Unfälle sind nach wie vor die häufigste Todesursache für Kinder über 1 Jahr. Dennoch ist die Behandlung polytraumatisierter Kinder im Schockraum keine oft ausgeübte Tätigkeit. Aus diesem Grund ist die Kenntnis über häufige Verletzungsmuster unter Berücksichtigung der anatomischen, altersabhängigen Besonderheiten beim Kind von besonderer Bedeutung. Denn die Verletzungsmuster bestimmen sowohl die Diagnostik als auch das weitere operative oder nichtoperative Management.

Hintergrund

Laut aktuellen Daten des statistischen Bundesamts von 2009 wurden 30.850 Kinder unter 15 Jahren bei Unfällen verletzt, 90 davon sind verstorben.

Weltweit sind Unfälle die häufigste Ursache für Tod und Behinderungen bei Kindern [15, 17]. Dennoch ist die Anzahl der in einem pädiatrischen Traumazentrum pro Jahr zu behandelnden Kinder gering. Betrachtet man die Häufigkeit der schwerverletzten Kinder im eigenen Patientenkollektiv im internationalen Vergleich, zeigt sich, dass in allen Zentren mit einer Patientenrate von 1 bis maximal 2 schwerverletzten Kindern/Monat zu rechnen ist [9, 18].

Grundlegend für die Behandlung schwerverletzter Kinder ist das Wissen um die häufigsten Verletzungsursachen, die sich ergebenden Verletzungsmuster sowie die daraus resultierende Mortalität [8]. Beim Säugling und Kleinkind überwiegen Stürze aus unterschiedlicher Höhe als Verletzungsursache. Die Inzidenz von Verkehrsunfällen nimmt ab dem Schulkindalter deutlich zu, da die Kinder dann beginnen, aktiv und eigenständig am Straßenverkehr teilzunehmen [12].

Gerade beim Kind müssen sowohl bei der Diagnostik als auch der Therapie altersabhängige anatomische und physiologische Besonderheiten berücksichtigt werden. Eine inadäquate Evaluation mit anschließend insuffizienter Behandlung wird für bis zu 30% der frühen Todesfälle beim polytraumatisierten Kind verantwortlich gemacht. Zur Vermeidung derselben sind eine korrekte Evaluation des Verletzungsmusters sowie die frühzeitige Initiierung einer differenzierten Therapie essenziell. Wichtig hierbei ist die initiale interdisziplinäre Zusammenarbeit in einem trainierten, eingespielten Traumateam ([16], Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Häufigkeit schwer verletzter Körperregionen in Abhängigkeit vom Alter, AIS „abbreviated injury scale“. (Adaptiert nach [30])

Voraussetzungen für die Versorgung schwerverletzter Kinder

Präklinische Versorgung – Infrastruktur

In einer retrospektiven Untersuchung zur präklinischen und frühen klinischen Versorgung von schwerverletzten Kindern im Vergleich zum Erwachsenenkollektiv anhand der im TraumaregisterD DGU (DGU: Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgier) erhobenen Daten konnten wir nachweisen, dass polytraumatisierte Kinder signifikant häufiger am Unfallort reanimiert werden und einer Katecholamintherapie bedürfen als das entsprechende Erwachsenenkollektiv mit vergleichbarer Traumaschwere (16,2 vs. 3,1%, p < 0,001). Je kleiner die Kinder, desto zurückhaltender erfolgen invasive Maßnahmen wie Intubation, Thoraxdrainagenanlage usw. Darüber hinaus zeigte die Untersuchung der Sterberate gerade in der Altersgruppe der unter 1-Jährigen eine deutlich erhöhte Früh- und Gesamtmortalität [30]. Diese Daten belegen eindrucksvoll die Wichtigkeit des Trainings des medizinischen Personals, das in die Primärversorgung schwerverletzter Kinder eingebunden ist.

Es ist daher sinnvoll, für die Versorgung kindlicher Polytraumen Notärzte mit entsprechender Erfahrung in der Behandlung pädiatrischer Patienten einzusetzen oder/und Notärzte sowie Rettungsdienstpersonal im Umgang mit Kindernotfällen regelmäßig zu schulen.

Wichtig bleibt trotz aller Therapieoptimierung am Unfallort der zügige Transport der schwerverletzten Kinder in für sie speziell geeignete Traumazentren zur Diagnostik und Therapie (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Häufigkeit präklinischer Reanimationen in Abhängigkeit vom Alter, CPR „cardiopulmonary resuscitation“. (Adaptiert nach [30])

Für die Primärversorgung zuständige Traumazentren

Bei der Ankunft eines schwerverletzten Kindes im Schockraum muss ein qualifiziertes, erfahrenes Versorgungsteam bereitstehen, das den Patienten in Empfang nimmt. Untersuchung und Diagnostik sollten nach eingeübten Algorithmen sowie festgelegten therapeutischen und diagnostischen Standards stattfinden, um einen zügigen, möglichst reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Das auch in der Versorgung von erwachsenen polytraumatisierten Patienten erfahrene Traumateam sollte durch kinderchirurgisch erfahrene Ärzte erweitert werden. Dies können Pädiater oder pädiatrische Intensivmediziner zur allgemeinen Versorgung des schwerverletzten Kindes und/oder Kinderchirurgen oder in der Kinderchirurgie ausgebildete Chirurgen zur abdominalchirurgischen Versorgung sein.

Nach Primärdiagnostik, Primärversorgung und ggf. auch erfolgter operativer Versorgung ist die weitere Therapie der polytraumatisierten Kinder auf einer pädiatrischen Intensivstation sinnvoll, um die folgende altersadaptierte Therapie zu sichern und auch gleichzeitig durch ein in der Versorgung von pädiatrischen Patienten erfahrenes Ärzte- und Pflegeteam eine psychosoziale Betreuung der verletzten Kinder und ihrer Familien zu gewährleisten.

Schockraummanagement beim Polytrauma

Der Schockraum ist beim Kind ebenso wie beim Erwachsenen das Bindeglied zwischen präklinischer und klinischer Versorgung. Ziel der Schockraumbehandlung sind

  • eine Sicherung der Vitalfunktionen, ggf. unter Fortführen von Reanimationsmaßnahmen,

  • eine zügige Diagnostik sowie

  • die Einleitung einer differenzierten Behandlung.

Aufgrund der Seltenheit des Polytraumas im Kindesalter sollte das Schockraummanagement grundsätzlich in Anlehnung an das für Erwachsene entwickelte ATLS®-Konzept (ATLS: „advanced trauma life support“) erfolgen, um erprobte, optimierte Abläufe zu gewährleisten und so den Gesamtzeitaufwand zu minimieren. Um eine zügige Festlegung eines operativen Vorgehens bzw. in extrem kritischen Fällen eine notfallmäßige operative Intervention zur Blutungskontrolle im Schockraum zu ermöglichen, empfehlen sich als Teamleiter ein in der Versorgung kindlicher Polytraumen erfahrener Unfall- oder Kinderchirurg [11].

Neben der dezidierten körperlichen Untersuchung ist die Sonographie insbesondere beim Kind für die primäre Beurteilung des Abdomens und des Thoraxes von großer Bedeutung, beim Säugling auch des Schädels essenziell. Nativradiologisch werden bei entsprechendem Verletzungsmuster im Schockraum Thorax- und Beckenaufnahmen angefertigt, was bei kleinen Kindern auch auf einer Röntgenplatte möglich ist. Die bildgebende Diagnostik erfolgt grundsätzlich analog zum Erwachsenen, wobei der Einsatz der CT (Computertomographie) beim Kind differenzierter gesehen werden muss. Beim wachen Kind ohne Schockgeschehen kann ggf. auf ein Ganzkörper-CT verzichtet werden, wenn die sonographische und klinische Untersuchung sicher schwerwiegendere Verletzungen ausschließen kann. Bei adäquatem Verletzungsmechanismus und Bewusstlosigkeit muss sich jedoch die spezifische Organdiagnostik mittels MSCT (Mehrschichtcomputertomographie) wie beim Erwachsenen anschließen [14, 27]. Die CT-Protokolle müssen hierbei jedoch im Hinblick auf eine Reduktion der Strahlung an Körpergröße und Gewicht bereits im Vorfeld mit der Radiologie altersspezifisch adaptiert werden.

Von grundsätzlicher und noch wesentlicherer Bedeutung ist eine genaue Evaluation des Unfallgeschehens und des Verletzungsmusters, um auf eine radiologische Diagnostik nichtverletzter Organsysteme verzichten zu können (Abb. 3, Abb. 4).

Abb. 3
figure 3

Notfallmaßnahmen beim instabilen Patienten

Abb. 4
figure 4

Primäre Versorgung in Abhängigkeit vom Alter, ICU „intensive care unit“, OP Operation. (Adaptiert nach [30])

Beurteilung der Verletzungsschwere anhand von Trauma-Scores

In der Primärbeurteilung der Verletzungsschwere setzte sich analog zum Erwachsenenpolytrauma auch beim schwerverletzten Kind der ISS („injury severity score“) als anatomisch-morphologischer Score durch. Er ermöglicht eine Einschätzung der Traumaschwere, die Rückschlüsse auf Prognose und Überlebenswahrscheinlichkeit zulässt [19]. Von einem Polytrauma spricht man auch beim Kind ab einem ISS von 16 Punkten.

Die neurologische Beurteilung der Kinder erfolgt überwiegend nach der GCS („Glasgow coma scale“). Obwohl die Einschätzung von Säuglingen und Kleinkindern nach der für Erwachsenen entwickelten GCS nur eingeschränkt möglich ist und eine subjektive Adaptation erfolgen muss, sind der prognostische Wert und die Reliabilität der GCS auch im pädiatrischen Trauma nachgewiesen [4, 19].

Grundzüge der Therapie

Schädel-Hirn-Trauma

Es stellt die führende, unfallbedingte Todesursache im Kindesalter dar [20]. Da gerade bei Säuglingen und Kleinkindern die Größenrelation Kopf/Rumpf zugunsten des Kopfes verschoben ist, können bereits Stürze aus geringer Höhe schwere Schädel-Hirn-Traumen nach sich ziehen. Säuglinge und Kleinkinder mit einem solchen (initialer GCS < 8) entwickeln infolge ihrer höheren Metabolisierungsrate und der höheren Vasoreaktivität deutlich häufiger ein posthypoxisches Hirnödem mit Hirndruckzeichen als Erwachsene [24]. Die Unvollständigkeit von Myelinisierung, dendritischer Verzweigung, Proliferation von Gliazellen und Integrität der Blut-Hirn-Schranke sowie die noch unvollständige Verknöcherung der dünnen Schädeldecke charakterisieren die größere Empfindlichkeit der Gehirne von Kindern unter 6 Jahren.

Die Häufigkeit von schweren Komplikationen nach Schädel-Hirn-Trauma wird signifikant von der raschen Diagnostik und adäquaten Therapie beeinflusst [1].

Merke

Es besteht die Indikation zur Frühintubation zur Vermeidung eines hypoxischen Hirnschadens und zur Minderung des Ödemrisikos.

Bei Kindern mit entsprechender Traumaanamnese, Vigilanzminderung oder auch unklarem Traumageschehen, die intubiert in die Klinik eingeliefert werden, ist daher im Rahmen der Primärdiagnostik eine CT-Untersuchung des Schädels obligat [31]. Aufgrund des erhöhten Risikos einer zerebralen Ödementwicklung mit entsprechender Hirndrucksteigerung im Kindesalter ist ein intensives Neuromonitoring mit Hirndrucktherapie zu fordern. Raumfordernde, blutungsbedingte intrakraniale Druckerhöhungen müssen schnell operativ entlastet werden, da ab der 3. Stunde nach dem Trauma sowohl für das epidurale als auch das subdurale Hämatom mit einer signifikanten Verschlechterung des Behandlungsergebnisses gerechnet werden muss [28].

Merke

Nach Primärstabilisierung des Kindes steht bei intrazerebraler Blutung mit Hirndruckzeichen die Therapie des Schädel-Hirn-Traumas in der operativen Prioritätenliste an erster Stelle und ist für die Gesamtprognose entscheidend.

Thoraxtrauma

Der kindliche Brustkorb zeichnet sich im Vergleich zum Erwachsenen durch eine deutlich höhere Elastizität und Compliance aus, sodass auch bei klinisch stabilem Thorax schwerwiegende intrathorakale Verletzungen vorliegen können [5].

Thorakale Verletzungen sind beim polytraumatisierten Kind prognostisch entscheidend. Verletzungen des Herzens oder der mediastinalen Gefäße sind selten, gehen jedoch mit einer hohen Morbidität einher und erfordern somit eine rasche Diagnose und Therapie. Die häufigste Diagnose beim kindlichen Thoraxtrauma sind Lungenkontusionen in Kombination mit einem Hämato-/Pneumothorax oder/und Rippenfrakturen [2].

Die Entlastung eines Hämato-/Pneumothorax erfolgt wie beim Erwachsenen durch die Anlage einer Thoraxdrainage. Hierbei müssen ebenso wie bei der Tubuswahl die Größenverhältnisse beachtet werden. Eine Indikation zur notfallmäßigen, operativen Thorakotomie ergibt sich beim Kind nur selten. Hierzu gehören z. B. kreislaufwirksame Blutungen, Lungenparenchymverletzungen durch nach intrathorakal durchspießende Fremdkörper oder eine Perikardtamponade.

Merke

Therapeutisch relevant beim Thoraxtrauma sind die Lungenkontusionen und die daraus resultierende respiratorische Insuffizienz.

Abdominaltrauma

Im Vergleich zum Erwachsenen sind die Abdominalorgane beim Kind proportional größer und befinden sich näher beieinander. Darüber hinaus bieten der kleine Brustkorb und die noch gering entwickelte Muskulatur keinen wirklichen Schutz. Daher sind Kinder auch bei niedriger Gewalteinwirkung deutlich gefährdeter, relevante intraabdominale Verletzungen zu erleiden als Erwachsene.

Unter Substitution persistierend instabile Kreislaufverhältnisse mit dem sonographischen Nachweis von intraabdominal freier Flüssigkeit erfordern ein sofortiges operatives Vorgehen ohne vorherige weitergehende Diagnostik. Die operative Therapie von Leberverletzungen erfolgt hierbei nach dem Konzept des „damage control“, d. h. bei Kindern mit chirurgisch nicht kontrollierbarer Blutung infolge einer ausgedehnten Leberverletzung, einer Koagulopathie oder Hyperthermie wird in der Notfallsituation ein perihepatisches „packing“ durchgeführt [15]. Die definitive operative Versorgung verletzter Lebergefäße oder Gallengänge erfolgt dann erst nach hämodynamischer Stabilisierung und Gerinnungsoptimierung.

Merke

Ziel bei Leber- und Milzverletzungen ist der Organerhalt.

Wurde die Primärdiagnostik aufgrund der erforderlichen Notfalllaparotomie unterbrochen, sollte sie im Anschluss an diese vervollständigt werden.

Bei stabilen oder stabilisierbaren Kreislaufverhältnissen ist auch bei relevanten Mengen intraabdominaler freier Flüssigkeit und bei höhergradigen Leberverletzungen (Moore Grad 4 und 5) ein nichtoperatives Vorgehen indiziert. Cywes et al. [6] beschrieben bereits 1985, dass bei 70% der Leberverletzungen die Blutung zum Zeitpunkt der Laparotomie bereits sistiert hatte. Landau et al. [15] konnten in ihrer Untersuchung stumpfer Lebertraumen bei Kindern in einem 22-Jahres-Zeitraum nachweisen, dass bis zu 93% der Verletzungen konservativ behandelt werden konnten. Das nichtoperative Vorgehen erfordert jedoch eine engmaschige intensivmedizinische Kontrolle mit sofortiger operativer Option bei Verschlechterung der Kreislaufverhältnisse.

Dennoch müssen gerade bei stabiler Kreislaufsituation Hohlorganverletzungen vor Planung eines primär konservativen Prozederes ausgeschlossen werden. Besondere Beachtung sollten hier neben der bildgebenden Diagnostik auch klinisch evtl. vorhandene Gurtmarken finden.

Beckenverletzungen

Sie erfordern beim Kind aufgrund der noch elastischen Iliosakralgelenke und Symphyse hochenergetische Unfallmechanismen und gehen daher meist mit schweren Begleitverletzungen einher [23]. Der Großteil der Beckenfrakturen im Kindesalter ist stabil und kann konservativ behandelt werden. Eine klare Ausnahme hierbei stellen Überrolltraumen dar.

Im Gegensatz zum Erwachsenen sind die kindlichen Beckenfrakturen meist nicht hämodynamisch relevant. Operativ behandelt werden instabile B- und C-Verletzungen, wobei das therapeutische Vorgehen durch die Begleitverletzungen mitbeeinflusst wird. Abhängig vom Frakturtyp und der Art der Dislokation erfolgt die operative Versorgung mittels Fixateur externe, der gerade beim Kind auch als definitive Osteosynthese anzusehen ist, oder durch Plattenosteosynthesen, die nach Möglichkeit nicht fugenübergreifend angelegt werden, um das Wachstum nicht zu behindern [22].

Auch beim Kind können im Rahmen von Beckenfrakturen Blutungskomplikationen durch Verletzung des präsakralen Venenplexus, Blutung aus dem spongiösen Knochen oder dem kollateralisierten Stromgebiet der A. iliaca interna auftreten.

Merke

Blutungskomplikationen im Beckenbereich erfordern analog zur Therapie im Erwachsenenalter die Primärstabilisierung im Fixateur externe zur Blutungskontrolle sowie bei arterieller Blutung eine Angiographie mit Embolisation.

Im Gegensatz zum Erwachsenen spielt beim Kind die Beckenzwinge in der Akutversorgung von Beckenfrakturen keine Rolle [10].

Bei Beckenverletzungen muss immer an eine begleitende Blasenruptur gedacht werden, die bei intraperitonealer Ruptur eine Indikation zur Frühoperation darstellt.

Wirbelsäulenverletzungen

Nur bei 1–2% aller kindlichen Bruchverletzungen handelt es sich um Frakturen im Wirbelsäulenbereich. Verletzungsschwerpunkt ist bei Kindern unter 12 Jahren die obere HWS (Halswirbelsäule, C0–C2, C: zervikal), begünstigt durch den großen Kopf, die weiche paravertebrale Muskulatur, die horizontal orientierten Facettengelenke sowie den noch nachgiebigen Bandapparat. Die anatomischen Verhältnisse begünstigen zudem atlantookzipitale Dislokationen, die meist in Kombination mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma auftreten und mit einer schlechten Prognose sowie bleibenden neurologischen Defiziten einhergehen. Die Kinder sind oft bereits am Unfallort reanimationspflichtig (Abb. 2). Ursächlich für den primären Herzstillstand und den meist tödlichen Verlauf trotz Wiederherstellung einer Herz-Kreislauf-Funktion sind in diesen Fällen meist begleitende Hirnstammverletzungen.

Bei Densfrakturen handelt es sich in der Regel um Salter-Harris-Typ-I-Frakturen. Sie können nach Reposition im Halofixateur ausbehandelt werden. Ligamentäre Instabilitäten der HWS treten bei jüngeren Kindern verstärkt im Segment C2/C3 auf und werden mittels posteriorer Fusion und Immobilisation im Halofixateur versorgt. Frakturen und ligamentäre Instabilitäten C3–C7 kommen eher bei älteren Kindern und Jugendlichen vor, wobei es sich typischerweise um Kompressionsfrakturen handelt. Therapeutisch gelten mit zunehmendem Alter die gleichen Standards wie beim Erwachsenen.

Frakturen im Bereich der BWS (Brustwirbelsäule) und LWS (Lendenwirbelsäule) sind in 90% der Fälle Kompressionsfrakturen. Die Therapie kann bei Fehlen neurologischer Defizite und unverletzter Wachstumszone bei Kindern unter 12 Jahren meist konservativ erfolgen. Ein operatives Vorgehen ist bei einer Wirbelkörperkompression > 50% oder einer lateralen Kompression > 15% indiziert. Die Aufrichtung und Stabilisierung erfolgen dann wie beim Erwachsenen mittels Fixateur interne von dorsal. Spinalkanaleinengungen mit resultierenden neurologischen Defiziten erfordern ein sofortiges operatives Vorgehen mit Dekompression, Laminektomie und dorsaler Stabilisierung. Typ-B- und -C-Verletzungen treten meist erst jenseits des 12. Lebensjahres auf und erfordern – wie beim Erwachsenen – ein primär operatives Vorgehen.

Merke

Je älter die Kinder und je ausgereifter das Skelett, desto eher sollten die für Erwachsene gültigen Versorgungsrichtlinien eingehalten werden.

Extremitätenverletzungen

Skelettverletzungen stehen nach dem Schädel-Hirn-Trauma an 2. Stelle der körperregionbezogenen Verletzungshäufigkeit beim polytraumatisierten Kind [25, 31]. Im Vergleich zum Erwachsenen treten beim Kind seltener höhergradig offene Frakturen auf. Das Periost bei Kindern ist dicker, härter, stärker vaskularisiert und weniger fest mit dem Knochen verbunden als beim Erwachsenen. Gleichzeitig ist der Knochen selbst beim Kind noch flexibler, was die Zersplitterungsgefahr im Rahmen eines Traumas und dabei die Durchspießungsgefahr der Weichteile von innen nach außen reduziert. Insgesamt ist dadurch eine höhere Gewalteinwirkung als beim Erwachsenen für die Entstehung von schwerwiegenden Frakturen erforderlich.

In der Notfallversorgung steht die Frakturversorgung beim Kind erst an 2. Stelle – nach Kontrolle lebensbedrohlicher zerebraler, thorakaler oder abdominaler Blutungen. Die höchste Dringlichkeit im Versorgungsalgorithmus von Extremitätenverletzungen nehmen offene Frakturen, Gefäßverletzungen, Kompartmentsyndrome oder Amputationsverletzungen ein. Eine reguläre Frakturversorgung nach primärer Stabilisierung ist in Abhängigkeit von der Gesamtverletzungsschwere und der erforderlichen primär stabilisierenden Maßnahmen zwischen dem 1. und 2. Tag nach dem Trauma anzustreben [7].

Bei epi- und metaphysären Frakturen stehen die Kirschner-Draht-Osteosynthese oder auch die Reposition und Retention im Fixateur externe im Vordergrund. Mit zunehmendem Alter und Fugenschluss kommen auch die in der Erwachsenentraumatologie verwendeten Implantate in Frage. Bei den diaphysären Frakturen im Kindesalter ist die elastisch-stabile intramedulläre Nagelung (ESIN) die in der Regel eingesetzte Methode, bei höhergradigen offenen Verletzungen ist auch bei Schaftfrakturen der Fixateur externe eine Option. Gerade bei älteren Kindern, für die aufgrund des Alters oder Gewichts eine ESIN nicht mehr in Frage kommt, erfolgen nach den Prinzipien der „damage control surgery“ in der Frühphase die Primärstabilisierung im Fixateur externe und analog zum Erwachsenen ein Verfahrenswechsel auf eine interne Osteosynthese nach Stabilisierung des Gesamtzustandes. Dennoch sollte gerade beim Kind nach Möglichkeit bereits primär ein endgültiges Osteosyntheseverfahren angestrebt werden. Eine Femurschaftfraktur stellt auch beim Kind unter dem Aspekt des Volumenverlusts immer eine Operationsindikation dar (Abb. 5).

Grundsätzlich sollte beim polytraumatisierten Kind eine frühe definitive Stabilisierung von Humerus-, Unterarmschaft-, Femur- und Tibiafrakturen angestrebt werden. Ziel ist, durch die frühe osteosynthetische Versorgung eine Schmerzlinderung sowie eine Reduktion systemischer Effekte wie SIRS („systemic inflammatory response syndrome“), MOF (Multiorganversagen) und ARDS („acute respiratory distress syndrome“) zu erreichen [13]. Dennoch verläuft die posttraumatische Inflammationsreaktion anders als bei Erwachsenen und ist häufig nur als temporäre Pneumonie apparent. Operative Versorgungen in der hyperinflammatorischen Phase zwischen Tag 3 und 5 sollten – wie beim Erwachsenen auch – vermieden werden.

Das Weichteilmanagement unterscheidet sich hinsichtlich der Aggressivität des Débridements deutlich von dem bei Erwachsenen. Beim Kind sollte initial kein radikales Weichteildébridement durchgeführt werden, da die Regenerationsfähigkeit des Gewebes viel höher ist [26]. Oft kann in einem Zweiteingriff durch Gewebemobilisation oder lokale Lappenplastiken ein Wundverschluss erzielt werden.

Abb. 5
figure 5

12-jähriges Mädchen, von PKW erfasst und überrollt, komplexes Polytrauma, u. a. mit Beckenverletzung [AO(Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen)-Typ C], Femur- (AO-Typ C3) und Tibiaschaftfraktur (AO-Typ B2), a Versorgung und Ausbehandlung der Beckenfraktur im Fixateur externe, b Primärstabilisierung der Femurschaftfraktur im Fixateur externe und sekundärer Verfahrenswechsel auf LISS-Platte (LISS: „less invasive stabilisation systeme“), c Versorgung und Ausbehandlung der Tibiaschaftfraktur im Fixateur externe

Intensivtherapie beim polytraumatisierten Kind

Beim polytraumatisierten Kind sind im Vergleich zum Erwachsenen pathophysiologische Unterschiede zu beachten, die den Krankheitsverlauf beeinflussen. Frühkomplikationen beim kindlichen Polytrauma sind in der Regel durch die Schwere des Schädel-Hirn-Traumas und den hämorrhagischen Schockzustand bedingt.

Prognostisch ungünstige Faktoren beim Kind sind Hypoxie und Hypotension. Aufgrund des geringeren Blutvolumens und der folglich kürzeren Kompensationsmöglichkeiten eines relevanten Blutverlusts sind eine frühzeitige Volumen- und Katecholamintherapie zur Blutdruckstabilisierung unerlässlich. Darüber hinaus ist eine frühzeitige Intubation der Kinder zur Vermeidung einer relevanten Hypoxie mit den daraus resultierenden Folgen essenziell.

Aufgrund der veränderten Immunantwort beim Kind wird MOF im Therapieverlauf weniger häufig beobachtet. Kinder sind jedoch nicht immun für die Entwicklung eines solchen. Tritt ein MOF auf, entwickeln die Kinder dies im Vergleich zum Erwachsenen deutlich früher (innerhalb der ersten 48 h nach Aufnahme), trotz fulminantem Verlauf ist die Sterblichkeit geringer als beim Erwachsenen [3]. Unterschiedlich zum Erwachsenen ist zudem, dass das MOF nicht als Folge eines SIRS oder einer Sepsis auftritt. Unfälle sind auch beim Kind ein signifikanter Risikofaktor zur Entwicklung einer Sepsis, ursächlich sind zum einen verletzungsassoziierte Wundinfekte, Peritonitiden oder zerebrale sowie nosokomiale Infekte (respiratorassoziierte Infekte, Katheterinfekte). Obwohl sich der Krankenhausaufenthalt bei Kindern, die eine Sepsis entwickeln, verlängert, konnte eine erhöhte Mortalität nach septischen Verläufen bei Kindern nicht nachgewiesen werden [29]. Lungenkontusionen und Aspiration können auch beim Kind im intensivmedizinischen Verlauf zu Pneumonien bis hin zum ARDS führen. Jedoch erhöht auch das ARDS die Mortalitätsrate beim kindlichen Polytrauma nicht [21].

Aufgrund all dieser Besonderheiten beim Kind ist eine Betreuung von schwerverletzten Kindern auf pädiatrischen Intensivstationen in enger Zusammenarbeit mit Pädiatern und Kinderchirurgen unerlässlich. Auch die Intensivtherapie muss auf den kindlichen Organismus in Abhängigkeit vom jeweiligen Entwicklungsstadium des Kindes abgestimmt sein, um das Outcome zu optimieren.

Primäre Ziele der Intensivtherapie sind in Abhängigkeit vom Verletzungsmuster eine zerebrale Perfusionsoptimierung mit Hirndruckmonitoring, eine Stabilisierung der Kreislauffunktion, eine Optimierung der Immunfunktion mit dem Ziel der Infektprävention sowie die an das Verletzungsmuster adaptierte Ernährungstherapie des schwerverletzten Kindes.

Fazit für die Praxis

  • Jedes schwerverletzte oder polytraumatisierte Kind sollte möglichst primär einem Traumazentrum mit apparativer und personeller kindertraumatologischer Ausrichtung zugeführt werden.

  • Der Schockraumalgorithmus erfolgt auch beim polytraumatisierten Kind nach dem ATLS-Konzept, ähnlich dem für Erwachsene, wobei die Diagnostik alters- und verletzungsabhängig ausgerichtet werden muss.

  • Die Anwesenheit von Pädiatern und/oder Kinderchirurgen im Schockraum zur frühzeitigen Festlegung des therapeutischen Prozederes ist sinnvoll.

  • Nach Abschluss der Diagnostik und erfolgter operativer Notfall- und Primärversorgung ist eine Betreuung von schwerverletzten Kindern auf pädiatrischen Intensivstationen erforderlich.

  • Das Management von schwerverletzten Kindern nach der Primärdiagnostik unterscheidet sich hinsichtlich Verlauf und Outcome von dem bei Erwachsenen und sollte in enger Zusammenarbeit mit Pädiatern und Kinderchirurgen erfolgen.

  • Prognostisch entscheidend ist eine primäre Verletzungskontrolle (Dekompression, Blutstillung, Kreislaufstabilisierung).