FormalPara Zusammenfassung

Pflegeheime sind Orte des letzten Lebensabschnitts und des Sterbens. Ein Drittel der innerhalb eines Jahres verstorbenen AOK-Versicherten lebte in einem Pflegeheim. Obwohl sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für palliative Versorgungsansätze in den letzten 15 Jahren erheblich verändert haben, birgt die Versorgung Sterbender vielfältige Herausforderungen für das Setting Pflegeheim. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Beitrag Krankenhaus-Verlegungen von Pflegeheimbewohnenden unmittelbar vor dem Lebensende auf Basis von AOK-Routinedaten. Sichtbar wird, dass sich die Krankenhausaufenthalte vor dem Versterben verdichten und zudem auch potenziell vermeidbare Behandlungsanlässe als Ursache dokumentiert sind. Der vorgelegte Beitrag versteht sich in diesem Sinne als empirische Bestandsaufnahme. Er soll Anstoß sein für eine Diskussion der Frage, ob und wenn ja welcher Veränderung es bedarf, um eine rechtzeitige und konsequente Erfassung der Versorgungswünsche von Bewohnenden mit Blick auf ihr Lebensende zu sichern.

Nursing homes are important providers of end-of-life care: one out of three insurees of a German regional statutory health insurance fund (AOK) who died within one year lived in a nursing home. Although the legal framework for palliative care has changed considerably in the last 15 years, the challenges for nursing homes caring for the dying are immense. This paper presents the key findings of a claims data analysis of hospital transfers of nursing home residents at the end of their lives. It can be shown that hospitalisation increases near the end of life and is associated with ambulatory care sensitive conditions. The paper aims to highlight this issue of potentially unmet needs and to initiate a discussion of what changes are needed to ensure timely and consistent recording of the wishes of nursing home residents with regard to their end of life care.

1 Hintergrund und Fragestellung

Die Versorgung, Pflege und Begleitung von Menschen, die altersbedingt oder aufgrund von unheilbaren bzw. zum Tode führenden Erkrankungen absehbar versterben werden, ist ein wesentlicher Bestandteil des Alltags in deutschen Pflegeheimen. Von den rund 400.000 AOK-Versicherten, die jährlich in Deutschland versterben, lebte ein Drittel im Pflegeheim (2018–2020; 32 %). Sowohl die gesamtgesellschaftliche Wahrnehmung als auch die Rahmenbedingungen der Begleitung von Sterbenden und ihren Angehörigen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Vor rund 40 Jahren nahm der Palliativansatz in Deutschland seinen Anfang, 1997 erfolgte mit dem 2. GKV-Neuordnungsgesetz (2. GKV-NOG) durch den Anspruch auf Zuschüsse für stationäre und teilstationäre Hospize (§ 39a SGB V) erstmals die Aufnahme von hospizlicher und palliativmedizinischer Versorgung in das SGB V. Weitere Meilensteine waren der zum 1. April 2007 in Kraft getretene Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (§ 37b SGB V) durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) sowie das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) des Jahres 2015. Mit dem HPG wurde erstmals expliziert, dass palliative Versorgung integraler Bestandteil der Krankenbehandlung ist (§ 27 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Eine entsprechende leistungsrechtliche Klarstellung erfolgte auch im SGB XI durch die Aufnahme der Sterbebegleitung in die Rahmenverträge nach § 75 SGB XI. Das HPG verfolgte darüber hinaus den weiteren Ausbau der Hospiz- und ambulanten Palliativversorgung, die Förderung der Vernetzung und Kooperation der Akteure sowie die Stärkung der Beratung der Betroffenen (BT-Drs. 18/5170). Für das vollstationäre Pflegesetting wurde ferner die Möglichkeit geschaffen, Bewohnenden eine „Gesundheitliche Versorgungsplanung am Lebensende“ (§ 132g SGB V) zu ermöglichen. Hilfen und Angebote der Sterbebegleitung sollen hierbei aufgezeigt und im Rahmen einer Fallbesprechung auf die individuellen Bedürfnisse der Bewohnenden – insbesondere auf medizinische Abläufe in der letzten Lebensphase und während des Sterbeprozesses – eingegangen werden.

Auch durch die Weiterentwicklung der Qualitätssicherung der Pflege wurden die Anforderungen an die Pflegeheime weiter expliziert. Mit Neufassung der Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität, Qualitätssicherung und Qualitätsdarstellung in der vollstationären Pflege (MuG) nach § 113 SGB XI sind vollstationäre Pflegeeinrichtung seit 2008 verpflichtet, Angebote zur Sterbebegleitung auf Basis eines Konzeptes durchzuführen. Im Rahmen der externen Qualitätsprüfungen werden dieser und vier weitere Qualitätsaspekte im Bereich „Begleitung sterbender Heimbewohnerinnen und Heimbewohner und ihrer Angehörigen“ erfasst und die Ergebnisse öffentlich zugänglich gemacht (§ 115 SGB XI sowie QDVS Anlage 6). Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Versorgung sind in den letzten Jahren folglich grundsätzlich näher an dem Leitsatz eines Sterbens unter würdevollen Bedingungen und einer die Wünsche des Betroffenen respektierenden Sterbebegleitung ausgerichtet worden. Gleichwohl werden insbesondere regionale Versorgungsunterschiede weiter kritisch diskutiert (siehe Radbruch et al., Chap. 3 im selben Band; Ateş et al. 2021). Ateş et al. (2021) heben zudem hervor, dass bei vielen geriatrischen Patientinnen und Patienten und an Demenz Erkrankten eine Palliativversorgung trotz Erfordernis zu selten veranlasst werde und in Pflegeeinrichtungen spezialisierte Leistungserbringende oft zu spät oder gar nicht hinzugezogen würden. Auch deuten Befragungsstudien auf Versorgungsdefizite bei der Sterbebegleitung in Pflegeheimen hin (Diehl et al. 2021; Strautmann et al. 2020; ZIG und IPP 2017). Vor allem die unzureichenden strukturellen Rahmenbedingungen bezüglich Anzahl und Qualifikation des Personals werden seitens der befragten Pflegekräfte als defizitär wahrgenommen. Nicht zuletzt hat auch die Covid-19-Pandemie den Umgang mit Pflegeheimbewohnenden in der letzten Lebensphase ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt, denn auf einmal war ein Kontakt zu diesen nicht immer möglich (Gangnus et al. 2021; Räker et al. 2021).

Der folgende Beitrag wendet sich vor diesem Kontext der Frage zu, wie viele Pflegeheimbewohnende in den Wochen vor ihrem Tod eine Verlegung ins Krankenhaus erfahren bzw. im Krankenhaus versterben. Dem liegt die Hypothese zugrunde, dass Krankenhausfälle relativ kurz vor dem Tod auf „kurative Überversorgung“ hindeuten (Radbruch et al. 2015) bzw. als Indikator zur Beurteilung der Versorgung von Pflegeheimbewohnenden am Lebensende herangezogen werden können (Mukamel et al. 2016). Ferner verdichtet der Beitrag mit dieser Betrachtung die Befunde zu potenziell vermeidbaren Krankenhausaufenthalten von Pflegeheimbewohnenden.

Die vorliegende Analyse ist als empirische Bestandsaufnahme für Deutschland zu verstehen. Wesentlicher Aspekt bei der Beurteilung der Angemessenheit der Versorgung von sterbenden Menschen ist, ob ihren Vorstellungen und Wünschen entsprochen wird (Charta zur Betreuung Sterbender). Inwiefern die Krankenhausbehandlung medizinisch indiziert war und dem Wunsch der Bewohnenden entsprach, lässt sich mittels Routinedatenanalysen nicht abschließend beantworten. Die Analysen liefern vielmehr wichtige Hinweise zur Versorgung von Pflegeheimbewohnenden am Lebensende. Untersucht werden mittels AOK-Routinedaten der Jahre 2018 bis 2020 Krankenhausaufenthalte von Pflegeheimbewohnenden in den letzten zwölf Wochen vor ihrem Tod. Auch die Auswirkungen der Covid-Pandemie auf die Krankenhauseinweisungen werden damit sichtbar, wenngleich im Fokus die Versorgungsproblematik am Lebensende unabhängig von der Pandemie steht.

2 Stand des Wissens

Krankenhausaufenthalte von Pflegeheimbewohnenden, d. h. ihre Verlegung in ein anderes Versorgungssetting und das Verlassen des gewohnten Umfelds, bergen für diese in der Regel betagten, häufig dementiell erkrankten und insgesamt sehr vulnerablen Menschen ein hohes Risiko für eine substanzielle Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Neben psychischen Belastungen drohen kognitive Verschlechterungen, nosokomiale Infektionen, Delire, Stürze, Komplikationen durch Immobilisation (z. B. Dekubitus) und schließlich ein weiterer Verlust von Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit (Collier 2012; Habbinga 2019; Kada et al. 2013). Bei der Versorgung von Menschen mit absehbarem Lebensende stehen der Erhalt der Lebensqualität und damit auch die Vermeidung derartiger Risiken im Zentrum; insbesondere zählen Einweisungen in ein Krankenhaus kurz vor dem Versterben zu den „burdensome transitions“ (Aaltonen et al. 2014; Gozalo et al. 2011; Miller et al. 2016, 2017). Bei dementiell erkrankten Menschen am Lebensende, so auch die European Association for Palliative Care, sei Zurückhaltung bei der Entscheidung für einen Krankenhausaufenthalt geboten und Risiken, Nutzen, Versorgungsziele sowie Demenzstadium zu berücksichtigen (van der Steen et al. 2014).

Im vom Innovationsfonds geförderten Forschungsprojekt „Qualitätsmessung in der Pflege mit Routinedaten“ (QMPR), durchgeführt vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) in Kooperation mit der aQua-Institut GmbH und der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, stand die Entwicklung von routinedatenbasierten Qualitätsindikatoren an den Schnittstellen der Versorgung von Pflegeheimbewohnenden im Zentrum (Behrendt et al. 2022b). Die Forschenden operationalisierten und testeten den Indikator „Krankenhausaufenthalte vor Versterben“ als einen von drei Indikatoren an der Schnittstelle zur Hospitalisierung auf den Abrechnungsdaten der AOK-Kranken- und Pflegekassen und führten zudem eine umfangreiche strukturierte Literaturrecherche zu Relevanz, Epidemiologie, Evidenz und Beeinflussbarkeit in den Datenbanken Pubmed und CINAHL durch. Diese Befunde werden im Folgenden zusammengefasst referiert und finden sich ausführlicher im QMPR-Ergebnisbericht (Behrendt et al. 2022a).

Wie häufig in Deutschland Pflegeheimbewohnende am Lebensende hospitalisiert werden, ist primär den auf GKV-Routinedaten basierenden Arbeiten der Studiengruppe um Allers und Hoffmann der Universität Oldenburg zu entnehmen (Studien: Allers und Hoffmann 2018; Hoffmann und Allers 2020a, 2020b; systematische Reviews: Allers et al. 2019; Hoffmann et al. 2019): Etwa die Hälfte der Bewohnenden (49–52 %) erlebt mindestens einen Krankenhausaufenthalt im letzten Lebensmonat – Anteile, die in anderen Ländern wesentlich geringer ausfallen (Table 4.3 im Anhang). In einer systematischen Übersichtsarbeit für Deutschland handelt es sich dabei um den zweitgrößten Anteil gegenüber den Vergleichsländern (primär USA, aber auch Japan, Kanada, Australien, Frankreich und Belgien) (Allers et al. 2019). Eine weitere aktuelle systematische Übersichtsarbeit zeigt überdies für Deutschland, dass die Hälfte (51 %) der verstorbenen Bewohnenden mit Demenz mindestens einmal in ihren letzten 30 Lebenstagen hospitalisiert wurde – in den genannten Vergleichsländern lediglich 8 bis 32 % (Hoffmann et al. 2019). Aber auch ganz unabhängig von der Länge des Zeitraums vor Versterben: In Deutschland werden offensichtlich Pflegeheimbewohnende am Lebensende häufiger in ein Krankenhaus eingewiesen als in den in Table 4.3 im Anhang betrachteten Ländern.

Bestimmte personenseitige Merkmale scheinen dabei mit einem erhöhten (↑) oder einem sinkenden (↓) Risiko für einen Krankenhausaufenthalt am Lebensende bzw. vor dem Versterben assoziiert zu sein (zusammengefasste Befunde in: Behrendt et al. 2022a). Hierzu zählen:

  • Männliches Geschlecht ↑

  • Zunehmendes Alter ↓

  • Demenz/kognitive Beeinträchtigungen ↓

  • Höhere Pflegebedürftigkeit ↓

Die Wahrscheinlichkeit variiert ferner regionale stark: So beträgt der Anteil Bewohnender mit Krankenhausaufenthalt in den letzten 28 Tagen vor dem Versterben an allen verstorbenen Bewohnenden in Bremen rund 46 %, in Mecklenburg-Vorpommern 59 %. Bezogen auf die letzten 365 Tage vor dem Versterben liegt diese Spannweite zwischen 70 % (Schleswig-Holstein) und 81 % (Thüringen). Alle neuen Bundesländer weisen hier überdurchschnittliche Anteile auf (Hoffmann und Allers 2020a).

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts HOMERN (Hospitalisierung und Notaufnahmebesuche von Pflegeheimbewohnern) der Universitäten Bremen und Oldenburg legen zudem nahe, dass monetäre Anreize sowie rechtliche Gegebenheiten eine Einweisung von Pflegeheimbewohnenden in die Notaufnahme bzw. das Krankenhaus wahrscheinlicher machen (Schmiemann et al. 2021). Für die oftmals vom Pflegeheim aufgrund ärztlicher Nichterreichbarkeit gerufenen Rettungsdienste bestehen regional finanzielle Anreize für einen Transport ins Krankenhaus, da sonst die Vergütung der beteiligten Akteure entfällt. Zudem dürfen Rettungskräfte weder diagnostizieren noch Therapieentscheidungen treffen. Sofern eine Rücksprache mit einem Arzt oder einer Ärztin nicht möglich ist, werden die Betroffenen tendenziell eher ins Krankenhaus transportiert (Schmiemann et al. 2021; vgl. für USA und die Niederlande: Hoffmann und Allers 2020a).

Zur Senkung der Hospitalisierungsrate kurz vor dem absehbaren Lebensende lassen sich der Literatur diverse Ansätze bzw. Maßnahmen entnehmen. Dem Vorliegen einer Patientenverfügung kommt dabei eine wichtige Rolle zu – diese markiert eines der zentralen Optimierungsfelder: die rechtzeitige Auseinandersetzung mit den und das Festhalten der eigenen Versorgungswünsche von Bewohnenden mit Blick auf ihr Lebensende. Ziel ist, alle am Versorgungsprozess Beteiligten inklusive der Angehörigen über diese Vorstellungen in Kenntnis zu setzen (Leitlinienprogramm Onkologie 2020). Eine Befragung von 486 deutschen Pflegeheim- bzw. Pflegedienstleitungen stellte eine derartige Verfügung nur für knapp die Hälfte der Bewohnenden (46 %) fest; bei 28 % von ihnen zudem ohne Aussage zu Krankenhausaufenthalten (Strautmann et al. 2020; siehe auch Biola et al. 2010; Hickman et al. 2011 für US-amerikanische Pflegeheime). Eine systematische Übersichtsarbeit zeigt studienabhängig eine Reduktionsrate von Krankenhausaufenthalten zwischen 9 und 26 %, wenn Maßnahmen des sogenannten Advance Care Planning erfolgen (Martin et al. 2016). Zum Konzept sowie zu aktuellen Herausforderungen und Kontroversen um Advance Care Planning in Deutschland siehe in der Schmitten et al., Chap. 6 im selben Band.

Zwei US-amerikanische Studien verglichen in 46 Pflegeeinrichtungen verstorbene Bewohnende (Miller et al. 2016) und verstorbene Bewohnende mit Demenz (Miller et al. 2017) mit und ohne Konsultation eines externen Palliativdienstes. Beide zeigten eine signifikante Reduzierung der Krankenhausaufenthalte bei Kontakt mit einem Palliativdienst. Je eher der Palliativdienst einbezogen wurde, desto weniger Krankenhausaufenthalte erfolgten in den letzten 30 bzw. sieben Lebenstagen (Miller et al. 2016, 2017). Zum Einfluss von weiteren Interventionen im Kontext der Hospiz- und Palliativversorgung finden sich in der gesichteten Literatur heterogene und schwer vergleichbare Ergebnisse (zusammengefasste Befunde in: Behrendt et al. 2022a).

Mit dem Ziel, potenziell vermeidbare Hospitalisierungen von Pflegeheimbewohnenden im Allgemeinen zu umgehen, entwickelte das vom Innovationsfonds geförderte Projekt HOMERN u. a. eine Handreichung, um die Koordination und Kommunikation zwischen pflegerischen und ärztlichen Versorgenden zu verbessern. Das Pflegeheimpersonal sollte dabei primär die Hausärztinnen und -ärzte bzw. den kassenärztlichen Notdienst kontaktieren und nur in lebensbedrohlichen Situationen den Rettungsdienst alarmieren (Fassmer und Pulst 2021). Die Wirksamkeit dieser Maßnahme ist noch nicht evaluiert.

Ganz grundsätzlich setzt auch ein verbessertes Bewusstsein über potenziell vermeidbare Krankenhausaufenthalte bei Pflegeheimbewohnenden wichtige Impulse auch für die Versorgung am Lebensende. Das nunmehr abgeschlossene Projekt PSK der Universität Witten-Herdecke (zusammen mit weiteren Kooperationspartnern) zielt genau auf diesen Aspekt: die Identifizierung eines sogenanntem PSK-Präventionspotenzials bei Krankenhausdiagnosen von Pflegeheimbewohnenden. Eine aktuelle Studie identifizierte in einem mehrstufigen Verfahren mittels eines Delphi-Prozesses 58 Diagnosen für sogenannte Pflegeheim-sensitive Krankenhausfälle (PSK) und postuliert, dass etwas mehr als jede dritte Verlegung aus dem Pflegeheim durch geeignete Maßnahmen potenziell hätte vermieden werden können (Bohnet-Joschko et al. 2022, Tab. 7). Internationale Studien weisen ebenso darauf hin, dass bis zu 67 % der verstorbenen Heimbewohnenden einen Krankenhausaufenthalt hatten, dessen Anlass auch ambulant zu behandeln gewesen wäre (Cardona-Morrell et al. 2017).

3 Empirische Bestandsaufnahmen

3.1 Datengrundlage und Studienpopulation

Die empirische Bestandsaufnahme erfolgte anhand einer retrospektiven Sekundärdatenanalyse auf Basis von bundesweiten AOK-Abrechnungsdaten aus den Jahren 2018 und 2019. In ausgewählten Analysen wurden ergänzend die Abrechnungsdaten für 2020 hinzugezogen, um Veränderungen im ersten Jahr der Covid-19-Pandemie zu untersuchen. In diesen Fällen wird explizit auf den Einschluss des Jahres 2020 hingewiesen.

Jeder vierte Pflegeheimbewohnende (25,6 %) verstarb innerhalb eines laufenden Jahres. Mit Beginn der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020 stieg dieser Anteil auf 28 %. Fig. 4.1 zeigt die durchschnittliche Alters-, Geschlechts- und Pflegegradverteilung sowie das Vorliegen einer Demenz in den Jahren 2018/2019 bezogen auf alle AOK-versicherten Pflegeheimbewohnenden und für die im Folgenden näher untersuchte Studienpopulation zwölf Wochen vor ihrem Lebensende. Diese Studienpopulation schließt alle Pflegeheimbewohnenden ein, für die durchgängig für die letzten zwölf Wochen vor ihrem Lebensende Leistungen für die stationäre Pflege nach § 43 SGB XI bewilligt sowie für mindestens eine Woche in diesem Zeitraum auch abgerechnet wurden. Sie umfasst für die Jahre 2018/2019 rund 192.000 Personen und damit rund 78 % der in diesen beiden Jahren verstorbenen AOK-versicherten Pflegeheimbewohnenden. Die Pflegeheimbewohnenden wurden mit ihrem höchsten Pflegegrad und dem Alter, das sie im Untersuchungsjahr rechnerisch erreichen konnten, den Gruppen zugeordnet. Der Jahresbezug der Studienpopulation zwölf Wochen vor Versterben richtete sich nach dem Sterbedatum. Wie zu erwarten zeigt sich für die Studienpopulation ein höheres Alter, ein höherer Pflegegrad wie auch ein höherer Anteil an Bewohnenden mit Demenz im Vergleich zu allen Pflegeheimbewohnenden.

Abb. 4.1
figure 1

Deskription der Studienpopulation: Anteile in % (im Durchschnitt der Jahre 2018/2019) (Quelle: AOK-Routinedaten 2018/2019)

Die Alters- und Geschlechtsstruktur der AOK-versicherten Pflegeheimbewohnenden weicht nur geringfügig von derjenigen aller GKV-versicherten Heimbewohnenden ab (GKV 2019Footnote 1: unter 60 Jahre = 4 %; 60–69 Jahre = 7 %; 70–79 Jahre = 16 %; 80–89 Jahre = 44 %; 90 Jahre und älter = 27 %). Allein bei der Pflegegrad Verteilung haben AOK-Versicherte häufiger einen Grad 5 und seltener Grad 2 (GKV 2019: PG2 = 19 %; PG3 = 35 %; PG4 = 30 %; PG5 = 16 %). Inwiefern diese Unterschiede auch bezogen auf die Studienpopulation (12 Wochen vor Versterben) bestehen, ist nicht bekannt. Von einer Adjustierung der im folgenden präsentierten Ergebnisse wird insofern abgesehen.

3.2 Krankenhausaufenthalte vor Versterben im Überblick

Mehr als die Hälfte aller Pflegeheimbewohnenden hatte innerhalb der zwölf Wochen vor dem Lebensende mindestens einen Krankenhausaufenthalt. Waren es 2018 und 2019 rund 56 %, so zeigt Table 4.1, dass dieser Anteil im Jahr 2020 leicht auf 52 % gesunken ist, was im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie interpretiert werden sollte (siehe Kohl et al. 2021). Im Schnitt wurden die Personen mit Krankenhausaufenthalt 1,5 mal am Lebensende hospitalisiert, dies häufig mit einer kurzen Verweildauer. Im Covid-Jahr 2020 sieht man nur eine leichte Reduktion der Fälle je Heimbewohnender mit Krankenhausaufenthalt (1,4) und etwas seltener eintägige Aufenthalte (14,2 %) (Table 4.1).

Tab. 4.1 Krankenhausaufenthalte von Pflegeheimbewohnenden zwölf Wochen vor dem Lebensende; Anteil in % (2018–2020) (Quelle: AOK-Routinedaten 2018/2019)

Rund die Hälfte der Personen, die in der letzten Lebensphase mindestens einmal ins Krankenhaus aufgenommen wurden, verstarb auch dort (2018: 48,8 %; 2019: 48,4 %; 2020: 48,9 %). Insgesamt verstarb folglich mehr als jeder vierte Heimbewohner aus der Studienpopulation (2018: 27,5 %; 2019: 27,3 %; 2020: 25,6 %) im Krankenhaus.

Bei der Analyse der Verweildauern (VD) innerhalb des Zwölf-Wochen-Zeitraums vor dem Versterben wurden ca. 5 % der Krankenhausfälle ausgeschlossen, da sie bereits vor der zwölften Woche vor dem Tod begannen. Auffällig ist ein großer Anteil von Krankenhausaufenthalten mit kurzer Verweildauer. So weist jeder siebte Krankenhausfall (14,8 %) eine Verweildauer von einem Tag auf, insgesamt ca. 30 % der Krankenhausfälle haben eine Verweildauer von maximal drei Tagen.

Differenzierte Analysen nach Alter, Geschlecht und Pflegegrade zeigen deutliche Unterschiede (Fig. 4.2). Bezogen auf die Jahre 2018/2019 hatten ältere Pflegeheimbewohnende über 90 Jahre eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit, zwölf Wochen vor ihrem Versterben im Krankenhaus behandelt zu werden, als z. B. Pflegeheimbewohnende zwischen 60 und 70 Jahren. War in der ersten Gruppe nur knapp jeder Zweite (48,0 %) im Krankenhaus, so waren es bei der jüngeren Gruppe deutlich mehr (69,1 %). Eine klar erkennbare Graduierung ist auch nach Pflegeschwere zu beobachten: Während 73 % der Bewohnenden mit Pflegegrad 2 zwölf Wochen vor dem Lebensende mindestens einmal im Krankenhaus waren, waren es bei Pflegegrad 5 nur 43 %. Ebenso waren dementiell Erkrankte seltener im Krankenhaus. Auffällig sind die Unterschiede zwischen Frauen und Männern, die sich nur zum Teil durch höheren Alters- und Pflegegraddurchschnitt der Frauen erklären (Table 4.4 im Anhang). Die Ergebnisse decken sich mit den in der Literatur beschriebenen Hospitalisierungsraten (siehe Sect. 4.2). Die Wahrscheinlichkeit, im Krankenhaus zu versterben, zeigt ein analoges Bild. Insbesondere Menschen über 90 Jahre (20,9 %) sowie solche mit Pflegegrad 5 (16,5 %) sterben verglichen mit Pflegeheimbewohnenden mit niedrigeren Pflegegraden und bzw. oder jüngerem Alter überproportional häufig nicht im Krankenhaus, sondern im Pflegeheim.

Abb. 4.2
figure 2

Anteil Pflegeheimbewohnende mit mindestens einem Krankenhausaufenthalt zwölf Wochen vor dem Lebensende sowie mit Versterben im Krankenhaus, differenziert nach Alter, Geschlecht, Pflegeschwere und Demenz; Anteil in % (2018/2019) (Quelle: AOK-Routinedaten 2018/2019)

Auch regional sieht man z. T. deutliche Unterschiede. Fig. 4.3 zeigt die standardisierten Hospitalisierungsraten sowie die standardisierten Versterben-im-Krankenhaus-Raten für die einzelnen Bundesländer bezogen auf die gesamte Studienpopulation. Zur Standardisierung wurden die Informationen zu Alter, Geschlecht, Pflegegrad und Demenz verwendet. Die standardisierten Raten geben das Verhältnis zwischen der beobachteten Anzahl der Ereignisse (Krankenhausaufenthalt in den letzten zwölf Lebenswochen bzw. Versterben im Krankenhaus) zu der erwarteten Anzahl dieser Ereignisse basierend auf der gesamten Studienpopulation an. Ein Wert von 1 für das Bundesland gibt dabei an, dass sich die Anzahl der beobachteten Ereignisse nicht von der Anzahl der erwarteten Ereignisse unterscheidet. Bei einem Wert < 1 werden weniger Ereignisse beobachtet, als aufgrund der bundeslandspezifischen Struktur (Alter, Geschlecht, Pflegegrad, Demenz) zu erwarten wären. Bei einem Wert > 1 ist die Anzahl der beobachteten Ereignisse größer als die Anzahl der erwarteten. Während Bundesländer wie Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein deutlich unterproportionale (d. h. < 1) Hospitalisierungsraten wie auch Versterberaten im Krankenhaus haben, zeigen sich Länder wie Hamburg, Bayern und das Saarland mit deutlich überproportionalen Raten (d. h. > 1) im Vergleich zur gesamten Studienpopulation (Fig. 4.3). Die Varianz der Ergebnisse deckt sich mit den Befunden aus der in Sect. 4.2 dargestellten Literatur, weist gleichwohl für einige Bundesländer (z. B. Mecklenburg-Vorpommern) in eine ganz andere Richtung. Weiterer Forschungsbedarf ist insofern gegeben.

Abb. 4.3
figure 3

Standardisierte Hospitalisierungsrate und Versterben-im-Krankenhausrate für die einzelnen Bundesländer, bezogen auf die untersuchte Studienpopulation (2018/2019). *Indirekte Standardisierung nach Alter, Geschlecht, Pflegegrad und Demenz für die einzelnen Bundesländer, bezogen auf die gesamte Studienpopulation (Quelle: AOK-Routinedaten 2018/2019)

3.3 Krankenhausaufenthalte vor Versterben im zeitlichen Verlauf

Um den zeitlichen Verlauf der Krankenhausaufenthalte zu analysieren, wurde auf Wochenebene untersucht, wieviel Prozent der Studienpopulation jeweils in den einzelnen zwölf Wochen vor dem Lebensende mindestens einen Tag im Krankenhaus behandelt wurden. Dabei bezieht sich W11 auf zwölf Wochen vor dem Versterben und W0 auf die Woche des Versterbens. Diese Woche schließt den Zeitraum sechs Tage vor dem Versterben bis zum Tag des Versterbens ein.

Die Krankenhausaufenthalte, dies zeigt eindrucksvoll Fig. 4.4, verdichten sich hierbei kurz vor dem Tod. Mehr als ein Fünftel der Pflegeheimbewohnenden (2018: 22,5 %; 2019: 22,3 %; 2020: 20,5 %) befand sich im Zeitraum der vorletzten Lebenswoche (W1: 7 Tage bis 13 Tage vor dem Versterben) für mindestens einen Tag im Krankenhaus. In der letzten Lebenswoche betrifft dies sogar ein Drittel der Pflegeheimbewohnenden (2018: 33,6 %; 2019: 33,4 %; 2020: 31,0 %).

Abb. 4.4
figure 4

Anteil Pflegeheimbewohnende mit Krankenhausaufenthalt in den zwölf Wochen vor dem Versterben; Anteil in % (2018/2019) (Quelle: AOK-Routinedaten 2018/2019)

Differenzierte Analysen nach Alter, Pflegegrad und Demenz (Table 4.5 im Anhang) zeigen auch hier, dass Pflegeheimbewohnende über 90 Jahre und älter, solche mit Pflegegrad 5 sowie Personen mit einer demenziellen Erkrankung deutlich unterproportional viele Krankenhausfälle aufweisen. Die Anteile mit Krankenhausaufenthalt sind zwar – differenziert nach Alter, Pflegegrad und Demenz – unterschiedlich, die zeitlichen Verläufe haben aber immer dasselbe Muster – eine starke Zunahme der Krankenhausaufenthalte in den letzten Wochen vor dem Versterben mit den maximalen Anteilen in der letzten Lebenswoche.

3.4 Behandlungsanlässe bei Krankenhausaufenthalten vor dem Versterben

Um sich den Behandlungsanlässen für Krankenhausaufenthalte zwölf Wochen vor dem Versterben zu nähern, wurden die häufigsten Hauptdiagnosen auf ICD3-Ebene analysiert (Table 4.2). Rund jeder sechste Fall (17,2 %) dieser Gruppe stand im Zusammenhang mit einer Infektion. So entfielen 7 % der Fälle auf eine Pneumonie durch unbekannte Erreger, weitere 4 % auf eine solche durch feste oder flüssige Substanzen und 2 % durch Bakterien. Darüber hinaus waren 4 % der Fälle mit einer sonstigen Sepsis assoziiert. Fast jede zehnte Behandlung (9,6 %) erfolgte aufgrund einer Herzinsuffizienz. Weitere häufige Behandlungsanlässe waren Hüftgelenksfrakturen (4,3 %) und Dehydration (4,0 %).

Tab. 4.2 Die 20 häufigsten Diagnosestellungen bei Krankenhausaufenthalten von Pflegeheimbewohnenden zwölf Wochen vor dem Versterben; Anteil in % (2018/2019) (Quelle: AOK-Routinedaten 2018/2019)

Unter den 20 häufigsten Krankenhaushauptdiagnosen finden sich auch solche, die als potenziell vermeidbar eingestuft werden. Zur Identifizierung dieser Krankenhausfälle wurden zum einen die ambulant-sensitiven (ASK) Krankenhausfälle herangezogen. Unter diesen Krankenhausfällen werden Hospitalisierungen zusammengefasst, die – so die zugrunde liegende These – durch „Vorsorge oder rechtzeitige Intervention im ambulanten Sektor“ in vielen Fällen vermeidbar wären (Sundmacher und Schüttig 2015). Nach US-amerikanischem Vorbild existiert seit einigen Jahren ein spezifischer deutscher Katalog ambulant-sensitiver Behandlungsanlässe im Krankenhaus, basierend auf einer Kernindikationsgruppe (22 Krankheitsgruppen) und einer Gesamtindikationsliste (40 Krankheitsgruppen) (Sundmacher und Schüttig 2015). Zum anderen wurde auch eine Liste mit Pflegeheim-sensitiven Krankenhausfällen (PSK) verwendet (Bohnet-Joschko et al. 2022). Hierbei wurde der ASK-Ansatz auf das Setting Pflegeheim übertragen und unter Einbindung von über 100 Fachleuten ein Katalog von 58 Diagnosen konsentiert, die – so die Studienleitung – unter guten Bedingungen ohne Krankenhauseinweisung im Pflegeheim behandelt werden könnten.Footnote 2

Der Abgleich der 20 häufigsten Diagnosestellungen bei Krankenhausaufenthalten zwölf Wochen vor dem Versterben identifiziert fünf ICD3-Diagnosen als ambulant-sensitive Krankenhausfälle (ASK) sowie neun Diagnosen als Pflegeheim-sensitive Krankenhausfälle (PSK) (Table 4.2). Basierend auf der Zuordnung dieser neun ICD3-Diagnosen zu Pflegeheim-sensitiven Krankenhausfällen können neben dem häufigsten Behandlungsanlass „Herzinsuffizienz“ auch Volumenmangel, COPD, Diabetes mellitus Typ 2, Atherosklerose, Epilepsie und Akute Bronchitis und damit rund jeder vierte Krankenhausfall (in den letzten Wochen vor Versterben (26,2 %)) in diesem Sinne als potenziell vermeidbar klassifiziert werden.

Die Analyse der Verweildauern zeigte einen großen Anteil von Krankenhausfällen mit kurzer Verweildauer (Table 4.1). Besonders auffällig war hierbei, dass jeder siebte Krankenhausfall (2018 = 14,8 %; 2019 = 14,7) eine Verweildauer von maximal einem Tag hatte. Deshalb wurde speziell diese Gruppe von Krankenhausfällen untersucht – auch in Hinblick darauf, ob die Pflegeheimbewohnenden wieder ins Pflegeheim entlassen wurden (41,8 % dieser Fälle) oder im Krankenhaus verstarben (58,2 %). In der Gesamtschau erfolgte damit bei 7 % aller Krankenhausfälle am Todestag oder am Tag davor ein Transfer ins Krankenhaus.

Fig. 4.5 zeigt die fünf häufigsten Hauptdiagnosen für diese eintägigen Aufenthalte, jeweils für die Gruppe der Pflegeheimbewohnenden, die an diesem Tag verstarben und für die Gruppe der Pflegeheimbewohnenden, die wieder ins Pflegeheim entlassen wurden. Dabei zeigen sich zwischen diesen beiden Gruppen deutliche Unterschiede. Bei eintägigen Krankenhausaufenthalten, bei denen die Pflegeheimbewohner verstarben, verdichteten sich die Behandlungsanlässe im Kontext von Infektionen. Mit einer solchen standen 26 % der Fälle im Zusammenhang (8,9 % Sonstige Sepsis; 8,8 % Pneumonie, Erreger nicht näher bezeichnet; 6,2 % Pneumonie durch feste und flüssige Substanzen, 1,7 % Pneumonie durch Bakterien, anderenorts nicht klassifiziert). Bei Fällen, bei denen die Pflegeheimbewohnenden das Krankenhaus nach dem eintägigen Aufenthalt wieder verlassen konnten, sind Verletzungsanlässe als häufigste Hauptdiagnosen dokumentiert (11,5 % Intrakranielle Verletzung; 5,5 % Oberflächliche Verletzung des Kopfes).

Abb. 4.5
figure 5

Häufigste Hauptdiagnosen bei eintägigen Krankenhausfällen von Pflegeheimbewohnenden der Studienpopulation; Anteil in % (2018/2019) (Quelle: AOK-Routinedaten 2018/2019)

In der Gesamtschau finden sich auch bei den Hauptdiagnosen für eintägige Krankenhausaufenthalte eine Reihe von Erkrankungsspektren, die als potenziell vermeidbar klassifiziert sind. Neben der Herzinsuffizienz (ASK/PSK) ist hier der Volumenmangel (PSK) und die Epilepsie (PSK) zu nennen (Fig. 4.5).

4 Zusammenfassung und Ausblick

Pflegeheime sind Orte des letzten Lebensabschnitts und des Sterbens. Jede dritte innerhalb eines Jahres verstorbene AOK-versicherte Person lebte in einem Pflegeheim. Ein Viertel der Pflegeheimbewohnenden verstirbt innerhalb eines Jahres. Sind Pflegeheime für diese vielfältige und herausfordernde Aufgabe ausreichend vorbereitet? Ein Indikator hierfür sind die – u. a. im internationalen Vergleich hohen – Krankenhaus-Verlegungsraten von Pflegeheimbewohnenden unmittelbar vor dem Lebensende (Behrendt et al. 2022a). Der vorliegende Beitrag analysierte diese auf Basis von AOK-Routinedaten. Sichtbar wird, dass deutlich mehr als die Hälfte aller Pflegeheimbewohnenden in den letzten zwölf Wochen ihres Lebens in ein Krankenhaus verlegt werden, rund ein Drittel dieser Menschen innerhalb der letzten Woche ihres Lebens. 27 % der untersuchten Studienpopulation verstarben im Krankenhaus. Die Situation ist dabei regional recht unterschiedlich: Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben deutlich unterproportionale Raten. Besonders auffällig bei den Analysen war zudem, dass jeder siebte Krankenhausfall zwölf Wochen vor dem Versterben eine Verweildauer von maximal einem Tag aufwies. In über der Hälfte dieser Fälle versterben die Pflegeheimpatientinnen und -patienten im Krankenhaus. In der Gesamtschau erfolgte damit in 7 % aller Krankenhausfälle der hier untersuchten Studienpopulation zwölf Wochen vor dem Versterben eine Verlegung ins Krankenhaus an ihrem Todestag selbst oder dem Tag zuvor. Neun der 20 häufigsten dokumentierten Erkrankungsanlässe für die Krankenhauseinweisungen zwölf Wochen – und damit jeder vierte Fall – vor dem Versterben könnten laut Experten durch geeignete Maßnahmen potenziell vermieden werden. Hier ist anzufügen: Der hier erfolgte Abgleich mit den etablierten ASK- und PSK-Listen liefert Anhaltspunkte, dahingehend inwiefern a) eine den Krankenhausaufenthalt bedingte Verschlechterung der chronischen Erkrankung durch eine sekundärpräventive, leitliniengerechte ambulante Versorgung gar nicht erst aufgetreten wäre oder b) die Behandlung auch im ambulanten bzw. Pflegeheimsetting möglich gewesen wäre. Sprich: Beide Klassifikationen bringen zur Sprache, was medizinisch indiziert ist; nicht was nach dem Willen der Betroffenen für sie oder ihn in der letzten Lebensphase angemessen ist. Weder sind die Klassifikationen auf palliative Versorgungsaspekte ausgerichtet noch kann über Routinedaten der Therapiewunsch erfasst werden. In diesem Zusammenhang steht, dass beispielsweise jede vierte Verlegung am Todestag oder dem Tag zuvor im Zusammenhang mit einer Pneumonie oder Sepsis steht. Inwiefern hier die kurativ adäquate Behandlung eingeleitet wurde, Symptomkontrolle im palliativen Sinne nur im Krankenhaus möglich war oder eben eine kurative Überversorgung vorlag, bleibt offen und verweist auf weiteren Forschungsbedarf. Dies auch, da Instrumente zur Senkung von Krankenhausaufenthalten am Lebensende als gut untersucht gelten: Die rechtzeitige und konsequente Erfassung der Versorgungswünsche von Bewohnenden mit Blick auf ihr Lebensende durch z. B. Patientenverfügung oder Advance Care Planning. Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer weist auf die Bedeutung der vorsorglichen Willensbekundung und der Möglichkeit, hierbei Unterstützung zu bekommen, hin, gleichzeitig aber auch darauf, dass dies auch ausreichende Palliativstrukturen impliziere (ZEKO 2019). Mit Blick auf das Setting Pflegeheim sind diesbezüglich folglich eine Reihe an Fragen unbeantwortet: Wie hat sich die gesundheitliche Versorgungsplanung am Lebensende nach § 132g SGB V in den Heimen etabliert? Welche Erfahrungen bestehen und wie hat sich die Versorgung verändert? In welchem Umfang erhalten Pflegeheimbewohnende eine AAPV- und SAPV-Versorgung. Was hat sich durch die Beschreibung von Palliativversorgung in den Verträgen zwischen Kassen und Pflegeheimen und auch in der gesetzlichen Qualitätssicherung verändert? Sind die neuen Strukturen ausreichend finanziert und mit Blick auf eine bessere Ausrichtung an den Versorgungswünschen der Bewohnenden und der Vermeidung von Überversorgung wirksam? Der vorgelegte Beitrag versteht sich in diesem Sinne als empirische Bestandsaufnahme und als Anstoß für eine Diskussion dieser Fragen. Coors, Chap. 5 im selben Band, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass – auch wenn normative Bewertungen aufgrund der individualisierten Bewertungen des Einzelnen im Kontext des Versterbens eingeschränkt seien – eine breite fachliche Diskussion über „normale Sterbeverläufe“ im Pflegeheim dringend erforderlich erscheint. Auch Policypaper der WHO oder der Lancet Commission werfen entsprechende Fragen auf, u. a. auch mit Blick auf die Ressourcenpriorisierung zwischen kurativen und symptomlindernden, psychosozialen und das Umfeld einbeziehenden Ansätzen am Lebensende (Normand et al. 2021; Sallnow et al. 2022).