1 Gravitative Massenbewegungen

Die Naturgefahren der gravitativen Massenbewegungen beinhalten Prozesse wie Felsstürze, Muren, flach- und tiefgründige Rutschungen sowie andere komplexe Bewegungen (Glade et al. 2005; Glade und Zangerl 2020). Diese sind auf verschiedenste Art von klimarelevanten Faktoren abhängig (Crozier 2010; Glade und Crozier 2010; Huggel et al. 2012; Nie et al. 2017; Rupp et al. 2018; Wiedenmann et al. 2016) und werden ganz unterschiedlich direkt und indirekt vom Menschen beeinflusst (Klose et al. 2015; Schmidt und Dikau 2004). Gravitative Massenbewegungen treten an vollkommen natürlichen, vom Menschen unbeeinflussten Hängen auf, z. B. im hochalpinen Gebiet (Abb. 12.1) (z. B. Knapp et al. 2021; Krautblatter et al. 2012), an Hängen von eingeschnittenen Tälern und Schichtstufen in Mittelgebirgen (u. a. Bell et al. 2010; Damm 2005; Hardenbicker et al. 2001; Leinauer et al. 2020; Terhorst 2001, 2009; Schmidt und Beyer 2001; Finkler et al. 2013; Bock et al. 2013; Garcia et al. 2010; Oeltzschner 1997) oder an Steilküsten (Abb. 12.2) (Günther und Thiel 2009; Kuhn und Prüfer 2014). Sie treten aber auch an Böschungen auf, die vom Menschen geschaffen wurden, oder an modifizierten Hängen, etwa in Gebieten, in denen Baugebiete ausgewiesen (Bell et al. 2010; Kurdal et al. 2006) oder flächenhafte Flurbereinigungen durchgeführt wurden. Je nach Lokalität sind demzufolge die Dispositionen der Gebiete gegenüber klimatischen und hydrometeorologischen Auslösern sehr divers (u. a. Dikau und Schrott 1999; Glade et al. 2020; Mergili und Glade 2020; Schmidt und Dikau 2004).

Abb. 12.1
figure 1

(Foto: Horst Meyenfeld)

Das Tal des Alpenrheins mit Ablagerungen verschiedener gravitativer Massenbewegungen an den Unterhängen und im Talboden.

1.1 Felsstürze, Felsgleitungen und Felslawinen

Neben den hier nicht weiter behandelten Erdbeben sind besonders Starkniederschläge Auslöser von Felsstürzen, Felsgleitungen und Felslawinen, die häufig durch hydrometeorologische Vorgänge vorbereitet werden (Krautblatter et al. 2010a, b, 2012; Preh et al. 2020; Zangerl et al. 2020). Hierzu gehört z. B. ein langanhaltender Niederschlag, der die offenen Gesteinsklüfte ausfüllt und dort zu großen Porenwasserdrücken führen kann. Diese können besonders bei Felsgroßbewegungen auch durch eine Schneeschmelze im Frühjahr erreicht werden (Zangerl et al. 2020).

Solche vorbereitenden Faktoren lösen gravitative Massenbewegungen nicht direkt aus, sondern erhöhen die Disposition der entsprechenden stabilitätsbeeinflussenden Variablen. Einen weiteren derartigen Faktor im Hochgebirge stellt der Permafrost bzw. sein Rückgang dar. Der dauergefrorene Bereich stabilisiert die steilen alpinen Felswände zusätzlich (Haas et al. 2009). Durch die Klimaerwärmung werden bisher steile Gesteinsformationen in einen labilen Zustand versetzt und können sich dann entsprechend aus der Felswand ablösen (Krautblatter et al. 2009, 2013) oder ganze Felswände können in einer Felsgleitung oder einer Felslawine mobilisiert werden (Knapp et al. 2021; Zangerl et al. 2020).

Eine ganz andere Situation ist an den Steilküsten Norddeutschlands zu beobachten (Günther und Thiel 2009; Kuhn und Prüfer 2014). Für deren Stabilität sind wieder die Klüftung des Gesteins und der anzutreffende Porenwasserdruck maßgeblich verantwortlich. Hinzu kommt hier aber auch noch die Wellenwirkung über die Brandung: Sie erodiert die Steilküsten kontinuierlich am Hangfuß, bis die darüber gelagerte Masse so instabil wird, dass sie kollabiert (Abb. 12.2). Diese Grenze zwischen der Stabilität des Kliffs und der Bewegungsauslösung kann durch interne Kräfteverschiebungen überschritten werden (verursacht z. B. durch die Verwitterung des Gesteins), kann aber auch durch externe Kräfte, beispielsweise über einen Sturm mit sehr hoher Brandung oder über Starkniederschläge, erreicht werden. Die klimatischen und hydrometeorologischen Faktoren beeinflussen folglich langfristig über die Wellenbewegungen und die Ausbildung der Brandungshohlkehlen die Stabilität ganzer Küstenabschnitte, lösen aber bei extremen Situationen wie Starkniederschlägen oder einer starken Wellenbrandung auch direkt Felsstürze aus.

Weiterhin treten Felsstürze an künstlichen Geländeanschnitten in vielfältigster Weise auf. Solche Anschnitte entstehen sehr häufig beim Bau der Verkehrsnetze (Straßen oder Eisenbahn, z. B. Röhlich et al. 2003; Schlögl und Matulla 2018) oder beim Hausbau in Hangbereichen. Hier kann es auch zur Auslösung von Felsstürzen durch hydrometeorologische Faktoren kommen, die eigentliche Ursache im Sinne eines vorbereitenden Faktors ist jedoch in der anthropogenen Übersteilung zu sehen. Untersuchungen zeigten auch, dass zwischen dem Zeitpunkt solcher Übersteilung (Abb. 12.3) und dem eigentlichen Auslösen der Felsstürze viele Jahre, manchmal sogar viele Jahrzehnte liegen können. Dies erschwert die klare Trennung zwischen dem menschlichen Einfluss und den deutlich auf die Klimaänderungen zurückzuführenden Folgewirkungen.

Abb. 12.2
figure 2

(Foto: Horst Meyenfeld)

Steilküste auf der Insel Rügen. Die Ablagerung einer gravitativen Massenbewegung, die bereits von Wellen wieder erodiert wird, ist deutlich sichtbar.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Felsstürze in den verschiedensten Regionen in Deutschland an natürlichen und künstlich übersteilten Felswänden auftreten (Röhlich et al. 2003). Die klimatischen und hydrometeorologischen Wirkungen sind dabei als vorbereitende Faktoren genauso wichtig wie für die Auslösung an sich (Krautblatter et al. 2006; Schmidt und Dikau 2004). Eine klare Trennung zwischen den natürlichen und damit klar auf den Klimawandel zu beziehenden Gegebenheiten und den vom Menschen beeinflussten Faktoren ist überaus schwierig.

1.2 Muren

Muren sind Ströme aus Wasser mit einem sehr hohen Anteil an Schlamm- und Gesteinsmassen, die sich im Gebirge an Talflanken (Hangmuren) oder in Tiefenlinien (Gerinnemuren) bergabwärts bewegen. Die klimatischen und hydrometeorologischen Gegebenheiten wirken auch hier als vorbereitende und auslösende Faktoren: Wassergesättigtes Material ist leichter mobilisierbar als trockene Sedimente. Auftauender Permafrost ermöglicht in ausgewählten alpinen Hochlagen die Mobilisierung früherer gefrorener Bereiche. Weiterhin spielen auch Vegetationsänderungen für die Muraktivität eine große Rolle. Im Falle einer Rodung, eines Waldbrands oder eines natürlichen Windwurfs können bisher durch die Vegetation geschützte Bereiche bei einem folgenden Sturmereignis zu potenziellen Quellgebieten von Muren werden. Außerdem können Murverbauungen den Prozessablauf maßgeblich verändern, indem sie beispielsweise die Muren im Quellgebiet aufhalten oder im Verlauf abbremsen bzw. ganz aufhalten. All dies beeinflusst, wie oft Muren auftreten und wie stark sie sind, und es überlagert mögliche Klimafolgen. Zentral bei allen Untersuchungen ist eine detaillierte multitemporale Analyse der Muraktivität, also eine Untersuchung derselben Stelle zu unterschiedlichen Zeitpunkten (Dietrich und Krautblatter 2019; Ozturk et al. 2018).

Abb. 12.3
figure 3

Eisenbahntunnel im Ahrtal: Anthropogene Übersteilung einer Felswand durch den Bau von Verkehrsinfrastruktur.

Es ist festzustellen, dass sich die durch Klimaereignisse ausgelöste Muraktivität verändert (Damm und Felderer 2013; Kaitna et al. 2020). Dies wurde beispielsweise auch in dendromorphologischen Untersuchungen erkannt (Schneider et al. 2010), die in den veränderten Jahresringen die Wachstumsveränderungen von Bäumen, verursacht durch die Bewegung der Erdoberflächen, analysieren. Es ist aber nicht eindeutig, welche dieser Veränderungen auf die klimarelevanten Parameter zurückzuführen sind und welche von anderen Einflüssen in welcher Stärke überlagert werden.

1.3 Rutschungen

Bei Rutschungen werden meist Lockersedimente, aber auch geklüftete Felsmassen auf einer hangparallelen (Translationsrutschung) oder rotationsförmigen Gleitfläche (Rotationsrutschung) hangabwärts transportiert (Abb. 12.4). Rutschungen treten an natürlichen sowie an künstlich übersteilten Hängen gleichermaßen auf und bewegen sich mit den verschiedensten Geschwindigkeiten: von langsam kriechend bis spontan ausbrechend und extrem schnell (Glade und Zangerl 2020). Wichtig ist zu beachten, ob es Neuinitiierungen von Rutschungen sind oder ob es sich um Reaktivierungen bereits früherer Bewegungen handelt. Denn diese reagieren ganz unterschiedlich auf klimatische und hydrometeorologische Gegebenheiten.

Auch Rutschungen werden vorbereitet, werden nach Überschreitung von Schwellenwerten ausgelöst, und ihre Bewegung wird durch die Situation am Hang beeinflusst (Schmidt und Dikau 2005; Glade et al. 2020) – besonders davon, welche Pflanzen in welchem Alter den Hang bewachsen und durchwurzeln (Papathoma-Köhle et al. 2013), wie die Geländeoberfläche geformt ist, wie stark der Boden verwittert ist, welches Gestein ansteht und wie viel Material und Wasser verfügbar sind. So kann z. B. eine gleiche Niederschlagsmenge manchmal Rutschungen auslösen und manchmal nicht – je nach Situation am Hang. Viele Untersuchungen zu Rutschungen zeigen auch, dass besonders der Wege- und Siedlungsbau und veränderte Hangdrainagen einen großen Einfluss auf das Rutschungsverhalten haben (Bell et al. 2010; Röhlich et al. 2003; Andrecs et al. 2007; Klose et al. 2016).

Wasser wird oberflächig und unterirdisch gesammelt und umgeleitet, was wiederum die Hanghydrologie und -stabilität stark beeinflusst. Weiterhin werden auch agrarwirtschaftlich genutzte Flächen im Hangbereich sehr häufig von Landwirtinnen und Landwirten dräniert, um die Nutzung zu intensivieren. Von besonderer Bedeutung sind auch linienhafte Infrastrukturen wie Straßen und Wege oder Eisenbahnlinien (Wohlers et al. 2017; Schlögl und Matulla 2018). An diesen Strukturen wird die Oberflächengeometrie verändert, sei es durch Aufschüttungen oder Eintiefungen mit übersteilten Böschungen. Alle genannten Aktivitäten verändern die Hanghydrologie, d. h. vorher natürlich vorhandene Fließwege an der Erdoberfläche und/oder im Untergrund werden verändert. Das führt zu einer geänderten Rutschungsanfälligkeit, entweder zu einer Stabilisierung oder, im ungünstigsten Fall, auch zu einer Destabilisierung. Durch diese baulichen Eingriffe wird auf jeden Fall die Rutschungsaktivität beeinflusst.

Natürliche Auslöser von Rutschungen sind neben Erdbeben (z. B. Nepal-Erdbeben, 25.04.15; Kaikoura-Erdbeben, Neuseeland, 14.11.16; Palu, Indonesien, 28.09.18) besonders hydrometeorologische Faktoren. Hierzu zählen lang anhaltende Feuchteperioden (Klose et al. 2012a) oder eine schnelle Schneeschmelze genauso wie Starkregenereignisse (Krauter et al. 2012). Es gibt aber auch Untersuchungen, die eine erhöhte Rutschungsaktivität besonders nach lang anhaltenden Trockenperioden mit anschließenden, von der Stärke eher vernachlässigbaren Niederschlagsereignissen feststellen konnten (Glade et al. 2001). Analysen haben gezeigt, dass sich in der Trockenperiode tiefgreifende Risse im Oberboden bilden können, über die dann der Niederschlag sehr schnell in den Untergrund eindringen kann und eine Rutschung reaktiviert, obwohl die eigentliche Niederschlagsmenge sehr gering ist.

Aus diesen Ausführungen ist ersichtlich, dass es sicherlich einen Zusammenhang zwischen klimatischen Veränderungen und einer daraus resultierenden Rutschungsaktivität gibt (Dehn und Buma 1999; Krauter et al. 2012). Von besonderer Bedeutung sind bei den klimatischen Änderungen die starken, häufig lokal begrenzten Gewitterregen, die ein hohes Potenzial besitzen, auch Rutschungen auszulösen. Wie jedoch auch aus internationalen Studien abgeleitet werden kann (Mathie et al. 2007), ist aus den bisherigen Untersuchungen kein zwingender und eindeutiger Zusammenhang nachweisbar (Mayer et al. 2010), da es viele, sich teilweise überlagernde Faktoren gibt, die eine Rutschung auslösen (Mergili und Glade 2020). Eine eindeutige Trennung zwischen den Auswirkungen des Klimawandels und den Konsequenzen menschlicher Eingriffe lässt sich momentan noch nicht direkt und gesichert ableiten.

2 Gefahren der Kryosphäre

Naturgefahren in der Kryosphäre – in Gebieten mit gefrorenem Wasser – sind ganz unterschiedlich in ihrer räumlichen Verbreitung, in ihrer zeitlichen Aktivität und in Bezug auf ihre Wechselwirkung mit der Gesellschaft zu betrachten (Damm et al. 2012). Jedoch greift der Mensch in die Kryosphäre weniger direkt ein, sodass die Auswirkungen seines Handelns auf diese Naturgefahren nicht so stark sind wie auf die Bereiche der gravitativen Massenbewegungen. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Naturgefahren, ausgelöst durch den flächenhaften Rückgang des Permafrosts, durch Veränderungen von glazialen Systemen und Schneelawinen (Haeberli und Beniston 1998).

2.1 Auftauender Permafrost

Dauergefrorener Boden und Fels unterliegen momentan global massiven Veränderungen (Kääb 2007; Otto et al. 2020). Auch in Deutschland werden – wenn auch nur in Hochgebirgsregionen – seit einigen Jahren signifikante Veränderungen dokumentiert (Krautblatter et al. 2010a; Nötzli et al. 2010), die sicherlich auch mit dem Klimawandel in Verbindung stehen (Verleysdonk et al. 2011). Der Anstieg der durchschnittlichen Jahrestemperatur und die damit verbundene Erhöhung der Null-Grad-Isotherme (Linie gleicher Temperaturen) im Hochgebirge führen dazu, dass sich der Permafrost kontinuierlich abbaut (Gude und Barsch 2005).

Wie bei den Felsstürzen und den Muren bereits ausgeführt, kann erwartet werden, dass der Rückgang des Permafrosts massive Veränderungen im Prozessgefüge und in der Dynamik der Naturgefahren bewirkt (Damm und Felderer 2013). In Regionen der Kryosphäre mit steilen Felswänden ist bereits zu beobachten, dass die Felssturzaktivität steigt (Krautblatter et al. 2010a). Durch den verschwindenden Permafrost tauen ganze Bergregionen auf, was besonders große Auswirkungen auf die dort vorhandene Infrastruktur hat, seien es die Bergbahnen mit den Bergstationen für den Tourismus, das Observatorium der Zugspitze oder die bewirtschafteten Berghütten der Alpenvereine sowie deren Zuwege (Weber 2003; Gude und Barsch 2005; Krautblatter et al. 2010b). Auch hochgelegene Schutthalden und Moränenzüge wurden bisher durch den Permafrost stabilisiert. Durch das Auftauen des gefrorenen Schutts kann dieser bei Starkniederschlägen leichter mobilisiert werden, und es besteht die Gefahr von häufigeren und größeren Murabgängen (Damm und Felderer 2013).

Abb. 12.4
figure 4

Rotationsrutschung bei Ockenheim, Rheinhessen.

Neben diesen klassischen Naturgefahren verändert sich durch eine Klimaerwärmung auch das komplette Prozessgefüge in Hochgebirgsgebieten, die zwar unvergletschert, aber dennoch durch Frost geprägt sind. Es kann erwartet werden, dass sich die Solifluktion – die fließende Bewegung von Schutt- und Erdmassen an Hängen auf gefrorenem Untergrund – mit dem Auftauen des Permafrosts durch die erhöhte Wasserverfügbarkeit zuerst auf Bewegungsraten von bis zu mehreren Zentimetern bis Metern pro Jahr verstärkt. In einer nächsten Phase erwartet man allerdings wieder eine starke Reduktion der Solifluktion auf Millimeter bis Zentimeter pro Jahr. Der Einfluss des Klimawandels auf die komplexen Solifluktionsprozesse ist noch nicht komplett verstanden, was eine Vorhersage auf den Klimawandeleinfluss schwierig macht (Matsuoka 2001).

Der Eisanteil in aktiven Blockgletschern kann stark abnehmen. Durch das Verschwinden des Eisanteils wird sich die interne Reibung der Schutt- und Geröllmasse kontinuierlich erhöhen, bis sich diese Massen nicht weiter bewegen (Kellerer-Pirklbauer und Kaufmann 2012). All diese Veränderungen werden u. a. die Oberflächenprozesse in ihren Eigenschaften und in ihrem räumlichen und zeitlichen Auftreten nachhaltig modifizieren.

2.2 Glaziale Systeme

Bereits seit vielen Jahren wird beobachtet, dass die glazialen Systeme global einer großen Veränderung unterliegen, was in den meisten Fällen einen massiven Gletscherrückzug bedeutet (Owen et al. 2009; Weber 2003; Zemp et al. 2006). Viele Studien zeigen, dass auch die in Deutschland befindlichen Gletscher an Masse verlieren und sich zurückziehen (Haeberli und Beniston 1998; Weber 2003). Bereits jetzt schmilzt der Schneeferner auf der Zugspitze im Sommer nahezu komplett ab, wie ein Vergleich der Bilder 12.5 (Winter) und 12.6 (Sommer), allerdings aufgenommen von unterschiedlichen Standorten, eindrücklich zeigt.

Abb. 12.5
figure 5

Blick vom Zugspitzplateau auf den Schneeferner im Februar 2022.

Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren noch fortsetzen (Fischer et al. 2020), und es ist bei einer anhaltenden Klimaerwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts sogar zu erwarten, dass auch die letzten Gletscher in Deutschland bald verschwunden sein werden.

Dies wird signifikante Auswirkungen in den hochalpinen Gebieten, aber auch in den glazial geprägten Flusssystemen haben (Blöschl et al. 2020). Momentan ist in den europäischen Alpen zu beobachten, dass durch die erhöhten Schmelzraten im Sommer die Wasserverfügbarkeit in manchen Gebieten bedeutend steigt und deshalb die sommerliche Wasserführung in den glazialen Flussregimen zunimmt (Collins 2007). Hierdurch nehmen die Sedimentfrachten in den Flüssen zu. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich diese erhöhte Wasserführung mit dem Abschmelzen der Gletscher umgehend vermindert, wie dies bereits in anderen Regionen festgestellt wird (u. a. in Chile, Baraer et al. 2012). Wie es sich bereits andeutet, wird sich das Abflussregime von einem glazialen Regime mit sommerlichen Abflussspitzen zu einem schneegeprägten Abflussregime mit Spitzen im Frühjahr verändern (Blöschl et al. 2020). Dies wird sicherlich massive Auswirkungen auf das komplette hochalpine Ökosystem haben, aber auch das raumwirksame Handeln der Menschen in den Tallagen der Gebirge verändern. Besonders ist hier zu beachten, dass diese Veränderungen in den gesamten Alpen stattfinden. Für Deutschland bedeutet dies, dass sich auch Flusssysteme, die ihr Quellgebiet in den an Deutschland angrenzenden alpinen Gebieten haben (z. B. in Österreich und der Schweiz), stark verändern werden (Blöschl et al. 2020).

Auch das von Gletschern frei werdende Gebiet wird sich massiv wandeln. Es beginnen geomorphologische Prozesse in den bisher durch Eis bedeckten Regionen. Flächenmäßig sind dies, besonders in der Relation der gesamten Bundesrepublik, nur marginale Flächen. Diese werden sich jedoch signifikant verändern und auch angrenzende Tallagen potenziell betreffen.

2.3 Schneelawinen

Mit der gemessenen Erwärmung steigt die Null-Grad-Isotherme in den Hochgebirgen, und es ist zu erwarten, dass sich der Anteil des als Schnee fallenden Niederschlags in Zukunft zugunsten des Anteils des in flüssiger Form fallenden Niederschlags verschiebt. Die Erhöhung der Schneegrenze wird dazu führen, dass weniger Schnee als Wasserspeicher zur Verfügung steht (Matiu et al. 2021). Dies wird auch einen Einfluss auf den Schneedeckenaufbau haben, da in höheren Lagen aufgrund der veränderten Gegensätze der Tag-Nacht-Temperaturen die Anzahl der Frost-Tau-Zyklen steigen wird und somit eine stärkere Schichtung der Schneedecke mit verändertem Wasserhaushalt zu erwarten ist (Bernhardt et al. 2012; Steinkogler et al. 2014; Studeregger et al. 2020).

Neben der Schneedecke selbst sind gerade für Schneelawinen die Schneeakkumulationen durch Windverfrachtung von zentraler Bedeutung (Warscher et al. 2013). Inwieweit sich mit der Klimaerwärmung auch Windfelder und die Verteilung der winterlichen Schneeakkumulationen ändern werden, ist schwer zu beurteilen. Weiterhin wird sicherlich weniger Schnee in tiefen Lagen fallen (Eckert et al. 2010; Lavigne et al. 2015). Es ist aber auch zu erwarten, dass Extremereignisse große Schneemengen in kurzen Zeiträumen in die Hänge bringen und, kombiniert mit schnellen Wetteränderungen, in kurzen Perioden die Schneelawinenaktivität massiv erhöhen. Dies wird in manchen Teilen der europäischen Alpen bereits beobachtet (Pielmeier et al. 2013). Zusätzlich könnte die Schneelawinenaktivität über den ganzen Winter verteilt eher abnehmen, Extremniederschlagsereignisse mit entsprechenden Lawinenabgängen wird es aber durchaus weiterhin geben.

3 Ausblick

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Naturgefahren der gravitativen Massenbewegungen und ausgewählter hochalpiner Prozesse (Permafrost, glaziale Systeme, Schneelawinen) müssen sehr differenziert betrachtet werden. Einfache Kausalschlüsse zwischen Klimaveränderungen und natürlichen Prozessen an der Erdoberfläche können irreführend sein, da das Auftreten der präsentierten Naturgefahren von vielen vorbereitenden, auslösenden und kontrollierenden Faktoren abhängig ist. Wie dargelegt, unterscheidet sich die Bedeutung der jeweiligen Faktoren für die verschiedenen Naturgefahren signifikant (Glade et al. 2020). Zusätzlich wird die Einschätzung der Situation noch erschwert, da auch der Mensch direkt oder indirekt massiv in die Umwelt eingreift (Birkmann et al. 2011; Mergili und Glade 2020). Dadurch verändern sich die Wirkungsketten bei den jeweiligen Naturgefahren und somit auch die Konsequenzen (Klose et al. 2012b; Wohlers und Damm 2021). Diese lassen sich dadurch schwerer von den aus dem Klimawandel resultierenden Kräften differenzieren.

Von besonderer Bedeutung für diesbezügliche Untersuchungen sind umfassende Datenbanken der angesprochenen Prozessbereiche, die zeitlich und räumlich hochauflösend sein müssen (Glade 2001).

Bei gravitativen Massenbewegungen gibt es besonders in den letzten Jahren aktuelle Forschungsaktivitäten (Damm und Klose 2015; Herrera et al. 2018; Jäger et al. 2018; Rupp und Damm 2020), die teilweise auch zusätzlich die sozioökonomischen Schäden erheben (Klose et al. 2016; Schlögl und Matulla 2018; Wohlers und Damm 2021; Wohlers et al. 2017). Datenbanken zu Permafrost, glazialen Systemen und Schneelawinen liegen lokal vor, sind jedoch größtenteils auch nur dort verfügbar. Es wäre unbedingt erstrebenswert, die durch öffentliche Mittel finanzierten Datenbanken zusammenzuführen und für eine bestmögliche Nutzung, gerade im Hinblick der Identifikation von klimainduzierten Veränderungen, auch frei zugänglich zu machen.

Um die Aspekte der gravitativen Massenbewegungen und von Naturgefahren in der Kryosphäre in der Zukunft umfassend und im Sinne eines besseren Verständnisses der möglichen Auswirkungen des Klimawandels auch hinsichtlich einer Nachhaltigkeit besser verstehen zu können, sollten einige der angesprochenen Themenkomplexe bearbeitet werden. Neben vielen anderen Bereichen beinhaltet dies Folgendes:

  • Die vielfältigen Wechselwirkungen der klimatologischen und hydrometeorologischen Faktoren müssen prozessorientiert durch Geländeuntersuchungen und ergänzende Modellierungen aufgearbeitet werden.

  • Die unterschiedlichen Naturgefahren müssen in Monitoringprogrammen für ausgewählte Standorte langfristig und kontinuierlich an repräsentativen Standorten gemessen werden, um mögliche Veränderungen festzustellen und die verantwortlichen Faktoren charakterisieren zu können.

  • Die vergangenen Situationen müssen den momentanen Gegebenheiten und den möglichen zukünftigen Entwicklungen gegenübergestellt werden.

  • In Prozessuntersuchungen muss eindeutig zwischen vorbereitenden, auslösenden und kontrollierenden Faktoren unterschieden werden. Dies wird eine bessere Abschätzung der Auswirkungen der Änderungen im Klimasystem bei den verschiedenen Naturgefahren erlauben. Spezifisch müssten für jede Naturgefahr die möglichen menschlichen Eingriffe identifiziert und ihre Bedeutung für die jeweilige Kinematik abgeschätzt und kalkuliert werden.

  • Die natürlichen und die menschlichen Eingriffe müssen vergleichend bewertet werden, um die Auswirkungen der Änderungen einzelner Faktoren für spezifische Naturgefahren eindeutig identifizieren und abschätzen zu können.

  • Die Kaskadeneffekte zwischen den einzelnen Naturgefahren müssen stärker berücksichtigt werden. Beispielsweise können ein Waldbrand (Kap. 11) oder eine Schneelawine dazu führen, dass in der darauffolgenden Zeit Felsstürze in tiefer gelegene Gebiete gelangen, da die frühere Schutzwirkung des Waldes entfällt. Oder Muren können Flüsse blockieren: Es bilden sich Seen, die dann den Damm durchbrechen und große Überschwemmungen in den talabwärtsgelegenen Gebieten verursachen können.

  • Existierende Datenbanken müssen zusammengeführt werden, um die bestmögliche Inwertsetzung der verfügbaren Daten zu erreichen.

Abb. 12.6
figure 6

(Foto: UFS Schneefernerhaus, all rights reserved)

Der nördliche Schneeferner im September 2020.

4 Kurz gesagt

Die Naturgefahren der gravitativen Massenbewegungen (Felsstürze, Muren, Rutschungen), ausgehend vom Permafrost und den glazialen Systemen sowie den Schneelawinen, sind auf vielfältige Faktoren zurückzuführen, deren Zusammenwirken in der Gesamtheit betrachtet werden muss. Die vorbereitenden, auslösenden und kontrollierenden Faktoren werden in unterschiedlichster Weise vom Klimawandel beeinflusst. Dieses Zusammenspiel zeigt sich durch schleichende Veränderungen wie beim Rückgang des Permafrosts und kriechenden gravitativen Massenbewegungen sowie an schnell ablaufenden Naturgefahren wie Muren, Fels- und Bergstürzen sowie Schneelawinen. Klimatische und hydrometeorologische Faktoren beeinflussen hierbei die Naturgefahren langfristig auch überregional, beispielsweise lang anhaltende Niederschläge. Sie bestimmen aber auch ganz kurzfristig in kleinen Gebieten entsprechende Prozesse, etwa Muren nach einem lokal konzentrierten Starkniederschlagsereignis. Weiterhin erschwert der menschliche Einfluss auf diese natürlichen Prozesse die klare Zuordnung, welche der Veränderungen in der Häufigkeit oder der Stärke von Naturgefahren tatsächlich ausschließlich dem Klimawandel zuzuschreiben sind und welche Anteile hierbei der direkte menschliche Einfluss hat (z. B. besonders hinsichtlich Landnutzungsänderungen). Dies werden einige der zukünftigen Forschungsfelder im Kontext der klimarelevanten Naturgefahren ergründen.

Gravitative Massenbewegungen und andere klimarelevante Naturgefahren der Kryosphäre lassen sich zwar auf den Klimawandel zurückführen, dürfen aber auch nicht darauf reduziert werden. Es gibt neben den klimatischen Steuerungen noch viele weitere, vom Klima nicht direkt beeinflusste Faktoren, die diese Naturgefahren sehr stark beeinflussen und sich erschwerend mit den Klimaveränderungen überlagern.