Zusammenfassung
Menschen mit fortgeschrittener Demenz drücken sich über ihren Körper und durch ihr Verhalten aus. Die Signale, die sie aussenden, müssen daher als Kommunikationsversuche verstanden werden. Für jedes Verhalten gibt es einen Grund. Die Signale, die die Betroffenen aussenden, sind stets mehrdeutig, hinter ein und demselben Verhalten kann sich daher sehr vieles verbergen. Auslösend kann alles sein, was die augenblickliche körperliche oder seelische Befindlichkeit der Betroffenen negativ beeinflusst. Solange es uns nicht gelingt, eine Beziehung herzustellen und dem demenzkranken alten Menschen so weit wie möglich in seine Welt zu folgen, bleibt er für uns unzugänglich. Hinter dem gestörten Verhalten verborgene körperliche und seelische Leiden gehen oft für immer unbemerkt unter. Fehlbehandlungen – zumal mit Psychopharmaka – sind häufig. Alles Fachwissen bleibt vergeblich, solange wir nicht lernen, mit Demenzkranken zu kommunizieren, und daher nicht in der Lage sind, ihre Schmerzen, ihre quälenden körperlichen und seelischen Beschwerden sowie ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen.
90 % der Demenzkranken zeigen im Verlauf ihrer Erkrankung Phasen gestörten Verhaltens (Gitlin et al. 2012). Nichts empfinden sowohl Angehörige als auch professionelle Betreuerinnen als so belastend wie das gestörte oder (in moderner Terminologie) „herausfordernde“ Verhalten Demenzkranker. Nichts sonst erfüllt sie mit solcher Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, weder die immer stärker abnehmende Gedächtnis- und Orientierungsleistung noch der allmählich fast vollständige Verlust von Denken und Logik, noch auch die schweren Kränkungen, wie sie z. B. auftreten, wenn die alte Mutter ihre Tochter, der Ehemann seine Frau nicht mehr erkennt.
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Kojer, M. (2022). Gestörtes Verhalten – Verhalten, das uns stört?. In: Kojer, M., Schmidl, M., Heimerl, K. (eds) Demenz und Palliative Geriatrie in der Praxis. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63164-5_5
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