dass es für diese Schlussfolgerung eigentlich noch weiterer Untersuchungen bedarf, die die intraindividuelle Kompetenzentwicklung auf der Ebene instruktionaler Aktivitäten und der Ebene konsekutiver instruktionaler Einheiten und Bildungsabschnitte erfassen. Die Arbeiten zur intraindividuellen Kompetenzentwicklung auf der Ebene instruktionaler Aktivitäten wie z. B. bei Vorholzer et al. werfen die Frage auf, inwieweit die Entwicklung auf dieser Ebene überhaupt modellkonform verläuft bzw. modellbezogen erfasst werden kann. Möglicherweise ist es mit den aktuellen Methoden schlicht nicht möglich, tatsächliche Entwicklungsverläufe zu erfassen. Darüber hinaus werfen die hinter den Erwartungen zurückbleibenden intraindividuellen Entwicklungsverläufe bei Bernholt et al. die Frage auf, inwieweit es theoretisch und methodisch möglich ist, aus intraindividuellen Entwicklungsverläufen auf eine idealtypische Kompetenzentwicklung zurückzuschließen. Möglicherweise müssen individuelle Lernverläufe und idealtypische Kompetenzentwicklung (und entsprechende Instruktion) gar nicht identisch sein oder sogar von einander abweichen (siehe Sikorski und Hammer 2017). Die Klärung dieser Fragen erfordert Methoden, die es erlauben intraindividueller Entwicklungsverläufe über einzelne instruktionale Aktivitäten hinweg zu erfassen, zu aggregieren und mit einer idealtypischen Kompetenzentwicklung abzugleichen. Diese methodischen Herausforderungen gilt es zu lösen, bevor weitere Fortschritte in der Kompetenzentwicklungsforschung zu erreichen sind. Helfen können hier möglicherweise Methoden aus dem Bereich Data Science, die auf die Identifikation von Mustern in bzw. Aggregation von großen Datenbeständen zu Mustern ausgelegt sind (O’Neil und Schutt 2013). Erste Arbeiten sind in jedem Fall vielversprechend (z. B. Berland et al. 2013; vgl. Roll und Winne 2015).

Die besondere Bedeutung der Bewältigung dieser Herausforderungen für die fachdidaktische Unterrichtsforschung wird aus der von Heinze et al. hergestellten Verknüpfung zwischen instruktionaler Kohärenz und Unterrichtsqualität deutlich. Will sie das Terrain allgemeiner, (weitgehend) fachunspezifischer Kriterien der Unterrichtsqualität wie z. B. der Schülerorientierung oder des Klassenmanagements verlassen, braucht sie fach- bzw. domänenspezifische Modelle der Kompetenzentwicklung, entlang derer sich Instruktion planen und instruktionale Kohärenz als fachspezifisches Kriterium bemessen lässt.