Liebe Leserinnen und liebe Leser,

als das Notfallsanitätergesetz (NotSanG) zum 1. Januar 2014 in Kraft trat, wurde eine fast 25 Jahre dauernde Diskussion über die Schwächen des bis dahin gültigen Berufsbilds „Rettungsassistent“ beendet. Für viele derjenigen, die die Entwicklung des NotSanG aktiv begleitet hatten, fing damit die eigentliche Arbeit jedoch erst an, denn es stellten sich zahlreiche konkrete Fragen:

Wie sollten die Rahmenlehrpläne ausgestaltet und die Prüfungen organisiert werden? Wie sollte die Anerkennung von Berufsfachschulen erfolgen? Wie war der Übergang von den bisherigen Klinikpraktika zu der Klinikausbildung dieser neuen Berufsgruppe zu schaffen? Aus welchen Budgetmitteln konnte die (im Gesetz nicht geregelte) Finanzierung gesichert werden? Dazu kam noch die Frage mit der für viele Beteiligte im Rettungsdienst höchsten Relevanz: Welche Konsequenzen waren aus diesem Bundesausbildungsgesetz für die spätere Berufsausübung des Fachpersonals zu ziehen?

Heute, rund sechs Jahre später sind im föderal aufgebauten deutschen Rettungswesen vielerorts Antworten auf diese Fragen gefunden worden. Einige Beispiele möchten wir Ihnen mit diesem Themenheft vorstellen:

So ziehen Claus Kemp und seine Kollegen aus Sicht der Ausbildungseinrichtungen eine gemischte Bilanz: Sie heben hervor, dass durch die aktive Einbindung der Praxisanleiter in den Ausbildungsprozess der Transfer der Lerninhalte in die Rettungsdienstpraxis deutlich erleichtert wird. Gleichzeitig stellen sie fest, dass bei einem Teil der Auszubildenden aus unterschiedlichen Gründen nicht unerhebliche Lernwiderstände vorhanden sind. Sie raten davon ab, dass die Schulen sich in die politische Diskussion über die Berufsausübung einmischen, und weisen uns auf den Mangel an geeigneten (und angemessen bezahlten) Lehrkräften hin. Nicht zuletzt erinnern die Autoren daran, dass es vor allem die Qualität der Wissensvermittlung ist, die über die Ergebnisse entscheidet, oder, wie sie es wörtlich ausdrücken: „Die Anschaffung von Smartboards alleine macht noch keine gute Ausbildung.“

Markus Flentje et al. haben im Rahmen einer schriftlichen Befragung unter fertig ausgebildeten Teilnehmern an der NotSan-Ausbildung in Niedersachsen den im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens besonders intensiv diskutierten Aspekt der invasiven Maßnahmen untersucht. Hierbei gehen sie insbesondere auf den Begriff der „Kompetenz“ ein und weisen Unterschiede zwischen den Teilnehmern an der vollen dreijährigen Ausbildung und der Weiterqualifizierung bereits berufstätiger Rettungsassistenten zum NotSan nach. Das höchste Kompetenzlevel wird lt. Selbsteinschätzung der Befragten vor allem bei Maßnahmen wie der Medikamentenverneblung beim Bronchospasmus oder Anlage einer Beckenschlinge erreicht. Weniger hoch fallen die Werte in Bezug auf weniger häufige Interventionen wie die Analgesie mit Esketamin oder Opiaten, die nichtinvasive Beatmung (NIV) oder die für den Einzelnen sehr seltene Geburtsbegleitung aus.

Dieselbe Arbeitsgruppe hat in einer bereits publizierten Arbeit eine Evaluation der Ergebnisse der Notfallsanitäterprüfungen in Niedersachsen aus Sicht der teilnehmenden Prüfer vorgenommen [1]. Auch hier fielen die Ergebnisse in Abhängigkeit von der Art der Ausbildung (Vollausbildung vs. Ergänzungsprüfung) unterschiedlich aus: Bei der dreijährigen Ausbildung stellten sie die größtenteils gute Vorbereitung der Prüflinge fehlenden Kompetenzen im Umgang mit komplexen Sachverhalten gegenüber.

Bei den Ergänzungsprüfungen fielen der gute Wissensstand im Hinblick auf die landesweit gültigen Algorithmen und die strukturierte Vorgehensweise positiv auf. Negativ wurden teilweise mangelhafte Kenntnisse grundlegender Zusammenhänge und die vollkommen fehlende Vorbereitung einiger Teilnehmer bemerkt. Diese spiegelt sich auch in der relativ hohen Durchfallquote von rund 20 % im ersten Durchgang der Ergänzungsprüfung wider; nach einer Wiederholungsprüfung sank dieser Anteil auf nur noch knapp 2 %, was die Wirksamkeit gezielter Auflagen vor der erneuten Anmeldung zur Prüfung unterstreicht [1].

Gleich zwei Arbeiten beschäftigen sich mit dem komplexen Thema „Klinikausbildung“:

Jan-Thorsten Gräsner und Jan Wnent beschreiben den Prozess im Bundesland Schleswig-Holstein, der ganz wesentlich durch das von einem landesweiten Bündnis aus Kliniken, Rettungsschulen und Trägern der Rettungsdienste erarbeiteten Curriculum für die Klinikausbildung geprägt wurde. Dieses enthält die inhaltlichen, methodischen und formalen Anforderungen an die Gestaltung der Klinikausbildung und bezieht u. a. die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Empfehlungen aus dem Pyramidenprozess ein.

Hans-Martin Grusnick und Michele Tarqunio beschreiben die Herausforderungen, die eine vollständige Umgestaltung der Klinikausbildung an eine Klinik stellt, zu deren Aufgaben nicht nur die Ausbildung angehender Notfallsanitäter, sondern auch von Pflegekräften, Medizinstudierenden und Assistenzärzten gehört. Auch diese beiden Autoren haben neben vielen Lösungen neue Fragen: Für welche rettungsdienstlich erforderlichen Maßnahmen, von der täglich relevanten EKG-Interpretation bis zur selten erforderlichen Anlage einer Thoraxdrainage, bietet die Klinik tatsächlich die Ausbildungsvoraussetzungen? Und nicht zuletzt: Worin besteht über die finanzielle Entschädigung hinaus der Vorteil für die Kliniken, sich an der NotSan-Ausbildung zu beteiligen?

Wolfgang Lenz und Frank Naujoks bringen die Perspektive der Rettungsdienstträger ein: Beide gehören als langjährig tätige ärztliche Leiter von Rettungsdiensten zu der Berufsgruppe, deren inhaltliche Verantwortung bei der Umsetzung des NotSanG der Gesetzgeber besonders hervorgehoben hat. Sie heben in ihrem Beitrag hervor, dass das Gesetz gute Voraussetzungen für eine nachhaltige und fachlich fundierte Entwicklung des neuen Gesundheitsfachberufs „Notfallsanitäter“ geschaffen hat. Diese gute Basis hat ein breites Bündnis aus Rettungsdienstfachverbänden, Notfallmedizinern, medizinischen Fachgesellschaften, Rettungsdienstträgern, Pädagogen, Leistungserbringern und Aufsichtsbehörden für einen sehr konstruktiven Austausch zur praktischen Umsetzung der gesetzlichen Inhalte genutzt. Kritisch merken die Autoren an, dass die schwerpunktmäßige Beschäftigung mit dem Thema „heilkundlich mitwirkende Tätigkeiten“ nur einen kleinen Teil der Leistungen des Rettungsfachpersonals erfasst und gleichzeitig in vielen Landesrettungsdienstgesetzen entsprechende Aufgabenbeschreibungen für die Rettungsdienstträger fehlen.

Aus aktuellem Anlass stellen Thomas Bayerl und Christian Frieß die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den praktischen Betrieb einer Rettungsfachschule dar und zeigen exemplarisch, wie Unterrichtsmethoden und Leistungskontrollen ad hoc angepasst wurden. Dass einzelne Methoden des Homeschoolings langfristig in die Ausbildung integriert werden können, halten sie nicht zuletzt aufgrund erster positiver Rückmeldungen der Auszubildenden für möglich.

Die Verantwortlichen aufseiten des Verlags und wir als Herausgeber haben versucht, einen 360-Grad-Blick auf die Umsetzung des NotSanG zu werfen. Wir wünschen Ihnen viele neue Erkenntnisse beim Lesen dieses Themenhefts und freuen uns über Ihre Rückmeldungen und weitergehende Diskussionen. Noch kurz vor Fertigstellung dieses Themenhefts hat die Bundesregierung einen Referentenentwurf zur Änderung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung bezüglich der praktischen Ausbildung in Krankenhäusern verfasst. Dadurch sollen begrenzte Ausbildungskapazitäten in der Anästhesie und der Intensivmedizin durch simulationsgestützte Trainingsangebote im Umfang von bis zu 100 h kompensiert werden. Sie sehen: Alles bleibt im Fluss, und der Verlag wie auch wir als Herausgeber werden diese spannende Entwicklung weiter verfolgen.

Mit kollegialen Grüßen

Hartwig Marung

Alex Lechleuthner

Marco K. König

Thomas Luiz