Hintergrund

Medizin mit und aus dem Labor heraus ist ärztliche Tätigkeit in der Versorgung der Bevölkerung mit dem Fokus auf medizinischem Nutzen. Eine flächendeckende Labordiagnostik, bedarfsgerecht und wohnortnah, ist die Kernkompetenz der fachärztlichen Labore in Deutschland, ambulant und stationär. Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung stehen im Zentrum der Arbeit der Fachärzt*innen für Laboratoriumsmedizin und Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Qualität und Sicherheit in der Patientenversorgung mit fachärztlicher Labordiagnostik. POCT „point of care testing“, Rili-BÄK Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen [1]. (Mit freundl. Genehmigung © ALM e. V., alle Rechte vorbehalten)

Die Versorgung mit Labordiagnostik ist komplex und vielfältig: Zu Diagnosestellung sowie Beurteilung des Krankheitsverlaufes und des Therapieerfolgs existieren Tausende Untersuchungsmöglichkeiten. Medizin ist meist interdisziplinär ausgerichtet. So ist die Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen im Labor sowie in der Praxis und im Krankenhaus für die bestmögliche Versorgung von Bedeutung. Digitale Prozesse spielen bei Auftrags- und Befundkommunikation, der flächendeckenden Logistik zu allen Praxen in Stadt und Land eine große Rolle, damit bestmöglich versorgt wird.

Fachärzt*innen im Labor gewährleisten Qualität und Sicherheit der Versorgung mit Laboratoriumsmedizin

Das gilt ebenso in der durch die Coronavirus disease 2019 (COVID-19) ausgelösten Pandemie, auch wenn nicht außer Acht gelassen werden sollte, dass COVID-19 „nur“ eine von vielen Erkrankungen ist, die es zu behandeln gilt. Sie ist aufgrund der pandemischen Lage mit Vorrang zu betrachten, sollte jedoch, wie zeitweilig zu beobachten, nicht dazu führen, dass Menschen mit akuten oder chronischen Erkrankungen den Weg in die ärztliche Behandlung aus Sorge vor einer Infektion mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) scheuen.

Impfstoffe ermöglichen jetzt die Überwindung der belastenden ersten Phasen dieser neuen Infektionserkrankung [19]. Das Virus nutzt effizient den Menschen als Wirt. Es bleibt sicher Bestandteil des Infektionsgeschehens. Der weitere Verlauf ist schwer vorhersehbar, denn es fehlt an Erfahrungen und Erkenntnissen, wie sich SARS-CoV‑2 in einer geimpften Gesellschaft ausbreitet, und ob oder welche „Escape“-Mechanismen es findet. So ist auch mit Respekt in die kommende Zeit zu schauen. Gleichzeitig ist an diesem Punkt ein Rückblick als „lessons learned“ aus dem Blickwinkel der fachärztlichen Labordiagnostik auf die eigenen Erfahrungen und Erkenntnisse sinnvoll. Basis ist der Pandemieplan mit den COVID-19-spezifischen Ergänzungen durch das Robert Koch-Institut (RKI, [7,8,9, 12]). Diese formulieren die primären Ziele eines Pandemieplans:

  • Infektionen erkennen,

  • die weitere Ausbreitung der Infektion eindämmen,

  • Schutz besonderer vulnerabler Gruppen.

Strategische Planung zur Pandemiebewältigung

Die (gesundheits-)politisch Verantwortlichen erkannten nach dem ersten deutschen SARS-CoV-2-Fall im Januar 2020 den Ernst der Lage und setzten mit den Beschlüssen zum Labor in der ambulanten Versorgung das klare Signal, die Diagnostik als wesentlichen Aspekt zur Einschätzung der Pandemie vorantreiben zu wollen. Davor hatten ambulante und stationäre fachärztliche Labore nach der Methodenveröffentlichung durch das Konsiliarlabor für Coronaviren an der Berliner Charité bereits mit der Etablierung und dem Aufbau des SARS-CoV-2-Nachweises mithilfe der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) begonnen. Diagnostisch war Deutschland sehr gut aufgestellt.

Im März 2020 ergänzte das RKI den Nationalen Pandemieplan um COVID-19-spezifische Empfehlungen ([9]; Abb. 2):

Abb. 2
figure 2

Komponenten der Strategie zur Bewältigung der Coronavirus-disease-2019-Pandemie. (Aus Robert Koch-Institut [10], mit freundl. Genehmigung © Robert Koch-Institut, CC BY 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de)

Das RKI publizierte fortan wissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen für Politik, Ärzteschaft und Gesellschaft zu SARS-CoV‑2 [10,11,12, 14,15,16, 20, 21]. Herausfordernd bleibt, die wachsende Informationsfülle strukturiert und leicht zugänglich bereitzustellen.

Klare Signale der Verantwortlichen – Pandemieplan aufstellen – Vernetzung der Akteure

Für die Pandemiebewältigung ist eine Vernetzung der Akteure auf allen Ebenen und in den Bereichen gesellschaftlichen Lebens von zentraler Bedeutung, in der medizinischen Versorgung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, dem öffentlichen Gesundheitsdienst und den verantwortlichen Behörden der Gesundheitsverwaltung. Insbesondere im Bereich der SARS-CoV-2-Labordiagnostik ist dies regional sehr unterschiedlich geschehen. Auf Bundesebene berät seit März 2020 eine Arbeitsgruppe das Thema „Labordiagnostik“, deren erster zusammenfassender Bericht im Juli veröffentlicht wurde [13].

Die Bundesärztekammer bildete im November 2020 den interdisziplinären ärztlichen Pandemierat mit Arbeitsgruppen [4]. Hier entstand ein „Thesenpapier zur Teststrategie“. In allen Strukturen beteiligen sich die Fachärzt*innen der Laboratoriumsmedizin sowie der Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie aktiv und bringen die Erfahrungen und Kenntnisse zu Diagnostik und deren Aussagekraft ein [5, 6].

Eine Vernetzung der ärztlichen Strukturen durch engere Zusammenarbeit von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung in einem gemeinsamen ärztlichen Pandemierat könnte hier für die Pandemiebewältigung von Nutzen sein.

Testkriterien für die SARS-CoV-2-Diagnostik

Das RKI entwickelte Testkriterien für die SARS-CoV-2-Diagnostik und passte diese kontinuierlich an [15, 16, 20, 21], mit dem Ziel, eine anlassbezogene Testung der medizinisch-diagnostischen Fälle zu erreichen und zudem alle Infektionsrisiken mit dem Blick von „public health“ zu erfassen, um so Kontaktpersonennachverfolgung sowie den Schutz vulnerabler Gruppen vor einer SARS-CoV-2-Infektion zu ermöglichen (Abb. 3):

Abb. 3
figure 3

Diagnostik des Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 in der Pandemie. NAAT „nucleic acid amplification test“, PCR Polymerase-Kettenreaktion, POC „point of care“. (Mit freundl. Genehmigung © ALM e. V., alle Rechte vorbehalten)

Ziel ist die anlassbezogene Testung der Fälle mit medizinisch-diagnostischer Relevanz

Tests haben je nach Fragestellung und Einsatzort unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen. Die Arbeitsgruppe Laborkapazität beim RKI publizierte im Juli 2020 den „Bericht zur Optimierung der Laborkapazitäten zum direkten und indirekten Nachweis von SARS-CoV‑2 im Rahmen der Steuerung von Maßnahmen“ [14]. Hier kommt den Fachärzt*innen im Labor die wichtige Aufgabe zu, bei der Erarbeitung von Teststrategien und der Auswahl geeigneter Tests ihre Erfahrungen und Kenntnisse einzubringen. Es war eine neue und positive Erfahrung, hier aktiv eingebunden zu sein.

Hürden der „Nationalen Teststrategie“ und Vorschläge zur Überwindung

Früh in der Pandemie, im April 2020, formulierte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die politische Grundlage für eine nationale Teststrategie mit „Testen, testen, testen …, aber gezielt“ und klarem Fokus auf die schon genannten primären diagnostischen Ziele in der Pandemie [2]. Es entstanden die Coronavirus-Test- und die Coronavirus-Surveillanceverordnung des BMG zu Finanzierung und Organisation der Rahmenbedingungen. Diese klare Linie wurde mit der Entscheidung zur kostenlosen Testung, später mit der Testpflicht für Reiserückkehrer im Sommer 2020 aufgeweicht, wohl unter der Vorstellung, das Risiko des Eintrags von auf Auslandsreisen akquirierten Infektionen wirksam zu kontrollieren.

Die damit verbundene zeitweilige Überforderung der Facharztlabore durch anlasslose, weil diagnostisch wenig zielführende Testungen, kann künftig vermieden werden, wenn Ziele und dazu verfügbare Ressourcen besser miteinander ausbalanciert werden. Das mancherorts erfolgte Ausweichen auf PCR-Testkapazitäten im „freien nichtärztlichen Markt“ war eher wenig effektiv.

Auch wegen uneinheitlicher politischer Kommunikation entstanden nichterfüllbare Erwartungshaltungen. So wurden SARS-CoV-2-Infektionen wegen zu früher Testung direkt bei Einreise übersehen, was bei zeitgerechter Testung zum diagnostisch optimalen Zeitpunkt vermieden worden wäre.

Die „Nationale Teststrategie“ wird seit Juli 2020 auf der Homepage des RKI mit Erläuterungen veröffentlicht und regelmäßig aktualisiert [17]. Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, dass diese umfassende Nationale Teststrategie in der Fachöffentlichkeit, der Ärzteschaft, den Medien oder auch bei politisch Verantwortlichen unzureichend wahrgenommen ist. Proaktivere Kommunikationsmittel sollten künftig für die notwendige „awareness“ angewendet werden.

Das gilt auch für die wichtigen Empfehlungen des RKI zur Diagnostik sowie zur Indikationsstellung für eine Testung von Personen auf das Vorliegen einer SARS-CoV-2-Infektion [15, 16]. Diese wichtigen, stets aktuellen Dokumente und die grafisch gut aufgearbeiteten Poster sollten nachdrücklicher kommuniziert, beachtet und umgesetzt werden.

Leistungsfähige Struktur der fachärztlichen Labore

Es gilt als besondere Leistung der Fachärzt*innen für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie und Laboratoriumsmedizin, direkt nach Veröffentlichung der SARS-CoV-2-PCR-Methode Kapazitäten für Hunderttausende Untersuchungen auf das neue Coronavirus aufgebaut zu haben, mit hohen Investitionen in den Aufbau von Infrastruktur, neuen Gerätesystemen und zusätzlichen Fachkräften. So entstanden in nur 4 Monaten SARS-CoV-2-PCR-Kapazitäten von wöchentlich 1 Mio. Tests, bis Ende 2020 von insgesamt 2,2 Mio. Es sind deutlich mehr PCR-Testkapazitäten verfügbar, als dies der unmittelbare pandemiebedingte Bedarf erfordert. Diese „Reserven“ bewährten sich beim großen COVID-19-Ausbruch in der Fleischindustrie in NRW.

Die vielfältigen Strukturen der ambulanten und stationären fachärztlichen Labordiagnostik, der „Mix“ aus regionalen und überregionalen Facharztlaboren unterschiedlicher Größe mit sehr guter Vernetzung, sind Schlüsselfaktoren für den in Deutschland schnell gelungenen Aufbau einer hohen SARS-CoV-2-PCR-Kapazität – eine wichtige Voraussetzung in der Pandemieeinschätzung und -eindämmung. Die Verfügbarkeit fachärztlicher Expertise und Erfahrung für Labordiagnostik ist hier vorteilhaft. Fachärzt*innen im Labor sichern die analytische Qualität, beraten zur Indikationsstellung, zur klinischen Bewertung von Befunden sowie zu SARS-CoV-2-spezifischen Mutationen und Varianten.

Die effiziente Organisation der deutschen Facharztlabore hat sich in der frühen Pandemiephase bewährt

Über die Vernetzung der fachärztlichen Labore im ALM e. V. als fachärztlicher Berufsverband war es möglich, unmittelbar auf die Herausforderungen der COVID-19-Pandemie zu reagieren, konkrete Lösungen zu erarbeiten und diese zu kommunizieren. Hierbei konnten Mikrobiolog*innen und Laborärzt*innen auf Erfahrungen, z. B. bei der „Schweinegrippe“ (H1N1-Pandemie) 2009/2010, und guten Infrastrukturen aufbauen. Der effiziente Organisationsgrad der deutschen Facharztlabore war in der frühen Pandemiephase von großem Vorteil: flächendeckende Logistikstrukturen für den Probentransport, Bereitstellung von Abstrichmaterialien, weit entwickelte Digitalisierung in der Auftrags- und Befundkommunikation.

Mit der Etablierung von SARS-CoV-2-Antikörpertests und -Antigentests sowie schließlich mit der SARS-CoV-2-Genomsequenzierung und der SARS-CoV-2-Punktmutation-PCR zur Aufdeckung von „variants of concern“ war das diagnostisch notwendige Portfolio komplettiert. Insbesondere die ebenfalls in nur in wenigen Wochen etablierte bundesweite Nachtestung SARS-CoV-2-PCR-positiver Proben mithilfe mutationsspezifischer PCR sowie der Vollgenomsequenzierung trug wesentlich dazu bei, Zeitpunkt, Verlauf und Intensität der „dritten Welle“, die in erster Linie durch die sehr dynamische Ausbreitung der Variante B.1.1.7 verursacht wurde, frühzeitig erfassen und bewerten zu können [18, 21].

In allen Phasen der COVID-19-Pandemie haben sich die Struktur der „fachärztlichen Laborlandschaft in Deutschland“ und das hohe Maß an Eigeninitiative und Professionalität der Fachärzt*innen für Laboratoriumsmedizin sowie für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie bewährt. Bei der Einordnung und Bewertung der Bedeutung von SARS-CoV-2-Tests kommt ihnen eine wichtige Rolle zu. Fachärzt*innen im Labor sind mit der Diagnostik von Infektionskrankheiten vertraut und kennen die Leistungsgrenzen der Tests, interpretieren diese, wissen ihre Sensitivität, Spezifität sowie negativen und positiven prädiktiven Werte (NPV, PPV) einzuordnen, auch im Gespräch mit Patient*innen. Die damit verbundene Verantwortung sind sie seit vielen Jahren gewohnt und tragen durch ihre Arbeit so dazu bei, dass eine Pandemie in der Dimension von COVID-19 diagnostisch umfassend eingeschätzt werden kann.

Stellenwert von SARS-CoV-2-Antigentests

Mit SARS-CoV-2-Antigentests als Point-of-Care-Tests (POCT) und als „Selbsttest“ wurden der Eindruck eines nahezu unlimitierten Testangebots und des damit erreichbaren „Auswegs aus den Eindämmungsmaßnahmen“ geweckt und die Sehnsucht gestärkt, Hygiene- und weitere Schutzmaßnahmen überflüssig machen zu können. Antigentests sind, zielgerichtet genutzt, eine Ergänzung von Infektionsschutz- und Hygienekonzepten. Der Erfolg für eine weitere Eindämmung der COVID-19-Pandemie mit Nutzung von Antigentests hängt jedoch besonders von der Compliance der Bevölkerung bezüglich aller Infektionsschutzmaßnahmen ab [15, 16, 20, 21].

Jede Person sollte eigenverantwortlich handeln und die Limitationen der Tests beachten [3]. Zusätzlich kann die Ärzteschaft durch Aufklärung, Beratung und Begleitung helfen. Für COVID-19 gilt: Kontakte und Mobilität sind Treiber der Pandemie; Kontaktreduktion, Abstand und Masken sind die wirksame Bremse der Pandemie. Testen mit dem Ziel des „Freitestens“ war bisher nicht erfolgreich, was nicht überrascht. Die Beachtung der Basisregeln führt zum Rückgang an Neuinfektionen, unabhängig davon, ob und welche viralen Varianten (B.1.1.7, B.1351 sowie B.1.1.28.P.1) sich entwickeln.

Negative SARS-CoV-2-Antigentests sollten als „Momentaufnahme“ und Ansporn zum „Weitermachen“ bei präventiver Anwendung von symptomfreien Personen gewertet werden. Positive Antigenschnelltests sind durch PCR-Tests zu bestätigen und zur Einleitung weiterer Maßnahmen an das Gesundheitsamt zu melden. Hierauf haben die Facharztlabore häufig hingewiesen und auch darauf, dass bei symptomatischen Personen nur die PCR für den sicheren Nachweis von SARS-CoV‑2 als Methode der Wahl gilt.

Die statistische Erfassung auch von positiven SARS-CoV-2-Antigentestbefunden und der eingesetzten Tests stellt zusammen mit den Daten zum PCR-Testgeschehen den Überblick über das eigentliche Infektionsgeschehen sicher. Hier gibt es in Deutschland große Lücken in der Erfassung, bedingt durch halbherzige Vorgaben. Künftig gilt es, dies mit klaren Vorgaben, digitaler Erfassung und zeitnaher Auswertung besser zu machen.

Mit privaten Testzentren und Apotheken entstanden vielfältige Testangebote. Erstmalig wurde in der COVID-19-Pandemie Diagnostik im nichtärztlichen Bereich möglich, ohne Forderung nach Einhaltung geltender Qualitätskriterien und legitimiert durch BMG-Rechtsverordnungen. Der Arztvorbehalt in der Heilkunde wurde so ohne Not zugunsten des Wunsches nach einem unlimitierten Testangebot an die Bevölkerung aufgehoben, ungeachtet der bestehenden „Risiken und Nebenwirkungen“. Das ist sehr kritisch zu hinterfragen. An mancher Stelle wirken Angebote eher als wirtschaftlich orientierte „Trittbrettfahrer“, um in der Pandemiesituation die Sorge von Menschen „zu nutzen“.

Risiken überwiegen den Nutzen, wenn mit ärztlicher Diagnostik Nichtvertraute agieren

Vermehrtes Testen vermag bei unzureichender Beteiligung den mit Lockerungen verbundenen Wiederanstieg der Neuinfektionen nicht aufzuhalten [21]. Eine Pandemie wird mit dem Testen allein nicht einzudämmen sein. Die Risiken, dokumentiert durch Berichte über falsche Testergebnisse, die Erstellung von Testbefunden ohne Untersuchung der Probe und auch immer wieder Datenschutzlücken mit dem Auftauchen Tausender Testbefunde und persönlicher Daten der Untersuchten, überwiegen den Nutzen, wenn mit ärztlicher Diagnostik Nichtvertraute ohne ausreichende Ausbildung und fachliche Kenntnisse agieren. Das sollte im Sinne von Qualität und Sicherheit in der Diagnostik durch Einforderung der Einhaltung des in der Patientenversorgung gewohnten (Facharzt‑)Standards von allen ergänzenden „Versorgungsangeboten“ als Eingangsbedingung vermieden werden.

Erfahrungsberichte und Studien vermitteln den Eindruck, dass anlassbezogene Labordiagnostik und mit einem an dem Ergebnis ausgerichteten Verhaltensmanagement durchaus positive Effekte haben können. Entscheidend ist hier die enge Verknüpfung zwischen Testungen und den Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen. Das Zusammenspiel zwischen einem einrichtungsspezifischen Hygienekonzept und dem Angebot einer niedrigschwelligen verfügbaren SARS-CoV-2-Diagnostik erlaubt Betroffenen mit Risikokontakten oder bei der Entwicklung von Symptomen, frühzeitig Klarheit über eine mögliche Infektion zu erlangen und weitere Infektionen zu vermeiden.

Fehlen von einfachen und klaren Botschaften, Ehrlichkeit und Transparenz

Mit den Erfahrungen des ersten „Lockdowns“ entwickelten sich Hoffnung und die Begehrlichkeiten, dass man sich mit einem negativen SARS-CoV-2-Befund „freitesten“ und die Pandemie auch mit gelockerten Hygienemaßnahmen bei höheren Neuinfektionszahlen kontrollieren könne. Ab dem Sommer 2020 wurden zunehmend COVID-19-Fälle bei Reisenden entdeckt; dies war ein wichtiger Hinweis auf die Bedeutung von Mobilität und Kontaktzahl.

Die Pandemie nahm vorhersehbar nach der Rückverlagerung des Lebens in Innenräume ab dem Herbst wieder an Dynamik zu. Während im Frühjahr 7‑Tage-Inzidenz-Werte von 35–50/100.000 Personen als besorgniserregend galten, war die Toleranzschwelle im Herbst 2020 deutlich höher; mancherorts führte eine Inzidenz von 100–200/100.000 Personen in 7 Tagen zu keinen besonderen Eindämmungsmaßnahmen. In der Folge resultierte die „zweite Welle“ mit hohen Infektions- und Todeszahlen zu Weihnachten 2020.

Die teils destruktive Meinungs- und Debattenkultur, die uneinheitliche Vorgehensweise der Bundesländer mit unklaren Botschaften an die Bevölkerung riefen Unverständnis für beschlossene Maßnahmen hervor. Zu Beginn der COVID-19-Pandemie noch klar kommunizierte Ziele wurden und werden zunehmend eher parteipolitisch und mit Blick auf Wahlen auch akzeptanzorientiert „verwässert“. Die Klarheit des gemeinsamen politischen Ziels in der Pandemie geht verloren und damit auch die Verbindlichkeit der Botschaft. Manchmal wirken Beiträge so, als ob es sich bei der Pandemieeindämmung um ein „Technikgeschehen“ oder gar Schachspiel handele, bei dem es nur darauf ankomme, „modellierte Maßnahmen“ anzuwenden, gleichsam den Zügen auf einem Schachbrett, und schon würde sich alles „logisch“, wie berechnet, entwickeln. Diese Sehnsucht ist nicht erfüllbar. Menschen sind stark individuell geprägt und reagieren eher und nachhaltiger bei direkter Betroffenheit und bei Einsicht in den Sinn und die Richtigkeit von Maßnahmen.

Entscheidungen zur Pandemieeindämmung scheinen zunehmend losgelöst von Erkenntnissen der medizinisch-infektionsepidemiologischen Experten getroffen zu werden. Daten und Fakten werden beliebig „gedeutet“. Wer Vertrauen gewinnen möchte, ist mit Sachbezogenheit, Transparenz, Verlässlichkeit, Offenheit und Ehrlichkeit gut beraten. Spät wird im April 2021 eine bundeeinheitliche Regelung im Infektionsschutzgesetz beschlossen.

Hier tragen auch Medien eine Verantwortung, denn sie informieren die Gesellschaft. Und auch die Ärzteschaft ist eine „Einflussgröße“. Ärztinnen und Ärzte sind es, die Infektionskrankheiten diagnostizieren, behandeln und den Menschen Empfehlungen zur richtigen Präventionsstrategie geben. Sie setzen für die Bevölkerung auch Werte und Maßstäbe.

Politik sollte die Medizin in der Pandemiebewältigung stärker beachten

Ärztinnen und Ärzten wird, unabhängig von ihrem Tätigkeitsgebiet in der direkten Patientenversorgung oder im öffentlichen Gesundheitsdienst, diese neuartige Infektionserkrankung in wichtigen Kernfragen weitgehend aus der Hand genommen. Fokus und Blickwinkel verschieben sich, ja, es konkurrieren ganz unterschiedliche Interessen, die einer gemeinschaftlichen Abwägung bedürfen. Hier kommt Einrichtungen wie dem Ethikrat, dem ärztlichen Pandemierat und auch den ärztlichen Körperschaften und Vertretungen eine besondere Rolle zu.

Pandemiebewältigung als interdisziplinärer Marathon

In den zurückliegenden Monaten haben die Fachärzt*innen „im Labor“ die Initiative gezeigt und Verantwortung übernommen: Seit Ende Februar 2020 erfassen die Labore jede Woche Zahlen, Daten und Fakten zum SARS-CoV-2-Testgeschen in Deutschland, auch für Bundes- und Landesbehörden sowie das RKI. Dies entspricht etwa 90 % aller Testdaten. Ebenso kommentieren sie Entwürfe zu Verordnungen und Gesetzen, bringen sich mit Lösungs- und Verbesserungsvorschlägen ein und beteiligen sich sachbezogen an der öffentlichen Debatte. In verschiedenen Surveillance-Projekten werden epidemiologische Daten unter Einschluss von Laborbefunden erhoben, zur Verbesserung der Erkenntnisse zum Pandemiegeschehen. Mit Blick auf den internationalen Vergleich wären eine intensivere Zusammenarbeit und systematischere Surveillance wünschenswert.

Die Fachärzt*innen und alle Mitarbeiter*innen im Labor sind dankbar dafür, dass sie für die viele Arbeit und das Engagement in der COVID-19-Pandemie viel positive Anerkennung und Wertschätzung erfahren haben. Das bestärkt darin, weiterhin alle Kräfte für eine gute Versorgung mit fachärztlich verantworteter Labordiagnostik zu mobilisieren.

So ist SARS-CoV‑2 als neue Infektionserkrankung eine Herausforderung für die Zusammenarbeit innerhalb der Ärzteschaft und weit darüber hinaus innerhalb der gesellschaftlichen Gruppen. Das erfordert einen respektvollen und wertschätzenden Diskurs, in dem der Ärzteschaft eine besondere Rolle und Verantwortung zukommt. Zusammenhalt hilft bei einem Marathon wie der COVID-19-Pandemie.

Fazit für die Praxis

  • Die Coronavirus disease 2019 (COVID-19) ist nur in der Zusammenarbeit zwischen diagnostischer und therapeutischer Medizin, dem öffentlichen Gesundheitsdienst und den die Gesellschaft tragenden Gruppen zu bewältigen.

  • Wissenschaftliche Erkenntnisse, Daten und Fakten sowie die Erfahrungen aus Medizin und Gesellschaft sollten das Handeln maßgeblich bestimmen.

  • Ein ärztlicher Pandemierat trägt dazu bei, den Diskussions- und Erkenntnisprozess in der Dynamik einer Pandemie zu strukturieren und so Handlungsempfehlungen zu erarbeiten.

  • Die fachärztlichen Gebiete der Laboratoriumsmedizin sowie der Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie sind für die Bewältigung der COVID-19-Pandemie essenziell.

  • Deutschland verfügt über eine flächendeckende, ambulant und stationär sehr leistungsfähige fachärztliche Laborstruktur mit breiter Vernetzung von Versorgung und Wissenschaft.