Zusammenfassung
Zunehmend wird in den letzten Jahren deutlich, dass im innerwissenschaftlichen Sprachgebrauch Begriffsüberschneidungen und Abgrenzungsprobleme zwischen Alterssoziologie, Alterspsychologie und Sozialgerontologie eintreten. Insbesondere dann, wenn von Sozialgerontologie die Rede ist, bleibt der Eindruck, dass das eine Mal die Psychologie, das andere Mal die Soziologie, wenn von Gerontologie die Rede ist, nicht selten auch die Medizin sich anheischig machen, diese Fächer zu repräsentieren. Zum einen ist es wohl das Resultat des Kampfes um symbolische Anerkennung zwischen den Disziplinen, andererseits aber auch der Ausfluss der Tatsache, dass Sozialgerontologie keine eigene Disziplin im herkömmlichen Sinn ist, und schließlich ist es wohl auch das Erbe immer wieder auftretender Hegemoniebestrebungen einzelner Fachwissenschaften. Während vor einigen Jahren noch die Frage im Vordergrund stand, welche Theoriekonzeptionen erfolgreich aus den einzelnen Disziplinen in die Sozialgerontologie übernommen werden könnten, ist gegenwärtig die Frage nach den transdisziplinären Aspekten der Alternsforschung stärker in den Vordergrund getreten. Damit ist auch die wissenschaftssystematische Seite mehr in den Blick gekommen, die allerdings einige interessante Fragen aufwirft, auf die ich unter dem Thema der Transdisziplinarität näher eingehen werde.
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Notes
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Diese Phase hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den ersten beiden Entwicklungsstadien der Wissenschaftsentwicklung: „Paradigmagruppe“ und „Netzwerk“, die N. C. Mullins in Anlehnung an Th. Kuhn beschrieben hat. Mullins (1981).
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Einen Überblick über solche Initiativen geben die folgenden Daten: „Gerontological Society“ in den USA: 1945; „International Association of Gerontology“: 1950; „European Social Science Research Committee“ (der IAG): 1954; „Österreichische Gesellschaft für Geriatrie“: 1955; „Deutsche Gesellschaft für Alternsforschung“: 1966 (mit ihrem ersten Kongress 1967); „Zeitschrift für Altersforschung“ (Deutschland): 1938; „Journal of Gerontology“: 1946.
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Ausgesprochen interdisziplinäre Projekte umfangreichen und lang dauernden Zuschnitts, an denen eine Mehrzahl der an der Sozialgerontologie beteiligten Fachwissenschaften gleichberechtigt beteiligt sind, das heißt also interdisziplinäre Forschung im oben definierten Sinn, gibt es kaum. Die großen Projekte wie MUGSLA, SIMA oder ILSE wurden alle unter den Leitorientierungen der Psychogerontologie durchgeführt. Die BASE käme einem solchen Programm am nächsten, in ihr wurde aber nicht vom strengen Ansatz der Interdisziplinarität ausgegangen.
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Natürlich ist die Sozialgerontologie dann auch nicht davor gefeit, Leitvorstellungen zu entwickeln, denen die Konzeptionen von Einzelfächern unterworfen werden, allerdings stellt die Logik eines Forschungsprogramms ein gewisses Korrektiv gegen den „Führungs“anspruch einer einzelnen Disziplin dar.
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Amann, A. (2014). Sozialgerontologie: ein multiparadigmatisches Forschungsprogramm?. In: Amann, A., Kolland, F. (eds) Das erzwungene Paradies des Alters?. Alter(n) und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02306-5_2
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