Zusammenfassung
Fragestellung
Psychiatrische Erkrankungen sind die Ursache für bis zu 15% aller Einsätze im Rettungsdienst. In einer 1996 durchgeführten Befragung zur Relevanz von und zur Belastung durch psychiatrische Notfälle sowie zum Kenntnisstand hatte sich ein erheblicher Fortbildungsbedarf gezeigt. Es ist daher nach 7 Jahren von Interesse zu untersuchen, ob und welche Veränderungen sich in den Beurteilungen ergeben haben.
Methodik
Der 1996 verwendete Fragebogen wurde modifiziert, um insbesondere die Wertigkeit psychiatrischer Notfälle im Gesamtkontext der Notfallmedizin beurteilen zu können. Mit offenen und standardisierten Multiple-choice-Fragen sowie visuellen Analogskalen wurden folgende Daten erhoben: soziodemographische Angaben, Häufigkeit psychiatrischer Notfälle, persönliche Kenntnisse und deren zugemessene Wichtigkeit, Stellenwert einzelner psychiatrischer Störungen und Fortbildungsbedarf hierzu sowie Häufigkeit und Belastung im Vergleich zu anderen häufigen Notfallsituationen.
Ergebnisse
Insgesamt 274 Notärzte (männlich/weiblich: 74/26%, Altersmedian: 38 Jahre, Notarzttätigkeit im Median seit 6 Jahren, 69% Anästhesisten) schätzten die Häufigkeit psychiatrischer Notfälle auf 5%. Es waren 44% der Meinung, sie hätten in den letzten Jahren zugenommen. Die persönlichen Kenntnisse bewerteten nur 24% als hoch ein. Der Fortbildungsbedarf wurde als noch etwas höher im Vergleich zur Voruntersuchung angesehen, v. a. für Drogen- und Abhängigkeitserkrankungen. Hinter internistischen, neurologischen und chirurgischen Notfällen wurden psychiatrische Notfälle als vierthäufigste Einsatzursache beurteilt; die Belastung wurde jedoch höher als durch diese Notfälle erlebt.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse belegen die Bedeutung psychiatrischer Notfälle in der Notfallmedizin, zeigen aber auch, dass sich die Einschätzungen der Notärzte nur marginal geändert haben. Die subjektive Einschätzung der Häufigkeit unterschätzt die Einsatzrealität, und es besteht ein unverändert hoher Fortbildungsbedarf, auch um die hohe Belastung durch diese Einsätze zu reduzieren.
Abstract
Objective
In the German emergency medical system (EMS) psychiatric emergency situations (PES) are now responsible for up to 15% of all calls for the emergency physician (EP). A survey which was first conducted in 1996 to reveal knowledge about PES, reported a significant need for training. Seven years later it is interesting to investigate whether different conditions in the EMS may have changed assessments and attitudes.
Methods
The questionnaire of 1996 was modified to enable a comparison of PES and other frequent emergency situations with respect to the estimated number and the subjective stress. Open and multiple-choice questions or visual analogue scales were used to obtain the following data: demographic data, frequency of and stress by PES and other medical emergencies, own knowledge, and interest about training programs.
Results
Of the EPs 274 responded (male/female: 74/26%, mean age: 38 years, mean experience as an EP 6 years, anaesthesiologists 69%). The frequency of PES was estimated at 5% and 44% of EPs thought that there had been an increase in recent years. Personal knowledge was judged to be good by only 24%. The interest in training programs even increased slightly compared to the first survey; of particular interest was training in drug abuse disorders. Subsequent to internal, neurological and surgical emergencies, PES are considered to rank fourth in frequency, however the strain imposed by PES is significantly higher than for these other emergency situations.
Discussion
The results indicate an increase of relevance of PES in the German EMS, however, assessments made by the EP only changed marginally over the time period. The subjective awareness of the frequency of PES underestimates the reality in emergency medicine. The importance of training programs remains high to improve knowledge and to reduce feelings of incapability.
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Interessenkonflikt:
Keine Angaben
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Pajonk, FG., Lubda, J., Sittinger, H. et al. Psychiatrische Notfälle aus der Sicht von Notärzten. Anaesthesist 53, 709–716 (2004). https://doi.org/10.1007/s00101-004-0703-3
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00101-004-0703-3