Robotische Lösungen zu Unterstützung und Anreicherung eines autonomen und zufriedenen Alters, v. a. des sehr hohen Alters, finden im öffentlichen Diskurs der schnell alternden Gesellschaft aktuell sehr viel Aufmerksamkeit. Abbildungen bzw. In-Szene-Setzungen von lächelnden älteren Menschen im direkten Austausch mit den unterschiedlichsten Roboterlösungen sind beinahe täglich in Print-Medien, Wissenschaftssendungen im Hörfunk, auch im TV, in Stellungnahmen von Seniorenverbänden, Alzheimer-Gesellschaften, auf Youtube und zwischenzeitlich auch vielfach in Beiträgen der vorliegenden Zeitschrift sowie Fachbeiträgen und -büchern anzutreffen.

Dabei finden sich – wie Sibylle Meyer et al. in ihrem „guest editorial“ schreiben – mehrheitlich realitätsfremde, Science-Fiction-artige Vorstellungen zur Robotik etwa dergestalt, dass ein Stahlkoloss mit allen Aktoren rasselnd eine ältere Dame die Treppe herunterträgt und dabei gequält lächelt. Abgesehen davon, dass flexibles und stabiles Treppengehen immer noch unglaubliche Rechenleistungen voraussetzt und insofern weit entfernt von einer überzeugenden robotischen Lösung ist, kann das jetzt vorliegende Schwerpunktheft der Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie (ZGG) zur assistiven Robotik für ältere Menschen auch dazu beitragen, zumindest in Professionskreisen solche „mentalen Kodierungen“ geradezurücken. Vielleicht wird das autonome Fahren als eine Art Hybrid von tradiertem Automobil und Mobilitätsroboter zu einem Erfolgsmodell gerade für ältere Menschen, obwohl in der Autoindustrie damit eher nicht geworben wird.

Im Beispiel des autonomen Fahrens als unspektakulärer Prototyp assistiver Robotik spiegeln sich Variabilität und Heterogenität robotischer Lösungen auch im Altersbereich wider; diese decken die Funktionen eines stillen Helfers, Interaktionspartners, „companions“ oder Gesundheitsberaters ab und umfassen sowohl autonom vor Ort entscheidende Systeme als auch Lösungen unter „remote control“ im Hintergrund [9,10,11]. Vor diesem Hintergrund greift es zu kurz, assistive Robotik ausschließlich im Pflegekontext oder in der Geriatrie anzusiedeln, obwohl dies sicherlich einer der wichtigsten Anwendungsbereiche sein wird [6,7,8]. Mittel- und langfristig geht es beim Einsatz assistiver Robotik ebenfalls um nichtpflegebedürftige alte Menschen im Dienste einer bestmöglichen Autonomie und Lebensqualität sowie um die Nutzung von Präventionspotenzialen.

Dem übergeordneten Thema der (noch mangelnden) Digitalisierung des Alters kommt durch den jetzt veröffentlichten Achten Altersbericht [4] viel Aufmerksamkeit zu. Der Begriff Robotik wird in diesem 100-seitigen Bericht mehr als 100-mal verwendet, was die Bedeutung gerade dieser Thematik im digitalen Kontext unterstreicht. Bemerkenswert ist das im Altersbericht enthaltene eigenständige Kapitel zu Forschungsfragen und -methoden für die aktuellen und zukünftigen digitalen Trends mit Bedeutung für ältere Menschen. Als Kommissionsmitglied (H.-W. W.) darf hierzu bei aller Vertraulichkeit vermerkt werden, dass die Kommission lange darüber diskutiert hat, ob es ein solches, vielleicht am Ende als „abgehoben“ wahrgenommenes Kapitel überhaupt geben sollte. Vor dem Hintergrund der positiven Rezeption der Bundesregierung – die entsprechende Stellungnahme ist dem eigentlichen Bericht vorangestellt – kann sich in diesem Punkt nicht nur die Kommission bestätigt fühlen. Für die gerontologische und geriatrische Fachgemeinschaft ergeben sich daraus neue Forschungsaufgaben.

Noch erscheint aber assistive Robotik als gerontologisch-geriatrisches Forschungsfeld eher als „spröde“ wahrgenommen zu werden. Vorherrschend ist eine reservierte Haltung, inwieweit es sich hier überhaupt um einen ernstzunehmenden Forschungstopos handelt. Die Belastbarkeit der Forschungsbefunde und ihre wissenschaftliche Halbwertszeit werden hinterfragt, da sich digitale Technikgenerationen überaus schnell verändern und erst wenige nachhaltige Standards und Richtlinien etabliert sind. Statt anwendungsbezogener Forschung erscheinen kommerziell arbeitende Evaluationsinstitute, vielleicht der Stiftung Warentest oder anderer zertifizierten Prüfstellen, als sinnvollere Alternative.

Solcher Skepsis und forscherischer Passivität stehen die in dieser Ausgabe vorliegenden Beiträge entgegen. Gemeinsam, rasch und flexibel müssen sich die forschende Gerontologie und Geriatrie den Fragen, Möglichkeiten, und dabei sowohl ermutigenden Ergebnissen als auch fehlenden Daten und ablehnender Skepsis in der Öffentlichkeit, in Professionen, und manchmal auch in der Politik, stellen. Wünschenswert wäre insofern:

  • eine intensive gerontologische und geriatrische Aufmerksamkeit für das, was sich in der assistiven Robotik forschungsbezogen tatsächlich tut;

  • eine ernsthafte und andauernde kritisch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den vorliegenden Studien und Befunden;

  • ein komplementäres Einbringen spezifischer Standards und von Fachwissen in die stark technisch ausgerichtete Robotikforschung als methodisches Weiterentwicklungspotenzial der eigenen Fachdisziplin.

Akademisch entwickelt sich mehr und mehr die Situation, dass zentrale Konzepte der Geriatrie, wie z. B. das der Frailty, in puncto Prävention, Früherkennung, Intervention ohne künstliche Intelligenz (KI) und Robotik nur schwer fruchtbar diskutierbar sind. In gleicher Weise erscheinen in der Gerontologie Forschungsprojekte zu Einsamkeit, Autonomie und Wohlbefinden im späten Leben ohne direkte Bezugnahme auf technologische Kontexte, soziale Medien und „robot companions“ zunehmend unvollständig [12]. Weiter ist der akademische Diskurs über das immer prävalenter werdende Vierte Alter und seine Herausforderungen in Bezug auf „agency“, hochwertige und entwicklungsfördernde Pflege sowie Würde [1, 5, 13] wohl schon bald ohne den thematischen Einbezug von intelligenten Assistenzsystemen – oft robotischer Natur – kaum mehr zu führen.

Es besteht die Gefahr, dass diesbezüglich in der Gerontologie und Geriatrie etwas verpasst wird, denn das Momentum ist genau jetzt aktiv und jetzt gestaltbar:

  • Aktuell existiert zumindest „substanziell beginnende Evidenz“ zu Alter, Technik und Robotik.

  • Der jetzt erschienene Achte Altersbericht der Bundesregierung zu „Ältere[n] Menschen und Digitalisierung“ – ist ein konkreter sowie für Gerontologen*innen und Geriater*innen geeigneter Forschungskompass.

  • Die tragischen Auswirkungen sozialer Isolation durch die „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) müssen kein einmaliges Ereignis bleiben, sondern können in ähnlicher Form wiederkehren. Hier muss durch eine weiterentwickelte Digitalisierung Vorkehrung getroffen werden (s. COVID-19 und Heime, [2, 3]).

  • Schließlich müssen Gerontologen*innen und Geriater*innen sich eingestehen, dass sog. Digitalpakte bislang nur wenig Konkretes für die 17 Mio. Älteren bzw. 3,4 Mio. Pflegebedürftigen bzw. für ihre Angehörigen und die involvierten Professionellen in Deutschland geleistet haben. Hier sind die Fachgesellschaften aufgefordert, ihre Stimme zu erheben und aktiv das Thema Digitalisierung und Alter mitzugestalten.

Fazit für die Praxis

  • Es ist wünschenswert, dass Themenschwerpunkte wie der jetzt vorliegende zur „assistiven Robotik für ältere Menschen“ nicht nur in ihrer wissenschaftlichen Bedeutung gewürdigt werden, sondern auch einen Weckrufcharakter übernehmen.

  • Nochmals: In der wissenschaftlichen Gerontologie und Geriatrie dürfen diese Entwicklungen nicht verschlafen werden, sondern, im Gegenteil, sie müssen mit Pioniergeist jetzt (oder nie) aufgegriffen und proaktiv mitgestaltet werden.

  • Dies kann durch weitere Forschungsanstrengungen, Wirken in die Öffentlichkeit und die Verwertung von klinischen und pflegerischem Praxiswissen mit jeweils Rückspeisung in Entwicklung und Forschung geschehen.