Zusammenfassung
Gefragt wird, welche Strukturen auf welche Weise Wahrnehmung, Denken, Urteilen und Handeln der Akteure im Krankenhaus prägen. Hierzu gehört sowohl die Frage nach grundlegenden Interessenkonflikten des ärztlichen Handelns, als auch die Frage nach den Rationalitäten eines „ökonomisch rationalen Verhaltens“, wie sie durch Ökonomisierungsprozesse hervorgebracht, verstärkt und/oder begünstigt werden. Entlang verschiedener Konzepte und Theorien (Konzept des Alltagsverstands, Theorie der rationalen Entscheidungen, strukturfunktionalistische Theorie, Framing-Analyse und das Konzept des „Habitus“) werden auf diese Fragen unterschiedliche Antworten gegeben, die einander jedoch sinnvoll ergänzen. Anhand dieser grundlegenden medizinsoziologischen Einsichten erfolgt eine Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Handlungsbedingungen von Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus. Schlussfolgernd werden Perspektiven vorgestellt, die mit Aussicht auf Erfolg aus diesen Zielkonflikten herausführen können.
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Notes
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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Kapitel teilweise das generische Maskulinum verwendet. Dieses impliziert natürlich immer a
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Aus sozialpsychologischer Perspektive weist Barry Schwartz in seinem Buch auf das gleiche Phänomen hin (vgl. Schwartz 2001).
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Fachliche und ethische Qualitäten lassen sich nicht voneinander trennen: Fachkompetenz wird erst sinnvoll wirksam, wenn sie mit der konkreten kranken Person in Beziehung gesetzt wird; umgekehrt reichen Empathie und Respekt nicht, wenn es an fachlichem Können mangelt.
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Unter New Public Management versteht man generell die Versuche, mit der Übernahme privatwirtschaftlicher Managementtechniken in öffentlichen Verwaltungen und Versorgungseinrichtungen (Bildung, Gesundheit) marktrationales Verhalten zu induzieren.
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Diese Prozesse waren vorhersehbar, bevor sie in Deutschland gesetzlich eingeleitet und forciert wurden. Entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse auf der Grundlage US-amerikanischer Empirie wurden von den verantwortlichen Gesundheitspolitikern in den Wind geschlagen (vgl. Kühn 1990, S. 62–75; 1997, S. 18ff.).
- 6.
Die Rigorosität der Durchsetzung solcher Gewinnerwartungen ist (noch) durchaus unterschiedlich. Der politisch gewollte ‚Wettbewerb‘ führt jedoch zu einer Angleichungstendenz nach oben und zur Gefahr der Insolvenz für einen inzwischen relevanten Anteil der Krankenhäuser.
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Dessen Entwicklung wird wiederum nur verständlich, wenn es als Teilsystem des gesamten Reproduktionsmechanismus der modernen kapitalistischen Gesellschaft betrachtet wird. So ist das heutige kommerzialisierte Krankenhaus ein Kind des neoliberalen Kapitalismus, d. h. die seinen Strukturen impliziten Werthaltungen nähern sich denen des neoliberalen Marktradikalismus.
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Damit sind sowohl solche Erfordernisse der ‚horizontalen‘ Arbeitsteiligkeit als auch der ‚vertikalen‘ Über- und Unterordnung, also der Herrschaftsbeziehungen gemeint.
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Kühn, H. (2018). Soziologische Anmerkungen zur ärztlichen Tätigkeit im kommerzialisierten Krankenhaus. In: Klinke, S., Kadmon, M. (eds) Ärztliche Tätigkeit im 21. Jahrhundert - Profession oder Dienstleistung. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56647-3_8
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