Hintergrund und Fragestellung

Für die Behandlung einer aktiven rheumatoiden Arthritis stehen neben den konventionellen synthetischen krankheitsmodifizierenden Medikamenten („conventional synthetic disease-modifying antirheumatic drugs“, csDMARDs) verschiedene biologische DMARDs mit unterschiedlichen Wirkprinzipien zur Verfügung. Leitlinien sehen den sequenziellen Einsatz der verschiedenen Therapieoptionen vor. In die Therapieentscheidung gehen neben den klinischen Merkmalen des Patienten auch die individuelle Erfahrung des Arztes, publizierte Therapieempfehlungen und ökonomische Aspekte ein. Wir untersuchten, welche Parameter mit der Entscheidung für den Einsatz eines Biologikums assoziiert sind und welche Veränderungen es im Verlauf der letzten 15 Jahre gab.

Bei Beginn der Behandlung einer rheumatoiden Arthritis (RA) werden zunächst konventionelle synthetische krankheitsmodifizierende Medikamente (csDMARDs) eingesetzt, v. a. Methotrexat, Sulfasalazin, Antimalariamittel und Leflunomid, die in Monotherapie oder als Kombinationen gegeben werden können. Biologika werden eingesetzt, wenn die klassischen csDMARDs entweder die Krankheitsaktivität nicht genügend kontrollieren oder wenn diese Substanzen aufgrund von Unverträglichkeit abgesetzt werden müssen. Seit dem Jahr 2000 wurde in Deutschland eine Reihe von biologischen (b) DMARDs zur Behandlung der RA zugelassen: 5 TNF-α-Inhibitoren (Adalimumab, Certolizumab pegol, Etanercept, Golimumab, Infliximab), der T‑Zell-Modulator Abatacept, der IL-1-Antagonist Anakinra, der IL-6-Antagonist Tocilizumab und der Anti-CD20-Antikörper Rituximab. Für Patienten mit schwerer und therapierefraktärer RA steht somit eine Reihe neuer Therapieoptionen zur Verfügung.

Im Regelfall wird nach 2 fehlgeschlagenen csDMARD-Therapien der Übergang zu bDMARDs erwogen. Die Empfehlungen der European League Against Rheumatism [22] wie auch die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie [4] besagen, dass bei ungünstiger Krankheitsprognose bereits nach Versagen des ersten csDMARD ein Biologikum in Betracht gezogen werden kann. Als ungünstige prognostische Faktoren gelten hauptsächlich hohe Krankheits- bzw. Entzündungsaktivität, ein positiver Rheumafaktor, hochtritrige Antikörper gegen citrullinierte Peptidantigene (ACPA) sowie frühe und/oder fortschreitende Gelenkerosion. Die deutsche Leitlinie empfiehlt zudem, bei anhaltend hohem Glukokortikoidbedarf den Übergang zu einem bDMARD zu erwägen [4].

Aus diesen Empfehlungen lässt sich ableiten, welche medizinischen Faktoren erwartbar mit dem Wechsel zu einem bDMARD assoziiert sind. Studien aus den USA und Frankreich bestätigten den großen Einfluss des Schweregrads der Erkrankung und der Vortherapie einschließlich Glukokortikoiddosis [5, 6].

Es gibt empirische Hinweise darauf, dass zusätzlich demografische Faktoren und die soziale Schicht in die Therapieentscheidung einfließen. Vielfach belegt ist, dass ältere Patienten seltener mit bDMARDs behandelt werden [57]. In den USA erwies sich der Zugang zu bDMARDs zudem als einkommensabhängig, eine Reflexion der hohen Therapiekosten [5].

Der vorliegende Artikel untersucht anhand von Daten des deutschen Biologika-Registers RABBIT (Rheumatoide Arthritis: Beobachtung der B iologika-Therapie), welche Parameter mit der Therapieentscheidung für ein bDMARD assoziiert sind.

Im ersten Teil der Untersuchung wird aus krankheitsspezifischen Parametern, Alter und Geschlecht ein Modell der Therapieentscheidung berechnet. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der weiterführenden Frage, ob auch soziale Merkmale – Bildung, Erwerbsstatus und Art der Krankenversicherung – die Therapieentscheidung beeinflussen.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

RABBIT ist eine nichtinterventionelle Kohortenstudie mit dem Ziel, die langfristige Sicherheit und Wirksamkeit von bDMARDs in der Alltagspraxis zu erforschen. Die Studie erhielt 2001 die Zustimmung der Ethikkommission der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Mehr als 350 Rheumatologen in eigener Praxis oder in Klinikambulanzen beteiligen sich deutschlandweit an RABBIT. Sie rekrutieren Patienten mit gesicherter RA bei Beginn einer biologischen oder csDMARD-Therapie nach mindestens einem csDMARD-Versagen. Patienten, die mit einem csDMARD eingeschlossen werden, bilden die interne Kontrollgruppe. Im vorliegenden Artikel wurde die Therapieentscheidung bei Einschluss in das Register analysiert.

Patienten

Am Stichtag 30.04.2015 waren insgesamt 13.568 Patienten in RABBIT eingeschlossen. Um die Therapieentscheidung „erstes Biologikum vs. weiteres csDMARD“ zu untersuchen, blieben diejenigen Patienten unberücksichtigt, die vor Einschluss in das Register bereits mit bDMARDs vorbehandelt waren (n = 2558; 18,9 %) oder bei denen unzureichende Informationen zur DMARD-Therapie vor dem Einschluss in RABBIT bestanden (n = 579; 4,3 %). Des Weiteren blieben Einschlüsse der Jahre 2007 bis 2008 unberücksichtigt (n = 918; 6,8 %), da in diesem Zeitraum keine Kontrollgruppe rekrutiert wurde. Es resultierten 9513 Patienten.

Anhand ihres Einschlussjahres wurden die Patienten folgenden Zeiträumen zugeordnet: 2001 bis 2003 (Einführung der TNF-α-Inhibitoren), 2004 bis 2006 (Etablierung der TNF-α-Inhibitoren) sowie 2009 bis 2015 (Diversifikation von Wirkprinzipien).

Erhebungsinstrumente

Unter den Merkmalen, die vom Rheumatologen bei Einschluss dokumentiert werden, interessierten die folgenden als potenzielle Einflussfaktoren auf die Therapieentscheidung:

  • die Krankheitsaktivität, gemessen mit dem Disease Activity Score (DAS28) als kombiniertes Maß von Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG), Anzahl geschwollener und druckschmerzhafter Gelenke sowie selbst eingeschätzter Gesundheit,

  • der Rheumafaktor (positiv, negativ),

  • die Anzahl bisheriger csDMARDs,

  • die mittlere Dosis systemischer Glukokortikoide innerhalb der letzten 6 Monate in 3 Kategorien (0–5; >5–7,5; >7,5 Prednisolon-Äquivalenzdosis in mg/Tag) und

  • Begleiterkrankungen der Niere, der Leber sowie Krebs und Herzinsuffizienz.

Unter den „patient-reported outcomes“ (PROs) berücksichtigten wir die Funktionskapazität nach dem Funktionsfragebogen Hannover (FFbH, in Prozent der vollen Funktion) [16] sowie Fatigue und Schmerz (jeweils auf Skalen von 0 bis 10, 10 = sehr stark). Von Interesse waren zudem die Demografie (Alter in Jahren, Geschlecht) und 3 Indikatoren der sozialen Schichtzugehörigkeit: Erwerbsstatus (erwerbstätig; nicht erwerbstätig, d. h. berentet, arbeitslos oder Hausfrau/-mann), Schulbildung (in 3 Kategorien: weniger als 10 Jahre; mittlere Reife; Hochschul- oder Fachhochschulreife) und Art der Krankenversicherung (gesetzlich; privat).

Multivariable Modellierung der Therapieentscheidung

Für die Untersuchung einer binären abhängigen Variablen wie der Therapieentscheidung (bDMARD ja vs. nein) wird häufig die multiple logistische Regression verwendet. Der Anwender entscheidet, welche Einflussvariablen berücksichtigt werden. Mitunter werden Methoden der automatisierten Variablenselektion eingesetzt, häufig der Stepwise-Selection-Ansatz [12]. Bei diesem Verfahren erweist sich die Variablenselektion jedoch als instabil, sobald man die Stichprobenzusammensetzung variiert [1].

In der vorliegenden Analyse sollte die Modellierung der Therapieentscheidung zu einer stabilen Selektion relevanter Einflussfaktoren führen und gleichzeitig gut interpretierbar sein. Unter verschiedenen Ansätzen des „machine learning“ wählten wir daher das „model-based boosting“ [12], das bislang vorwiegend in der Auswertung hochdimensionaler Daten, wie z. B. genomweiten Assoziationsstudien, eingesetzt wird [13]. Unter mehreren Modellklassen wurde zur Untersuchung der Therapieentscheidung eine binär-abhängige Variable ausgewählt. Dadurch können Kovariableneffekte nach Transformation analog zur multiplen logistischen Regression als Odds Ratios (OR) interpretiert werden. Wir übersetzen Odds mit „Chance“ im neutralen statistischen Sinn. Für technische Details von Boosting-Algorithmen verweisen wir auf [2]. In Kürze dargestellt: Die Variablenselektion erfolgt bei diesem Ansatz implizit. Beginnend mit einem Nullmodell (d. h. ohne Kovariablen), werden sukzessive nur solche Kovariablen hinzugefügt, die maximal zu einer Modellverbesserung beitragen. Anhand der Reihenfolge der Kovariablenaufnahme ist eine Beurteilung der Relevanz der einzelnen Einflussfaktoren möglich. Sobald keine Modellverbesserung mehr erreicht wird, stoppt der Algorithmus. Das Stopp-Kriterium der Boosting-Iterationen wurde in dieser Untersuchung mit der Funktion cvrisk aus dem Programmpaket mboost bestimmt [12].

Um die Variablenselektion gegenüber Stichprobenvariationen zu stabilisieren und damit die Generalisierbarkeit der Ergebnisse zu erhöhen, wurde das Boosting-Verfahren mit einem Resampling-Verfahren („stability selection“, [11]) kombiniert. Wir verwendeten die frei zugängliche Software R Version 3.0.3 [20] und das Programmpaket mboost [12]. Die Ergebnisse des Boosting-Ansatzes werden im Vergleich mit den Ergebnissen einer multiplen logistischen Regression dargestellt. Datenmanagement und multiple logistische Regressionen wurden mit SAS Version 9.4 durchgeführt.

Multiple logistische Regression für Effekte der Sozialschicht

Weiterführend modellierten wir den Einfluss verschiedener sozialer Merkmale auf die Therapieentscheidung mittels multipler logistischer Regression mit dem Ziel, die genannten Effekte möglichst unverzerrt schätzen zu können. Die Auswahl der Kovariablen folgte hier einem anderen Prinzip. Es waren nicht die Variablen zu berücksichtigen, die die Therapieentscheidung besonders gut erklären, sondern es interessierten Confounder, also Störfaktoren oder Adjustierungsvariablen. Die notwendigen Adjustierungsvariablen wurden mit gerichteten, azyklischen Graphen ausgewählt, unterstützt durch das webbasierte Hilfsmittel DAGitty [8, 17, 23].

Ergebnisse

Charakteristika der Patienten

Für die Analyse standen im Zeitraum 2001 bis 2003 Daten von 1781 Biologika-naiven Patienten zur Verfügung, 2004 bis 2006 waren es 2781 und 2009 bis 2015 4951 Patienten. Der Anteil der Biologikagruppe an der untersuchten Population war in den 3 Zeiträumen ähnlich (60,6; 61,6 und 59,4 %). Die verwendeten bDMARDs bestanden anfangs mit 94,0 % bzw. 99,6 % fast ausschließlich aus TNF-α-Inhibitoren. Im Zeitraum 2009 bis 2015 sank dieser Anteil auf 83,3 %.

Patienten der Biologikagruppe hatten im Durchschnitt über alle Zeiträume mehr Therapieversagen (2,7 vs. 1,5) als die der csDMARD-Gruppe und waren mit höheren Glukokortikoiddosen (5,9 vs. 3,9 mg/Tag) vorbehandelt. Ihr DAS28 war höher (5,4 vs. 4,8), Fatigue (5,5 vs. 4,9) und Schmerz (6,2 vs. 5,7) waren stärker, die Funktionskapazität war geringer (62 vs. 69) und die Erkrankungsdauer länger (10,3 vs. 7,5 Jahre). Der Anteil seropositiver RA war in der Biologikagruppe deutlich höher (76 vs. 64 %).

Biologikapatienten waren jünger (55 vs. 58 Jahre). Unter ihnen war der Anteil mit niedriger Schulbildung geringer (41 vs. 45 %), ebenso der Anteil der Erwerbstätigen (62 vs. 66 %), während der Anteil der privat Versicherten höher ausfiel (7,0 vs. 3,4 %). In beiden Therapiegruppen waren etwa drei Viertel der Patienten weiblich (mit Ausnahme 2001 bis 2003: 81 % Frauen in der Kontrollgruppe).

Einige Begleiterkrankungen hatten unter Biologikapatienten eine höhere Prävalenz als unter csDMARD-Patienten: Dies waren chronische Nieren- und Lebererkrankungen, Herzinsuffizienz und Osteoporose. Maligne Vorerkrankungen waren zunächst in der Biologikagruppe seltener, ab 2009 aber etwas häufiger als in der csDMARD-Gruppe.

Die Patientencharakteristika in der Biologikagruppe veränderten sich im Zeitverlauf: Die mittlere Krankheitsdauer ging von 11,9 Jahren auf 9,1 Jahre zurück. Die mittlere Zahl bisheriger DMARD-Versagen sank von 3,6 auf 2,2, der DAS28 von 6,0 auf 5,0, die Glukokortikoiddosis von 7,0 auf 5,3 mg. Der mittlere FFbH stieg von 53,7 % auf 66,3 %, der Anteil der Erwerbstätigen von 51,8 % auf 69,3 %. Osteoporose wurde im Zeitverlauf seltener diagnostiziert. Ähnlich günstige Entwicklungen zeigten sich auch in der Ausgangssituation der csDMARD-Patienten. In beiden Therapiegruppen stieg das mittlere Alter um 2 bis 3 Jahre (Tab. 1).

Tab. 1 Patientenmerkmale bei Einschluss in RABBIT nach Einschlussjahr und -therapie

Therapieentscheidung

Es zeigt sich übereinstimmend in allen Einschlusszeiträumen, dass die Chance auf das erste bDMARD mit der Anzahl vorheriger csDMARD-Versagen, dem DAS28 und der Glukokortikoiddosis anstieg (OR > 1), mit zunehmendem Alter und besserer Funktionskapazität hingegen abnahm (OR < 1) (Tab. 2; OR Boosting).

Tab. 2 Logistische Regression der Biologikaerstverordnung im Vergleich zum Boosting-Modell

Es fanden sich einige Unterschiede im Zeitverlauf: Ab 2009 wurden Biologika bei Patienten mit bestehender Herzinsuffizienz signifikant häufiger verordnet als in den Episoden zuvor. In den Jahren 2004 bis 2006 führte eine frühere Krebserkrankung eher zu Zurückhaltung hinsichtlich einer Biologikatherapie (OR = 0,80), ab 2009 war dies nicht mehr der Fall. Ein positiver Rheumafaktor erhöhte ab 2004 die Chance auf ein bDMARD. Auch wurden seitdem Patienten mit moderatem DAS28 (zwischen 3,2 und 5,1) eher mit einem bDMARD therapiert, und seit 2009 auch Patienten mit mittlerer Glukokortikoiddosis (5–7,5 mg/Tag). Männliche Patienten hatten anfänglich eine doppelt so hohe Chance auf ein bDMARD (OR = 2,01) wie weibliche, ab 2004 war dies nicht mehr der Fall. PROs wie Fatigue und Schmerzstärke waren in keinem der Einschlusszeiträume maßgeblich für die Verordnung eines bDMARD.

Vergleicht man in Tab. 2 die OR der logistischen Regression mit den OR des Boosting-Modells, erhält man Aufschluss darüber, wie sich das vollständige logistische Modell durch das Boosting und Resampling in der Anzahl der Kovariablen reduziert. In den frühen Einschlusszeiträumen entfallen durch das Boosting auch einige signifikante Kovariablen (Nierenerkrankung, in 2001 bis 2003: Lebererkrankung). Im Zeitraum 2009 bis 2015, mit höheren Fallzahlen, bestehen zwischen dem Boosting-Modell und der logistischen Regression nur marginale Unterschiede, sodass keine Variablenselektion stattfand (Tab. 2).

Abb. 1 stellt den Iterationsprozess des Boosting-Verfahrens für 2009 bis 2015 dar. Die Abbildung ist von links nach rechts zu lesen, wobei die stufenartig verlaufenden Linien die fortlaufende Anpassung der jeweiligen Koeffizienten beschreiben. Betrachtet man Linie für Linie, wird deutlich, in welchem Iterationsschritt (X-Achse) eine Variable ins Modell aufgenommen wurde. Je früher eine Variable aufgenommen wurde, desto bedeutender ist sie für die Modellverbesserung. Die Rangfolge ist zusätzlich in der Legende angegeben. In allen 3 Einschlusszeiträumen gingen zuerst die Anzahl bisheriger csDMARDs in das Modell ein, gefolgt von hoher Glukokortikoiddosis und hohem DAS28 (ohne Abbildung für 2001 bis 2003 und 2004 bis 2006) (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Boosting-Modell der Biologikaerstverordnung 2009 bis 2015. csDMARDs konventionelle synthetische krankheitsmodifizierende Medikamente, GC Glukokortikoide, DAS28 Disease Activity Score, neg. negativ, FFbH Funktionsfragebogen Hannover

Einfluss der Sozialschicht

Abschließend wurden Effekte verschiedener sozialer Merkmale auf die Biologikaerstverordnung mittels logistischer Regression untersucht. Es zeigte sich, dass eine private Krankenversicherung die Chance auf ein bDMARD verdoppelte (OR = 2,14). Hohe im Vergleich zu niedriger Schulbildung erhöhte die Chance um den Faktor 1,27. Erwerbstätigkeit erhöhte bei gleicher Funktionsfähigkeit, Krankheitsaktivität und Anzahl vorheriger csDMARD-Versagen die Chance auf ein bDMARD um den Faktor 1,2 (Tab. 3).

Tab. 3 Effekte von Krankenversicherung, Schulbildung und Erwerbsstatus auf die Biologikaerstverordnung mittels logistischer Regression

Diskussion

Therapiewechsel sind typische Situationen in der Versorgung von RA-Patienten. In der vorliegenden Arbeit wurden 9513 Therapiewechsel von RABBIT-Patienten untersucht. So konnten Faktoren, die die Erstverordnung von bDMARDs beeinflussen, ermittelt und im zeitlichen Verlauf beschrieben werden.

Unmittelbar nach der Zulassung der ersten bDMARDs wurden diese vorrangig bei schwer erkrankten Patienten nach mehreren Therapieversagen eingesetzt. In den Folgejahren veränderte sich das Spektrum der mit bDMARDs behandelten Patienten hin zu einem früheren Einsatz [10, 14]. Der „Treat-to-target-Ansatz“ nach nationalen und internationalen Empfehlungen sieht inzwischen vor, RA-Patienten nach Diagnosestellung möglichst schnell in Remission oder niedrige Krankheitsaktivität zu bringen [22]. Diese Entwicklung wird durch die RABBIT-Patienten abgebildet. Wir sahen ab 2004 die Verordnung von bDMARDs auch bei moderater Krankheitsaktivität, ab 2009 auch bei mittlerer Glukokortikoiddosis.

Weibliche und ältere Patienten hatten anfangs eine geringere Chance auf das erste bDMARD. Für ältere Patienten lässt sich dies im Kontext von Arzneimittelsicherheit interpretieren: Das Sicherheitsprofil der Biologika war bei älteren, teils komorbiden Patienten unzureichend erforscht. Bezüglich des Geschlechts sind mehrere Interpretationen möglich: u. a. die Zurückhaltung weiblicher Patienten gegenüber neuartigen Medikamenten oder die Berücksichtigung des Erwerbsstatus der Patienten durch den Rheumatologen. Mit zunehmender Erfahrung in der Anwendung der Biologika gingen beide Effekte zurück. Mittlerweile erhalten auch komorbide Patienten (z. B. nach Krebserkrankung oder mit Herzinsuffizienz) häufiger bDMARDs. Trotz weiter bestehender Kontraindikation gegen Certolizumab, Adalimumab, Infliximab und Golimumab bei NYHA Grad III/IV spiegelt die gestiegene Verordnungsrate von Biologika bei Patienten mit Herzinsuffizienz die gewachsene Erfahrung in der Behandlung dieser Patienten und deren hohen Therapiebedarf wider.

Subjektive Beschwerden des Patienten wie Schmerz, Fatigue oder Funktionseinschränkung sind aus Sicht der Leitlinien keine vorrangigen Kriterien für die Therapieentscheidung. Der hier belegte marginale Einfluss dieser PROs auf die Biologikaverordnung ist daher folgerichtig. Dennoch sind bDMARDs geeignet, diese patientenrelevanten Endpunkte zu beeinflussen [3, 15].

Biologika sind innovativ und teuer. Patienten in Ländern mit niedrigem Bruttoinlandsprodukt haben nach einer Untersuchung in 46 europäischen Ländern kaum Zugang zu bDMARDs [18, 19]. Studien aus den USA berichten eine hohe Assoziation zwischen dem Versicherungsstatus als Ausdruck sozialer Schichtzugehörigkeit der Patienten und der Chance auf die Verordnung von bDMARDs [9, 21]. Im Rahmen des deutschen Sozialversicherungssystems sind solche Formen der Unterversorgung oder Benachteiligung nicht zu erwarten. Dennoch sahen wir bei gleichen klinischen Charakteristika eine erhöhte Chance auf ein bDMARD bei Erwerbstätigkeit und bei hoher im Vergleich zu niedriger Schulbildung. Die geringere Chance bei gesetzlich versicherten Patienten ist mutmaßlich Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsgebotes und der zumindest zwischenzeitlich vorhandenen Sorge der Ärzte vor Regressforderungen.

Die Stärken der vorliegenden Analyse bestehen in der großen Fallzahl, der stabilen Selektion erklärender Variablen und der Berücksichtigung des zeitlichen Wandels. Es konnten jedoch nicht alle Bedingungen, die in der Entscheidungssituation potenziell wichtig sind, untersucht werden. So waren z. B. die Patientenpräferenz und die prognostisch bedeutsame frühe und fortschreitende Gelenkerosion nicht in den Daten enthalten.

Schlussfolgerung

Die zunehmende Zahl von Therapieoptionen und die wachsende Erfahrung bei der Behandlung von Risikopatienten haben zu einer Ausweitung der Indikationsstellung für Biologika geführt. In Übereinstimmung mit den Leitlinien werden sie zur Erreichung zunehmend anspruchsvollerer Therapieziele wie niedrige Krankheitsaktivität und Remission selbst bei schwer kranken, komorbiden Patienten eingesetzt. Neben klinischen Einflussfaktoren auf die Entscheidung für ein erstes Biologikum zeigten sich auch demografische und soziale Versorgungsunterschiede, die vor dem Hintergrund des Kostendrucks plausibel erscheinen.