Rechnet man zu den vom Statistischen Bundesamt (2015) veröffentlichten Daten die in den neuen Bundesländern untergebrachten Patienten hinzu, dann befanden sich deutschlandweit am 31.03.2014 ca. 8000 Patienten gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus und weitere 4000 Patienten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Hinzu kam eine unbekannte Zahl an vorläufig Untergebrachten (§ 126a StPO). Dem standen ca. 55.000 vollstationäre Behandlungsplätze in den psychiatrischen Fachkrankenhäusern bzw. Fachabteilungen gegenüber. Mehr als jeder 5. stationäre psychiatrische Behandlungsplatz befand sich also in einer Einrichtung des Maßregelvollzugs.

Leider hat die zunehmende Spezialisierung des Maßregelvollzugs in den beiden letzten Jahrzehnten nicht zu einer Effizienzsteigerung im Sinne einer Verkürzung der Unterbringungsdauer geführt. Vielmehr sind die mittlere Verweildauer und mit ihr auch die Gesamtzahl der nach § 63 StGB Untergebrachten in dieser Zeit kontinuierlich angestiegen. Der im „Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt vom 16.07.2007“ gemachte Versuch, die Verweildauern im Maßregelvollzug nach § 63 StGB durch eine bundesweit verpflichtende Einholung externer Prognosegutachten (§ 463 Abs. 4 StPO) zu reduzieren, hat sich als erfolglos erwiesen. So ist der Anteil von Patienten mit einer (Stichtags‑)Verweildauer von über 10 Jahren von 26,2 % im Jahr 2010 auf 32,3 % im Jahr 2015 angestiegen (Jaschke und Jaschke 2017).

Mit dem am 01.08.2016 in Kraft getretenen „Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB und zur Änderung anderer Vorschriften“ hat der Gesetzgeber einen erneuten Versuch unternommen, auf gesetzlichem Weg zu einer Vermeidung unverhältnismäßig langer Verweildauern beizutragen. Neben einer Erhöhung der Frequenz externer Begutachtungen, die in der Vergangenheit eher zu einer Erhöhung statt zur Senkung der Verweildauern beigetragen haben, sollte dies durch eine Konkretisierung der Anforderungen an die Fortdauer der Unterbringung nach einem Zeitraum von 6 und 10 Jahren erreicht werden. Ob sich seitdem die Zahl der Erledigungen der Maßregel aufgrund nicht mehr vorhandener Verhältnismäßigkeit erhöht hat, ist bislang nicht bekannt. Wenn, dann müsste dies zu einer Senkung des Anteils der Patienten mit einer mehr als 10-jährigen Unterbringungsdauer führen.

Auf entsprechende Daten wird man jedoch noch längere Zeit warten müssen. Das von den Bundesländern (mit Ausnahme von Bayern und Baden-Württemberg) mit der Auswertung eines MRV-Kerndatensatzes beauftragte private Beratungsunternehmen CEUS-Consulting (2017) hat zuletzt die Daten für das Jahr 2015 vorgelegt, evtl. Auswirkungen der Gesetzesnovelle auf die Zahl der Langzeituntergebrachten wären dagegen frühestens in den Daten für das Jahr 2017 zu erwarten. Zugang zu diesen Daten haben ohnehin nur die beteiligten Länder und Einrichtungen. Sie sind nicht öffentlich zugänglich und somit auch für Forschungszwecke nicht nutzbar. Offizielle Daten über die Bestandszahlen im Maßregelvollzug wurden vom Statistischen Bundesamt letztmalig für das Jahr 2014 veröffentlicht; eine Fortsetzung dieser Veröffentlichungsreihe ist nicht geplant. Bereits 2006 hat die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden (KrimZ) die jährliche Aufstellung der Dauer und Gründe der Beendigung von Unterbringungen im psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB eingestellt. Angesicht von 8000 gemäß § 63 StGB untergebrachten Patienten, die aus präventiven Gründen erheblichen Grundrechtseinschränkungen unterliegen, erscheint der bisherige Verzicht auf eine kontinuierliche, bundesweite Begleitforschung wenig verständlich. Insofern ist zu hoffen, dass der kürzlich von Querengässer et al. (2017) erfolgte Vorstoß tatsächlich zu einer Verbesserung der forensischen Versorgungsforschung führen wird.

Ebenso ist zu hoffen, dass das von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe der DGPPN erarbeitete, im letzten Jahr online publizierte und in diesem Heft gedruckte Konsensuspapier über „Standards für die Behandlung im Maßregelvollzug nach §§ 63 und 64 StGB“ dazu beiträgt, die Bemühungen um eine patientengerechte Behandlung im Maßregelvollzug weiter zu verstärken. Das Papier gibt einen umfassenden Überblick über die rechtlichen und strukturellen Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Behandlung im Maßregelvollzug erfolgt, und beschreibt eine Auswahl übergreifender Behandlungsprinzipien. Recht ausführlich wird der Bereich der Risikobeurteilung dargestellt, wobei hier das Hauptgewicht auf statistische Prognoseinstrumente gelegt wird. Möglicherweise geben die Standards auch in diesem Bereich etwas unkritisch die aktuelle Praxis im Maßregelvollzug wieder. Die Zunahme der Unterbringungsdauer in den letzten 2 Jahrzehnten erfolgte zumindest zeitlich parallel zur zunehmenden Verbreitung sog. operationalisierter Prognoseinstrumente, die zu einem hohen Anteil auf statischen, also nicht oder kaum veränderbaren Prognosefaktoren basieren. Werden Risikobeurteilungen im Maßregelvollzug vorwiegend auf derartige Instrumente gestützt, scheint ein einmal damit festgestelltes Risiko auch nach vielen Jahren der Unterbringung noch gleichermaßen Bestand zu haben.

Die Praxis des Maßregelvollzugs ist vielerorts noch verbesserungsbedürftig, nicht nur wegen der langen Verweildauern und trotz der in den letzten Jahren zweifellos vorhandenen Bemühungen um eine verbesserte Behandlungsqualität, zu denen sicher auch die Erstellung des Konsensuspapiers zu zählen ist. Insofern bedürfen die „Standards“ einer deutlich ausführlicheren Betrachtung und Diskussion, als dies in einem Editorial möglich ist. Der Beitrag von Hans-Ludwig Kröber macht deutlich, welche offenen Probleme der psychiatrische Maßregelvollzug noch bietet, in welchen Bereichen es an basalen Daten fehlt und welche Bereiche von den „Standards“ nicht hinreichend erfasst oder ausgeklammert werden, etwa der Umgang mit Regelverstößen oder Therapieverweigerung. Insbesondere geht es hier um die Grundfrage, ob im Maßregelvollzug mehr eine patientenzentrierte psychiatrische Behandlung erfolgen sollte oder eher ein auf Risikofaktoren bezogenes Gefahrenmanagement im Dienst der Allgemeinheit. Die Überlegungen dazu münden in den Vorschlag einer Zweiteilung des Maßregelvollzugs in Kliniken zur Behandlung psychisch Kranker und Kliniken zur Sozialtherapie persönlichkeitsgestörter oder paraphiler Untergebrachter.

Auch die von Dieter Seifert berichteten Daten über die Effizienz der Maßregelbehandlung, gemessen an der späteren Legalbewährung, sprechen dafür, dass der Maßregelvollzug bei schizophren erkrankten Patienten durch die Behandlung der Erkrankung zugleich auch die kriminelle Rückfallgefahr deutlich senkt, wogegen die Therapieeffekte bei persönlichkeitsgestörten Untergebrachten deutlich geringer waren. Über alle Diagnosegruppen hinweg erwies sich die Rückfallquote aber auch in dieser prospektiven Langzeitstudie mit einem Katamnesezeitraum von im Mittel 16,5 Jahren als deutlich geringer im Vergleich zu Straftätern nach Entlassung aus dem Strafvollzug. Der Beitrag von Patrick Gehring et al. behandelt eine besondere rechtliche Problematik der Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug. An einem kasuistischen Beispiel wird der Frage nachgegangen, ob eine Behandlung gegen den natürlichen Willen möglich ist, wenn der Patient dies in einer zuvor verfassten Patientenverfügung so bestimmt hat. Hierzu liegen bislang weder eine einheitliche Literaturmeinung noch eine solche Rechtsprechung vor.

Von Amts wegen zu erfolgende gerichtliche Feststellungen, ob einem gemäß §§ 63 oder 64 StGB Untergebrachten im zurückliegenden Zeitraum eine hinreichende Betreuung angeboten wurde, sind gesetzlich bislang nicht vorgesehen. Es gibt sie aber für Strafgefangene, bei denen eine Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten ist und denen gemäß § 66c Abs. 2 StGB eine sozialtherapeutische Behandlung angeboten werden muss, durch die eine Vollstreckung der Unterbringung oder deren Anordnung entbehrlich werden kann. Der Beitrag von Klaus Böhm zeigt die Schwierigkeiten der Gerichte, ein solches Kontrollverfahren praktisch umzusetzen, zumal die Feststellung eines nicht hinreichenden Therapieangebots letztlich zur vorzeitigen Freilassung eines als hochgradig gefährlich eingeschätzten Straftäters führen kann.

Außerhalb des Schwerpunktthemas folgt eine Studie von Thomas Merten und Peter Giger über die Laieneinschätzung der Häufigkeit vorgetäuschter und aggravierter Gesundheitsstörungen und der Fähigkeit bzw. der Mühewaltung von Gutachtern, ein solches Verhalten zu erkennen. Trotz der recht geringen Teilnehmerzahl (n = 40) wirft sie ein interessantes Licht auf die öffentliche Sicht der Treffsicherheit medizinischer Gutachten. Im „Blitzlicht“ beleuchtet Hans-Ludwig Kröber noch einmal im Hinblick auf die „Standards“ die unterschiedlichen Perspektiven von Krankenbehandlung und Risikomanagement im Maßregelvollzug.