Zusammenfassung
Der in jüngster Zeit beachtliche Aufschwung von Lebensstilforschungen und -analysen gründet nicht zuletzt in der Tatsache, daß infolge des sozialen und technischen Wandels in modernen Gesellschaften objektive sozialstrukturelle Bedingungen immer weniger die Ausprägung von Sozialformen determinieren. Erkennbare Umstrukturierungen des Zusammenhangs von Lebenschancen und Lebensführung, sozialer Lebensumstände und individueller Lebensäußerungen werden als neuartige Phänomene begriffen, denen mit den traditionellen Ansätzen aus den verschiedenen soziologischen Teildisziplinen nicht beizukommen war, ohne Unbehagen zu hinterlassen. Fraglich wurde, ob diese neuartigen Phänomene überhaupt mit den eingespielten analytischen Instrumentarien empirisch ergiebig und theoretisch aussagekräftig erfaßt werden können (vgl. Müller 1989, 1992a, Diewald 1990, Hradil 1992c; s. auch Berger in diesem Band). Mit ihrem schrittweisen Rückzug aus diesem Gegenstandsgebiet blieb ein unbestelltes Forschungsfeld übrig, das mit Milieu- und Lebensstilforschungen zu beackern, sprich analytisch neu zu durchdringen, versucht wurde (vgl. Becker und Nowak 1982, Gluchowski 1987, Lüdtke 1989, 1990, Schulze 1992a, Vester u.a. 1993). Es ist diese Hinterlassenschaft eines quasi vaterlosen Phänomenbereiches, die auch erklärt, warum die Berechtigung neu ansetzender Milieu- und Lebensstilanalysen prinzipiell nie ernsthaft in Frage gestellt wurde.
Für ihre wertvolle Hilfe danke ich Birgit Hodenius.
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Referenzen
Ähnlich verorten Müller und Weihrich (1990, S. 5) Lebensstilanalysen in einer “Soziologie sozialer Unterschiedlichkeiten”.
Der Bezug auf diesen Hintergrund, der Aneignung sozialer Typisierungen in Verbindung mit Ordnungsstrukturen der sozialen Orientierung, hat in der Soziologie (wie auch in der Ethnologie und Sozialanthropologie) eine lange Tradition. Hier setzen “Theorien der sozialen Klassifikation” an, wie sie etwa von der “Durkheim-Schule” formuliert (vgl. Durkheim 1981, S. 196 ff., Durkheim und Mauss 1987) und von vielen Autoren wie u.a. von Douglas (1981, 1991), Veblen (1986), Schwartz (1981) oder Bourdieu herangezogen werden. Danach werden soziale Klassifikationen als kollektive Repräsentationen der Gesellschaftsordnung angesehen, die die Sozialwelt strukturieren. In gleicher Weise faßt Bourdieu (Bourdieu 1982, S. 727 ff.) darunter die symbolische Inkorporierung sozialer Unterschiede und sozialer Ungleichheit. Da seiner Auffassung nach ständig um die Definitionsmacht und Bedeutung sozialer Sachverhalte gekämpft wird, ist “soziale Klassifikation” als ein Akt der symbolischen Durchsetzung im Kampf um das Monopol legitimer Repräsentation zu verstehen (Bourdieu 1985a, S. 53). In Absetzung dazu wird in diesem Zusammenhang der Begriff “soziale Klassifizierung” verwendet, weil es hier — vom Anspruch her bescheidener — lediglich um die Prozesse der Selbst- und Fremddefinition von Individuen, der Zuordnung zu sozialen Gruppen und der Be-stimmung im sozialen Raum geht. Von “sozialen Klassifikationsschemata” und “-mustern” ist allerdings dann die Rede, wenn die Klassifizierungen einen systematischen Bezug zu übergreifenden Ordnungsvorstellungen der Sozialwelt haben, die ihrerseits die Art und Weise der Klassifizierung strukturieren.
Fast gleichlautend heißt es bei Veblen (1986, S. 28): “Der besondere Gesichtspunkt oder das besondere für die Klassifizierung der Tatsachen entscheidende Merkmal hängt vom Interesse ab, von dem aus die Entscheidung getroffen wird.”
Dagegen kommt es bei askriptiven Klassifizierungsmerkmalen oder bei subjektiv unentrinnbaren Fremdzuschreibungen wie etwa “Deutscher”, “Ossi”, “Niederbayer”, “Langzeitarbeitsloser”, “alleinstehende Mutter” etc. auf die angelegten Kategorien an, mit denen Vorabzuweisungen getroffen werden: “arbeitslose Akademikerin” oder “Türkin”. Die institutionelle Ordnung und ihre Legitimationsdiskurse haben hier einen großen Einfluß auf die gesellschaftliche Relevanzstruktur der Anwendung solcher nominalen Klassifizierungen.
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Michailow, M. (1994). Lebensstil und soziale Klassifizierung. In: Dangschat, J.S., Blasius, J. (eds) Lebensstile in den Städten. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10618-0_2
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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Online ISBN: 978-3-663-10618-0
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