Kritisch kranke Patienten mit gestörter Homöostase sind oftmals durch eine Dysbalance des Gerinnungssystems gekennzeichnet, was sich durch eine erhöhte Blutungsneigung wie auch durch eine verstärkte Gerinnungsneigung darstellen kann. Dies betrifft nicht nur vorerkrankte Patienten mit vorbestehender Antikoagulation und/oder medikamentöser Plättchenaggregationshemmung, sondern auch Patienten mit bislang unauffälliger Anamnese in Bezug auf das Gerinnungssystem, wie beispielsweise Patienten mit akuten kardiovaskulären Ereignissen, Patienten mit Sepsis und/oder Verbrauchskoagulopathie (disseminierte intravasale Gerinnung, „disseminated intravascular coagulation“ /DIC) oder Patienten, bei denen extrakorporale Verfahren angewandt werden.

Die Kontrolle der Balance zwischen erhöhter Blutungsneigung und verstärkter Thromboseneigung ist von hoher Bedeutung. Die Datenlage bzw. die Evidenz für oder gegen einzelne Therapiekonzepte ist hingegen eingeschränkt, es besteht eine Heterogenität an Therapieschemata, in vielen Fällen ist es notwendig, aufgrund der individuellen Konstellation (z. B. Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Indikation zur Antikoagulation) die Behandlung individualisiert nach patientenspezifischer Risiko-Nutzen-Analyse anzupassen. Dieser Überblick beleuchtet, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einige praxisrelevante Aspekte beim Umgang mit gerinnungsaktiven Medikamenten bzw. Antikoagulation und medikamentöser Thromboseprophylaxe.

Antikoagulation aufgrund von Vorerkrankungen

Hier ist in der Praxis zu unterscheiden zwischen Patienten, bei welchen aufgrund kardialer, vaskulärer und/oder neurologischer Vorerkrankung bereits vor der intensivmedizinischen Behandlung gerinnungsaktive Medikation als langfristige Medikation bestanden hat (z. B. Marcumar bei Vorhofflimmern) und Plättchenaggregationshemmung nach Myokardinfarkt, Antikoagulation nach Patienten, bei denen eine gerinnungsaktive Medikation aufgrund einer akuten Erkrankung mit intensivmedizinischer Behandlung aufgenommen wurde (z. B. duale vaskulären Interventionen usw.). Grundsätzlich gelten hierbei für die Indikationen und Anwendung die jeweiligen spezifischen Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften (z. B. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Deutsche Gesellschaft für Neurologie) – hier wird auf die jeweilige Leitlinie verwiesen, im Folgenden soll auf spezielle Aspekte der intensivmedizinischen Behandlung fokussiert werden.

Während bei der Behandlung akuter Erkrankungen, wie z. B. bei kardiovaskuläre Ereignisse, eine konsequente Adhärenz an Therapieleitlinien gefordert werden sollte, ist v. a. bei einer fortgeführten Antikoagulation in der Vormedikation im Verlauf der intensivmedizinischen Behandlung die Indikation, das Präparat, der Dosierungsweg und die Dosierung für die jeweils aktuelle Situation möglichst regelmäßig – idealerweise täglich – zu evaluieren und ggf. anzupassen. Zu beachten sind auch pharmakokinetische Besonderheiten, so ist die Wirkung oraler Antikoagulanzien bei eingeschränkter enteraler Resorption nicht einschätzbar und verlässlich, dies gilt umso mehr für Vitamin-K-Antagonisten bei alterierter Lebersynthese und Metabolismus. Bei s.c.-Gabe ist eine mögliche Einschränkung der Resorption und Wirkstoffaufnahme bei katecholaminpflichtigen Patienten mit Störungen der Mikrozirkulation zu bedenken.

Bei vorbestehender Antikoagulation ist bei der individuellen Abwägung einer Dosisreduktion oder Absetzen der Antikoagulation bei Blutungskomplikationen im intensivmedizinischen Verlauf die ursprüngliche Indikation wesentlich: So ist beispielsweise i. d. R. das prokoagulatorische Risiko des Absetzens einer prolongierten Prophylaxe bei früher stattgehabter venöser Thromboembolie (VTE) deutlich niedriger als das Absetzen einer Antikoagulation zur Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern; bei mechanischen Herzklappen oder Kreislauf-Assist-Systemen sollte die Antikoagulation – wenn möglich – nur bei vital bedrohlichen Blutungen abgesetzt werden. Für eine individualisierte hämostaseologische Behandlung ist neben der klinischen Einschätzung der Hämostasekapazität ein differenziertes Labormonitoring erforderlich.

Medikamentöse Thromboseprophylaxe in der Intensivmedizin

Auch unabhängig von Vorerkrankungen und der Art bzw. Genese einer akuten Erkrankung ist ein intensivmedizinischer Verlauf allein durch Immobilisierung und Inflammation mit einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse verbunden. Weitere risikoerhöhende Faktoren bei einer intensivmedizinischen Behandlung sind u. a. mechanische Beatmung, Analgosedierung, zentralvenöse Katheter und Infektionen. Gemäß der AWMF-S3-Leitlinie (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) „Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE)“ sind intensivmedizinische Patienten zur Kategorie der Hochrisikopatienten für thromboembolische Ereignisse zuzuordnen, was ohne medikamentöse Thromboseprophylaxe einem Auftreten von Beinvenenthrombosen in bis zu 80 % und tödlichen Lungenembolien in > 1 % der Fälle entsprechen würde [1]. Eine medikamentöse Thromboseprophylaxe wird somit für intensivmedizinisch behandelte Patienten generell empfohlen.

Bei der medikamentösen Thromboseprophylaxe sind die Präparate der ersten Wahl niedermolekulare Heparine (NMH) und unfraktioniertes Heparin (UFH). Eine Option stellt die s.c.-Applikation dieser Präparate in Hochrisiko-Prophylaxedosis dar; es ist jedoch eine potenziell reduzierte Resorption aufgrund einer eingeschränkten Perfusion und Mikrozirkulation v. a. unter Katecholamintherapie zu bedenken. Bei der Anwendung von NMH ist weiterhin die potenzielle Akkumulation bei bestehender Niereninsuffizienz zu beachten [1]. Eine weitere Option zur medikamentösen Thromboseprophylaxe in der Intensivmedizin ist die Gabe von unfraktioniertem Heparin per infusionem, entweder in einer festgelegten niedrigen Dosierung, z. B. 400 IE/h, oder gesteuert über die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) mit einem aPTT-Ziel, z. B. „aPTT-wirksam“, also mit einer leichten (und in der Praxis variabel gehandhabten) Erhöhung des aPTT-Werts oberhalb des Normbereichs. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass bei Intensivpatienten die Anwendbarkeit der aPTT zur Steuerung der Heparindosierung durch vielfältige Effekte auf dieses Testsystem im Rahmen der dysbalancierten Gerinnungssituation eingeschränkt sein kann. Des Weiteren ist zu beachten, dass jeweils klinikspezifische Zielbereiche für die Steuerung von Laborwerten bestehen.

Nach aktuellem Datenstand sollte in der Thromboseprophylaxe NMH gegenüber UFH aufgrund von höherer Effektivität und geringerem Blutungsrisiko sowie einem geringeren Risiko für das Auftreten einer heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT) II bevorzugt werden. In der AWMF-S3-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie“ wird die Gabe von NMH oder UFH s.c. zur Thromboseprophylaxe in der Intensivmedizin favorisiert, die Gabe von UFH i.v. in niedriger Dosierung als Option bei Blutungsneigung, Niereninsuffizienz oder unsicherer Resorption aufgeführt [1].

Bei Kontraindikation zu medikamentöser Thromboseprophylaxe aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos, z. B. bei frischen intrakraniellen Blutungen bzw. postoperativ nach neurochirurgischen Operationen oder bei akuten schweren Blutungen, sollten physikalische Verfahren zur Thromboseprophylaxe, falls verfügbar, intermittierende pneumatische Kompression, alternativ Kompressionsstrümpfe angewandt werden [1].

Sepsis und infektiös bedingte Gerinnungsstörungen

Schwere Infektionen stellen eine besondere Herausforderung an den korrekten Einsatz von medikamentöser Thromboseprophylaxe und Antikoagulation in der Intensivmedizin dar. Das Blutgerinnungssystem und die Immunabwehr interagieren auf verschiedenen Ebenen, was sich auch in dem zunehmenden Wissen um das Phänomen der Immunthrombose widerspiegelt. Es ist anzunehmen, dass eine leichte Aktivierung des Gerinnungssystems eine physiologische Reaktion als Teil der Immunabwehr dargestellt.

Schwere Infektionen können zur starken und überschießenden Aktivierung der Blutgerinnung führen

Schwere und schwerste Infektionen können jedoch zu einer starken und überschießenden Aktivierung der Blutgerinnung mit der Folge von Thrombosen und Organdysfunktion führen, bei progredientem und überschießendem Verbrauch von Gerinnungsfaktoren im Rahmen einer DIC auch mit der Folge von Blutungskomplikationen.

Eine Übersicht zu den Definitionen der sepsisassoziierten bzw. der sepsisinduzierten Koagulopathie, der DIC und der COVID-19-assoziierten Koagulopathie sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Übersicht zu den Definitionen der sepsisinduzierten Koagulopathie, der disseminierten intravasalen Gerinnung, und der COVID-19-assoziierten Koagulopathie

Analog zu den Empfehlungen für die Patienten in intensivmedizinischer Behandlung wird auch für Patienten mit der Diagnose einer Sepsis gemäß den Empfehlungen der Surviving Sepsis Campaign eine medikamentöse VTE-Prophylaxe empfohlen, bevorzugt mit niedermolekularen Heparinpräparaten s.c. [6]. Ob eine Dosierung oberhalb der Prophylaxedosis bzw. eine Antikoagulation bei der intensivmedizinischen Behandlung der Sepsis sinnvoll bzw. indiziert sein könnte, wird hingegen kontrovers diskutiert. Für unfraktioniertes Heparin werden über die Funktion der Hemmung der Blutgerinnung, im Wesentlichen über die Bindung an Antithrombin III und konsekutive Wirkungsverstärkung, auch immunmodulatorische und antiinflammatorische Funktionen angenommen [7]. Zwar deuten Studiendaten auf einen möglichen Effekt auf die Letalität bei Sepsis und schwerer Sepsis hin [8, 9], jedoch ist die Datenlage nicht ausreichend, um das Risiko-Nutzen-Verhältnis v. a. in Bezug auf Blutungskomplikationen bewerten zu können.

Bei Sepsis sind erniedrigte Konzentrationen der physiologischen Gegenspieler der Blutgerinnung Protein C und Antithrombin beschrieben, sodass eine Substitution zumindest theoretisch von Vorteil sein könnte. Die Substitution von aktiviertem Protein C sowie von Antithrombin bei Sepsis wurde in mehreren klinischen Studien untersucht. Im Jahr 2001 wurde in der PROWESS-Studie eine erniedrigte Letalität bei Gabe von rekombinantem aktiviertem Protein C bei Patienten mit schwerer Sepsis gezeigt [10], dieses Ergebnis konnte jedoch in der darauffolgenden PROWESS-SHOCK-Studie nicht nachgewiesen werden [11]. Zur Gabe von Antithrombin bei schwerer Sepsis und septischem Schock konnte in einer Studie kein positiver Effekt identifiziert werden, jedoch eine erhöhte Rate an Blutungskomplikationen bei gleichzeitiger Gabe von Heparin [12]. Die aktuellen Leitlinien geben aufgrund der aktuellen Studienlage keine Empfehlung zur Substitution eines der genannten Präparate.

Ein weiterer Ansatz wurde mit der Gabe von rekombinantem löslichem Thrombomodulin untersucht; die physiologische Bedeutung von Thrombomodulin ist die Verstärkung der Protein-C-Wirkung nach Aktivierung durch Thrombin. Bei Patienten mit sepsisassoziierter Koagulopathie konnte jedoch in einer klinischen Studie bei der Gabe von rekombinantem löslichem Thrombomodulin kein positiver Effekt nachgewiesen werden [13].

Neu ist die Herausforderung der Thromboseprophylaxe bzw. Antikoagulation bei Patienten mit COVID-19

Bei einer DIC kommt es durch eine massiv gesteigerte Thrombingeneration zur überschießenden Gerinnung, welche zu Thrombosen, aber auch zu Blutungen aufgrund des Verbrauchs an Gerinnungsfaktoren führen kann. Eine Heparingabe in niedriger Dosierung kann der Pathophysiologie der überschießenden Gerinnung entgegenwirken, während eine vorsichtige Substitution dem Ersatz von Gerinnungsfaktoren dient – eine individualisierte Therapieführung unter Beachtung von klinischem Bild und engmaschigen Labormonitoring wird empfohlen.

Eine neue Herausforderung stellt die Thromboseprophylaxe bzw. Antikoagulation bei Patienten mit COVID-19 dar. Schon früh während der Pandemie fielen bei schweren Krankheitsverläufen hohe D‑Dimer-Werte sowie eine hohe Rate von thromboembolischen Komplikationen und arteriellen Ereignissen auf. Eine überschießende Gerinnungsaktivierung ist pathognomonisch für schwere Verläufe von COVID-19 [5, 14]. Die frühzeitige und großzügige Indikation zu prophylaktischer medikamentöser Thromboseprophylaxe ist mit verbessertem Überleben verbunden [15], während hingegen für eine unselektionierte therapeutische Antikoagulation kein Vorteil gezeigt werden konnte [16]. Bei zusätzlichen Risikofaktoren sollte großzügig eine intensivierte Thromboembolieprophylaxe z. B. mit der halbtherapeutischen Dosis eines NMH erfolgen [17]. Eine engmaschige labordiagnostische, klinische und ggf. radiologische Überwachung auf thromboembolische Komplikationen mit konsekutiver Indikation zu therapeutischer Antikoagulation wird empfohlen. Bei Heparinresistenz wird die Gabe des direkten Thrombininhibitors Argatroban diskutiert [18, 19].

Extrakorporale Zirkulation

Extrakorporale Kreislaufersatzverfahren („extra corporeal life support“, ECLS; venoarterielle extrakorporale Membranoxygenation, ECMO) sowie Lungenersatz- bzw. Unterstützungsverfahren (venovenöse ECMO) haben mittlerweile einen festen Stellenwert in der Behandlung des Herz-Kreislauf-Versagens sowie des schweren Lungenversagens. Dabei gilt es aus hämostaseologischer Sicht, primär die Bildung von Thromben in den Systemen zu vermeiden, was i. d. R. durch eine kontinuierliche und engmaschig kontrollierte Gabe von i.v.-Heparin erzielt wird. Diese Therapiesteuerung stellt jedoch eine besondere Herausforderung dar, da durch Kontaktaktivierung an Fremdoberflächen, Thrombozytenaktivierung, Verlust von Gerinnungsfaktoren sowie spezifischen Veränderungen wie z. B. das erworbene von-Willebrand-Syndrom [20] die Patienten in besonderem Maße nicht nur durch thromboembolische Komplikationen, sondern auch durch Blutungskomplikationen bedroht sind. Die verwendeten Regime zur Dosierung und Steuerung der Heparintherapie sind variabel und stark abhängig von institutionellen Regimen. Falls das Monitoring mithilfe der aPTT durchgeführt wird, kann eine aPTT von 60–80 s und bei blutungsgefährdeten Patienten eine aPTT von 40–60 s angestrebt werden. Bei Verwendung der ACT („activated clotting time“) werden Zielbereiche von etwa 180–200 s angegeben [21]. Ein spezifisches Monitoring des Heparineffekts ist über die Messung der Anti-Xa-Aktivität möglich, bei Zielbereich von etwa 0,3 bis 0,7 IU/ml; die Anti-Xa-Aktivität bildet jedoch nur den spezifischen pharmakologischen Effekt ab, die Gerinnungsteste wie aPTT und ACT eher ein Bild des gesamten Effekts auf die Hämostase [21]. Da die Heparinwirkung über Antithrombin vermittelt wird, ist eine ausreichende Konzentration Antithrombin notwendig, zur Substitution von Antihrombin existieren jedoch keine allgemeingültigen Empfehlungen [21].

Zur Antikoagulation bei Nierenersatzerfahren beim intensivmedizinischen Patienten ist prinzipiell eine Antikoagulation durch Heparin oder durch Zitrat möglich, wobei sich die regionale Zitratantikoagulation in den letzten Jahren zunehmend durchsetzt. Da hier die systemische Wirkung wie bei der Antikoagulation durch Heparin wegfällt, ist die Methode auch bei Patienten mit Blutungskomplikationen anwendbar. Zudem konnten längere Filterlaufzeiten durch Zitratantikoagulation gezeigt werden [22]. Die Überwachung erfolgt durch regelmäßige Kontrollen des „Postfilter-Werts“ für ionisiertes Kalzium (anhand dessen die Zitratdosis gesteuert wird), des Werts für systemisches ionisiertes Kalzium (anhand dessen die Kalziumdosierung gesteuert wird) sowie des Säure-Basen-Status.

Verfügbare Medikamente zur Antikoagulation und Plättchenaggregationshemmung

Pharmakologische Eigenschaften, Möglichkeiten des Monitorings sowie weitere Aspekte der Therapiesicherheit engen in der Intensivmedizin die Substanzwahl bei Gerinnungs- und Thrombozytenhemmern ein. In der kardiovaskulären Akut- und Intensivmedizin spielen Antikoagulanzien und Thrombozyteninhibitoren aufgrund der kausalen thromboembolischen Ereignisse eine zentrale Rolle. Daher sind Kenntnisse zur Differenzialtherapie, zum individuellen Labormonitoring und zur pharmakologischen Sicherheit von Thrombozyten- und Gerinnungshemmstoffen in der internistischen Intensivmedizin wesentlich. In Tab. 2 sind die derzeit gebräuchlichen Präparate bzw. Substanzklassen aufgeführt.

Tab. 2 Darstellung der verfügbaren Gerinnungs- und Thrombozytenhemmer

Beim pharmakologischen Monitoring sind die Zeitpunkte der Medikamentenverabreichung und der Blutabnahme exakt zu beachten

Dosierung und Art der Verabreichung orientieren sich an den spezifischen Zulassungen mit besonderem Augenmerk auf Dosisreduktionen bei Organdysfunktionen. Bei kombinierten Anwendungen müssen besonders auch additive Effekte auf das Blutungsrisiko beachtet werden. Ebenfalls individuell einzustellen ist der Wechsel von einem zum anderen Medikament (z. B. orale Antikoagulanzien auf parenterale Heparine), auch bei vergleichbarer Wirkung. Hier muss die spezielle Pharmakologie der jeweiligen Substanzen beachtet werden (z. B. Verweildauer der Substanz im Blut vs. biologische Wirksamkeit). Grundsätzlich muss beim pharmakologischen Monitoring der Zeitpunkt der Verabreichung des Medikaments und der Blutabnahme exakt beachtet werden. Hier ist ein konsistenter Austausch der Anwendungsdokumentation der Antikoagulanzien zwischen Klinik und Labor erforderlich.

Laboranalytische Aspekte und Drug-Monitoring

Neben der Dosisanpassung an Körpergewicht und Nierenfunktion ist ein individualisiertes labordiagnostisches Monitoring von Thrombozytenhemmung und Antikoagulation ein etabliertes Vorgehen in der Intensivmedizin. Labordiagnostisch stehen hierfür verschiedene Testsysteme zur Verfügung, die eine Prüfung der Thrombozytenfunktion oder der plasmatischen Gerinnung erlauben (Tab. 3).

Tab. 3 Überblick über die verfügbaren Testsysteme zur Messung der Thrombozytenhemmung sowie der plasmatischen Gerinnung

Thrombozyteninhibition

Thrombozytenhemmer werden üblicherweise leitliniengerecht in Standarddosen verwendet. In spezialisierten Zentren wird passager v. a. bei kardiovaskulären bzw. neurovaskulären Interventionen ein individuelles Monitoring der Thrombozyteninhibition durchgeführt. Für die Thrombozytenfunktionsdiagnostik stehen verschiedene Verfahren mit unterschiedlichem Standardisierungsgrad zur Verfügung. Angewandt werden in der Notfall- und Intensivmedizin insbesondere Systeme, die auch bei Anwendung als patientennahe Messverfahren eine Untersuchung in Vollblut erlauben (z. B. Multiplate; VerifyNow-PRU-Test, PRU: „platelet reactivity unit“). In Speziallaboratorien wird die photometrische Aggregometrie durchgeführt, die basierend auf den Untersuchungsbedingungen ein spezialisiertes Laborumfeld erfordert. Grundprinzip der verschiedenen Testverfahren ist, dass durch Zugabe unterschiedlicher Thrombozytenaktivatoren verschiedene thrombozytäre Signalwege geprüft und damit ein spezifisches Monitoring verschiedener Thrombozytenhemmer durchgeführt werden kann. In der Anwendung muss insbesondere die eingeschränkte Validierung und Standardisierung der verschiedenen Testsysteme beachtet werden, prospektive kontrollierte Daten einer breiteren Anwendung sind nur sehr eingeschränkt verfügbar [23, 24].

Analytik im Vollblut

Analysesysteme zur fortlaufenden Messung der Gerinnselbildung im Vollblut werden seit vielen Jahren in der Notfalldiagnostik und in der perioperativen Medizin eingesetzt. Konsentierte Therapieempfehlungen zum standardisierten Management von Blutungskomplikationen auf Basis dieser Messungen sind verfügbar. Grundlegendes analytisches Prinzip der verfügbaren Systeme (z. B. Thromboelastographie, TEG; „rotational thromboelastometry“, ROTEM [Werfen, Barcelona, Spanien]; Viskoelastometrie-Analyzer CLOTPRO [enicor GmbH, München, Deutschland / Haemonetics, Boston, MA, USA]) ist die Darstellung der viskoelastischen Veränderungen während des Gerinnselbildung von Vollblut, bei Anwendung von gegenüber den Globaltesten der Gerinnung vergleichbaren Aktivatoren (Prothrombinzeit, PT [partielle Thromboplastinzeit], PTT, „russel viper venom time“, RVVT). Die Gerinnselbildung wird bei diesen Systemen i. d. R. über etwa 30 min aufgezeichnet. Neben klassischen Systemen, die auf der händischen Zugabe verschiedener Aktivatoren zu dem Patientenmaterial beruhen und eher im labordiagnostischen Umfeld anzuwenden sind, sind neue Gerätegenerationen verfügbar, die auf Einmalsystemen (Cartridges) ohne aufwendiges Reagenzienhandling beruhen. Basierend auf der Vollblutanwendung sind die entsprechenden Systeme grundsätzlich für ein Monitoring aller Gerinnungshemmstoffe anwendbar, eingeschränkt auch für Thrombozyteninhibitoren. Problematisch in der Anwendung ist die eingeschränkte Standardisierung der verschiedenen Testsysteme sowie die vielfältigen Einflussgrößen und Störfaktoren, die auf die Vollblutanwendung zurückzuführen sind. Insbesondere parenterale Gerinnungsinhibitoren haben bei Auswahl geeigneter Testsysteme einen deutlichen Einfluss auf die Gerinnungszeiten. Ein spezifisches Monitoring von Antikoagulanzien kann nur mit validierten, idealerweise vom Hersteller freigegebenen Testverfahren erfolgen [25].

Plasmatische Gerinnung

Die Durchführung eines individualisierten labordiagnostischen Monitorings ist im intensivmedizinischen Umfeld für verschiedene Gerinnungshemmstoffe (VKA, UFH) lange etabliert. So werden insbesondere i.v. verabreichte Antikoagulanzien individuell analysiert und die Dosierung entsprechend angepasst. Bei den neuen direkten Antikoagulanzien (DOAK) und der medikamentösen Thromboseprophylaxe wird in der klinischen Standardanwendung meist auf ein labordiagnostisches Monitoring verzichtet, nicht zuletzt aus Gründen des klinischen Aufwands und der Praktikabilität.

Zunehmend werden auch spezifischere Testmethoden zum Monitoring einzelner Medikamente (bzw. Antikoagulantien) angewandt

Grundsätzlich stehen für die labordiagnostische Überwachung einer gerinnungshemmenden Therapie verschiedene Testkonzepte zur Verfügung. Die hierfür am besten geeigneten Testverfahren sind jedoch nach wie vor nicht geklärt und weiterhin Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussion. Neben den seit vielen Jahren in der klinischen Routineanwendung eingesetzten globalen Gerinnungsparametern (aPTT; ACT; „international normalized ratio“, INR, auch (PT)) werden zunehmend auch spezifischere Testmethoden beispielsweise zum Nachweis von Faktor Xa (FXa) bzw. FIIa (Thrombin) hemmenden Medikamenten angewendet. Letztere basieren meist auf synthetischen Substratreaktionen (chromogen, fluorogen) oder der Test „dilute russel viper venom time“ (DRVVT) und sind wie die Globalteste der Gerinnung auf automatisierten Gerinnungsanalyzern etablierbar. Die traditionellen Globalteste der Gerinnung haben sich je nach lokalen Gegebenheiten auch als Vollblutmethoden im patientennahen Einsatz etabliert (Tab. 3).

Spezifisches Monitoring

Heparine

Für das labordiagnostische Monitoring von unfraktioniertem Heparin (UFH) steht nach wie vor die aPTT im Vordergrund, limitierend sind hier jedoch die schlechte Standardisierung der unterschiedlichen aPTT-Reagenzien mit z. T. erheblichen Testvariabilitäten sowie die breite Beeinflussbarkeit dieses globalen Testsystems beispielsweise durch Akute-Phase-Faktoren oder Faktorenmängel. Basierend auf diesem Hintergrund und dem zusätzlichen UFH-Effekt einer Anti-Xa-Hemmung neben der primären Verstärkung der Antithrombinwirkung werden zunehmend auch anti-Xa-basierte Testsysteme für das UFH-Monitoring eingesetzt, die zuvor nur im Monitoring von niedermolekularen Heparinen (NMH) Anwendung fanden.

Problematisch in der Anwendung dieser Testsysteme ist jedoch die ebenfalls fehlende Standardisierung und Heterogenität verschiedener verfügbarer Reagenzien mit sehr variabler oder z. T. sogar fehlender Empfindlichkeit für UFH. Auch ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass verschiedene Heparine unterschiedliche Intensitäten an Anti-Xa-Wirkung besitzen und daher durch diese Testsysteme unterschiedlich erfasst werden.

Die Heterogenität der Testsysteme ist potenziell auch auf variable Messbedingungen zurückzuführen, beispielsweise ist hier die vorhandene oder fehlende Vorhaltung von Antithrombin (AT) im jeweiligen Testreagenz von Bedeutung (Tab. 4). Bei Patienten mit angeborenem Mangel findet sich ein deutlicher Einfluss der erniedrigten AT-Spiegel [26].

Tab. 4 Übersicht über Anti-Xa- und Anti-IIa-Teste

Ein Teil der Wirkung von UFH kann auch mittels anti-IIa-basierten Testsystemen erfasst werden, wobei hier Antithrombin den verfügbaren Reagenzien zugefügt ist. Kontrollierte Prospektivstudien für die Anwendung dieser vom Testprinzip her spezifischeren Testsysteme im UFH-Monitoring sind kaum verfügbar [27].

Direkte orale Antikoagulanzien

Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) stellen eine Gruppe von gerinnungshemmenden Arzneistoffen dar, die direkt gegen bestimmte Gerinnungsfaktoren (Anti-FXa-Typ oder Anti-FIIa-Typ) wirken. Basierend auf der breiten Anwendung dieser Medikamente und der Komplexität der Patientenklientel kann ein labordiagnostisches Monitoring im intensivmedizinischen Umfeld sowohl im Rahmen einer Blutungsabklärung als auch im Rahmen einer antikoagulatorischen Therapieeinstellung erforderlich sein.

Für ein labordiagnostisches Monitoring stehen anti-Xa- sowie anti-IIa-basierte Testsysteme zur Verfügung, die jeweils auf das spezifisch zu untersuchende Medikament kalibrierbar sind. In diesem Zusammenhang ist jedoch die Kreuzreaktivität verschiedener Medikamente und gleichem Wirkungsprinzip auch bei medikamentenspezifischer Testkalibration zu beachten. Vor diesem Hintergrund und angesichts des hohen Kalibrations- und Qualitätssicherungsaufwands ist die Erforderlichkeit für die Vorhaltung substanzspezifischer Testsysteme oder das Ausreichen von wirkungsspezifischen Testsystemen im Sinne von Screeningtests Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion. Mit der spezifischen Differenzierung der Anti-Xa bzw. -IIa-Wirkung lassen sich auch besondere klinische Konstellationen auflösen, z. B. wenn ein Patient unter Xa-Inhibitoren notfallmäßig mit UFH weiterbehandelt wird [28]. Ein therapeutisches Monitoring dieser Substanzen ist weiterhin mittels chromatographischer Methoden wie der Tandem-Massenspektrometrie möglich; basierend auf dem jedoch noch sehr hohen methodischen Aufwand stellt dies derzeit aber noch keine gängige Routineanwendung dar.

Globalteste oder spezifische Testsysteme

Die im labordiagnostischen Monitoring von Antikoagulanzien erhaltenen Messwerte sind bei Verwendung hämostaseologischer Globalteste sehr variabel, weswegen auch die klinikspezifische Einstellung auf Zielbereiche/Zielwerte bevorzugt Anwendung findet. Häufig findet sich hier jedoch trotz Bolusgabe bzw. Dosiserhöhung kein labordiagnostisches Korrelat, was u. a. auf Akute-Phase-Effekte zurückzuführen ist [29]. Inwieweit in vergleichbaren Fragestellungen oder auch in der breiten Anwendung spezifischere Testsysteme im Sinne eines therapeutischen Drug-Monitorings überlegen sind, ist derzeit nicht klar und Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussion. Problematisch in der Einordnung von Globaltesten oder spezifischen Testsystemen sind insbesondere deren sehr variable Messbereiche, die eine Dosiseinstellung erschweren (Abb. 1). Die derzeitige Problematik wird durch eine aktuelle wissenschaftliche Umfrage verdeutlicht, die eine beträchtliche Heterogenität sowohl in der Auswahl gerinnungsaktiver Substanzen als auch der Anwendung labordiagnostischer Testsysteme im Rahmen des Monitorings im intensivmedizinischen Umfeld zeigt [30].

Abb. 1
figure 1

Schematische Darstellung der dosisabhängigen Messbereiche verschiedener Testverfahren für Gerinnungsinhibitoren. ACT „activated clotting time“, DOAK direkte orale Antikoagulanzien, DTI direkter Thrombininhibitor, NMH niedermolekulare Heparine, PTT partielle Thromboplastinzeit, UFH unfraktioniertes Heparin

Antikoagulation mit minimiertem Blutungsrisiko

Im Rahmen alternativer Therapieansätze wird durch Hemmung in den Aktivierungsschleifen des Kontaktphasesystems (z. B. FXI-Hemmung) oder beispielsweise durch spezifische Inhibierung von alternativen Thrombozytenrezeptoren versucht, das insbesondere in der Intensivmedizin gefürchtete Blutungsrisiko unter Antikoagulation zu minimieren. So wurde in der Thromboseprophylaxe die grundsätzliche Realisierbarkeit einer FXI-Reduktion gezeigt [31]. Aktuell wurden erste Daten zu einem neuartigen Glykoprotein-VI(GP-VI)-Fc-Inhibitor publiziert [32, 33].

Diese Therapieansätze zeigen die Möglichkeiten alternativer Wirkungsprinzipien auf. Aus intensivmedizinischer Sicht ist bei neuen Substanzen und Therapieprinzipien eine möglichst kurze Wirksamkeit bei parenteraler Anwendbarkeit essenziell.

Sowohl die Anzahl als auch die evidenzbasierten Indikationen oraler und parenteraler Antikoagulanzien und Thrombozyteninhibitoren haben in den letzten Jahren beträchtlich zugenommen. Standardisierte Testsysteme zur Therapieüberwachung spezifischer Substanzen sind jedoch derzeit für die klinische Routinediagnostik nur sehr eingeschränkt verfügbar. Umso mehr müssen für spezifische Fragestellungen in der klinischen Praxis die verfügbaren labordiagnostischen Verfahren zur Therapiesteuerung im Rahmen verschiedener Fragestellungen (z. B. DOAK, z. B. Heparinisierung) sehr gezielt ausgewählt und nur unter Beachtung der jeweiligen Testlimitationen angewendet und beurteilt werden.

Fazit für die Praxis

Folgende Punkte sollten bei Antikoagulation und Plättchenaggregationshemmung beim kritisch kranken Patienten beachtet werden:

  • Behandlung akuter vaskulärer Ereignisse i. d. R. nach entsprechenden Leitlinien unter Beachtung einer individuellen Risikoabwägung bezüglich Blutungsrisiko und Risiko thromboembolischer Ereignisse,

  • regelmäßige Evaluation und ggf. Anpassung einer bestehenden Antikoagulation bzw. Plättchenaggregationshemmung,

  • Beachtung von Organfunktionseinschränkungen, veränderter Zirkulation sowie verändertem Metabolismus,

  • Beachtung des erhöhten Risikos thromboembolischer Ereignisse,

  • ggf. spezifische Anpassung der Antikoagulation bei Sepsis und infektionsgetriggerten Gerinnungsstörungen (z. B. DIC [disseminierte intravasale Gerinnung]),

  • engmaschige klinische und labordiagnostische Kontrolle v. a. bei der Anwendung extrakorporaler Verfahren,

  • labordiagnostische Verfahren zur Therapiesteuerung müssen für die jeweilige Fragestellung (z. B. DOAK [direkte orale Antikoagulanzien], Heparinisierung) gezielt ausgewählt und unter Beachtung spezifischer Limitationen angewendet werden.