Hintergrund

Primäre Aufgabe der ärztlichen Dokumentation ist die Informationsweitergabe innerhalb des Behandlungsablaufs. Seit Einführung des § 630 f im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) besteht eine gesetzliche Pflicht zur Dokumentation; damit hat der Patient ein Anrecht auf eine fachgerechte Dokumentation. Weiterhin sind die dokumentierten Daten für die Abrechnung, das Qualitätsmanagement, die Unternehmenssteuerung und die (Versorgungs‑)Forschung unverzichtbar [17]. Diese Anforderungen gelten ebenso für die Dokumentation der Versorgung in einer Notaufnahme. Um einen Vergleich zwischen mehreren Standorten im Sinne eines Benchmarking zu ermöglichen, ist eine einheitliche Dokumentation notwendig. Diese Systematisierung und Standardisierung der Dokumentation wurden bereits vor über 50 Jahren gefordert [8]. Seit 1988 fordert das Sozialgesetzbuch V die Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen durch elektronisch und maschinell verwertbare Kommunikation. In einem aktuellen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über die Erstfassung zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern [3] wird in § 12 nun ebenfalls gefordert, dass die Dokumentation in Notaufnahmen an Mindeststandards angelehnt sein muss. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat bereits 2010 mit dem Notaufnahmeprotokoll [15] einen Standard für die Dokumentation aller Patienten, vom fußläufigen Notaufnahmepatienten bis hin zu schwer verletzten [16] und schwer kranken Patienten jedweder Fachrichtung, definiert. Dieser liegt mit Stand Juli 2018 in der Version 2015.1 vor [4, 9].

Anlässlich eines gemeinsamen parlamentarischen Abends „Digitalisierung in der Notfallmedizin“ des Verbundforschungsprojekts „Verbesserung der Versorgungsforschung in der Akutmedizin durch Aufbau eines nationalen Notaufnahmeregisters“ (AKTIN , BMBF gefördert, Förderkennzeichen: 01KX1319) und der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e. V. (TMF) in Berlin wurden 5 zentrale Forderungen formuliert und mit Vertretern der Politik diskutiert.

Forderung 1 – einheitlicher Dokumentationsstandard

Als eine der zentralen Forderungen wurde die „… Einführung eines einheitliche(r) Dokumentationsstandard in der Notfallmedizin …“ aufgestellt (Infobox 1) [7].

Infobox 1 Fünfpunkteprogramm zu Standardisierung und Digitalisierung in der klinischen Notfall- und Akutmedizin

  • Verpflichtender, national einheitlicher Dokumentationsstandard in der Notfallversorgung

  • Nutzung international etablierter, offener Kommunikationsstandards (Health Level 7 – Clinical Document Architecture, Health Level 7 – Fast Healthcare Interoperability Resources, Logical Observation Identifiers Names and Codes, Systematisierte Nomenklatur der Medizin Clinical Terms, Integrating the Healthcare Enterprise)

  • Schaffung einer nationalen Stelle zur Qualitätssicherung in der Notfallmedizin

  • Verstetigung der Infrastruktur für das Notaufnahmeregister

  • Vergütungsstruktur als Anreiz für die Einhaltung einer Mindestdokumentation

Durch die Einführung von elektronischen Notaufnahmedokumentationssystemen ist grundsätzlich die Wiederverwendbarkeit von einmal dokumentierten Daten möglich. Um den Aufwand für den Abgleich von Datendefinitionen zwischen den unterschiedlichen IT-Systemen in Vertragsarztsektor, Rettungsdienst, Notaufnahmen und Krankenhäusern auf das Mindestmaß zu begrenzen, müssen die Daten in einer harmonisierten und standardisierten Form nach einer einheitlichen Definition erhoben werden. Diese Datendefinitionen ermöglichen die Abbildung auf ein kontrolliertes medizinisches Vokabular für die Verwendung unter oben genannten Versorgern. Das medizinische Vokabular muss von einer übergeordneten nationalen Stelle kontrolliert und gepflegt werden. International werden solche Stellen „value set authorities“ genannt. Eine solche Institution sollte aus Sicht der Autoren in der öffentlichen Hand liegen, wie z. B. das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), welches schon verschiedene Kataloge wie die deutsche Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD), die Identifikationsnummer für Diagnosen (Alpha-ID) oder den Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) pflegt. Das DIMDI oder die zu schaffende Institution sollte diese Aufgabe in Zusammenarbeit mit den Domänenexperten aus Fachgesellschaften, Industrie und Standardisierungsorganisationen übernehmen.

Forderung 2 – Nutzung von Interoperabilitätsstandards

Um die harmonisierten und standardisierten Daten zwischen den unterschiedlichen IT-Systemen der an der Notfallversorgung Beteiligten auszutauschen, sind einheitliche Kommunikationsstandards notwendig. Dazu bieten sich international bereits etablierte Kommunikationsstandards an, die bereits größtenteils in Deutschland im Einsatz sind. Schnittstellen benötigen dabei eine zweistufige Standardisierung. Durch die syntaktische Standardisierung wird in dem Kommunikationsstandard definiert, an welcher Stelle Informationen in welcher Art und Weise übermittelt werden. Für medizinische Dokumente bietet sich die Nutzung des Kommunikationsstandards Health Level 7 – Clinical Document Architecture (HL7-CDA) [5] an. Neben syntaktischen Kommunikationsstandards müssen zur interoperablen Datenweiternutzung semantische Standards verwendet werden. Sie definieren, welche Informationen übermittelt werden. Dazu werden dem kontrollierten medizinischen Vokabular durch die „value set authority codes“ zugeordnet, die die automatisierte elektronische Verarbeitung der Informationen erst ermöglichen. Beispielsweise wird derzeit durch das DIVI-Codesystem 41 die Transportmethode des Patienten hinterlegt. Der Code „1“ steht hierbei für den Krankentransportwagen [6]. Damit ist die eindeutige Zuordnung der Transportmethode unabhängig von Abkürzungen, synonymen Begriffen oder Multilingualität zwischen verschiedenen Systemen möglich. International und national bereits verwendete Standards an dieser Stelle sind die ICD-10 zur Diagnosenkodierung und der OPS zur Kodierung von Maßnahmen. Zunehmende Verbreitung findet zur Kodierung von Laborinformationen das kostenfrei nutzbare Kodesystem „Logical Observation Identifiers Names and Codes“ (LOINC) [10]. Für die Kodierung von klinischen Inhalten, die in ICD-10, OPS und LOINC nicht abgedeckt sind, steht die international verwendete Ontologie Systematisierte Nomenklatur der Medizin Clinical Terms (SNOMED CT) zur Verfügung [13]. Diese umfasst aktuell knapp 350.000 Konzepte, die über mehr als 1 Mio. Beziehungen miteinander verbunden sind und so die Daten einfacher auswertbar macht. Die Konzepte sind international standardisiert und werden national mit einem oder mehreren (synonymen) Begriffen („terms“) bezeichnet.

Im Rahmen des AKTIN-Projektes wurden bereits Teile des Notaufnahmeprotokolls als HL7-CDA modelliert. Das für jeden Fall notwendige Basismodul wurde, wie das für die Schwerverletztenversorgung und Übermittlung in das TraumaRegister DGU® [14] notwendige Traumamodul, bereits mit HL7-CDA und unter Nutzung von ICD-10, OPS, LOINC und SNOMED CT umgesetzt. Gerade die Nutzung von SNOMED CT ist für die einheitliche Semantik unverzichtbar, gestaltet sich jedoch aus Lizenzgründen in Deutschland schwierig. Für die flächendeckende Verwendung ist der Erwerb einer nationalen Lizenz vergleichbar z. B. der ICD-10 notwendig. Viele unserer Nachbarstaaten wie z. B. Niederlande, Belgien und Großbritannien verfügen bereits über diese Terminologie. Hier ist das nunmehr dringende Handeln der Bundespolitik bzw. des Bundesministeriums für Gesundheit sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft, des GB-A und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gefragt, um eine einheitliche Semantik und damit weiterführend die gesetzlich geforderte Qualitätssicherung in der Notfallmedizin zu ermöglichen. Nationale Alleingänge machen weder aus Sicht der Industrie noch aus Sicht von Patienten (internationaler Austausch von Behandlungsdaten) oder der Forscher Sinn bzw. werden Deutschland schon kurz- bis mittelfristig von der internationalen Entwicklung abhängen.

Forderung 3 – Qualitätssicherung in der klinischen Notfall- und Akutmedizin

Die Schaffung einer nationalen Stelle zur Qualitätssicherung in der Notfallmedizin ist notwendig, um ein bundesweit einheitliches Qualitätsmanagement zu etablieren. Hierzu erarbeitet das Projekt AKTIN die Grundlagen für ein nationales Notaufnahmeregister. Als Basis der Datenstruktur wird hier das Basismodul des DIVI-Notaufnahmeprotokoll V2015.1 verwendet [9]. Auf Grundlage der Fortschritte in der Standardisierung und Digitalisierung in der Notfallmedizin wird mithilfe des Notaufnahmeregisters eine bundesweit einheitliche Infrastruktur für Qualitätsmanagement, Infektions-Surveillance und Versorgungsforschung für die Notaufnahmebehandlung entwickelt. Derzeit kooperieren 15 Modellkliniken im AKTIN-Projekt, die den standardisierten Export des Notaufnahmeprotokolls aus den individuellen elektronischen Notaufnahmeinformationssystemen in das Notaufnahmeregister im Hinblick auf die Realisierbarkeit der IT-Infrastruktur testet. Neben der Sekundärnutzung im Notaufnahmeregister bietet das Notaufnahmeprotokoll der DIVI mit dem Traumamodul einen Dokumentationsstandard für Schockraumpatienten, der alle Daten der Schwerverletztenversorgung im TraumaRegister DGU® für den Behandlungsabschnitt im Schockraum umfasst [11, 16]. Auch hier ist mithilfe einer interoperablen elektronischen Implementation in den Klinikinformationssystemen bzw. Notaufnahmeinformationssystemen eine automatisierte Übertragung in das TraumaRegister DGU® geplant, um den retrospektiven, webbasierten Dokumentationsaufwand und damit die Redundanz entscheidend zu verringern [11]. Auf Basis der hier geschaffenen Grundlage ist es erforderlich, eine Ausweitung der Infrastruktur auf die nationale Ebene zu erarbeiten und damit eine nationale Qualitätssicherungsstelle für die klinische Akut- und Notfallmedizin zu schaffen.

Forderungen 4 und 5 – Verstetigung und Vergütung

Die technische Machbarkeit eines nationalen Notaufnahmeregisters, welches automatisch mit Daten aus der Routineversorgung gespeist wird, konnte gezeigt werden [2]. Durch dezentrale Datenhaltung im Organisationsbereich der Notaufnahmen sind die Einhaltung des Datenschutzes und der Dateneignerschaft sichergestellt [1]. Die Nutzung dieser Daten aus dem Notaufnahmeregister zu Zwecken der Versorgungsforschung, Qualitätssicherung und Surveillance wird zurzeit evaluiert. Aktuell ist ein monatliches Berichtswesen der 15 Modellkliniken etabliert; das einrichtungsübergreifende Benchmarking befindet sich derzeit im Aufbau. Für die Versorgungsforschung stehen bereits erste Daten zur Verfügung. Im nächsten Schritt ist die Verstetigung der hier geschaffenen Infrastruktur notwendig, damit das Notaufnahmeregister auf alle Notaufnahmebehandlungen in Deutschland, ähnlich dem TraumaRegister DGU® für die Schockraumbehandlung von verunfallten Patienten, ausgeweitet werden kann. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen fordert in seinem aktuellen Gutachten aus dem Jahr 2018 zur Bedarfsgerechte[n] Steuerung der Gesundheitsversorgung ebenfalls den Ausbau des Notaufnahmeregisters im AKTIN-Projekt sowie die Entwicklung von Qualitätsindikatoren für die Versorgung in Notaufnahmen [12].

Hierfür ist ebenso die Schaffung einer Vergütungsstruktur notwendig, um den Mehraufwand für die Digitalisierung und Standardisierung aufzuwiegen. Hier ist insbesondere ein zusätzliches Anreizsystem notwendig, da eine ungleiche Verteilung von Aufwand und Nutzen beim Dokumentierenden und dem Informationsempfänger besteht. Eine standardkonforme Mindestdokumentation sollte, nach dem Vorbild des Meaningful-use-Programms in den USA, auch in Deutschland besonders vergütet werden. Damit werden die Umsetzung des gesetzlich geforderten Mindeststandards der Dokumentation gefördert und die Bereitstellung entsprechender Daten für das Benchmarking und die Qualitätssicherung verbessert.

Ausblick

Die Einführung eines einheitlichen Dokumentationsstandards und der Einsatz von Interoperabilitätsstandards zur Qualitätssicherung der klinischen Notfall- und Akutmedizin wurde durch das AKTIN-Projekt (www.aktin.org) zum Aufbau eines Notaufnahmeregisters exemplarisch umgesetzt. Aktuell können weitere interessierte Kliniken, bei Vorhandensein der HL7-CDA-Exportschnittstelle, am Notaufnahmeregister teilnehmen, um die Verbreitung in Deutschland voranzubringen. Parallel dazu arbeitet die Sektion Notaufnahmeprotokoll an dem Abgleich und der Integration der in Deutschland etablierten Registerdatensätze wie z. B. TraumaRegister DGU®, Reanimationsregister oder Schlaganfallregister für das nächste Datensatz-Update 2020.

Zur Umsetzung der erhobenen Forderungen ist die aktive Mitwirkung der Politik, des G‑BA, der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) zwingend erforderlich.