Der Begriff „Dysphagie“ umfasst schmerzlose Einschränkungen des geregelten Transports von Nahrung aller Konsistenzen vom Mund in den Magen und ist eher eine Symptombeschreibung als eine exakte Diagnose [57]. Dysphagien haben ein weit gefächertes ätiologisches Spektrum und sind u. a. häufig Folge von anatomischen Veränderungen des Halses/der Halswirbelsäule, Obstruktionen im oberen Digestivtrakt, Autoimmunkrankheiten, neurologischen/muskulären zentralen oder peripheren Funktionsstörungen oder nach Operationen und Bestrahlungen im Kopf-, Hals- und oberen Digestivbereich [1, 5]. Allgemein erfolgt eine Einteilung in oropharyngeale und/oder ösophageale Dysphagien; Tab. 1 zeigt typische Symptome (mod. nach [38]).

Tab. 1 Typische Symptome oropharyngealer und ösophagealer Dysphagie. (Mod. nach [38])

Hintergrund

Epidemiologie

Dysphagien finden sich mit zunehmendem Alter gehäuft, können jedoch prinzipiell in jedem Lebensalter auftreten. 90 % der Schluckstörungen bei Kindern sind mit einem neuromuskulären Entwicklungsdefizit verbunden (z. B. Kinder mit Trisomie 21 oder Zerebralparesen [4, 14]). Die Dysphagie ergibt sich dann häufig aus der Persistenz primitiver Reflexe, welche die Entwicklung physiologischer Schluckmuster hemmen: Die ineffektive orofaziale Koordination und eingeschränkte Pharynxmotilität sowie die ungenügende Schluckreflextriggerung führen zu einer quantitativ und qualitativ ungenügenden Schluckaktivität [4]. Die Prävalenz von Schluckstörungen wird bei Kindern mit Di- und Hemiparesen mit 25–30 % angegeben, während bei tetraparetischer und extrapyramidaler Bewegungsstörung 80–90 % der Betroffenen Störungen in der oralen Nahrungsaufnahme aufweisen [4]. Calis beschrieb 2008 eine Dysphagie bei Zerebralparesen in 99 % der Fälle [9]. Bei begleitenden Epilepsien kann eine antikonvulsive Behandlung ein bestehendes Schluckdefizit verstärken und die Gefahr einer Aspiration durch eine Reduktion der Schutzreflexe erhöhen. Ein verlangsamter Bolustransit hat auch für die Medikamenteneinnahme eine herausragende Bedeutung und kann durch „Steckenbleiben“ der Tabletten zu Mukosaschäden der Schluckstraße führen [9]. Außerdem sind Schluckstörungen auch bei Kindern mit gastroösophagealem Reflux bekannt [52]. Anatomische Besonderheiten wie Strikturen der Speisewege können das kindliche Schluckvermögen und den Bolustransport deutlich beeinträchtigen [22]. Frühgeborene haben auch ohne peri- oder postnatale Komplikationen ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Dysphagie über das Kleinstkindalter hinaus [32].

Antikonvulsive Medikamente können ein bestehendes Schluckdefizit verstärken

Der demographische Wandel wird vor allem die altersabhängigen Schluckstörungen (die sog. Presbydysphagien) zukünftig in den Fokus rücken [28, 48]. Veränderungen in der mukosalen Sensibilität, sensorische Veränderungen von Geschmacks- und Geruchssinn, eine reduzierte Speichelproduktion, zerebral- degenerative Prozesse und Veränderungen in Qualität und Quantität neuromuskulärer Koordinationsprozesse beeinflussen die Schluckleistung im Alter meistens negativ [5, 28].

Das Wissen um Presbydysphagien ist nicht neu. Lindgren beschrieb bereits in den 1990er Jahren, dass 7–10 % der über 50-Jährigen Schluckprobleme haben und mutmaßte damals, dass die Dunkelziffer wahrscheinlich noch viel höher sei [35]. Brin zeigte, dass bis zu 25 % der stationär behandelten Patienten mit verschiedensten Krankheiten sowie 30–40 % der Altenheimbewohner eine Dysphagie aufwiesen [8].

Kompensatorische Mechanismen können im Alter jedoch eine manifeste Presbydysphagie verhindern oder herauszögern [55]. Diese Kompensationsleistung kann allerdings durch Medikamente empfindlich gestört werden, vor allem bei der im Alter häufig vorliegenden „multiplen“ Medikation [19]. Chien et al. zeigte bereits 1979, dass 83 % der über 60-Jährigen im Schnitt täglich 2–6 verschiedene Medikamente einnahmen, bei annähernd 14 % waren es sogar 7–15 [11]. Darüber hinaus ist bei multipler Medikation auch die Wahrscheinlichkeit einer versehentlichen Überdosierung oder falschen Dosierung erhöht. Auch dieses Wissen ist nicht neu: Schernitski beschrieb 1980 bei 31 % seines Patientenkollektivs eine versehentliche Überdosierung bei multipler Medikamenteneinnahme. Bei Überdosierungen von Einzelwirkstoffen waren die Barbiturate (die durch ihre sedierende Wirkung geradezu „klassisch“ die Schluckfunktion negativ beeinflussen können) mit 14,7 % die häufigste Medikamentengruppe [47].

Paradoxerweise setzt eine orale Medikamentengabe grundsätzlich eine ausreichende Schluckfunktion voraus [19].

Bis heute werden medikamentenassoziierte Auswirkungen auf die Schluckfunktion von Ärzten und/oder Patienten häufig nicht ausreichend wahrgenommen, stillschweigend akzeptiert (auch bei Kindern), oder die Kausalität wird nicht erkannt [19]. Besonders kritisch sind medikamentöse Wirkungen in allen Altersgruppen auf das Schlucken einzuschätzen, wenn bereits anatomisch-funktionelle Veränderungen vorbestehen (z. B. Operationen im Mund-/Halsbereich, chronische Ösophaguspathologien [58]) und/oder allgemein Schluckprobleme über einen längeren Zeitraum bekannt sind [12].

Ätiologie

Medikamente können die Schluckfunktion direkt beeinflussen, wenn sie eine Wirkung auf Strukturen haben, die unmittelbar am Schluckvorgang beteiligt sind wie z. B. die Muskulatur des Ösophagus. Sie haben eine indirekte Wirkung, wenn sie die Voraussetzungen für den Schluckvorgang übergeordnet beeinflussen wie z. B. durch eine medikamentös verursachte Xerostomie [56]. In vielen Fällen dürfte eine eindeutige Zuordnung jedoch schwierig sein.

Die medikamentenassoziierte Dysphagie kann darüber hinaus unterschiedlich klassifiziert werden: entweder als „normale“ zu erwartende Arzneimittelnebenwirkung durch das pharmakologische Wirkprofil („normal drug side effect“) oder als Komplikation der therapeutischen Wirkung des Arzneimittels („complication of therapeutic action“).

Eine normale Arzneimittelnebenwirkung ist z. B. bei Medikamenten mit Wirkung auf die Muskelfunktion zu erwarten, sodass auch eine Beeinflussung der Schluckmuskulatur wahrscheinlich ist. Eine Komplikation von Medikamenten können z. B. virale oder pilzassoziierte Ösophagitiden als Folge von Immunsuppressiva oder durch immunologische Reaktionen auf Medikamente wie das Erythema multiforme sein [55].

Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die unterschiedlichen Medikamentenklassen und ihr direktes und indirektes Wirkprofil auf die Schluckfunktion zu geben.

Material und Methoden

Zur Informationsakquisition zum Thema „medikamenteninduzierte oder medikamentenassoziierte Schluckstörung/Dysphagie“ wurden Standardwerke und Textbücher zur Schluckfunktion und Dysphagie herangezogen. Zusätzlich erfolgte in PubMed eine Literaturrecherche zu den Stichworten „drug-induced dysphagia“ (128 Treffer, Zugriff 24.11.2014), „drug induced swallowing problems“ (20 Treffer, Zugriff 24.11.2014), „medication induced dysphagia“ (14 Treffer, Zugriff 24.11.2014), und „medication induced swallowing problems“ (12 Treffer, Zugriff 24.11.2014), „medication induced esophageal injury children“ (2 Treffer, Zugriff 24.11.2014), „medication induced esophageal injury“ (117 Treffer, Zugriff 24.11.2014). Zur Auswahl kamen nur englisch- und deutschsprachige Artikel als Übersichtsartikel, Fallstudien und Fallberichte („case reports“).

Wirkstoffklassen und ihr „topographisches“ Wirkprofil

Ganz allgemein haben annähernd alle Medikamente durch ihr pharmakologisches Wirkprofil die Potenz, eine Dysphagie auszulösen oder zu verstärken. Faktoren wie reduzierter Allgemeinzustand, erhöhtes Alter, multiple Medikation, anatomische Besonderheiten des Magen-Darm-Trakts, degenerative Hirnveränderungen und/oder psychiatrische Auffälligkeiten sind Risikofaktoren [45]. Auch Überdosierungen bei nicht beachteter reduzierter Leber- und Nierenleistung mit Kumulationseffekten können medikamentenassoziierte Schluckstörungen initiieren oder verstärken. Darüber hinaus können Arzneistoffe untereinander kumulative Effekte bewirken [30]. Die topographische Wirkung/der Zielort eines Pharmakons kann im Wesentlichen sein:

  • zentral (meist sedierend),

  • zentral mit peripherer Wirkung (vorrangig Reduktion des Speichelflusses),

  • neuromuskulär,

  • lokal-mukosal,

  • mit unklarem Wirkmechanismus.

Kombinationen von Wirkprofilen sind möglich.

Zentral sedierende Medikamente

Als wichtige Substanzgruppe sind Wirkstoffe zu nennen, die die zentrale Erregbarkeit und Vigilanz bewusst reduzieren, also bewusstseinsverändern wirken. Durch die sedierende Wirkung werden allgemein Reflexsteuerung, Sensorik und muskuläre Koordination gedämpft, sodass die Schluckfrequenz und/oder -effektivität eingeschränkt sein kann.

Durch die sedierende Wirkung werden Reflexsteuerung und muskuläre Koordination gedämpft

Dazu zählen alle Sedativa, Anästhetika (inhalativ oder i.v.), Antikonvulsiva, aber auch viele Neuroleptika (auch Antipsychotika genannt) wie Haloperidol, Chlorpromazin, Olanzapin, Risperidon u. a., atypische Antipsychotika mit geringerer extrapyramidaler Wirkung (Clozapin u. a.) und Antidepressiva (z. B. Amitriptylin) [33].

Bei den Antikonvulsiva ist der medikamentöse Erfolg die zentrale Sedierung, bei vielen Antidepressiva ist die Sedierung eine gewünschte Begleitwirkung in der Stabilisierung bei depressiven Episoden, Angststörungen, Panikattacken, bei Entzugssyndromen, Schmerzen, Schlafstörungen und anderen Störungen [6]. Antipsychotika haben eine sedierende und antipsychotische Wirkung, z. B. bei Schizophrenien oder Manien [33].

Darüber hinaus sind viele Antiallergika der 1. Generation mit anticholinerger Wirkung eine typische Medikamentengruppe, bei der eine zentrale (sedierende) Komponente besteht (Antiallergika der 2. Generation sind nicht anticholinerg, nicht gehirngängig, spezifisch an den H1-Rezeptor bindend und verursachen selten Müdigkeit, [46]). Auch Schmerzmedikamente, insbesondere mit opiatähnlicher Wirkung, beeinflussen die Gehirnaktivität negativ [45]. Die Gruppe der Benzodiazepine findet eine breite Verwendung als Sedativum oder Tranquilizer und hat neben der sedierenden auch eine anxiolytische Wirkung. Benzodiazepine werden u. a. präoperativ, zur Angstlösung und bei Schlafstörungen verwendet [33, 49].

O’Sullivan berichtete über eine einige Tage anhaltende Dysarthrie nach i.v.-Gabe von Benzodiazepinen, sodass auch Auswirkungen auf die laryngeale Schluckaktivität vermutet wurden [42]. In der Behandlung von kindlichen Epilepsien wurden bei Nitrazepam muskuläre Koordinationsstörungen der krikopharyngealen Region mit Aspiration als Todesfolge bei Kindern beschrieben [34]. Klinisch kann eine reduzierte Bewusstseinslage bei Kindern u. U. durch Verringerung der oralen Nahrungsaufnahme zu mangelnder Gewichtszunahme führen.

Die Tab. 2 fasst die wichtigsten Medikamente zusammen, die durch eine zentrale Wirkung Dysphagien auslösen oder verstärken können (nach [38, 45]).

Tab. 2 Zentral wirksame Medikamente, die eine Dysphagie auslösen oder verstärken können. (Nach [38, 45])

Zentral wirksame Medikamente mit peripherer Nebenwirkung

Xerostomie

Viele zentral wirkende Medikamente bewirken eine Xerostomie, die durch anticholinerge Effekte oder eine Modulation der Signalwege, welche die Speicheldrüsen beeinflussen, zu erklären ist [55]. Unter den Antidepressiva ist der bekannteste Vertreter die Gruppe der trizyklischen Antidepressiva (z. B. Amitriptylin), aber auch bei Serotoninwiederaufnahmehemmern wurden negative Effekte auf die Speichelproduktion beschrieben [45]. Daneben steht die große Gruppe der opiathaltigen Schmerzmittel, die bei starken akuten oder chronischen Schmerzen sowie bei Tumorschmerzen indiziert sind [27].

Medikamentenbedingte Xerostomien sind für Patienten mit vorbestehender Mundtrockenheit besonders belastend

Da sich im Alterungsprozess die Speichelkonsistenz verändert und die Speichelproduktion reduziert ist, kann eine medikamentös induzierte Xerostomie beträchtliche Auswirkungen insbesondere auf den Bolustransport haben [9, 41]. Auch sind die Symptome dann verstärkt, wenn eine Medikation mit mehreren xerostomieverursachenden Medikamenten gleichzeitig erfolgt [10]. Eine medikamentös ausgelöste Xerostomie ist für Patienten mit bereits bekannter Mundtrockenheit durch ein Sjögren-Syndrom oder nach Bestrahlungen der Kopfregion besonders belastend [10].

Die Tab. 3 zeigt eine Zusammenstellung von Medikamenten, die typischerweise eine Xerostomie auslösen können (mod. nach [38, 54]).

Tab. 3 Medikamente, die eine Xerostomie auslösen können. (Mod. nach [38, 54])

Husten

Die insbesondere bei Angiotensin-converting-Enzyme(ACE)-Hemmern häufig zu findende, typische Nebenwirkung von chronischem Husten kann indirekt eine Auswirkung auf das Schluckprofil haben oder aber eine Aspiration vortäuschen. ACE-Hemmer sind jedoch die einzigen Medikamente, die nachweislich die Schluckfunktion verbessern können. Arai et al. beschrieben ein reduziertes Risiko für eine Aspirationspneumonie bei Schlaganfallpatienten, sodass sogar bei arterieller Normotonie eine ACE-Behandlung empfohlen wurde [3].

Neuromuskulär wirkende Medikamente

Systemische Wirkweise

Neurogen reagierende Medikamente reduzieren die Koordination von Pharynx und Ösophagus [45], die ösophageale Peristaltik und die Muskelaktivität des unteren Ösophagussphinkters [37].

Die dysphagische Komponente bei Neuroleptika zeigt neben einer zentralen Komponente Auswirkungen auf die pharyngeale/laryngeale Motilität [20, 53], einzelne Fälle von Aspirationen mit tödlichem Ausgang wurden beschrieben [45].

Neuroleptika wie Haloperidol können spät einsetzende Dyskinesien mit nachfolgender Schluckstörung hervorrufen [16].

Viele Medikamente haben die Potenz, eine Muskelschwäche/Muskeltonusreduktion oder eine Myositis auslösen (Tab. 5, mod. nach [54]).

Tab. 4 Medikamente, die durch eine Ösophagusmotilitätsstörung oder Tonusreduktion des unteren Ösophagussphinkters eine Myopathie mit Dysphagie auslösen können. (Mod. nach [54])

Die am längsten bekannte und am häufigsten auftretende medikamenteninduzierte Myopathie wird durch Kortikosteroide ausgelöst.

Hierbei spricht man von einer Steroidmyopathie [50]. Auch bei Lipidsenkern (Statine) und Kolchizin (Gift der Herbstzeitlose, ein Mitosegift, Verwendung bei Gicht) sind diese Wirkungen bekannt [18]. Chloroquin ist ein Antimalariamittel und wird auch als immunmodulierendes Medikament bei Autoimmunkrankheiten wie dem Sjögren-Syndrom eingesetzt [39], bei ursprünglich unklarem Wirkmechanismus wird inzwischen eine myopathische Komponente der Dysphagie (Reversibilität der Symptome nach Absetzen des Medikaments) angenommen [36].

Lokale Wirkweise

Abzugrenzen von den bereits genannten sind Medikamente oder Wirkstoffe, die durch ihre Darreichungsform als Injektion oder Applikation lokal wirken. Botulinumtoxine haben eine breite Verwendung. Klassisch ist ihr Einsatz bei spastischen Paresen und Dystonien durch die Hemmung der Übertragung des neuronalen Reizes an der muskulären Endplatte. Während die laryngeale Injektion zur Behandlung der spasmodischen Dysphonie (zu erwartende) Schluckschwierigkeiten verursacht, die meistens keine langfristige Alltagsrelevanz haben [51], weisen Schluckstörungen bei Injektionen in die Hals- und Schultermuskulatur zur Therapie des Torticollis spasticus häufig gravierende Auswirkungen auf den Alltag auf. Es wird eine Diffusion in die pharyngeale Muskulatur vermutet. In Einzelfällen kann eine perkutane endoskopische Gastrostomie(PEG)-Anlage erforderlich sein [12]. Bei Kindern mit spastischen Paresen wurden auch nach larynx-/halsfernen Botulinumtoxinbehandlungen Schluckstörungen beschrieben, allerdings war bei diesen Patienten bereits zuvor eine Schluckstörung bekannt [40]. Bei der halsweichteilfernen Botulinumtoxinbehandlung ist der Wirkmechanismus letztendlich unbekannt [40].

Bei den Anästhetika spielen Oberflächenanästhetika (die in manchen Lutschpastillen enthalten sind) zur Reduktion von Halsschmerzen oder lokalen Schmerzen bei Aphtose oder vor geplanten Endoskopien der oberen Luft- oder Speisewege eine Rolle [17]. Sie reduzieren die Oberflächensensibilität reversibel, durch das schnelle Abfluten der Wirkstoffe sind sie kaum als ursächlich für längerfristige Dysphagien anzusehen.

Lokal-mukosal wirkende Medikamente

Arzneistoffe können durch den direkten Kontakt mit der Ösophagusmukosa während des Schluckvorgangs zu lokalen Entzündungen und Ulzera der Ösophagusmukosa führen und werden als eigenständiger Symptomkomplex unter dem englischsprachigen Begriff „(oral) medication-induced esophageal injury“ (O)MIEI oder „drug-induced esophageal injury“ (DIEI) zusammengefasst.

Leitsymptom ist eine Dysphagie; in vielen Fällen wird dabei speziell über eine ösophageale Transportstörung („es bleibt stecken“) berichtet. Auch kann ein Fremdkörper-/Globusgefühl oder eine Odynophagie bestehen. Instinktiv nehmen die Betroffenen bei soliden Konsistenzen deshalb vermehrt Flüssigkeit auf (auch Kinder). Allein für diese Form der medikamenteninduzierten Dysphagie sind über 80 Wirkstoffe bekannt [26]. Werden die indirekt verursachten medikamenteninduzierten Dysphagien (z. B. medikamenteninduzierte Xerostomie) miteinbezogen, sind es annähernd 2000 Wirkstoffe [38].

Leitsymptom der OMIEI ist eine Dysphagie

Die OMIEI ist am ehesten bei älteren Patienten, Patienten mit eingeschränktem Allgemeinzustand oder anatomischen Veränderungen/Motilitätsstörungen des Ösophagus zu erwarten [56]. Auch Kinder können von einer OMIEI betroffen sein [29], insbesondere wenn chronische Krankheiten langfristig oral medikamentös behandelt werden (z. B. juvenile rheumatoide Arthritis, Chemotherapie bei Malignomen). Nicht selten sind Antibiotika eine Ursache [22]. Häufig kann eine OMIEI und die damit verbundenen unspezifischen Verhaltensveränderungen mit wählerischem/ungenügendem Essverhalten als charakterliche Eigenart fehlinterpretiert werden, da Dysphagien von Kindern erst im späteren Lebensalter präzisiert werden und speziell Kleinst- und Kleinkinder Schluckbeschwerden noch nicht anatomisch zuordnen können. Gedeihstörungen und rezidivierendes Erbrechen können sogar die einzigen Symptome sein [21].

Typisches Beispiel für eine OMIEI sind Bisphosphonate zur Behandlung der Osteoporose [7]. Bei Patienten mit vorbestehenden Schluckbeschwerden besteht explizit eine Kontraindikation für diesen Wirkstoff [45].

Eine Übersicht der Medikamente, die vorrangig eine OMIEI auslösen können, zeigt nachfolgend Tab. 5 (mod. nach [22, 45, 54]).

Tab. 5 Medikamente, die durch direkten Schleimhautkontakt eine OMIEI auslösen können. (Mod. nach [22, 45, 54])

Nicht nur der Wirkstoff, sondern auch die Art und Größe der Tabletten und die verwendete Flüssigkeitsmenge haben einen Einfluss auf eine OMIEI [10]. Eine Einzeldosis kann bereits eine OMIEI auslösen, Symptome können aber auch nach längerfristiger komplikationsloser Einnahme erstmals auftreten [23, 55].

Dysphagieassoziierte Medikamente mit unklarem Wirkmechanismus

Einzelne Medikamentengruppen haben Auswirkungen auf die Schluckfunktion, deren Wirkmechanismus ungeklärt ist. Meistens werden solche Fälle als Fallbeschreibungen publiziert. Auch bei L-Dopa als dopaminerges Medikament ist trotz seiner Verwendung bei neurodegenerativen Krankheiten wie z. B. der Parkinson-Krankheit der Wirkmechanismus nicht sicher bekannt [41]. Die Tab. 6 fasst die wichtigsten Medikamente zusammen (nach [45]).

Tab. 6 Medikamente mit unklarem Wirkprinzip auf die Schluckfunktion. (Nach [45])

Therapie

Eine umfassende Beschreibung der Therapien würde den Umfang dieses Artikels sprengen. Die Anamnese sollte explizit Fragen zum Schlucken beinhalten:

  • „Bleibt was stecken?“,

  • „Können Sie bestimmte Speisen/Tabletten nicht schlucken?“,

  • „Wie lange brauchen Sie für die Nahrungsaufnahme?“

  • „Brauchen Sie viel Flüssigkeit zum Schlucken?“

Außerdem sollten Fragen zu Nahrungsgewohnheiten und möglichen vorbestehenden Problemen des oberen Digestivtrakts gestellt werden. Die Frage nach einer Xerostomie ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig.

Die „Medikamenteninspektion“ umfasst die kritische Beurteilung, inwiefern eine Mehrfachmedikation wirklich indiziert ist. Dazu bietet sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Fachgruppen an. Auch ist eine interdisziplinäre Beurteilung zur Frage von Dosisreduktionen speziell bei degenerativen oder traumatisch bedingten Gehirnveränderungen sehr wünschenswert.

Eine unaufgeforderte ärztliche Erklärung zur richtigen Tabletteneinnahme ist anzuraten

Häufig wird aus ärztlicher Sicht gemutmaßt, dass die Patienten Tabletten „automatisch“ richtig einnehmen. Dies ist aber eigentlich nicht selbstverständlich, sodass eine unaufgeforderte ärztliche Aufklärung/Erklärung zur richtigen Tabletteneinnahme anzuraten ist. Allgemeine Empfehlungen zur Medikamenteneinnahme zeigt nachfolgend Tab. 7 (mod. nach [41]).

Tab. 7 Empfehlungen zur Prävention oral medikamenteninduzierter Ösophagitiden. (Mod. nach [41])

Da manche Tabletten aufgrund von Größe und/oder Struktur schwer zu schlucken sind, bieten sich Alternativpräparate (z. B. Hartkapseln) an. Bei manifestem Verdacht auf eine OMIEI ist eine Ösophagogastroskopie ratsam (auch bei Kindern mit entsprechender Symptomatik). Je nach Befund kann sich eine Therapie mit Protonenpumpenhemmern (PPI) anschließen [41, 44].

Fazit für die Praxis

Medikamentenassoziierte Dysphagien können in allen Altersgruppen auftreten. Sie sind bis heute selten im Fokus von Ärzten, Eltern, Angehörigen und Patienten und werden entweder nicht mit der Nebenwirkung eines Medikaments in Verbindung gebracht oder stillschweigend akzeptiert, auch weil möglicherweise eine dramatische Erkrankung oder Krankheit im Vordergrund steht.

Dysphagien können durch Medikamentennebenwirkungen akut oder nach einer Latenzzeit ausgelöst werden oder eine bereits vorbestehende Dysphagie verstärken, insbesondere wenn es bei Mehrfachmedikation zu einer Potenzierung der Nebenwirkungen auf die Schluckfunktion kommt. Vor allem ältere Menschen, die einerseits aufgrund verschiedener Krankheiten Medikamente erhalten und andererseits durch eine vorbestehende Presbydysphagie beeinträchtigt sein können, sind besonders gefährdet.

Akute lebensbedrohende Komplikationen sind Aspirationspneumonien. Chronische Beschwerden können rezidivierende „Bronchialinfekte“, längerfristige Einschränkungen des Allgemeinzustands und bei Kindern nicht selten Gedeihstörungen sein.

Da Patienten mit Dysphagien, Odynophagien und Globusgefühl häufig an HNO-Ärzte und Phoniater weiterverwiesen werden, ist es sinnvoll, dass diese Fachgruppen ein entsprechendes Wissen haben und auch anwenden können. Darüber hinaus ist dieses Wissen aber auch für Hausärzte und Internisten als vorrangige Ansprechpartner von Patienten wichtig.

Es empfiehlt sich, insbesondere bei älteren Menschen frühzeitig auf Zeichen einer Presbydysphagie zu achten, Medikamentenerfordernis und -dosierung kritisch zu prüfen, interdisziplinär zu arbeiten und Empfehlungen für weitere Diagnostik zu geben. Empfehlungen zu verschiedenen Kostformen bieten sich ebenso an wie die Initiierung von Phagietherapien.

Da medikamentenassoziierte Schluckstörungen nur langsam in den Fokus rücken und die aktuelle Datenlage selten größere Studien, sondern eher Einzelberichte oder kleinere Fallserien beinhaltet, ist eine differenzierte Forschung mit prospektiven Studien sehr wünschenswert.