Zusammenfassung
In der interpretativen Soziologie gilt die Analyse sozialer Deutungsmuster als eine der zentralen Aufgaben soziologischer Forschung und Theoriebildung. Lamnek (1988: S. 24f.) postuliert Deutungsmuster als den primären Gegenstand qualitativer Sozialforschung (vgl. auch Heinze 1987). Solch exponierter Positionierung steht eine bemerkenswert verstreute und unsystematische Diskussion sowohl des theoretischen Gehalts des Deutungsmusterkonzepts als auch der angemessenen methodischen Verfahren gegenüber. Was Deutungsmuster von verwandten Begriffen — wie beispielsweise Handlungsmuster, Orientierungsmuster, script, Alltagstheorien — unterscheidet, ist nur undeutlich und schwer zu erkennen. Das hat freilich der Popularisierung des Begriffs keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Deutungsmuster ist zu einem Passepartout geworden. Wiedemann (1985: 216ff.) spannt den Bogen von bipolar strukturierten „Wahrnehmungsdimensionen“ wie „stark/schwach“ über Taxonomien, wie sie die ethnologische Forschung interessieren, bis hin zu „Beziehungen zwischen der kognitiven Organisation unterschiedlicher Erfahrungsbereiche“. Als geeignete Verfahren zur Datenerhebung und -auswertung benennt er nahezu das gesamte Repertoire der empirischen Sozialforschung (der quantitativen wie der qualitativen). Obgleich auch wir die Deutungsmusteranalyse nicht auf eine einzige Fragestellung und ein spezifisches methodisches Verfahren eingrenzen, halten wir es für notwendig, einen inflationären Gebrauch des Konzepts zu vermeiden. Wir begreifen Deutungsmusteranalyse als eine Variante der interpretativen Soziologie und als ein Verfahren der qualitativen, rekonstruktiv verfahrenden Sozialforschung.
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Lüders, C., Meuser, M. (1997). Deutungsmusteranalyse. In: Hitzler, R., Honer, A. (eds) Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11431-4_3
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