Das 4‑Aminopiperidin-Derivat Piritramid ist ein Opioid, das 1960 erstmalig von Paul Janssen in Belgien synthetisiert wurde [27]. Als reiner μ‑Opioidrezeptor-Agonist [27] wird es zur postoperativen und posttraumatischen Analgesie sowie zur Analgosedierung auf Intensivstationen eingesetzt [26, 31].

Piritramid hat nur in wenigen Ländern eine weite Verbreitung gefunden

Interessanterweise hat das Medikament aber lediglich in Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Österreich eine weite Verbreitung gefunden. Eine telefonbasierte Umfrage von Lassen et al. [35] zeigte 2013, dass Piritramid in 92,2 % der befragten deutschen Kliniken als Analgetikum der Wahl zur patientenkontrollierten Analgesie (PCA) verwendet wird. Seltener kommen Morphin (9,4 %), Oxycodon (9,4 %) oder Hydromorphon (2,0 %) zum Einsatz. Stamer et al. [52] konnten Piritramid im Jahr 2002 sogar in 97,3 % der Kliniken als Standardopioid für die postoperative Analgesie finden. Es folgte Morphin mit 22,2 %. In anderen Ländern hingegen ist weiterhin Morphin das Analgetikum der Wahl, so etwa in Großbritannien, den USA, Frankreich oder Polen [10, 39].

Trotz der einschränkenden Tatsache, dass Piritramid in Ländern wie den USA oder Großbritannien nicht im Handel erhältlich ist, stellt sich die Frage, wie diese Unterschiede in der Nutzung von Piritramid zu erklären sind, ob die Evidenzlage den zentraleuropäischen Sonderweg rechtfertigt und warum nicht auch in Deutschland beispielsweise Morphin als Standardopioid verwendet wird. Insbesondere nützlich zu wissen wäre, ob die pharmakologischen Eigenschaften von Piritramid klinisch zu eindeutigen Vorteilen gegenüber anderen Opioiden in Bezug auf Wirksamkeit, Sicherheit und Nebenwirkungsprofil führen.

Methodik

Zur Sichtung der Literatur erfolgte eine systematische Suche in PubMed und Google Scholar mit den Termini „Piritramid“, „Pharmakodynamik“, „Pharmakokinetik“, „Patientenkontrollierte Analgesie“ und „Postoperative Analgesie“ singulär oder in Kombination. Damit wurden insgesamt 58 Beiträge identifiziert. Nach Durchsicht der Titel und Abstracts konnten diese auf 27 relevante Arbeiten reduziert werden, welche zwischen 1961 und 2015 publiziert wurden.

Die klinischen Studien wurden anhand von vier zuvor definierten Qualitätsmerkmalen (Randomisierung, Verblindung, Beschreibung von Studienabbrüchen und Anzahl der Probanden) bewertet und in 3 Qualitätskategorien (hoch, mäßig, gering) eingeteilt [32].

Indikationen

Piritramid findet Anwendung in der postoperativen Schmerztherapie bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern ab 2 Jahren. Eingesetzt wird es bei starken bis stärksten Schmerzen, die traumatischer Ursache oder tumorbedingt sind [26]. Auch eignet sich Piritramid zur Analgosedierung auf der Intensivstation [6]. Laut einer Empfehlung der Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“, die aktuell überarbeitet wird, ist der Einsatz bei mittelstarken bis starken Schmerzen indiziert, die weniger als 24 h einer Behandlung bedürfen [2]. Bei langfristiger Applikation wird ein stärker wirksames Opioid bzw. eine kontinuierliche Applikation empfohlen.

Ein 2013 publizierter Fallbericht über den erfolgreichen Einsatz von Piritramid bei 2 geburtshilflichen Patientinnen mit postpunktionellem Kopfschmerz legt eine Erweiterung des Indikationsspektrums auch auf diese Schmerzart nahe [45]. Allerdings gibt es bisher noch keine klinischen Studien, die den Nutzen von Piritramid in der Behandlung des postpunktionellen Kopfschmerzes tatsächlich belegen.

Pharmakodynamik

Piritramid wird als klare, farblose Lösung mit einem pH-Wert von 3,6 bis 4,3 hergestellt und kann ausschließlich parenteral verabreicht werden [2, 16, 26].

Rezeptorpharmakologie

Anders als zu Morphin, Fentanyl, Tramadol und Oxycodon gibt es bis heute kaum rezeptorpharmakologische Studien. Arbeiten aus den 1960er-Jahren ergaben zwar Hinweise auf den Wirkmechanismus [21, 27, 31, 46], eindeutige Daten zur Rezeptoraffinität, zu Dosis-Wirkungs-Beziehungen hinsichtlich des Effekts auf intrazelluläre Signalkaskaden oder zum eventuellen Vorhandensein weiterer Zielmoleküle fehlen jedoch. Wohl eher im Sinne eines Analogismus wird deshalb die Wirkung von Piritramid einer Aktivierung von μ‑Opioidrezeptoren zugeschrieben [27], auf die eine G‑Protein-vermittelte Hemmung der Adenylatzyklase und Aktivierung von Kalium- oder Hemmung von Kalziumkanälen folgt [20].

Analgetische Potenz im Vergleich zu Morphin

Die häufig zitierten Angaben zur analgetischen Potenz von Piritramid im Vergleich zu Morphin (0,7–0,75:1) sind sehr wahrscheinlich aus den wenigen früheren tierexperimentellen [27] und klinischen Studien mit mäßiger bis hoher Qualität [7, 21, 31, 40] abgeleitet. Allerdings muss erwähnt werden, dass es bisher keine direkten klinischen oder experimentellen Studien gibt, die die Wirkstärke von Piritramid mit der von Morphin vergleichen. So bleibt unklar, auf welchen Daten die bisherigen Dosierungsempfehlungen basieren.

Dosis-Wirkungs-Beziehung und Dosierungsempfehlungen

Die Dosierungsempfehlungen aus der Fachinformation können Tab. 1 entnommen werden [16].

Tab. 1 Dosierungsempfehlungen aus der Fachinformation. (Nach [15])

Auch die Dosierungsangaben zur Nutzung von Piritramid im Rahmen einer PCA-Strategie sind aus Einzelstudien abgeleitet. Morlin et al. (Studienqualität: mäßig; [40]) sehen beispielsweise einen Bolus von 0,75 mg mit einer 5‑minütigen Sperrzeit als ausreichend an. Nach ihren Angaben sorgt dieses Regime für eine adäquate Analgesie und senkt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Nebenwirkungen. Eine einfach zu handhabende Dosierungsempfehlung für die PCA zeigt Tab. 2; sie ist der Studie von Bouillon (Studienqualität: mäßig; [7]) entnommen. Die folgenden Dosierungen dieser Studie werden gewichts- und altersabhängig gewählt, in der genannten Studie durchschnittlich 3,34 mg.

Tab. 2 Dosierungsempfehlung für die PCA. (Nach [7])

Bei Anwendung als i. m.-Applikation mussten höhere Dosen, zwischen 5 und 20 mg, gewählt werden, um eine mit der i. v.-Applikation vergleichbare analgetische Wirkung zu erzielen (Studienqualität: hoch; [31]).

Kinder, die intra- oder postoperativ Piritramid als Analgetikum bekommen, sollten eine Dosis von mindestens 50–70 μg/kgKG erhalten (Studienqualität: mäßig; [24]).

Weitere wichtige pharmakodynamische Daten von Piritramid im Vergleich zu Morphin und Fentanyl sind Tab. 3 zu entnehmen. Es fällt dabei auf, dass die Pharmakodynamik von Piritramid bis auf eine höhere Plasmaproteinbindung der von Morphin sehr ähnlich ist.

Tab. 3 Vergleich der Pharmakodynamik von Piritramid, Morphin und Fentanyl nach i. v.-Applikation. (Nach [9, 33, 38, 53])

Pharmakokinetik

Resorption und Distribution

Piritramid ist im Handel ausschließlich zur parenteralen Applikation erhältlich. Klinische Studien zur enteralen Resorption existieren demnach bisher nicht.

Damit das Opioid jedoch seine zentrale Wirkung ausüben kann, muss es durch aktiven oder passiven Transport verschiedene Barrieren überwinden, insbesondere die Blut-Hirn-Schranke. Ein für Opioide aktiver Transporter, der für das Ausschleusen von Molekülen zuständig ist, gehört der ATP-binding-cassette-subfamily-B-member-1(ABCB1)-Gruppe an und wird durch das Multidrug-resistance-1(MDR1)-Gen codiert. Substrate von ABCB1 sind beispielsweise Fentanyl, Morphin, Piritramid und Loperamid.

Ein Polymorphismus in diesen Genen wirkt sich auf die Wirksamkeit von Piritramid aus. Eine signifikant höhere Schmerzreduktion erfahren Träger des Wildtypallels G2677 GG im Vergleich zu Patienten, die eine Allelvariante tragen (Studienqualität: mäßig; [37]). Entsprechend der dann geringeren notwendigen Gesamtdosis des Opioids ist auch die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Nebenwirkungen geringer. Signifikante Unterschiede sowohl in der Wirksamkeit als auch im Nebenwirkungsprofil gibt es zudem zwischen Patienten, die einen Polymorphismus des μ‑Rezeptor-Gens „opioid receptor mu 1“ (OPRM1) aufweisen, und Trägern des Wildtyps (Studienqualität: hoch; [3]).

Die Wirkung von Piritramid wird durch die Plasmaproteinbindung beeinflusst

Da lediglich das ungebundene Piritramid eine Rezeptorbindung eingehen kann, ist auch die Plasmaproteinbindung (PPB) eine Variable, die die Wirkung beeinflusst. Piritramid weist mit 94,5 % eine wesentlich höhere PPB auf als Morphin [34, 46]. Neben saurem α1-Glykoprotein, das den Hauptanteil der bindenden Proteine ausmacht, bindet Piritramid auch an Albumin. Ob dies – insbesondere bei intensivmedizinisch zu therapierenden Patienten, die häufig unter einer Hypoproteinämie leiden – klinisch relevant ist oder sogar mit einer Gefahr einhergeht, bleibt unklar.

Das Verteilungsvolumen liegt bei 4,7 l/kg im Steady State, in Abhängigkeit vom Alter steigt es linear an. Damit gehört Piritramid zu den im klinischen Alltag gebräuchlichen Opioiden mit dem höchsten Verteilungsvolumen. Nach einem Bolus von 0,2 mg/kgKG i. v. weist es ein zentrales Verteilungsvolumen von 1 l/kg auf. Die Verteilung ist initial gewichtsabhängig, sodass ein höheres Gewicht mit einer schnelleren Verteilung einhergeht. Inwieweit sich diese Eigenschaft klinisch tatsächlich auswirkt, bleibt jedoch aufgrund fehlender Studien unklar. Die schnelle Verteilung bei einem hohen Körpergewicht lässt jedoch vermuten, dass es initial zu einer verkürzten Wirkdauer aufgrund einer vermehrten Anreicherung im dritten Kompartiment und nachfolgend zu einer langsameren Elimination kommt.

Konzentrations-Zeit-Verlauf und Elimination

Mit einer Wirkdauer zwischen 4 und 6 h gehört Piritramid zu den lang wirksamen Opioiden [34]. Aus dem hohen Verteilungsvolumen und der langsamen Rückverteilung aus dem dritten Raum resultiert die lange terminale Halbwertszeit von bis zu 10 h [7, 34]. Eine gefürchtete Komplikation folgt aus diesen pharmakokinetischen Parametern: Die lange terminale Halbwertszeit bei im Verhältnis kurzer Wirkdauer birgt im Falle einer zu schnellen Nachinjektion die Gefahr einer Atemdepression durch die Rückverteilung in das zentrale Kompartiment [33, 34]. Neben älteren Patienten sind insbesondere Neugeborene und Säuglinge gefährdet [41].

Nach kontinuierlicher Infusion zur Analgosedierung über 3 Tage verlängert sich die Eliminationshalbwertszeit deutlich im Vergleich zur Bolusapplikation (10,4 vs. 17,4 h). Das Verteilungsvolumen im Steady State steigt, bei verminderter kontextsensitiver Halbwertszeit (420 vs. 285 min), ebenfalls stark an (412,5 vs. 782 l; Studienqualität: mäßig; [6]).

Piritramid scheint auch für die Therapie bei niereninsuffizienten Patienten geeignet zu sein

Die kontextsensitive Halbwertszeit beträgt nach einer 10-minütigen i. v.-Applikation etwa 3 h (Studienqualität: mäßig; [33]). Nach einer 24-stündigen Infusion beträgt sie, in Abhängigkeit vom Alter, durchschnittlich 7 h, um danach wieder abzufallen [7]. Daher wird eine bedarfsadaptierte Bolusgabe empfohlen und von einer kontinuierlichen Infusion abgeraten.

Piritramid wird hepatisch metabolisiert und sowohl renal als auch über die Fäzes ausgeschieden. Lediglich ein vernachlässigbar kleiner Anteil, im Mittel 1,4 %, wird unverändert renal ausgeschieden, wobei die Ausscheidung abhängig vom pH-Wert des Urins ist (Studienqualität: mäßig; [34]). Entsprechend scheint Piritramid auch für die Therapie bei niereninsuffizienten Patienten geeignet zu sein. Morphin wird zum Teil in das biologisch aktive Morphin-6-Glukuronid umgewandelt, das bei Niereninsuffizienz eine Tendenz zur Kumulation hat [51]. Im Gegensatz dazu gibt es bei Piritramid keine Hinweise auf die Ausbildung sekundär aktiver Metaboliten. In einer 2005 veröffentlichten Studie konnten 8 inaktive Metaboliten tierexperimentell identifiziert werden, von denen 6 auch in humanem Urin nachweisbar waren [29].

Die mittlere renale Clearance von Piritramid beträgt 0,13 ml/kgKG pro min bei einer Kreatininclearance von 8,7 ml/min und somit 1,7 % der Gesamtclearance. Im Alter zeigt sich eine lineare Abnahme der Piritramid- wie auch der Gesamtclearance. Erklären lässt sich dies durch die hohe Lipophilie von Piritramid, die der von Fentanyl ähnelt. Durch den im Alter abnehmenden Körpermuskel- sowie zunehmenden Körperfettanteil reichert sich Piritramid im dritten Kompartiment an und wird nur langsam wieder freigesetzt. Die totale auf das Körpergewicht bezogene Clearance beträgt zwischen 450 und 620 ml/min für einen 70 kg schweren Patienten [34].

Kleinkinder hingegen weisen im Vergleich zu Erwachsenen eine signifikant höhere Elimination und somit kürzere terminale Halbwertszeit auf, während Säuglinge bei initial sehr hoher Plasmakonzentration eine deutlich prolongierte Halbwertszeit zeigen. Die Dosierungsintervalle sind dementsprechend dem Alter des Patienten und der Dauer des analgetischen Effekts anzupassen [41].

Einen Überblick über die Pharmakokinetik von Piritramid gibt Tab. 4.

Tab. 4 Vergleich der Pharmakokinetik von Piritramid, Morphin und Fentanyl. (Nach [6, 31, 33, 42])

Die bisherigen Studien zur Pharmakokinetik zeigen somit einen Vorteil von Piritramid für Patienten mit einer Niereninsuffizienz, da es im Vergleich zu Morphin keine aktiven Metaboliten ausbildet. Aus der hohen Lipophilie und schnellen Anflutung resultiert jedoch eine sehr lange kontextsensitive Halbwertszeit, sodass im Gegensatz zu Morphin von einer kontinuierlichen Applikation abzuraten ist.

Sicherheit und Nebenwirkungen

Übelkeit und Erbrechen

Postoperative Übelkeit und Erbrechen („postoperative nausea and vomiting“ [PONV]) sind zwei der häufigsten unerwünschten Wirkungen nach einer Narkose. Aufgrund der vielzähligen PONV-auslösenden Faktoren ist die Datenlage, die Piritramid eindeutig als Auslöser dieser Nebenwirkungen identifizieren würde, sehr beschränkt (Tab. 5). So gibt es bisher lediglich eine klinisch hochwertige Studie, die primär die Inzidenz von PONV nach einer Piritramidapplikation untersucht und diese mit der Inzidenz nach Morphinapplikation vergleicht [8]. In allen anderen in Tab. 5 genannten Studien wurde das Auftreten der genannten Nebenwirkungen als sekundärer Endpunkt analysiert. Die Studien sind somit aufgrund der verschiedenen Variablen nicht vergleichbar und in ihrer Qualität insgesamt als mäßig bis gering einzustufen. Zudem wurden die untersuchten Opioide nicht in äquipotenten Dosierungen verwendet. Anhand dieser allerdings limitierten Datenlage lässt sich somit bisher kein Vorteil von Piritramid gegenüber Morphin hinsichtlich des Auftretens von PONV ableiten.

Tab. 5 Inzidenz von Übelkeit und Erbrechen nach Piritramidapplikation

Sedierung und Atemdepression

Die Überdosierung ist eine gefürchtete Komplikation der Therapie mit potenten Opioidanalgetika, unter der es zur Sedierung oder zur Atemdepression bis hin zum Atemstillstand kommen kann. Sedierung und Atemdepression unterliegen, ähnlich wie die Obstipation und Miosis, keiner Toleranzentwicklung. Durch die Blockade von μ2-Rezeptoren kommt es zu einer verminderten Ansprechbarkeit des Atemzentrums in der Medulla oblongata gegenüber dem physiologischen Atemantrieb durch einen CO2-Anstieg. Es resultiert eine Hypoventilation. Der physiologische „Antagonist“ der Atemdepression ist der Schmerz. Bei Patienten, die trotz der Applikation von hochpotenten Opioiden unter Schmerzen leiden, ist keine Atemdepression zu erwarten [25].

Die Datenlage hinsichtlich der Entwicklung einer Atemdepression insbesondere unter Applikation von Piritramid ist allerdings sehr begrenzt. Eine Umfrage zur postoperativen Schmerztherapie an deutschen Kliniken, in die 446 Anästhesieabteilungen eingeschlossen werden konnten, zeigte ein relativ häufiges Auftreten von Nebenwirkungen unter der Therapie mit einer PCA. Dies schien aber unabhängig vom verwendeten Opioid zu sein (Studienqualität: gering; [52]). Ohne eine Aussage zur genauen Inzidenz machen zu können, gaben 39 % der Kliniken an, bereits eine schwere Atemdepression bei Patienten mit PCA beobachtet zu haben; 12 % der Kliniken berichteten über eine antagonisierungspflichtige Atemdepression, während in 3,2 % der Kliniken eine Intubation notwendig war. Das Erkennen und die Behandlung einer Atemdepression wurden dabei durch das Vorhandensein eines Akutschmerzdiensts in den Krankenhäusern verbessert.

Das Risiko, eine Atemdepression zu entwickeln, steigt offenbar proportional mit der Potenz des verwendeten Opioids. Dies wurde u. a. in einer Studie gezeigt, in der 23 Probanden mit spontaner Atmung im Continuous-positive-airway-pressure-Modus eine zuvor bestimmte Dosis Alfentanil oder Piritramid verabreicht bekamen (Studienqualität: mäßig; [4, 5]). In beiden Gruppen reduzierte sich das gemessene Atemminutenvolumen signifikant. Ausgehend von einer 30- bis 40-mal höheren analgetischen Potenz von Alfentanil erhielten beide Gruppen äquianalgetische Dosen von Opioiden. Dennoch musste die Infusion in der Alfentanil- im Gegensatz zur Piritramidgruppe bei 42 % der Probanden vorzeitig aufgrund einer Atemdepression abgebrochen werden. Resultierend daraus scheint Piritramid das sicherere Opioid zu sein. Die Autoren begründen den Vorteil von Piritramid mit einer langsameren Anflutung und Verteilung im Vergleich zu Alfentanil.

Eine 2001 publizierte Studie konnte allerdings bei Patienten, die mit einer Morphin- oder Piritramid-PCA behandelt wurden, keine signifikanten Unterschiede im Sedierungsgrad nachweisen (Studienqualität: mäßig; [1]). Eine weitere Studie fand dagegen eine geringere Rate an Nebenwirkungen bei Patienten, die mit einer Oxycodon-PCA behandelt wurden (6,7 vs. 12,7 %), während sich kein signifikanter Unterschied bei der Sedierung und Atemdepression (0,6 vs. 1 %) zeigte [49]. Aufgrund des retrospektiven Studiendesigns und der Heterogenität der ausgewerteten Daten ist die Validität jedoch fraglich.

Auch Ure et al. (Studienqualität: mäßig; [54]) konnten bei 50 Patienten mit ASA-Status I–II, die nach einem allgemeinchirurgischen Eingriff eine i. v.-PCA mit Piritramid erhielten, nur einen Patienten mit einer Hypopnoe detektieren. Über die bereits oben genannte Nebenwirkung Müdigkeit klagten hingegen fast 40 % der Patienten.

Dass die Atemdepression als Nebenwirkung einer Therapie mit potenten Opioiden trotz der beschriebenen geringen Inzidenz nicht gänzlich außer Acht gelassen werden darf, zeigt ein Fallbericht aus Bonn. Hier verstarb ein Patient, der postoperativ zur Analgesie eine i. v.-PCA-Pumpe erhielt, an einer Atemdepression [42]. Als Ursache konnte eine Fehlprogrammierung der Pumpe identifiziert werden.

Weitere mögliche unerwünschte Wirkungen

Nicht selten kommt es unter der Anwendung von Piritramid zu den typischen Nebenwirkungen von Opioiden in Form einer Miosis oder Obstipation sowie einer Miktionsstörung. Eine Bradykardie und auch eine Hypotonie stellen gelegentliche Nebenwirkungen dar, auch wenn Piritramid grundsätzlich als hämodynamisch relativ inert gilt [21, 22, 46, 50]. Häufig jedoch kommt es zu Juckreiz sowie Schwitzen.

Die Häufigkeit einer Urtikaria wird in der Fachinformation mit „gelegentlich“ (≥1/1000 bis <1/100) angegeben [16]. In einer Kasuistik wird über eine 51-jährige Patientin berichtet, die 2 Tage nach perioperativer Anwendung von Piritramid ein generalisiertes Erythem entwickelte. Dies ist der einzige in der Literatur beschriebene Fall, in dem eine Reaktion in oben genannter Form durch einen Patch-Test bewiesen werden konnte. 43 weitere Patienten mit einem nicht eindeutigen Testergebnis sind registriert [56]. Für andere Opioide, wie Morphin, Hydromorphon [11] und Buprenorphin transdermal [55], sind anaphylaktoide Reaktionen in Form einer Histaminausschüttung bereits seit Langem bekannt.

Eine weitere, bisher einmalig in der Literatur beschriebene unerwünschte Wirkung ist der Downbeat-Nystagmus, den ein 79-jähriger Patient nach der Applikation von 15 mg Piritramid i. v. entwickelte [30]. Diese Nebenwirkung ist auch im Zusammenhang mit einer intrathekalen oder epiduralen Applikation von Morphin bekannt [18].

Interaktionen und Wechselwirkungen

Mögliche Interaktionen und Wechselwirkungen von Piritramid gleichen denen anderer stark wirksamer Opioide [16]. Klinische Studien, die die Wechselwirkungen von Piritramid in vitro oder in vivo mit anderen Arzneimitteln untersucht haben, fehlen jedoch bisher. Für die Phenylpiperidinderivate Fentanyl, Methadon, Pethidin und Tramadol sowie für die Morphinanaloga Oxycodon und Codein gibt es klinische Hinweise auf eine In-vivo-Interaktion mit Monoaminoxidase(MAO)-Hemmern, die zu einem lebensbedrohlichen serotonergen Syndrom führen kann [47]. Daher wird auch vor der Einnahme von MAO-Hemmern in Kombination mit Piritramid gewarnt, auch wenn bisher keine serotonerge Aktivität von Piritramid bekannt ist [16].

Wird Piritramid perioperativ zeitnah mit einem Cephalosporin verabreicht, wie es häufig in der Orthopädie und Unfallchirurgie der Fall ist, kann es zu einer chemischen Ausfällungsreaktion und Präzipitatbildung kommen, ähnlich der aus der Literatur bekannten Inkompatibilität bei Kombination von Thiopental und einem Muskelrelaxans [15]. Die Inkompatibilität zwischen Piritramid und einem Cephalosporin, insbesondere Cefazolin und Cefuroxim, ist abhängig von der Piritramidkonzentration. Bei Konzentrationen ≤1,875 mg/ml zeigt sich keine Ausfällung [14]. Daher sollte für eine PCA eine Konzentration von 1 mg/ml gewählt werden. Im perioperativen Setting sollten Cephalosporine in ihrer laut Fachinformation angegebenen Lösung zubereitet und separat verabreicht werden [16].

Diskussion

Piritramid ist ein 1960 von Janssen Pharmaceutica in Belgien synthetisch hergestelltes Opioid, das insbesondere in Deutschland und anderen zentraleuropäischen Ländern als Analgetikum der Wahl in der postoperativen und posttraumatischen Schmerztherapie Anwendung findet [35, 52]. Der vorliegende Übersichtsbeitrag soll die Evidenz der Piritramidanwendung mit ihren pharmakodynamischen und -kinetischen Vor- und Nachteilen gegenüber anderen in gleicher Indikation eingesetzten Opioiden aufzeigen.

Eindeutige Daten zur Dosis-Wirkungs-Beziehung wie auch zur Rezeptorpharmakologie fehlen bisher. Es gibt lediglich Hinweise aus Arbeiten der 1960er-Jahre, die auf den Wirkmechanismus von Piritramid hindeuten [21, 27, 31, 46]. Diese spärliche Datenlage macht die Bewertung und Einordnung des Medikaments im Vergleich zu den anderen klinisch verwendeten Opioiden schwierig und behindert nicht nur den differenzialpharmakologischen Gebrauch, sondern erschwert zusätzlich die Formulierung eindeutiger Dosisempfehlungen. Hinzu kommt die erschwerte Literaturrecherche, da viele Studien der 1960er-Jahre nicht mehr verfügbar sind oder erst gar nicht bzw. in der jeweiligen Landessprache publiziert wurden [12, 17, 19, 23, 28, 36, 43, 57].

Trotz des über 40-jährigen Gebrauchs von Piritramid gab es bis in die 1990er-Jahre keine veröffentlichten Studien zur Pharmakodynamik und -kinetik. Dies ist teilweise sicherlich dem Mangel an sensitiven Messmethoden geschuldet. Erst 1996 und 1997 konnte die Arbeitsgruppe um Kietzmann et al. [33, 34] erste pharmakokinetische Daten generieren, in denen die lange terminale Halbwertszeit von bis zu 10 h aufgrund des sehr hohen Verteilungsvolumens von 4,7 l/kg im Steady State aufgezeigt wurde. Die daraus resultierende gefürchtete Komplikation einer Umverteilung mit möglicher Kumulation zeigten Kietzmann et al. anhand eines linearen Drei-Kompartiment-Modells. Entsprechend der langen Wirkdauer von bis zu 6 h [33] eignet sich Piritramid im Gegensatz zu Fentanyl gut zur postoperativen Analgesie. Doch auch Morphin zeigt eine lange Wirkdauer von bis zu 4 h [54].

Publikationen über die Metabolisierung von Piritramid existieren bisher nicht, sodass auch keine verlässlichen Aussagen zur möglicherweise notwendigen Dosisanpassung bei Leber- oder Niereninsuffizienz getroffen werden können. Es ist lediglich bekannt, dass Piritramid hepatisch über Cytochrom P450 metabolisiert und größtenteils über die Fäzes ausgeschieden wird [34]. Ein vernachlässigbar kleiner Anteil wird unverändert renal ausgeschieden. Im Gegensatz zu Morphin konnten bei Piritramid bisher keine aktiven Metaboliten nachgewiesen werden [29, 50].

Das in den Jahren nach der Einführung als sehr sicher propagierte Piritramid hat in den letzten Jahren einen Wandel hinsichtlich seiner früher ausschließlich als positiv bewerteten Eigenschaften erlebt. Während insbesondere die Inzidenz von Übelkeit und Erbrechen in früheren Studien als gering ausgewiesen wurde [21, 31, 46], zeigen neuere Studien eine erhöhte Inzidenz [1, 8, 34, 40, 54], insbesondere gegenüber Oxycodon [49]. Hinsichtlich einer Atemdepression oder Sedierung unter Piritramid sind die Daten sehr begrenzt. Während zwei Studien von Bouillon et al. [4, 5] nach äquianalgetischer Dosierung von Piritramid und Alfentanil einen leichten Vorteil für Piritramid sehen, zeigen andere Studien keinen Unterschied zwischen Piritramid und Morphin [1] oder Oxycodon [49].

Piritramid sollte nicht in Kombination mit Monoaminoxidasehemmern gegeben werden

Interaktionen zwischen Piritramid und MAO-Hemmern sind in der Literatur bisher nicht beschrieben. Dennoch sollte auf die Gabe von Piritramid in Kombination mit MAO-Hemmern aufgrund bekannter Zwischenfälle mit ähnlich strukturierten Opioiden verzichtet werden [16]. Beschrieben sind in der Literatur jedoch Präzipitatbildungen mit Cephalosporinen bei gleichzeitiger Applikation von Piritramid. Da diese Ausfällungsreaktion konzentrationsabhängig ist, sollte die Konzentration einer Piritramidlösung 1,875 mg/ml nicht übersteigen.

Zusammenfassend ist Piritramid ein stark wirksames Opioid mit einer langen Wirkdauer und terminalen Halbwertszeit, das bei zu schneller Nachinjektion zur Kumulation tendiert und somit die Gefahr einer Atemdepression birgt. Die derzeitige Studienlage im Vergleich zu anderen in gleicher Indikation eingesetzten Opioiden rechtfertigt aus unserer Sicht die Wahl als Standardanalgetikum im postoperativen oder posttraumatischen Setting nicht. Es sind weitere klinische wie auch experimentelle Studien notwendig, um neben rezeptorpharmakologischen Erkenntnissen weitere Erfahrungen zur Dosis-Wirkungs-Beziehung, Metabolisierung sowie Dosierung zu erhalten.

Fazit für die Praxis

  • Piritramid wird in Deutschland häufig zur postoperativen Analgesie eingesetzt.

  • Die Evidenzlage basiert auf wenigen tierexperimentellen Studien der 1960er-Jahre sowie klinischen Studien der 1990er-Jahre.

  • Piritramid hat im Vergleich zu Morphin eine analgetische Potenz von 0,7–0,75. Die Wirkung tritt im Mittel nach 16,8 min ein. Aufgrund einer Wirkdauer von bis zu 6 h gehört Piritramid zu den lang wirksamen Opioiden.

  • Durch die hepatische Metabolisierung ohne Ausbildung von aktiven Metaboliten scheint Piritramid bei Niereninsuffizienz einen Vorteil gegenüber Morphin zu haben.

  • Durch die schnelle Anflutung und eine mit Fentanyl vergleichbare hohe Lipophilie hat Piritramid eine sehr lange kontextsensitive Halbwertszeit, sodass eine Bolusapplikation empfehlenswert ist. Morphin hat dagegen eine vernachlässigbar kurze kontextsensitive Halbwertszeit.

  • Das Nebenwirkungsprofil scheint mit dem von Morphin vergleichbar zu sein.

  • Für eine bessere evidenzbasierte Anwendung sind weitere klinische und experimentelle Studien zur Dosis-Wirkungs-Beziehung, Rezeptorpharmakologie, Metabolisierung und Dosierung notwendig.