Die Initiative Trauma-NetzwerkD der DGU hat zum Ziel, die Qualität der Polytraumaversorgung durch die Empfehlung von strukturellen und organisatorischen Voraussetzungen (S3-Leitlinie der DGU), speziellen Ausbildungsprogrammen für Ärzte (ATLS®) und Qualitätsmanagementprogrammen (Traumaregister der DGU) deutschlandweit auf ein einheitliches und flächendeckend hohes Niveau zu bringen.

Durch die Initiierung von lokalen Traumanetzwerkstrukturen zwischen überregionalen und regionalen Traumazentren soll sichergestellt werden, dass jeder polytraumatisierte Patient innerhalb von etwa 30 min vom Unfallort in den Schockraum eines geeigneten bzw. zertifizierten Krankenhauses transportiert werden kann.

Inzidenz schwerer Verletzungen in Deutschland

Nach aktuellen Berechnungen erleiden in Deutschland jährlich etwa 33.000–38.000 Patienten ein Polytrauma (ISS=16) [19, 26, 27, 31]. Dazu ist eine vergleichbar hohe Zahl an Patienten anzunehmen, die zwar leichter verletzt sind (ISS<16), jedoch initial aufgrund des Unfallmechanismus oder einer vorübergehenden Störung der Vitalparameter über den Schockraum einer Klinik aufgenommen und behandelt werden müssen.

Versorgungsqualität schwer verletzter Patienten

Neben den Problemen in der Verteilung der Krankenhäuser und den Unterschieden in den präklinischen Rettungswegen ist entsprechend der Daten aus dem Traumaregister der DGU die Qualität der Behandlung schwer verletzter Patienten in verschiedenen lokalen Versorgungssystemen mitunter von deutlicher Varianz [42].

Analysen aus den Vereinigten Staaten zur Qualität der klinischen Versorgung schwer verletzter Patienten konnten zeigen, dass durch die Einführung „regionalisierter“ Traumasysteme die Rate vermeidbarer Todesfälle bei der Behandlung schwer verletzter Patienten um 50% reduziert werden kann [6, 7, 36, 48, 49, 50, 56]. Dabei kann die Letalität nach schwerem Trauma um 15–20% verringert werden [23, 24, 37, 46, 49, 50, 58].

Aus Deutschland gibt es diesbezüglich bisher wenige vergleichbare Analysen. Biewener et al. [4] führten in der Region um Dresden eine Analyse zur Qualität der Schwerverletztenversorgung in Abhängigkeit von der Versorgungsstufe des definitiven Zielkrankenhauses durch. Hierbei zeigte sich ein signifikanter Anstieg der Letalität nach schwerem Trauma (bei gleicher Verletzungsschwere) für die Patienten, die ausschließlich in einem Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung behandelt wurden.

Aber auch in universitären Traumazentren lassen sich Varianzen in der Behandlungsqualität mit Einfluss auf die Letalität nach schwerem Trauma nachweisen. Dies konnte sowohl im Rahmen interner Qualitätsmanagementsysteme als auch auf Basis einer externen Qualitätskontrolle nachgewiesen werden [42, 44].

Strukturelle Voraussetzungen für die Polytraumaversorgung

Die Prognose eines schwer verletzten Patienten hängt entscheidend von der möglichst zeitnahen adäquaten und prioritätengerechten Versorgung seiner Verletzungen ab. Diesbezüglich ist der möglichst schnelle Transport in ein Krankenhaus mit entsprechender Expertise von überragender Bedeutung.

Im Folgenden werden die Ergebnisse einer systematischen Analyse zur Verteilung und zur Erreichbarkeit solcher Häuser dargestellt [27].

Krankenhäuser für die Schwerverletztenversorgung

Nach Erhebungen der Initiative Trauma-NetzwerkD der DGU beteiligen sich derzeit bundesweit etwa 108 Krankenhäuser der Maximal-, 209 Krankenhäuser der Schwerpunkt- und 431 Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung an der klinischen Behandlung polytraumatisierter Patienten [26, 27].

Insbesondere unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Bevölkerungsdichten bestehen in der Verteilung dieser Kliniken deutschlandweit erhebliche Unterschiede (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Kliniken der Maximal- (a), Schwerpunkt- (b) und Regelversorgung (c) (Stand 2005), gelber Rand Teilnahme am Traumaregister der DGU

Versorgungsfläche pro Krankenhaus

Umgerechnet auf das Versorgungsgebiet liegt der durchschnittliche Einzugsbereich eines Krankenhauses bei 1162 km2. Den kleinsten Versorgungsbereich haben die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg.

Von den größeren Bundesländern weist Nordrhein-Westfalen die kleinsten Einzugsgebiete – also die günstigsten geografischen Versorgungsprofile – auf, die größten Einzugsgebiete – ungünstigsten geografischen Versorgungsstrukturen – finden sich in den neuen Bundesländern (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern) [27].

Verkehrsanbindung

Es bestehen deutliche Unterschiede in Bezug auf

  • die Dichte des Straßennetzes,

  • die Anzahl der Notarztstandorte und

  • die Abdeckung durch die Luftrettung.

Möglicherweise hierdurch mitbedingt finden sich deutliche Unterschiede in der Häufigkeit von tödlichen Verkehrsunfällen in Bezug auf die Gesamtzahl der jeweils im Straßenverkehr Verletzten in den einzelnen Bundesländern [26, 27].

Initiative Trauma-NetzwerkD der DGU

Sie hat das Ziel, die Qualität der Polytraumaversorgung durch Initiierung lokaler Traumanetzwerke flächendeckend deutschlandweit auf ein hohes Niveau zu bringen. Die Patientenallokation basiert dabei auf einem 3-stufigen Versorgungsschema von

  • überregionalem Traumazentrum,

  • regionalem Traumazentrum und

  • Krankenhaus der unfallchirurgischen Grundversorgung.

Aufnahmekriterien über einen Schockraum

Um möglichst keine Zeit bis zur definitiven klinischen Versorgung zu verlieren, sollte bereits durch den Notarzt die Notwendigkeit der Behandlung in einem überregionalen bzw. regionalen Traumazentrum eingeschätzt werden können. Neben der klinischen Beurteilung durch den Notarzt sollten am Unfallort erhebbare Kriterien bei dieser Überlegung mit herangezogen werden (Tab. 1) [8, 14, 15, 47, 52].

Tab. 1 Kriterien am Unfallort für einen hohen Gefährdungsgrad

Zielklinik polytraumatisierter Patienten

Bei Verdacht auf eine schwere Verletzung entsprechend des Vorliegens eines Kriteriums für einen hohen Gefährdungsgrad sollte der Transport in den Schockraum eines überregionalen oder regionalen Traumazentrums erfolgen. Werden die Kriterien für einen hohen Gefährdungsgrad nicht erfüllt, wird der Patient in das laut Regionalplan für die unfallchirurgische Grundversorgung zuständige Krankenhaus verbracht.

Anforderungen an die frühe klinische Polytraumaversorgung

Schockraum

Er stellt den Ort der primären Aufnahme von potenziell schwer verletzten Patienten dar. Pro Behandlungseinheit wird eine Mindestgröße von 25–50 m2 empfohlen [26, 58]. Die Voraussetzungen zur zeitgleichen Versorgung von 2 Schwerverletzten sollten beim überregionalen Traumazentrum gegeben sein, was zu einer zu fordernden Mindestgröße von 50 m2 führt [25].

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Schockraum sollte sich ein Raum mit der Möglichkeit zur Durchführung von Notfalleingriffen (separates Narkosegerät, Operationssiebe für unfall-, allgemein-, neuro- und thoraxchirurgische Noteingriffe) befinden.

Behandlungsteam

Das Schockraumteam sollte initial aus mindestens 3 Ärzten (Chirurg in unfallchirurgischer Weiterbildung bzw. Unfallchirurg, Assistenzarzt in chirurgischer Weiterbildung, Anästhesist) und 3 Mitarbeitern (unfall-/chirurgisches, anästhesiologisches Pflegepersonal, MTRA) bestehen [12, 25, 33, 45]. Bei primärer bildgebender Diagnostik durch ein im Schockraum installiertes CT sollte zu Beginn der Versorgung auch ein Radiologe anwesend sein [9, 54]. Die Präsenz eines Oberarztes der Unfallchirurgie sollte kurzfristig (innerhalb von 20 min) gewährleistet sein [10, 11, 17, 22]. In einem überregionalem Traumazentrum muss dieses Team je nach vorliegendem Verletzungsmuster durch Vertreter anderer Fachdisziplinen erweitert werden können. Neurochirurg, Viszeralchirurg, Radiologe, Herz-Thorax-Chirurg, Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg bzw. HNO-Arzt, Urologe, Augenarzt und Pädiater sollten innerhalb von 20 min präsent sein können [1, 20, 25, 28, 29, 34, 35, 41, 55, 56]. Falls eine der genannten Disziplinen nicht im Traumazentrum angesiedelt ist, sollte die zeitgerechte (innerhalb von 20 min) und 24 h durchgehende Verfügbarkeit eines Facharztes durch Kooperationen mit nahe gelegenen Kliniken sichergestellt sein.

In Anlehnung an die Empfehlungen zur Struktur, Organisation und Ausstattung der klinischen Patientenversorgung in unfallchirurgischen Abteilungen in Krankenhäusern der Bundesrepublik Deutschland von Haas et al. [19] aus dem Jahr 1997 sollten die in Tab. 2 beschriebenen Einrichtungen in 24-h-Bereitschaft vorgehalten werden.

Tab. 2 Obligatorische Einrichtungen eines Traumazentrums

Lokales Traumanetzwerk

Interaktion vernetzter Kliniken

Die Initiierung und die Aufrechterhaltung lokaler Netzwerkstrukturen sollten von einem überregionalen Traumazentrum ausgehen.

Jedes regionale Traumazentrum muss mit einem überregionalen Traumazentrum in einer lokalen Netzwerkstruktur verbunden sein. In Abhängigkeit von regionalen Gegebenheiten (z. B. Krankenhausdichte) sind Kooperationen mit mehreren überregionalen Traumazentren möglich.

Qualitätsmanagement

Die Qualität der Polytraumaversorgung sollte durch externe Qualitätssicherungsprogramme kontinuierlich und ununterbrochen dokumentiert werden [19]. Diesbezüglich ermöglicht das Traumaregister der DGU die Beobachtung des Behandlungsprozesses bzw. -ergebnisses über mehrere Jahre [2, 43].

Durch regelmäßige Treffen eines Qualitätszirkels muss die Güte der Polytraumaversorgung in einem lokalen Netzwerk überprüft werden. Der Zirkel setzt sich aus Entscheidungsträgern bzw. verantwortlichen Ärzten und medizinischem Personal der beteiligten Kliniken zusammen. Als Grundlage der Beurteilung der Polytraumaversorgung dienen die im Traumaregister erfassten Daten.

Kommunikation

Telefon

Um in der akuten Behandlungssituation keine Zeit durch verzögerte telefonische Verbindungen zu verlieren, sollten die Kommunikationswege zwischen den Entscheidungsträgern (Chef-, Ober- und Dienstärzte) der Kliniken eines lokalen Netzwerks durch vorhergehende Absprachen (z. B. Notfalltelefon) definiert sein.

Telemedizin

Insbesondere zur Übermittlung von Bildern aus der radiologischen Diagnostik sollten die Möglichkeiten der telemedizinischen Befundübermittlung verstärkt genutzt werden.

Weiterverlegungskriterien

Bei besonders schweren oder speziellen Verletzungen sollte nach Primärversorgung in einem regionalen Traumazentrum die zeitgerechte Weiterverlegung in ein „überregionales“ Traumazentrum nach festgelegten Kriterien erfolgen (Tab. 3). Hierbei sollte primär die Verlegung in das im lokalen Netzwerk zugeordnete überregionale Traumazentrum angestrebt werden.

Nach welchen Kriterien eine Weiterverlegung in ein überregionales Traumazentrum erfolgen soll, ist jeweils in Kooperation der Traumazentren in einem Netzwerk endgültig festzulegen. Vor der Verlegung sollte die Transportfähigkeit des Patienten entsprechend der ATLS-Kriterien sichergestellt werden.

Tab. 3 Mögliche Kriterien für die Weiterverlegung innerhalb eines regionalen Netzwerks

Fazit

Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über eine ausreichende Zahl an Krankenhäusern zur Behandlung Schwer- und Schwerstverletzter. Große Gebiete Deutschlands sind jedoch von einem optimalen infrastrukturellen Versorgungsprofil weit entfernt. Eine adäquate und qualitätsorientierte Traumaversorgung kann aber nicht allein durch hierfür personell, strukturell und prozessual adäquat ausgerüstete und vorbereitete Krankenhäuser der Maximal- und Schwerpunktversorgung erreicht werden, sondern erfordert auch eine Anpassung der infrastrukturellen Bedingungen in den jeweiligen Bundesländern.