Zusammenfassung
Verstädterung umfaßt nicht nur räumliche Konzentration von menschlichen An-siedlungen und weitreichende Umgewichtungen von Wirtschaftsbereichen, sondern auch Wandel von persönlichen Alltagserfahrungen, Lebensstilen, Wertsetzungen und Lebensauffassungen. Die historische Betrachtung zeigt die Bedeutung von Verstädterung bei der Auflösung derjenigen Lebenswelten und Lebensauffassungen, die heute — mehr oder weniger scharf eingrenzbar — dem Mittelalter zugeordnet werden. Die neuzeitliche Realität konnte bisher sicherlich nicht völlig das Versprechen einer von vielen Zwängen und Grenzen befreiten urbanen Lebensqualität einlösen; aber dennoch heben sich die heutigen Optionsmöglichkeiten in entwickelten, freien Gesellschaften von vielen früheren weltanschaulichen und sozialen Bindungen positiv ab. Die neuen Aufgaben und Unsicherheiten bei der individuellen Identitätsfindung (Gabriel 1994) und die Risiken der persönlichen Absicherung (Beck 1986) werden demgegenüber oft als weniger belastend empfunden, zumal im Extremfall meist doch die Hilfe größerer sozialer Einrichtungen erhofft wird. Sehr viele Deutsche wünschen beispielsweise, daß zumindest der Staat mögliche Versorgungsprobleme in Krankheit, Not, Arbeitslosigkeit oder Alter auffangt (alte Bundesländer: 90,6%, neue Bundesländer: 98,7%; Quelle: ALLBUS-Basisumfrage 1991). Schmidtchen (1993, S. 56) schreibt über den aktuellen Individualismus: “Durch eine grandiose Gesinnungsleistung soll die Welt in Ordnung gebracht, die Gesellschaft umgestaltet werden in Richtung auf eine Selbstrealisierungsgesellschaft, in der die Personen mit berechtigten Ansprüchen an den Staat herantreten. Der Staat wird daran gemessen, wieviel er für den einzelnen und seine ökologische Situation tut. Seine Leistungen sind gleichsam abstrakt abrufbar, sie sind gemeinschaftslos.”
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Referenzen
Tönnies verwendet in der 1887 erschienenen Erstausgabe seines Hauptwerks “Gemeinschaft und Gesellschaft” den Untertitel “Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirische Culturformen”. In etwas modifizierter Form besitzen die Begriffe “Vergemeinschaftung” und “Vergesellschaftung” beispielsweise auch einen hohen Stellenwert für Webers Werk “Wirtschaft und Gesellschaft” (Weber 1976). Dabei stellt Weber ausführlich die Bedeutung von Typen religiöser Vergemeinschaftungen für die Religionssoziologie dar. Auch Durkheim beschäftigte sich in seinem 1912 erschienenen Buch über die “Elementarformen des religiösen Lebens” mit dem konkreten Entstehen und Erleben von “Gemeinschaft” durch praktizierte religiöse Riten.
So lag in Orten mit über 499.999 Einwohnern der Anteil der Nichtkirchgänger unter den Konfessionsmitgliedern 1980 bei 24,2% und 1992 ebenfalls bei 24,2%. In Orten mit weniger als 20.000 Einwohnern waren es 11,8% (1980) und 10,2% (1992).
Die Differenzierung zwischen “stärkerer” und “geringerer” Religiosität wurde mit einer dichotomisierten Selbsteinstufung der Befragten auf einer Religiositätsskala durchgeführt.
Hierbei wird eine vom Verfasser durchgeführte Neukonstruktion des Einordnungsberufs verwendet, mit der auch für nichterwerbstätige Befragte eine indirekte Klassifikation über den ehemaligen Beruf der Befragten oder über den Beruf des Ehepartners bzw. des Vaters möglich ist. Bei der hier eingesetzten Einordnungsvariante werden in der Regel auch alle Frauen nach ihrem (ehemaligen) Beruf einer bestimmten Position zugeordnet und nicht etwa über einen Ehemann bestimmt (vgl. ZA und Zuma 1993, Note 17).
Der Allbus 1992 wurde in einer Zeit ökonomischer Rezession erhoben. Waren in den vorausgegangenen ALLBUS-Erhebungen stets Steigerungen der Postmaterialistenanteile zu beobachten gewesen (vgl. u.a. Terwey 1989), fiel dieser Anteil 1992 erstmals ab. Diese Trendwende steht dann in Einklang mit der oft kritisierten Theorie Ingleharts, falls kurzfristigere Einflüsse auf die postmaterialistischen Werthaltungen zugelassen werden.
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Terwey, M. (1994). Stadt, “Socialismus” und Entzauberung. In: Dangschat, J.S., Blasius, J. (eds) Lebensstile in den Städten. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10618-0_7
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