Zusammenfassung
Hintergrund
Vor dem Hintergrund der demografischen Alterung wird der Bedarf an professioneller und privater Pflege zukünftig steigen. Aus Gründen der Kostendämmung verlagern viele Wohlfahrtsstaaten Pflege in die Familie, sodass die Zahl Pflegender, die Pflegebedürftige zu Hause privat und unentgeltlich betreuen („familiäre Pflege“ im Folgenden), voraussichtlich zunehmen wird. Weiterhin ziehen viele Pflegebedürftige die familiäre Pflege der institutionellen vor. Bisher stellen die Folgen der familiären Pflege für die Arbeitsmarktsituation der Pflegenden im Allgemeinen und den individuellen Lohn im Speziellen jedoch weitestgehend ein Forschungsdesiderat dar.
Fragestellung
In diesem Beitrag wird untersucht, ob, und wenn ja in welchem Ausmaß, sich familiäre Pflege auf die Löhne von Frauen und Männern auswirkt.
Material und Methoden
Mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (2001–2017) wurden für Frauen und Männer getrennte Fixed-Effects-Regressionen geschätzt; dabei erfolgte die Kontrolle auf relevante Störfaktoren.
Ergebnisse
Sowohl für Frauen (2,4 %) als auch für Männer (3 %) ergeben sich Lohneinbußen durch familiäre Pflegetätigkeiten.
Schlussfolgerung
Die vorliegenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass erhebliche unerklärte pflegebedingte Lohneinbußen für Männer und Frauen, nach Kontrolle relevanter Merkmale, bestehen.
Abstract
Background
Against the background of demographic aging, the need for professional and private care will increase in the future. To contain costs many welfare states rely on the family as care provider and, in addition, people in need of care often prefer being cared for at home. Thus, the number of people who provide care privately and without pay in the home environment (referred to as family care in this article) is likely to increase. So far, however, research on the impact of family care on the labor market situation of caregivers in general and their wages in particular remains scarce.
Objective
This article examines whether and if so to what extent, family care affects the wages of women and men.
Material and methods
Using data from the German Socio-Economic Panel (2001–2017), fixed effects regressions were estimated separately for women and men, while accounting for important confounders.
Results
Both women (2.4%) and men (3%) suffer wage losses as a result of family care activities.
Conclusion
The results indicate that care-related wage losses, net of relevant controls, exist.
Notes
Als familiäre Hilfe- oder Pflegetätigkeiten wird im vorliegenden Beitrag die Gesamtheit an Fürsorgetätigkeiten definiert, die Privatpersonen unentgeltlich erbringen, um die Gesundheit, das Wohlbefinden oder die Lebensqualität von Familien- oder Netzwerkmitgliedern aufrechtzuerhalten, die schwer oder chronisch erkrankt sind, die mit einer Behinderung oder mit altersbedingten Beeinträchtigungen leben.
Basierend auf gängigen sprachlichen Normen der Arbeitsmarktforschung werden die Begriffe Stundenlohn und Lohn synonym verwendet; gemeint ist dabei jedoch immer der Bruttostundenlohn.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die im Analyse-Sample verbleibenden Personen mit Variation auf Pflege nicht bereits vor dem Beobachtungszeitraum Angehörige gepflegt haben, da die Daten linkszensiert sein können. Dies birgt die Gefahr, dass der Schätzer konservativ ist, d. h., im Zweifel unterschätzen die angewandten Modelle die „care penalty“ sogar.
Des Weiteren wurden Beobachtungen von Personen nach Beendigung der ersten Pflegeepisode ausgeschlossen. Damit soll sichergestellt werden, dass die errechnete Lohneinbuße nur auf die erste Pflegeepisode zurückzuführen ist und keinen kumulierten Lohnnachteil darstellt, der durch die Akkumulation von mehreren Pflegeepisoden zustande kommen könnte.
Bisher ist die Wirksamkeit des „(Familien‑)Pflegezeitgesetzes“ fraglich. Im Jahr 2018 haben 122 Pflegepersonen ein zinsloses Darlehen im Rahmen der Pflegezeit und 86 Pflegepersonen im Rahmen der Familienpflegezeit aufgenommen. Die Zahl aufgenommener Darlehen lässt jedoch keine Rückschlüsse auf die Zahl der Personen zu, die eine „(Familien‑)Pflegezeit“ nehmen, da Pflegepersonen in der „(Familien‑)Pflegezeit“ nicht unbedingt ein Darlehen beantragen [8].
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U. Ehrlich, L. Minkus und M. Hess geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Tabelle A1: Differenz der Koeffizienten von Männern und Frauen, basierend auf vollinteragierten Fixed-Effects-Regressionen mit robusten Standardfehlern
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Ehrlich, U., Minkus, L. & Hess, M. Einkommensrisiko Pflege? Der Zusammenhang von familiärer Pflege und Lohn. Z Gerontol Geriat 53, 22–28 (2020). https://doi.org/10.1007/s00391-019-01666-5
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