Zusammenfassung
Hintergrund
Selbsthilfefreundlichkeit bezeichnet die an Qualitätskriterien orientierte, institutionalisierte und auf Dauer angelegte Zusammenarbeit von Einrichtungen der Gesundheitsversorgung mit Selbsthilfezusammenschlüssen und dient der Stärkung von Patientenorientierung. Sie sollte daher in Kriterienkatalogen oder formellen Manualen von Qualitätsmanagementsystemen (QMS) Berücksichtigung finden.
Ziel der Arbeit
Ziel ist die Beantwortung der Frage, ob und in welcher Form Kriterien der guten Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe in die wichtigsten QMS Eingang gefunden haben.
Material und Methoden
Insgesamt wurden 17 verschiedene QMS analysiert (stationär: 3, ambulant: 8, Rehabilitation: die 6 quantitativ wichtigsten). Vorgehen: Internetrecherchen und Befragung per E‑Mail mit einem (nicht ganz einheitlichen, qualitativen) Fragebogen, der an schon vorhandenen Kenntnissen (aus Internetrecherche und einer früheren Befragung) anknüpfte.
Ergebnisse
Bei den verbreitetsten QMS im ambulanten und stationären Bereich wird die Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen explizit berücksichtigt (bei 7 von 7 relevanten bereichsspezifischen QMS), nicht jedoch bei den DIN-EN-ISO-Varianten und 3 weniger bekannten regionalen QMS der ambulanten Versorgung. Im Rehabereich gibt es bei allen 6 untersuchten QMS einige wenige Verweise (zwischen 1 und 4) auf die Zusammenarbeit, die allerdings wenig sichtbar sind.
Diskussion
Das Netzwerk „Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen (SPiG)“ versucht durch Kooperation mit QMS die bisher noch unbefriedigende Gesamtsituation zu verbessern. Die beginnende Diskussion um Qualitätszuschläge für Leistungen könnte für die weitere Entwicklung förderlich sein, falls Patientenorientierung als Qualitätsmerkmal dabei eine Rolle spielt.
Abstract
Background
The “self-help friendliness” concept means the sustainably institutionalised collaboration of health services with self-help groups, led by criteria defining good collaboration. It aims to improve patient-centeredness. Therefore self-help friendliness should be taken into account in quality management systems (QMSs).
Objective
The objective is an analysis of whether and to what degree criteria of good collaboration have been introduced into the most widespread quality management systems in Germany.
Material and methods
Overall, 17 QMSs were analysed: hospital care (3), outpatient care (8), rehabilitation (6, the quantitatively most important ones). Methods: analysis of websites, supplemented by a qualitative email survey with five to seven short questions building on our knowledge from websites and a previous survey.
Results
Criteria for good collaboration are well represented within QMSs for inpatient care and within the most widespread ones for doctors in ambulatory care (seven of seven relevant sector-specific QMSs). This is not the case in the quality management system based on DIN EN ISO 9001-2000 and three lesser used ones in ambulatory care. All six researched QMSs for rehabilitation services contain some (between one and four) tips for collaboration with self-help groups, however they are not very visible.
Discussion
The German network “Self-help friendliness and patient-centeredness in health services” tries to improve the overall unsatisfactory situation through closer collaboration with QMSs. The recently started discussion on quality premiums for good healthcare services may be favourable for future development, if patient-centeredness is recognised as a crucial quality goal.
Literatur
Robert Koch-Institut (Hrsg) (2006) Bürger- und Patientenorientierung im Gesundheitswesen. GBE des Bundes, Heft 32. Eigenverlag, Berlin
Robert Koch-Institut (Hrsg) (2004) Selbsthilfe im Gesundheitsbereich. GBE des Bundes, Heft 23. RKI, Berlin
Trojan A, Koch U (2002) Patienten als Partner? (Editorial) Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 45(9):1
Trojan A, Nickel S (2011) Integration von Selbsthilfefreundlichkeit in das Gesundheitswesen – Entwicklungen und Perspektiven. Gesundheitswesen 73:67–72
Kofahl C, Mnich E, Staszczukova P, Hollmann J, Trojan A, Kohler S (2010) Mitgliedergewinnung und -aktivierung in Selbsthilfeorganisationen Ergebnisse einer Befragung von Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene. Gesundheitswesen 72:729–738
Nickel S, Werner S, Trojan A (2012) Ergebnisse von fünf Fallstudien in Krankenhäusern aus Hamburg und Nordrhein-Westfalen. In: Trojan A, Bellwinkel M, Bobzien M, Kofahl C, Nickel S (Hrsg) Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen. Wie sich selbsthilfebezogene Patientenorientierung systematisch entwickeln und verankern lässt. Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven, S 99–123
Nickel S, Trojan A (2012) Patientenorientierung und Selbsthilfefreundlichkeit. Pilotstudie zur Verbesserung der Kommunikation zwischen organisierter Selbsthilfe und professionellem Versorgungssystem. Endbericht, Hamburg
Trojan A, Bobzien M, Steinhoff-Kemper C, Nickel S (2013) „Selbsthilfefreundlichkeit“ als Ansatz für mehr Patientenorientierung im Krankenhaus: Konzept, Praxiserfahrungen und Bewertung durch die beteiligten Akteure. Krankenhaus 7:715–722
Kofahl C, Dierks M, Haack M et al (2018) Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland – Entwicklungen, Wirkungen, Perspektiven (SHILD). https://www.researchgate.net/publication/325855471_Gesundheitsbezogenen_Selbsthilfe_in_Deutschland_-_Entwicklungen_Wirkungen_Perspektiven_die_Fact_Sheets. Zugegriffen: 16.11.2018
G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) (2015): Qualitätsmanagement-Richtlinie/QM-RL des Gemeinsamen Bundesausschusses über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte, Vertragspsychotherapeutinnen und Vertragspsychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren, Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte sowie zugelassene Krankenhäuser in der Fassung vom 17. Dez. 2015 (www.g-ba.de/downloads/62-492-1296/QM-RL_2015-12-17_iK-2016-11-16.pdf. Zugegriffen: 20.042017)
Trojan A, Bellwinkel M, Bobzien M, Kofahl C, Nickel S (Hrsg) (2012) Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen. Wie sich selbsthilfebezogene Patientenorientierung systematisch entwickeln und verankern lässt. Reihe Gesundheitsförderung und Selbsthilfe Bd. 26. Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven
Trojan A, Nickel S (2012) Bilanz der Kooperation mit Selbsthilfegruppen im Krankenhaus, Transferaspekte und Perspektiven. In: Trojan A, al (Hrsg) Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen. Wie sich selbsthilfebezogene Patientenorientierung systematisch entwickeln und verankern lässt. Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven, S 175–182
Trojan A, Bobzien M (2012) Informationen zum Stand der Integration von Kriterien der Selbsthilfefreundlichkeit in Qualitätsmanagementsysteme (QMS). In: Trojan, al (Hrsg) Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen. Wie sich selbsthilfebezogene Patientenorientierung systematisch entwickeln und verankern lässt. Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven, S 396–407
Trojan A (2018) Integration von Selbsthilfefreundlichkeit als Qualitätsmerkmal in Qualitätsmanagement-Systemen und -strukturen im Gesundheitswesen. Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen, Berlin, S 6–123
Liste der auf der Ebene der BAR anerkannten QM-Verfahren. www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/datenbanke_und_verzeichnisse/Zertifizierung/downloads/2018-03-14_Liste_anerkannte_QM_Verfahren.pdf. Zugegriffen: 16.11.2018
Zertifizierte stationäre Reha-Einrichtungen. www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/datenbanke_und_verzeichnisse/Zertifizierung/downloads/2018-05-18-ListeZertifizierung-Reha-Einrichtungen.pdf. Zugegriffen: 16.11.2018
Trojan A, Nickel S (2011) Selbsthilfefreundlichkeit – ein Qualitätsziel auch für den ÖGD. Blickpkt Öffentl Gesundh 3:4–5
Trojan A (2017) Weiterentwicklung der Integration von Selbsthilfefreundlichkeit in Qualitätsmanagementsystemen und -strukturen. Expertise für das Netzwerk SPiG (Manuskript)
Bobzien M (2008) Selbsthilfefreundliches Krankenhaus – auf dem Weg zu mehr Patientenorientierung. BKK Bundesverband, Essen
Kahla-Witzsch H (2009) Praxiswissen Qualitätsmanagement im Krankenhaus. Hilfen zur Vorbereitung und Umsetzung. Kohlhammer, Stuttgart, S 29
KTQ; Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (2015) KTQ-Manual/KTQ-Katalog Version 2015 Krankenhaus. Kohlhammer, Berlin (Manual Rehabilitation 2.0)
Bobzien M, Schlömann D, Trojan A (2012) Modellprojekt „Selbsthilfefreundliche Praxis“ Nordrhein-Westfalen. In: Trojan A, al (Hrsg) Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen. Wie sich selbsthilfebezogene Patientenorientierung systematisch entwickeln und verankern lässt. Wirtschaftsverlag NW, Bremerhaven, S 240–258
Trojan A (2015) „Selbsthilfefreundlichkeit“ als Ansatz der Kooperation von Selbsthilfegruppen und niedergelassenen Ärzten. Z Allg Med 90(10):415–418
QEP-Qualitätsziel-Katalog. Für Praxen. Für Kooperationen. Für MVZ. Version 2010 (Hrsg Diel F, Gibis B), KBV. Köln: Deutscher Ärzteverlag
KV WL (Hrsg) (2011) Selbsthilfefreundliche Praxis in Westfalen-Lippe. Pluspunkt Nr. 1: S. 24
KV WL KV WL (Hrsg.)(2018) KPQM. KV-Praxis-Qualitätsmanagement. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, S. 61/62 (Internetversion: Handbuch und Materialien zu KPQM. www.kvwl.de/arzt/qsqm/management/index.htm. Zugegriffen: 25.05.2018)
Informationen und Materialien zu EPA. www.epa-qm.de. Zugegriffen: 25.05.2018
Grote-Westrick M, Schwenk U (2010) „Qualität in integrierten Versorgungsstrukturen – Qualitätsindikatoren für medizinische Versorgungszentren“. Bertelsmann Stiftung. https://praxissiegel.de/cms/fileadmin/pdf/EPA-Hintergrund/Bertelmann_Stiftung_MVZ_Indikatoren_090420.pdf. Zugegriffen: 02.11.2018
KBV (2018) Rahmenvorgabe „Versorgungsziele, Kriterien, Qualitätsanforderungen zur Anerkennung von Praxisnetzen im Einvernehmen mit dem GKV-Spitzenverband. http://www.kbv.de/media/sp/Rahmenvorgabe_Anerkennung_Praxisnetze_Ausfertigung.pdf. Zugegriffen: 25.05.2018
KBV (2015) Praxisnetze – Informationen zur Gründung, Anerkennung und Förderung. Selbstverlag, Berlin
BAR (2015) Vereinbarung zum internen Qualitätsmanagement nach §20 Abs. 2a SGB IX; Stand: 30.04.2015. http://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Service/Qualitaet-und-Management/doc/BAR-Vereinbarung-20-2a-SGB-IX-2015-04-30.pdf. Zugegriffen: 02.09.2017
BAR (2016) Nachhaltigkeit von Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe. Handlungsempfehlungen. Frankfurt: Eigenverlag. https://www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/publikationen/empfehlungen/downloads/HENachhaltigkeit20161011.web.pdf. Zugegriffen: 26.06.2018
Website: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/Bund/de/Navigation/2_Rente_Reha/02_reha/03_nachsorge_selbsthilfe/selbsthilfegruppen_verbaende_node.html. Zugegriffen: 02.11.2018
Website: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/k/khsg.html. Zugegriffen: 02.11.2108
Badenberg C (2016) Qualitätsorientierte Klinik-Vergütung – Qualitäts-Messwerte verzweifelt gesucht. Ärzte Zeitung, 2. Jan. 2016
Danksagung
Ich möchte an dieser Stelle der Unterstützung der BARMER danken, die durch eine gesonderte Projektförderung die Erstellung einer Expertise ermöglicht hat, die die Grundlage dieses Beitrags bildet! Den Verantwortlichen der QMS danke ich für ihre Bereitschaft, aktiv an dieser Bestandsaufnahme mitzuwirken! Auch den anonymen GutachterInnen sei an dieser Stelle für konstruktive Verbesserungsvorschläge gedankt.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
A. Trojan ist ehrenamtliches Mitglied des Steuerungskreises für das Netzwerk „Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen“. Für die Expertise, die dem Beitrag zugrunde liegt, hat er ein Honorar bekommen.
Alle Befragten der QMS haben freiwillig an der Untersuchung teilgenommen und sind mit der Veröffentlichung der Ergebnisse einverstanden. Der Ansatz der Studie erforderte keine Prüfung durch die Ethikkommission.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Trojan, A. Selbsthilfefreundlichkeit in ambulanter, stationärer und rehabilitativer Versorgung. Bundesgesundheitsbl 62, 40–48 (2019). https://doi.org/10.1007/s00103-018-2851-7
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00103-018-2851-7
Schlüsselwörter
- Selbsthilfegruppen
- Qualitätsmanagement
- Professionelle Gesundheitsversorgung
- Kooperation
- Selbsthilfefreundlichkeit