Einleitung

In der Vergangenheit hat sich die rechtsmedizinische körperliche Untersuchung lebender Personen zu einem elementaren Bestandteil der rechtsmedizinischen Routine entwickelt. Ziel der klinischen Rechtsmedizin ist es, Verletzungen, die durch fremde Gewalt verursacht wurden, umfassend und exakt zu dokumentieren, ggf. Spuren zu sichern und die Verletzungsmuster gutachterlich zu bewerten [10]. Nicht in jedem Fall erfolgt zeitnah eine rechtsmedizinische körperliche Untersuchung im Auftrag der Strafverfolgungsbehörden. Insbesondere in Fällen häuslicher Gewalt erstattet nur ein Bruchteil der Betroffenen unmittelbar eine Strafanzeige. Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen aus dem Jahr 1992 ergab, dass lediglich 9 % aller Fälle von häuslicher Gewalt durch die betroffenen Frauen zur Anzeige gebracht wurden [17]. Dies liegt u. a. darin begründet, dass Frauen den Kontakt zu den Ermittlungsbehörden aus Furcht vor einer möglichen Eskalation der Gewalt sowie einer Zerstörung der Familie mit ggf. einer Wegnahme der Kinder trotz wiederholter und langjähriger Gewalterfahrungen in der Partnerschaft vermeiden [13]. Selbst gegenüber ihren behandelnden Ärzten sprechen weniger als 10 % der betroffenen Frauen ihre Gewalterfahrungen an, da sie sich „nicht trauen“ oder annehmen, dass die Problematik für den behandelnden Arzt nicht relevant ist [6].

Eine Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA-Studie) aus dem Jahr 2014 wies für Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Mitgliedsstaaten eine mittlere bis hohe Prävalenz von häuslicher Gewalt für Frauen aus [4]. Nach der Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts waren 2015 von 127.457 Fällen erfasster Partnerschaftsgewalt 82 % der Betroffenen weiblich [2]. Dies macht die dringende Notwendigkeit für niederschwellige Angebote deutlich, die den von Gewalt betroffenen Frauen die Möglichkeit geben, ihre Gewalterfahrungen in einem geschützten Rahmen zu offenbaren und ihre Verletzungen gerichtsfest dokumentieren zu lassen – insbesondere dann, wenn keine Anzeige erstattet wurde und somit die Möglichkeit einer polizeilich angeordneten Dokumentation entfällt [20]. Zu diesem Zweck wurden in den letzten Jahren an den rechtsmedizinischen Instituten in Deutschland „Gewaltopferambulanzen“ etabliert. Diese Einrichtungen offerieren niederschwellig eine gerichtsfeste Verletzungsdokumentation.

Mit dem Inkrafttreten des Gewaltopferschutzgesetzes im Jahr 2002 wurden zunehmend mehr Gewaltopferambulanzen an den deutschen rechtsmedizinischen Instituten implementiert [5]. In Vorpommern wurde die Gewaltopferambulanz Ende des Jahres 2010 im Rahmen der Auftaktveranstaltung der „Antigewaltwoche“ in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald gegründet.

Eine rechtsmedizinische Verletzungsdokumentation erfasst entgegen einer klinischen Dokumentation Verletzungen unter forensischen Gesichtspunkten. Die rechtsmedizinischen Institute in Deutschland praktizieren im Rahmen der Gewaltopferversorgung ein insgesamt sehr ähnliches Vorgehen [1, 3]. So werden beispielsweise Verletzungen wahrgenommen und festgehalten, die möglicherweise unter klinischen Aspekten als nichtrelevant erscheinen, jedoch aus forensischer Sicht Hinweise auf den Tathergang liefern können. Eine Untersuchung aus Düsseldorf zeigte in diesem Zusammenhang, dass niedergelassene und klinisch tätige Ärzte Hilfsbedarf bei der erforderlichen Dokumentation haben [14]. Die angefertigte Dokumentation wird im Institut für Rechtsmedizin Greifswald zeitlich unbegrenzt aufbewahrt. Außerdem besteht für die Betroffenen die Möglichkeit, Spuren asservieren zu lassen. Bei Bedarf können Empfehlungen für weiterführende ärztliche Untersuchungen und Informationen zu Opferschutzinstitutionen und -angeboten gegeben werden. Die Untersuchung unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.

Die vorliegende Untersuchung soll zeigen, welchen Stellenwert Frauen im Untersuchungsgut der Gewaltopferambulanz Greifswald einnehmen, und Ansatzpunkte definieren, um die Erreichbarkeit gewaltbetroffener Frauen zu verbessern. Dazu wurde eine retrospektive Querschnittsstudie der in diesem Zusammenhang erfassten Daten aus den Jahren 2010–2017 aus dem Institut für Rechtsmedizin Greifswald (IREM) durchgeführt.

Material und Methoden

Grundlage der vorliegenden Untersuchung sind die im Rahmen der Gewaltopferambulanz des IREM Greifswald in einer Microsoft-Excel-Datenbank erfassten Daten. In einer retrospektiven Querschnittsuntersuchung wurden die Daten von insgesamt 731 Personen im Untersuchungszeitraum 2011–2017 anonymisiert ausgewertet. Relevante Analysekriterien waren, soweit sie in den entsprechenden Falldokumentationen erfasst waren, die Entwicklung der Untersuchungszahlen sowie die allgemeine Alters- und Geschlechtsverteilung. Gesondert für weibliche Betroffene ab Vollendung des 18. Lebensjahres wurden die Untersuchungsanlässe, Untersuchungsorte und die Zuweiser der Untersuchungen sowie die Art der Gewalteinwirkung betrachtet. Fälle, in denen einzelne Kriterien nicht dokumentiert waren, wurden für die entsprechende Auswertung ausgeschlossen. Die deskriptive Analyse der erhobenen Daten erfolgte mittels Pivot-Tabellen in Microsoft Excel (Microsoft Corporation, Redmond, WA, USA).

Ergebnisse

Entwicklung der Untersuchungszahlen

Insgesamt stellten sich im Untersuchungszeitraum 731 Personen in der Gewaltopferambulanz des IREM Greifswald vor, von denen 215 Personen Frauen ab dem 18. Lebensjahr waren. Im zeitlichen Verlauf konnte zwischen 2011 und 2017 ein deutlicher, kontinuierlicher Anstieg der Fallzahlen festgestellt werden. So wurden 2011 und 2012 je 65 Untersuchungen durchgeführt, während 2015 bereits 106 Untersuchungen stattfanden. Ein deutlicher Sprung in den Fallzahlen (+43 %) konnte 2016 mit insgesamt 152 Untersuchungen festgestellt werden (Abb. 1a).

Abb. 1
figure 1

Entwicklung der Untersuchungszahlen sowie Alters- und Geschlechtsverteilung. a Zeitliche Entwicklung der Untersuchungszahlen, b prozentuale Verteilung der Untersuchungszahlen, c Alters- und Geschlechtsverteilung

Prozentuale Verteilung der Untersuchungszahlen

Es wurde untersucht, wie sich die geschlechtsspezifische Entwicklung der Untersuchungszahlen im Zeitraum 2011–2017 darstellte. Zur Vollständigkeit wurden die Kinder und Jugendlichen bis zum 17. Lebensjahr, unabhängig vom Geschlecht, mitaufgenommen. Hier zeigte sich, dass die Zahl der untersuchten Kinder im Durchschnitt bei etwa 40 % lag. Bei geschlechtsspezifischer Betrachtung der untersuchten Erwachsenen lässt sich feststellen, dass zunehmend mehr Frauen untersucht werden. So betrug der Anteil der Frauen zu Beginn der Etablierung der Gewaltopferambulanz (2011–2014) zwischen 40 und 44 %, während 2015 erstmalig mehr Frauen als Männer (52 % vs. 48 %) untersucht worden sind. Während der bisher höchste Anteil der untersuchten Frauen an der Gesamtzahl der untersuchten erwachsenen Personen im Jahr 2016 bei 70 % lag, betrug dieser im Jahr 2017 65 % (Abb. 1b).

Alters- und geschlechtsspezifische Verteilung

Es wurde weiterhin untersucht, wie sich die alters- und geschlechtsspezifische Verteilung der untersuchten männlichen und weiblichen Personen in der Gewaltopferambulanz insgesamt darstellte. Hierzu wurden die Betroffenen in die Alterskategorien 0 bis 9 Jahre, 10 bis 18 Jahre, 19 bis 25 Jahre, 26 bis 35 Jahre, 36 bis 50 Jahre und >50 Jahre unterteilt. Hier war ein Überwiegen des Anteils erwachsener Frauen in den Altersgruppen 26 bis 35 Jahre (♀ 60 % vs. ♂ 40 %), 36 bis 50 Jahre (♀ 57 % vs. ♂ 43 %) und bei den über 50-jährigen (♀ 52 % vs. ♂ 48 %) festzustellen. Ein höherer Männer- als Frauenanteil zeigte sich v. a. in der Gruppe der jungen Erwachsenen im Alter von 19 bis 25 Jahren (♀ 42 % vs. ♂ 58 %) (Abb. 1c).

Zuweiser

Um ein besseres Verständnis hinsichtlich der Zuweisungswege insbesondere gewaltbetroffener Frauen zu erlangen, wurden die Fälle von untersuchten Frauen (n = 215) in die Kategorien „Selbstvorstellung“ und „Klinik“ unterteilt. In die Kategorie „Klinik“ wurden dabei alle Fälle aufgenommen, bei denen die Betroffene konsiliarisch während eines stationären Aufenthalts in einer Klinik des Einzugsgebietes der Rechtsmedizin Greifswald, auf Anforderung der behandelnden Ärzte, durch einen Rechtsmediziner untersucht wurden. Dieser Anteil schwankt im Verlauf der Jahre etwas und lag zuletzt zwischen 10 und 20 %. Der Anteil der Frauen, die sich auf eigenen Wunsch bzw. selbstständig zur Untersuchung vorstellten, lag im gesamten Untersuchungszeitraum auf einem sehr hohen Niveau zwischen 67 % (2012) und 91 % (2017) (Abb. 2a).

Abb. 2
figure 2

Häufigkeitsverteilung von Zuweisern und Vermittlern. a Zuweiser untersuchte Frauen, b Vermittler bei Selbstvorstellung

Bei allen Frauen, die sich in der Gewaltopferambulanz selbstständig vorstellten, wurden außerdem Informationen zu den vermittelnden Institutionen erfasst. Zur Auswertung wurden hier die Gruppen „Interventionsstellen/Frauenhäuser“, „Krankenhäuser“, „niedergelassene Ärzte“, „Polizei“ und „Sonstige“ (Vermittlung durch Familienhelfer, Anwalt, Betreuer, Psychologe u. Ä.) gebildet. Besonders häufig wurden die Frauen über Interventionsstellen (72 Betroffene) an die Gewaltopferambulanz vermittelt. Durch Kliniken wurden 24 Betroffene vermittelt. Mit insgesamt 14 Betroffenen, die eine Empfehlung durch die Polizei erhielten, bildete dies die dritthäufigste Kategorie. Nur 9 Betroffene erhielten Informationsmaterial zur Gewaltopferambulanz durch niedergelassene Ärzte bzw. den Hausarzt (Abb. 2b).

Untersuchungsorte

Es wurde weiterhin ausgewertet, wo die Untersuchung der betroffenen Frauen (n = 211) stattfand. Die Untersuchungsorte wurden dabei in die Kategorien „Klinik“, „Institut“ (IREM), „Interventions- und Beratungsstelle“, „Frauenhaus“, „Häuslichkeit“ und „Sonstige“ (u. a. Praxis, Gesundheitsamt) eingeteilt. Bei der Auswertung zeigte sich, dass die betroffenen Frauen etwa gleich häufig in einem der umliegenden Krankenhäuser des Einzugsgebietes des IREM (30 %, 63 Betroffene) oder im IREM selbst (31 %, 65 Betroffene) untersucht wurden. Häufig wurden für die Untersuchung auch Räumlichkeiten von Interventions- und Beratungsstellen (27 %, 58 Betroffene) zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus fanden Untersuchungen weiblicher Gewaltopfer in Frauenhäusern (4 %, 8 Betroffene) statt (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Darstellung der Untersuchungsorte

Untersuchungsanlässe

Bei der Auswertung der Untersuchungsanlässe in Fällen, bei denen Frauen untersucht wurden (n = 215), wurde unterschieden, ob der Vorfall im häuslichen Rahmen stattfand (häusliche Gewalt), oder ob eine fremde Person, die nicht zum häuslichen Umfeld gehört, als Verursacher genannt wurde. Entsprechend diesem Ansatz wurden 4 Hauptgruppen gebildet: 1. „V. a. häusliche Gewalt“, 2. „V. a. Rohheitsdelikt“, 3. „V. a. sexuelle Gewalt“ und 4. „Sonstige“ (u. a. Verdacht auf Selbstbeibringung, V. a. Raubüberfall, V. a. Unfall). Im gesamten Untersuchungszeitraum überwog der Anteil von Untersuchungen bei Frauen wegen des Verdachts häuslicher Gewalt (>60 %). Ab dem Jahr 2015 und besonders im Jahr 2016 konnte eine deutliche Zunahme der Fälle in dieser Gruppe festgestellt werden (2016: 45 Betroffene, 79 %). Es zeigte sich, dass die Zunahme der Vorstellung bei Verdacht auf häusliche Gewalt proportional mit der Zunahme der Untersuchungszahlen weiblicher erwachsener Personen insgesamt erfolgte. Der Untersuchungsanlass „V. a. häusliche Gewalt“ stellt somit den häufigsten und damit bedeutsamsten Anlass bei der Untersuchung von erwachsenen Frauen dar. Der zweithäufigste Untersuchungsanlass bei Frauen war der Verdacht auf ein Rohheitsdelikt. Dieser war im Untersuchungszeitraum sehr variabel (bis 46 % im Jahr 2012), jedoch war in den Jahren 2016 und 2017 zu beobachten, dass sich dieser Vorstellungsgrund auf einen Anteil zwischen 7 und 15 % reduzierte. Relativ selten erfolgten Untersuchungen wegen des Verdachts auf sexuelle Gewalt (2–13 %) (Abb. 4a, b).

Abb. 4
figure 4

Auswertung der Untersuchungsanlässe und Gewaltarten. a Untersuchungsanlässe Frauen, b Entwicklung der Untersuchungsanlässe bei Frauen

Art der erfahrenen Gewalteinwirkung

Bei jeder Untersuchung wurde erfasst, durch welche Art der Gewalteinwirkung die festgestellten Verletzungen verursacht wurden. Es wurden die Kategorien „stumpfe Gewalteinwirkung“ (Schürfungen, Unterblutungen, Knochenbrüche u. Ä.), „scharfe Gewalteinwirkung“ (Stich- und Schnittverletzungen), „Halskompression“, „keine relevanten Verletzungen“ und die Kategorie „Sonstige“ (u. a. Schuss, Verätzung, thermische Verletzungen) festgelegt. Wenn bei einer Untersuchung mehrere Verletzungsarten vorlagen, erfolgte eine Mehrfachzuordnung jeweils zu den oben genannten Gruppen. Als Grundgesamtheit wurde somit die Gesamtzahl der festgestellten Gewaltarten angenommen. Die Analyse der Art der eingewirkten Gewalt im Rahmen der Untersuchung von Frauen (n = 205) zeigte, dass Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung mit 84 % den weitaus größten Anteil darstellten. Verletzungen nach Halskompression bildeten mit 8 % der festgestellten Gewaltarten die zweithäufigste Gruppe. Bei 4 % der untersuchten betroffenen Frauen konnten keine relevanten Verletzungen festgestellt werden, d. h., die Betroffenen wiesen keine oder ausschließlich für den Vorfall nichtrelevante Bagatellverletzungen auf (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Darstellung der Art der Gewalteinwirkung

Veranstaltungen zur Bekanntgabe

In den Jahren 2011–2017 wurden durch die Ärzte des IREM Greifswald insgesamt 132 Veranstaltungen (in der Regel Vorträge) durchgeführt, bei denen das Angebot zur niederschwelligen rechtsmedizinischen Untersuchung im Rahmen der Gewaltopferambulanz für Betroffene fremder Gewalt bekannt gegeben und über die Notwendigkeit dieser Untersuchungen informiert wurde. Am häufigsten wurden Ärzte und anderes medizinisches Personal (n = 44), gefolgt von Polizei und Justiz (n = 29) sowie Hilfseinrichtungen (n = 20), informiert. Ferner wurden auch öffentliche Veranstaltungen (n = 18) und Veranstaltungen für sonstige Interessierte wie Schulen, Kindereinrichtungen etc. (n = 21) durchgeführt (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Veranstaltungen zur Bekanntgabe der Gewaltopferambulanz

Diskussion

Im Untersuchungszeitraum zwischen 2011 und 2017 konnte ein kontinuierlicher Anstieg der Untersuchungszahlen, insbesondere der der weiblichen Betroffenen, beobachtet werden. Ab einem Alter >25 Jahren waren Frauen besonders häufig von Gewalt betroffen. Aus Sicht der Autoren markiert sich ab dieser Altersgruppe insbesondere die Betroffenheit von häuslicher Gewalt. Diese Zahlen belegen, dass die Gewaltopferambulanz am IREM Greifswald zunehmend die Zielgruppe (betroffene Frauen häuslicher Gewalt) erreicht. Ähnliche Ergebnisse konnten bereits andere rechtsmedizinische Institute erheben: Bei einer retrospektiven Auswertung der Daten der Untersuchungsstelle des Instituts für Rechtsmedizin Hamburg waren 70,1 % der untersuchten Frauen zwischen 2003 und 2009 Opfer von Gewalt in (Ex‑)Partnerschaften und sexueller Gewalt geworden [4]. Beachtenswert ist dieser Umstand v. a. deshalb, da gemäß einer repräsentativen Umfrage jede zweite von (häuslicher) Gewalt betroffene Frau in der Regel nicht über ihre Erfahrungen spricht [17]. Die Niederschwelligkeit der Gewaltopferambulanz kann hier das entscheidende Kriterium sein, dass diese Frauen sich dennoch in der Gewaltopferambulanz vorstellen.

Untersuchungen von Frauen wegen des Verdachts auf sexuelle Gewalt oder eines Rohheitsdelikts außerhalb häuslicher Gewalt waren deutlich seltener in unserem Untersuchungsgut.

Unsere retrospektive Analyse ergab außerdem, dass die vorherrschenden Verletzungen der weiblichen Gewaltopfer sich in unserem Untersuchungsgut überwiegend auf stumpfe Gewalteinwirkung zurückführen ließen, was sich mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen deckt. Wischmann et al. stellten in 79,9 % der Fälle als Ursache der Verletzungen stumpfe ungeformte Gewalteinwirkung fest [19]. Bei der genaueren Betrachtung der Verletzungsformen fanden Jungbluth et al. vorwiegend Hämatome bei den Betroffenen [7].

Die betroffenen Frauen wurden überwiegend im IREM oder in einer Klinik bzw. einer Beratungs- bzw. Interventionsstelle im Einzugsbereich untersucht. Anders als in Großstädten, wo eine fest installierte Gewaltopferambulanz ausreichend ist, erfordert dies in ländlichen Gegenden, wie dem östlichen Mecklenburg-Vorpommern (Landkreise Vorpommern-Greifswald, Vorpommern-Rügen, Mecklenburgische Seenplatte) eine mobile 24-h-Rufbereitschaft der Rechtsmedizin auch für die Gewaltopferambulanz [15]. Dies ist für die Rechtsmediziner jedoch mit einem hohen Fahr- und Zeitaufwand verbunden. Dennoch kann aus Sicht der Autoren nur so gewährleistet werden, dass die Betroffenen zeitnah untersucht werden und das Angebot seine Niederschwelligkeit behält. Zudem können auf diesem Weg auch eine zum Vorfallszeitpunkt möglichst zeitnahe Untersuchung und Befunddokumentation für die betroffenen Frauen ermöglicht werden, was beispielsweise in der Dokumentation von Petechien in Fällen von Halskompression essenziell ist [16].

Ein weiterer wesentlicher Faktor, der die Akzeptanz bei den Betroffenen verstärkt, ist, dass die Untersuchung, Dokumentation und Befundarchivierung sowohl in Greifswald als auch vielen weiteren Instituten in Deutschland, Österreich und der Schweiz für die Betroffenen kostenfrei sind [5]. Die Gegenfinanzierung der Gewaltopferambulanzen erfolgt bundesweit in unterschiedlichen Modellen [13]. Diese Möglichkeiten sind in der Regel nicht kostendeckend; hier muss offenbar regional für eine zukunftsträchtige Finanzierung gesorgt werden [9].

Es zeigte sich in unserer Auswertung, dass die weiblichen Opfer sich in 80–90 % der Fälle selbst, also auf eigene Initiative, vorstellten. Dies deckt sich mit einer Umfrage von Gahr et al. unter den rechtsmedizinischen Instituten in Deutschland, Österreich und der Schweiz, deren Auswertungen ergaben, dass sich durchschnittlich 86 % der Betroffenen selbst in den Gewaltopferambulanzen vorstellen [5]. Ein Grund hierfür kann neben den bereits oben genannten Faktoren (kostenlose und „Vor-Ort-Untersuchung“) auch wiederum die Niederschwelligkeit der Gewaltopferambulanz sein, die es den Frauen erlaubt, ihre Verletzungen in einem geschützten Rahmen dokumentieren zu lassen.

Es ist für die Frage der Erreichbarkeit von hoher Relevanz zu wissen, wer die Betroffenen zur Untersuchung vermittelte. Unsere Analyse ergab, dass ein großer Teil der Selbstvorstellungen durch Interventionsstellen gegen Gewalt, Frauenhäuser oder andere Hilfseinrichtungen an die Gewaltopferambulanz unseres Instituts vermittelt wurde. Dies zeigt, dass die Akzeptanz für das Angebot der Gewaltopferambulanz auch bei den Opferschutzorganisationen gestiegen ist. Sofern die Betroffenen sich noch nicht bei Opferschutzorganisationen vorgestellt haben, bietet sich auch im Rahmen der rechtsmedizinischen Befunddokumentation die Möglichkeit, Opfer von Gewalt über derartige Hilfseinrichtungen zu informieren und den Kontakt zu vermitteln.

Ein weiterer Weg der Vermittlung erfolgte durch ärztliche Kollegen in den umliegenden Kliniken. Dies belegt aus unserer Sicht die Bedeutung einer guten Vernetzung mit den ansässigen Kliniken im Einzugsgebiet. Ärzte stellen in dieser Hinsicht Vertrauenspersonen für Betroffene häuslicher Gewalt dar. Das unterstreichen Studien, die ergaben, dass v. a. Allgemeinmediziner [8], die Notaufnahmen [11] aber auch gynäkologische, pädiatrische oder unfallchirurgische Kliniken aufgesucht werden [9]. Sie nehmen somit eine Schlüsselrolle bei der Versorgung von Betroffenen häuslicher Gewalt ein.

Ansatzpunkte für eine Sensibilisierung der ärztlichen Kollegen bieten sowohl Schulungen durch die rechtsmedizinischen Institute als auch neue Konzepte für den Studentenunterricht. Beispielhaft wurde für den Modellstudiengang Medizin der Charité Berlin ein Konzept entwickelt, das Medizinstudenten im Blockunterricht die Gesprächsführung bei häuslicher Gewalt und in einer weiteren Lehrveranstaltung die Dokumentation und forensische Spurensicherung lehrt [18]. Die in den Jahren 2011–2017 durch uns durchgeführten Schulungen von Ärzten und medizinischem Personal, der Polizei und Justiz sowie Hilfseinrichtungen und der Öffentlichkeit zur Gewaltopferambulanz, aber auch zu der Erkennbarkeit von fremder Gewalt allgemein, haben aus Sicht der Autoren wesentlich zu dem bereits aufgezeigten Anstieg der Untersuchungszahlen beigetragen. Da bereits gezeigt werden konnte, dass rechtsmedizinische Expertise in der Regel durch klinische Kollegen nur in Anspruch genommen wird, wenn auch für den rechtsmedizinischen Laien erkennbare Verletzungen vorliegen [12], tragen die genannten Schulungen auch zur besseren Versorgung der Gewaltbetroffenen bei. Insbesondere auch Schulungen der Schutzpolizei sollten aus unserer Sicht nicht vernachlässigt werden, da unserer Erfahrung nach in vielen Fällen häuslicher Gewalt bereits (wiederholte) Polizeieinsätze stattgefunden hatten, eine rechtsmedizinische körperliche Untersuchung nach §81c StPO demgegenüber aber nur sehr selten angeordnet wird und die betroffenen Frauen auch nicht in jedem Fall anderweitig ärztlich vorstellig werden. In diesem Zusammenhang könnte auch die Schutzpolizei ein (weiterer) wichtiger Vermittler für die Gewaltopferambulanz werden.

Die oben genannten Punkte machen deutlich, dass die Hilfe für betroffenen Frauen multifaktoriell aufgebaut werden muss, da jede Profession einen anderen Versorgungsschwerpunkt hat und erst durch eine entsprechende Vernetzung eine umfassende Versorgung bei häuslicher Gewalt gewährleisten kann. Die Gewaltopferambulanzen der rechtsmedizinischen Institute spielen hier eine wichtige Rolle.

Fazit für die Praxis

  • Die rechtsmedizinische körperliche Untersuchung im Rahmen einer Gewaltopferambulanz ist ein notwendiges und nützliches Angebot, das (weiblichen) Betroffenen von Gewalt die Möglichkeit bietet, ihre Verletzungen in einem geschützten Rahmen gerichtsfest dokumentieren zu lassen.

  • Die rechtsmedizinischen Gewaltopferambulanzen haben eine hohe Bedeutung bei der umfassenden Versorgung von Betroffenen (häuslicher) Gewalt.

  • Schulungen von Ärzten und medizinischem Personal, der Polizei und Justiz sowie Hilfseinrichtungen und auch der Öffentlichkeit sind sinnvoll und wirkungsvoll, um Betroffene zu erkennen und zu erreichen.

  • Eine sinnvolle Lösung zur Finanzierung dieser Angebote muss dringend gefunden werden, um den rechtsmedizinischen Instituten auch weiterhin die Möglichkeit zu geben, dieses Angebot aufrechtzuerhalten und weiter ausbauen zu können.

  • In Mecklenburg-Vorpommern muss die rechtsmedizinische Gewaltopferambulanz mobil in der Fläche angeboten werden.