1 Einführung

Demografischer und sozialer Wandel haben in westlichen Ländern zu einer Reform der Pflegepolitiken geführt. Charakteristisch für die Entwicklung in Mitteleuropa und in einigen Ländern in Südostasien – wie Japan und Korea – ist die Etablierung universeller Pflegepolitiken (Campbell & Ikegami, 2010; Theobald & Kern, 2011; Ranci & Pavolini (eds.), 2013). Diese Reformen gehen in vielen Ländern mit einer marktorientierten Restrukturierung der professionellen Pflegeinfrastruktur einher und haben dabei die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in der professionellen Pflegearbeit erheblich beeinflusst. Sie haben einerseits zwar zu einer Expansion von Erwerbsmöglichkeiten geführt, andererseits wurde diese in vielen Ländern von einer länderspezifisch geprägten Verschlechterung der Arbeitsbedingungen begleitet (Burau et al., 2007; Theobald & Chon, 2020; Theobald et al., 2018).

Die Einführung universeller Sozialleistungen in der Pflege hat in den meisten Ländern zu einer stärkeren Einbeziehung der nationalen Politikebene geführt, wobei sich große Länderunterschiede in der konkreten Ausformung gezeigt haben (Strohmeier Navarro Smith, 2010; Anttonen et al., 2013; Theobald & Ozanne, 2016). Im internationalen Vergleich gilt Deutschland als ein Land, in dem die kommunale Ebene mit der Einführung der Pflegeversicherung erheblich an Gestaltungsmöglichkeiten verloren hat. Naegele (2014: 34, 43) beschreibt dies als allgemeinen „Rückzug der Kommunen“ und fordert eine „pflegepolitische Revitalisierung der Kommunen“. Jüngere Reformen in Deutschland wollen die Kommunen wieder stärker an der Gestaltung der pflegerischen Versorgung vor allem vor Ort beteiligen (siehe die Beiträge von Igl und Naegele in diesem Band).

Noch wenig diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Rolle der Kommunen in der Absicherung des Bedarfs an Pflegekräften. Letzteres steht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen. Charakteristisch ist hier die Dominanz der Bundes- bzw. der Bundesländerebene in der Politik sowie die Einbeziehung weiterer gesellschaftlicher Akteure, wie beispielsweise die Verbände der Einrichtungen, Gewerkschaften oder die Kostenträger. Die Kommunen entwickeln nur allmählich einen eigenen Zuständigkeitsbereich. Ihre Einbeziehung wird daher eingebettet in einem Ansatz der Mehrebenengovernance bearbeitet, der das Zusammenspiel der verschiedenen staatlichen Ebenen und weiterer gesellschaftlicher Akteure thematisiert (Theobald & Ozanne, 2016). Dazu werden zunächst die allgemeinen Herausforderungen in der Altenpflege auch in einer regionalen Perspektive dargestellt, bevor anschließend anhand der Beispiele Digitalisierung, Reformen der Ausbildung sowie Rekrutierung von Migrant:innen die Bedeutung der Kommunen bzw. der lokalen Ebene im Zusammenspiel der verschiedenen politischen Ebenen und gesellschaftlichen Akteure analysiert wird.

2 Zur Situation in der Altenpflege

Mit dem Ausbau professioneller Dienstleistungen seit der Einführung der Pflegeversicherung hat sich die Anzahl der Beschäftigten in den ambulanten Diensten bzw. in der stationären Altenhilfe beträchtlich erhöht und betrug im Jahr 2019 rund 1,218 Mio. Beschäftigte (geschätzte Vollzeitäquivalente rd. 866.000) (Statistisches Bundesamt, 2020). Zunehmend zeigt sich in diesem Sektor jedoch ein ausgeprägter Mangel insbesondere an Pflegefachkräften.Footnote 1 Dies wird beispielsweise erkennbar in der veränderten Relation zwischen der bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Anzahl offener Arbeitsstellen und den erwerbslosen Fachkräften. Standen 2011 rein rechnerisch noch 38 Altenpflegefachkräften 100 gemeldete offene Arbeitsstellen gegenüber, so waren es 2018 nur noch 19. Im Jahr 2018 standen 41 erwerbslosen Gesundheits- und Krankenpflegefachkräften 100 gemeldete offene Arbeitsstellen gegenüber, 2011 waren es noch 86. Unter den Pflegehelfer:innen – immerhin knapp 50 % der Pflegekräfte in der Altenpflege – wird ein anderes Bild erkennbar. Hier standen 2018 100 gemeldeten offenen Arbeitsstellen 322 Erwerbslose gegenüber. Der eklatante Mangel an Fachkräften in der Altenpflege ist in allen Bundesländern zu finden.

Zukünftig kann von einer weiteren Verschärfung der Situation ausgegangen werden, da sich laut Schätzungen aufgrund des demografischen Wandels die Anzahl Pflegebedürftiger deutlich steigern wird. Lediglich aufgrund demografischer Veränderungen und ohne Berücksichtigung pflegepolitischer oder sozialer Veränderungen erwarten Schwinger et al. (2020) in ihrer Prognose für 2030 einen zusätzlichen Bedarf von 130.000 Pflegekräften. Dabei zeigen regional unterschiedliche Ausformungen des demografischen Wandels verschiedene Entwicklungstrends in den Bundesländern auf. Ein erhöhter Bedarf ist, vor allem in den neuen Bundesländern sowie im Zeitverlauf zunehmend auch in den alten Bundesländern zu erwarten. Am wenigsten betroffen sind die Stadtstaaten – Berlin, Hamburg, Bremen (zu vergleichbaren regionalen Differenzierungen Hackmann et al., 2016).

Für diesen eklatanten Mangel an Pflegefachkräften werden die geringe Attraktivität der Ausbildung insbesondere zur Altenpflegefachkraft, die Hürden, denen Pflegehelfer:innen in ihrer Weiterbildung zur Fachkraft gegenüberstehen, sowie die schwierigen Arbeitsbedingungen verantwortlich gemacht. Verschiedene Forschungsergebnisse zeigen, dass die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege – insbesondere der hohe Zeitdruck aufgrund der niedrigen Personalausstattung, die hohe physische und psychische Belastung und die Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit aufgrund der durch den Zeitmangel notwendigen Qualitätsabstriche – nicht nur Unzufriedenheit hervorrufen, sondern auch eine entscheidende Ursache für die in diesem Sektor auffällig hohe Fluktuation sind (Hasselhorn et al., 2005; IWAK, 2009; Theobald et al., 2013). In einem Vergleich der Arbeitsbedingungen verschiedener Berufsgruppen auf der Basis einer Repräsentativstatistik fand Schmucker (2020), dass auch im Berufsgruppenvergleich in der Pflege diese Bedingungen deutlich negativer aussehen. Die von den Pflegekräften selbst überdurchschnittlich positiv bewertete gesellschaftliche Bedeutung und Sinnhaftigkeit der Arbeit steht dabei im deutlichen Kontrast zur von ihnen selbst wahrgenommenen gesellschaftlichen Wertschätzung, wie sie sich beispielsweise im Lohnniveau ausdrückt.

3 Politikansätze zur Verbesserung der Situation

In jüngerer Zeit wurden auf Bundesebene verschiedene politische Initiativen zur Etablierung von Lösungsansätzen ergriffen, die den Problemen der Einrichtungen in der Rekrutierung von Pflege(fach)kräften sowie den schwierigen Arbeitsbedingungen entgegenwirken sollen. Hier können insbesondere die „Ausbildungs-, und Qualifizierungsoffensive Altenpflege (2012–2015)“ sowie die im Jahr 2018 gegründete „Konzertierte Aktion Pflege“ genannt werden (Geschäftsstelle der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (im Folgenden: Geschäftsstelle, 2015; Bundesregierung, 2020). Eingebunden in die Initiativen sind wichtige politische und gesellschaftliche Akteure in diesem Bereich, wie beispielsweise die Bundesministerien, Bundesländer, Kommunen, Wohlfahrts- und Betroffenenverbände, Kostenträger, Gewerkschaften und Arbeitgeber. Die jeweiligen Herangehensweisen und Ergebnisse der Politiken bilden einen zentralen Ausgangspunkt der folgenden Auseinandersetzung mit Lösungsansätzen, die durch ausgewählte Politiken erweitert werden. Einbezogen werden jeweils die Themen, die einen regionalen oder lokalen Bezug aufweisen und damit die Einbeziehung der lokalen Ebene nachvollziehbar wird.

3.1 Digitalisierung als Möglichkeit der Entlastung des Pflegepersonals

Der Digitalisierung oder dem Einsatz von Technologien im pflegerischen Alltag wird ein hohes Potential zur Reduktion der hohen Arbeitsbelastungen zugeschrieben (Bundesministerium für Gesundheit, 2019; Bundesregierung, 2020). Als eine Hürde in der Umsetzung wird eine kritische Haltung der professionellen Pflegekräfte gegenüber dem Technikeinsatz diskutiert. Neuere Untersuchungen stellen jedoch eher eine Akzeptanz des Technikeinsatzes generell fest, wobei der genaue Funktionsbereich entscheidend ist. Positiv bewertet wird der Technikeinsatz beispielsweise in Fragen der körperlichen Unterstützung, des Monitorings und der Dokumentation. Die niedrigste Zustimmung erfahren hingegen Techniken im Bereich sozialer und emotionaler Unterstützung (Merda et al., 2017; Zöllick et al., 2020). Zöllick et al. (2020) erklären die niedrigen Zustimmungsquoten hier mit Befürchtungen der Pflegekräfte, der Technikeinsatz führe zum Verlust menschlicher Wärme. Darüber hinaus wird der Einsatz von Technologien insgesamt als möglicher Angriff auf Beschäftigungsperspektiven bzw. als eine Festschreibung der bestehenden Unterfinanzierung im Altenpflegesektor gesehen (Hielscher et al., 2015). Als relevante Hürden für die Technikakzeptanz und -implementation können auf der Basis von Forschungsergebnissen zusammengefasst werden: die mangelnde Verbreitung der Techniken in den Einrichtungen, die vernachlässigte Fort- und Weiterbildung der Pflegekräfte, die unzureichende Einbeziehung der Pflegekräfte bzw. ihrer betrieblichen Interessensvertretungen in den Prozess der Implementation sowie das Versäumnis, stärker partizipative Führungsstrukturen zu entwickeln (Hielscher et al., 2015; Merda et al., 2017; Christiansen, 2020; Ludwig et al., 2020; Zöllick et al., 2020).

Vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse und den Zielsetzungen der Initiative „Konzertierte Aktion Pflege“ (Bundesregierung, 2020) lassen sich auf Bundesebene zwei neuere Ansätze zur Förderung des Technikeinsatzes in der Pflege unterscheiden. Das ist zunächst die Etablierung von vier Pflegepraxiszentren (PPZ) seit 2018 in Hannover, Freiburg, Nürnberg und Berlin. Diese sind an stationären, ambulanten und klinischen Pflegebereichen bestehender Einrichtungen angesiedelt, in denen die neuen Technologien auf ihre Praxistauglichkeit und Wirksamkeit getestet werden. Aus der Perspektive stationärer Pflegeeinrichtungen ist dabei das PPZ Nürnberg hervorzuheben, wo mithilfe technischer Unterstützung die Organisation der Pflege aus der Perspektive der Bewohner:innen und des Personals effizienter gestaltet werden soll (Wallenfels, 2018; Zentrum für Qualität in der Pflege, 2019).

Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist mit einer jüngeren Reform im Rahmen der Pflegeversicherung – dem Pflegepersonalstärkungsgesetz von 2018 – verknüpft. Von 2019 bis 2021 werden den ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen Fördermittel für Digitalisierungsprojekte zur Verfügung gestellt, die zur Entlastung der Pflegekräfte beitragen sollen. Dabei können einzelne Einrichtungen jeweils einen einmaligen Zuschuss bei der Anschaffung von digitaler oder technischer Ausrüstung und damit verbundener Schulungen von bis zu 40 % der Kosten und in einer Höhe von bis zu 12.000 € erhalten. Bis zum 30. Juni 2020 wurden bereits rund 5400 Anträge der insgesamt etwa 30.100 ambulanten und stationären Einrichtungen mit einem geförderten Volumen ca. 21 Mio. € bewilligt (Angaben zur Anzahl der Einrichtungen für 2019) (Statistisches Bundesamt, 2020). Nach Umfragen der Bundesregierung planen insgesamt ca. 70 % der ambulanten und stationären Einrichtungen, diese Möglichkeiten öffentlicher Unterstützung zu nützen. Wichtig für diesen Erfolg sind dabei der Bekanntheitsgrad der Maßnahmen und die Unterstützung durch die Verbände der Einrichtungen und der Kostenträger (Bundesregierung, 2020).

Auch in einzelnen Bundesländern – beispielsweise in Bayern oder Baden-Württemberg – fördern Politikansätze die Digitalisierung in der Pflege und Medizin (Münzenrieder, 2019; Baden-Württemberg, ohne Jahresangabe). Die Errichtung von Modellhäusern in verschiedenen Regionen soll es dabei ermöglichen, vor Ort konkrete Erfahrungen mit den Techniken zu machen. Besonders berücksichtigt werden auch die Bedürfnisse in ländlichen Regionen. Trotz des regionalen Bezugs sind aber Top-down Politikansätze erkennbar, denn die Kommunen vor Ort verfügen nur über wenige Gestaltungs- oder Einflussmöglichkeiten. Ansätze, wie beispielsweise der Ideenwettbewerb „Digitale Zukunftskommune“ in Baden-Württemberg, eröffnen den Kommunen hingegen, Anträge zur finanziellen Förderung eigener kommunaler Projekte durch das Bundesland einzureichen und damit die kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten in den Projekten zu stärken. Auch wenn bisher keine Vorhaben zur Digitalisierung in der Pflege im Rahmen des Ideenwettbewerbs gefördert werden, bietet diese Herangehensweise einen prinzipiellen Ansatzpunkt zur Stärkung des Einflusses der Kommunen im Bereich der Digitalisierung in der Pflege vor Ort.

3.2 Sicherung des Fachkräftebedarfs in der Pflege

Die Steigerung der Attraktivität der Ausbildung sowie die Gewinnung neuer Gruppen für den Pflegeberuf bilden relevante Ansätze zur Minderung des Mangels an Pflegefachkräften. In den folgenden Ausführungen werden zunächst die durchgeführten Reformen und die sich zeigenden Entwicklungen dargelegt, bevor abschließend die kommunalen Ansätze vorgestellt werden.

3.2.1 Reformen der Ausbildungswege der Pflegeberufe

Ein zentraler Fokus der „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“ von 2012–2015 bildete die Steigerung der Ausbildungszahlen in der Altenpflege, die mit konkreten Zielvorgaben einhergingen (Geschäftsstelle, 2015). Diese Zielsetzung konnte erfolgreich umgesetzt werden. So erhöhte sich die Zahl der in der Altenpflegeausbildung befindlichen Schüler:innen zwischen den Schuljahren 2011/2012 und 2017/2018 von rund 56.000 auf über 68.000 um 22 % (Slotala, 2020).

Der Erfolg lag in der Erhöhung der Erstausbildungen, aber auch in einem deutlichen Anstieg der Umschulungen oder Weiterbildungen begründet. Einen entscheidenden Anteil an dem Anstieg hatte dabei die (Wieder)einführung des Programms zur dreijährigen Nachqualifizierung/Umschulung in der Altenpflege durch die Bundesagentur für Arbeit seit Dezember 2012 (Geschäftsstelle, 2015; Slotala, 2020). Eine wichtige Zielgruppe dieser Weiterqualifizierungsmaßnahmen stellen in der Pflege schon tätige Pflegehelfer:innen dar, die durch die mögliche berufsbegleitende Ausbildung oftmals eine erste Chance auf eine Fachqualifikation erhielten (Geschäftsstelle, 2015; Grgic et al., 2018). Im Rahmen der „Konzertierten Aktion Pflege“ wurden zudem die Möglichkeiten der berufsbegleitenden Weiterqualifikation durch die Einrichtung von Teilzeitausbildungen auf Bundesländerebene gestärkt. Aufgrund des Umfangs der Nachfrage erwies sich die Strategie allerdings eher in (Groß)städten als erfolgreich (Bundesregierung, 2020). In seinem Bundesländervergleich der Erhöhung der Ausbildungszahlen für das Jahr 2017/2018 erklärte Slotala (2020) die deutlichen Unterschiede zwischen den Bundesländern mit den Politiken auf Bundesländerebene. Ebenso bedeutsam waren die Kampagnen und Aktionen auf kommunaler Ebene.

Mit der Reform der Pflegeberufe von 2020 soll die Pflegeausbildung generell attraktiver werden und damit die Anzahl der Auszubildenden weiter gesteigert werden. Kernstücke bilden dabei die Zusammenführung der Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung, der Altenpflegeausbildung und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflegeausbildung in eine dreijährige generalistische Pflegeausbildung und die Einführung eines regelhaften primärqualifizierenden BA-Studiums auf Hochschulebene. Im Fokus der Ausbildungsoffensive Pflege im Rahmen der „Konzertierten Aktion Pflege“ steht die Umsetzung der Pflegeberufereform und die Gewinnung von Ausbildungsinteressierten (Bundesregierung, 2020). In der lokalen Umsetzung nehmen die Kommunen eine wichtige Rolle ein.

3.2.2 Rekrutierung von Migrant:innen

Die gezielte internationale Rekrutierung von Pflegekräften aus dem Ausland für die (Alten)pflege begann in größerem Umfang erst nach 2010, allerdings wurden migrierte Pflegekräfte schon lange vorher beschäftigt. Im Jahr 2010 waren bereits insgesamt 15,4 % der Pflegekräfte in Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten aus unterschiedlichen Gründen zuvor nach Deutschland gekommen (Afentakis & Maier, 2014). Eine rechtliche Rahmenbedingung für die verstärkte internationale Rekrutierung nach 2010 bildete die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Rahmen des EU-Binnenmarkts, die in Deutschland von 2011–2015 auch für die neuen EU-Mitgliedsländer in Mittel- und Osteuropa umgesetzt wurde. Mit der Reform der Beschäftigungsverordnung 2013 wurde es zudem Arbeitgebern gestattet, Fachkräfte in Mangelberufen – u. a. in Pflegeberufen – aus Drittstaaten zu rekrutieren. Zum 1. März 2020 wurde mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz insbesondere der Zugang für Fachkräfte in Ausbildungsberufen verbessert. Gezielte Abkommen zur internationalen Rekrutierung von Pflegefachkräften wurden mit ausgewählten Ländern – beispielsweise Bosnien-Herzegowina, Serbien, den Philippinen – abgeschlossen. Die zunehmenden Anstrengungen der internationalen Rekrutierung reflektieren sich in dem Anstieg von Anträgen zur Anerkennung vorhandener Ausbildungen in der Pflege, was in dem reglementierten Pflegeberuf die Voraussetzung für eine Tätigkeit als Pflegefachkraft bildet. In ihrem Vergleich der Anerkennungsstatistiken fanden Pütz. et al. (2019) einen Anstieg dieser Anträge von 1000 im Jahr 2012 auf 6000 im Jahr 2017.

Bei der Umsetzung erwiesen sich zwei Themen besonders bedeutsam: zum einen die Schwierigkeiten der Anerkennung der Qualifikation insbesondere für Pflegefachkräfte aus Drittstaaten, denn innerhalb der EU ist die Anerkennung der Qualifikation zwischen den Mitgliedsländern EU-weit geregelt (Bonin et al., 2015; Pütz et al., 2019). Daneben erwies sich trotz durchaus positiver Erfahrungen die Integration in den Betrieb als weitere Herausforderung. Als Beispiele können hier genannt werden die länderspezifisch gestalteten Pflegesysteme und Professionalisierungsansätze und die damit einhergehenden verschieden gestalteten Arbeitsweisen im Alltag, Probleme in der Zusammenarbeit im Team sowie auch konkrete Diskriminierungserfahrungen (Bonin et al., 2015; Pütz et al., 2019; Schilgen et al., 2019; Theobald, 2017). Unter Federführung des Bundesministeriums für Gesundheit, in Zusammenarbeit mit den Bundesländern und weiteren sozialen Akteuren auf Bundesebene, wurden Maßnahmen entwickelt, die die Verfahren der Einreise, der Berufsanerkennung sowie der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis verbessern sowie das betriebliche Integrationsmanagement entwickeln sollen. Beispielsweise wurde ein Werkzeugkoffer verschiedenster Maßnahmen zum betrieblichen Integrationsmanagement vom Deutschen Kompetenzzentrum für internationale Fachkräfte in den Gesundheits- und Pflegeberufen unter der Regie des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe erstellt und bundesweit den Betrieben zur Verfügung gestellt (Bundesregierung, 2020).

3.2.3 Die Bedeutung der kommunalen Ebene

Im Themenbereich Sicherung des Pflegefachkräftebedarfs werden eigenständige Aktivitäten der Kommunen auf lokaler Ebene erkennbar, die sich in zwei Teilbereichen – Sicherung des lokalen Pflegefachkräftebedarfs und Umsetzung der Pflegeberufereform – zusammenfassen lassen.

Sicherung des lokalen Pflegefachkräftebedarfs

Einen Schwerpunkt der Aktivitäten hier bilden Beratungsstellen zu verschiedenen Aspekten, die auf der Basis individueller Beratung und der Beratung von Einrichtungen den Berufseintritt in die Pflege fördern sollen. Die lokale Beratung kann dabei unterstützt werden durch das Beratungsteam des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, das auf lokaler Ebene umfänglich – beispielsweise in Schulen und auf Messen – in die Akquise einbezogen wird oder auch in der individuellen Beratung die eigene Expertise einbringt (Geschäftsstelle, 2020). Über diese Beratungsansätze hinaus werden zunehmend lokale Netzwerke zur Gewinnung des regionalen Pflegekräftebedarfs etabliert. Hier schließen sich die verschiedenen pflegerischen oder gesundheitlichen Einrichtungen und Pflegeschulen, aber auch lokale Jobcenter, kommunale Wirtschaftsförderer und kommunale Projekte zur Entwicklung gemeinsamer Aktionen zusammen (Geschäftsstelle, 2020). Als ein Ansatzpunkt einer so breiten Strategie, die Beratung, Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerkbildung verknüpft, können zeitlich befristete kommunale Projekte genannt werden, die zur Sicherung des Pflegefachkräftebedarfs auf lokaler Ebene beitragen sollen. Dies soll am Beispiel der Aktivitäten des Projekts „Perspektive Pflege!“ (2017–2019) bzw. des Nachfolgeprojekts „Perspektive Pflegeausbildung!“ (2019–2021) dargestellt werden. Die Projekte und ihre Aktivitäten verdeutlichen, dass die Kommunen nicht nur beteiligt werden, sondern eine aktive, koordinierte Rolle einnehmen können.

Mit dem Fokus auf die Fachkräftesicherung in der Pflege – Gewinnung und Bindung von Fachkräften und Imageaufwertung des Pflegeberufs – ist das Projekt “Perspektive Pflege!“ – finanziert durch das Land Niedersachsen und den Europäischen Sozialfond mit Unterstützung der Landkreise Vechta und Cloppenburg – entstanden.Footnote 2 Antragsteller der Projekte ist der gleichnamige Verein „Perspektive: Pflege!“ e. V. in den beiden Landkreisen, dessen Mitglieder die Krankenhäuser, stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen, Kranken- und Altenpflegeschulen und die jeweiligen Kostenträger sind. Diese breite Mitgliedschaft ermöglicht eine enge Kooperation und Vernetzung mit den relevanten Akteuren und die Anpassung von Maßnahmen und Aktivitäten an die lokalen Bedingungen. Dazu wurden im Rahmen des Projekts “Perspektive Pflege!“ zunächst eigene Umfragen zum Fachkräftemangel in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen sowie in Krankenhäusern der Landkreise durchgeführt. In Zusammenarbeit mit der Universität Vechta und der Hochschule Osnabrück wurden auf der Basis von Masterarbeiten oder studentischen Forschungsprojekten die Bedingungen in den lokalen Einrichtungen untersucht. Die Themen reichten dabei von Befragungen der Pflegekräfte zu Vorstellungen guter Pflege, zu Ansätzen der Professionalisierung oder auch der Ausformung und Entstehung von Motivation über die Analyse von Versorgungsansätzen bis hin zu Fragen der Personalpolitik. Zu Letzteren gehörten Masterarbeiten zur Verbesserung der stationären Versorgung dementiell erkrankter Bewohner:innen unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die Arbeitssituation der Pflegekräfte und zu den Möglichkeiten einer mitarbeiterorientierten Maßnahmenplanung zur Abwendung des Fachkräftemangels in stationären Alten-, und Pflegeeinrichtungen. Die Ergebnisse der Masterarbeiten wurden im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen wieder an die lokalen Akteure rückgemeldet. Zur Erforschung und Möglichkeiten der Stärkung eines positiven Images der Pflege- und Gesundheitsberufe wurden auch Auszubildende einbezogen, die sich über ihre eigenen Erfahrungen austauschten.

Kennzeichnend für die Herangehensweise des Projekts ist die Vernetzung mit anderen lokalen Akteuren in der Durchführung der eigenen Aktivitäten. Mit verschiedenen Aktionen – wie beispielsweise der Beteiligung an lokalen Jobmessen, der Beteiligung an einem Arbeitskreis zur beruflichen Integration von Geflüchteten oder der Förderung der Beteiligung von Pflegeeinrichtungen am lokalen „Markt der Möglichkeiten“, wo sich gezielt Arbeitgeber vor Ort und interessierte Geflüchtete treffen – gelang es den Akteuren des Projekts, die Erwerbs- und Ausbildungsmöglichkeiten vor Ort in der Pflege aufzuzeigen. Eine positive Zusammenarbeit besteht auch mit dem Jobcenter und der Koordinierungsstelle „Frauen & Wirtschaft“, die Migrant:innen insbesondere Geflüchtete und auch Unternehmen in einem breiten Spektrum von Themen, wie beispielsweise der Anerkennung der Qualifikation oder der Integration in den Arbeitsmarkt bzw. den Betrieb, berät. Damit werden generelle Ansätze zur Gewinnung von Auszubildenden oder Pflegekräften mit einem Fokus auf Migrant:innen verbunden, was auch der Zielsetzung auf Bundesländerebene entspricht (Geschäftsstelle, 2015). Während es sich als generell einfacher gestaltete, über Messen oder Schulen Kontakte zu interessierten Schüler:innen aufzubauen, erwies dies sich als schwieriger zu möglichen Interessent:innen in späteren Lebensphasen. Hier zeigte sich die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter, der Koordinierungsstelle „Frauen & Wirtschaft“ oder die Beteiligung an den Arbeitskreisen als zielführender.

Umsetzung der Pflegeberufereform auf lokaler Ebene

Ein weiterer Schwerpunkt der Aktivitäten auf der lokalen Ebene liegt in der Umsetzung der Pflegeberufereform und der Aktivitäten zur Gewinnung von Ausbildungsinteressierten (Geschäftsstelle, 2020). Da die damit eingeführte generalistische Pflegeausbildung eine Fachqualifikation für verschiedene pflegerische Bereiche, wie insbesondere der stationären und ambulanten Langzeit- und Akutpflege vermittelt, erfordert deren Umsetzung ein Praxiseinsatz in jedem Versorgungsbereich und deren Koordinierung im zeitlichen Ablauf. Als schwierig in der Umsetzung erwies sich dabei die Etablierung der Zusammenarbeit der Beteiligten an der Ausbildung – Alten- und Krankenpflegeschulen und Einrichtungen – sowie die Gewinnung von Ausbildungsplätzen in den verschiedenen Versorgungsbereichen, die nur in der stationären Langzeitpflege in allen Regionen in ausreichender Zahl verfügbar waren (Bundesregierung, 2020). In vielen Regionen schlossen sich Pflegeschulen, Krankenhäuser sowie ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen daher zu Ausbildungsverbünden zusammen. Für die Koordinierung der praktischen Einsätze in den verschiedenen Versorgungsbereichen etablierten sich zwei unterschiedliche Herangehensweisen: Zum einen übernimmt die Pflegeschule alle koordinierenden Aufgaben für die beteiligten Träger der praktischen Ausbildung und erhält dafür einen finanziellen Ausgleich. Zum anderen wird zu diesem Zweck eigens eine Koordinierungsstelle eingerichtet, in der alle Partner des Verbunds vertreten sind.

Im Landkreis Verden in Niedersachsen wurde beispielsweise mit der Gründung eines Ausbildungsverbundes mit den Ausbildungsstätten und den Einrichtungen eine neutrale koordinierende Stelle auf Kreisebene eingerichtet, die die Praxiseinsätze in den Einrichtungen für die Auszubildenden koordiniert. Eine wichtige, vermittelnde Rolle bei der Gründung des Verbunds nahm dabei die Fachkräfteoffensive des Landkreis Verdens ein (Landkreis Verden, 2020). Im Landkreis Vechta übernahm das Projekt „Perspektive Pflegeausbildung!“, das Nachfolgeprojekt des Projekts „Perspektive Pflege!“ im Landkreis, eine koordinierende Rolle in der Etablierung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ausbildungsstätten der Alten- und Krankenpflegeausbildung und den Einrichtungen. Die Koordination der Praxiseinsätze übernehmen im Landkreis Vechta die Ausbildungsstätten in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen. Neben der Unterstützung beim Aufbau der Kooperation zwischen den Kranken- und Altenpflegeschulen und den Einrichtungen ist auch die Beratung und Information der Schüler:innen oder auch die Beteiligung an Informationsveranstaltungen für Ausbildungsinteressierte eine zentrale Aufgabe des Projekts.

4 Fazit zur Einbeziehung der kommunalen Ebene

Wie in vielen westlichen Ländern haben der Anstieg des Bedarfs an Pflegekräften und die gleichzeitig vorhandenen schwierigen Arbeits- und Ausbildungsbedingungen auch in Deutschland zu einem eklatanten Mangel insbesondere an Pflegefachkräften geführt, der aufgrund des absehbaren demografischen und sozialen Wandels zukünftig weiter zunehmen wird. Diesen Schwierigkeiten in den Arbeits- und Ausbildungsbedingungen wurde gerade in jüngerer Zeit mit einer Reihe von Maßnahmen und Lösungsansätzen begegnet, die trotz der dominanten Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Bundes- und Bundesländerebene in diesem Sektor zunehmend auch die Entwicklung auf regionaler oder lokaler Ebene einbeziehen. In thematisch breit angelegten politischen Initiativen wurden dabei Akteure auf den unterschiedlichen Politikebenen – die Bundes-, und Bundesländerebene sowie die Kommunen und Landkreise – und weitere relevante gesellschaftliche Akteure in die Entwicklung und Umsetzung der Lösungsansätze in einem Mehrebenensystem beteiligt.

Die Beispiele der Digitalisierung in der Pflege und der Rekrutierung von Migrant:innen zeigen, in welcher Form Kommunen bzw. die lokale Ebene sich im Mehrebenensystem der Pflegepolitiken zur Verbesserung der schwierigen Arbeitsbedingungen und zur Sicherung des Fachpflegebedarfs einbringen können. Digitalisierung und Rekrutierung können insgesamt zur Lösung beitragen. Die hier vorgenommene Differenzierung weist speziell auf die vorhandenen Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten auf der kommunalen Ebene hin.

Im Themenfeld der Digitalisierung zeigt sich in der Einbeziehung der lokalen Ebene eher ein Top-down Ansatz, d. h. auf lokaler oder regionaler Ebene werden aufgrund der Initiative von Bund oder Bundesländern Einrichtungen geschaffen, wie beispielsweise die Pflegepraxiszentren. Diese sollen die Möglichkeiten der Digitalisierung auch regional entwickeln, erproben und sichtbar machen. Als weiteres Beispiel können die Finanzierungsmöglichkeiten der technischen Ausstattung in ambulanten und stationären Einrichtungen im Rahmen der Pflegeversicherung genannt werden. In die Umsetzung werden dabei nicht nur die Einrichtungen, sondern auch deren Verbände und die Kostenträger eingebunden. Ein weiterer Top-down Ansatz, in dem jedoch schon stärker Facetten einer Kooperation oder Formen der lokalen Einflussnahme erkennbar werden, wird in der Entwicklung von Informations-, und Beratungsangeboten erkennbar, wie beispielsweise im Werkzeugkoffer zur Förderung der betrieblichen Integration von Migrant:innen oder auch in der bundesweiten Aufstellung von Beratungsteams für die Gewinnung von Ausbildungsinteressierten, die vor Ort unterstützend wirken können.

Im Bereich der Sicherung des lokalen Pflegefachkräftebedarfs und der Umsetzung der Pflegeberufereform sind eigenständige lokale, durch die Kommunen (mit)gestaltete Aktivitäten deutlich erkennbar. Dies ermöglicht die notwendige passgenaue Orientierung der Maßnahmen an den lokalen Bedingungen. Zu nennen sind hier neben den Beratungsaufgaben die Etablierung von lokalen Netzwerken mit unterschiedlichen Akteuren, die in die Gewinnung von Pflegekräften oder Ausbildungsinteressierten oder auch in die Umsetzung der Pflegeberufereform einbezogen sind. Besonders relevant werden hier zeitlich befristete kommunale Projekte, die diese Aktivitäten initiieren, koordinieren und begleiten. Zudem übernehmen die Projekte zentrale Aufgaben in der Untersuchung der lokalen Bedingungen und der Weitergabe dieser Ergebnisse an die relevanten lokalen Akteure. Die zeitliche Befristung der Projekte lässt diese Unterstützung allerdings als prekär erscheinen und erschwert eine dauerhafte, kontinuierlich aufbauende Arbeit. Gleichzeitig aber erweisen sich derartige koordinierte und initiierende Herangehensweisen auf lokaler Ebene als zukunftsweisend in dem Themenfeld.