Zusammenfassung
Der Arbeitsplatz stellt für das Ernährungshandeln der Beschäftigten eine wichtige soziale Rahmenbedingung dar. Im Kontext des Konzepts des alltäglichen Ernährungshandelns am Arbeitsplatz stehen dabei nicht ausschließlich das individuelle Ernährungsverhalten der Beschäftigten im Vordergrund, sondern auch die Arbeitsbedingungen und die Strukturen des Arbeitsplatzes. Diese Doppelstruktur des Ernährungshandelns ist in vielfältiger Weise verflochten mit Fragen sozialer Ungleichheit und Fragen des Geschlechts, nicht nur bei der Ernährung. Anhand des Forschungsstandes und aktueller Studienergebnisse wird die Bedeutung sozialer Ungleichheiten in Verbindung mit Geschlechterverhältnissen in verschiedenen Feldern des Ernährungshandelns im Alltag und am Arbeitsplatz herausgearbeitet. Im Fokus stehen auch die subjektiven Vorstellungen der Beschäftigten von gesunder Ernährung und ihre Bedeutung für die Programmplanungen im Rahmen betrieblicher Gesundheitsförderung.
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Notes
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Im ernährungswissenschaftlichen und medizinischen Kontext orientieren sich die Definitionen gesunder Ernährung an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Diese gibt gemeinsam mit den Gesellschaften für Ernährung in Österreich (ÖGE) und der Schweiz (SGE/SVE) die Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr heraus. Sie gelten als wissenschaftlich abgesicherte Richtwerte für alle Ernährungsfachkräfte in Wissenschaft, Forschung, Ernährungsberatung und Industrie, auf deren Grundlage die DGE zehn Ernährungsregeln formuliert, die eine gesundheitsfördernde Ernährung gewährleisten sollen. Diese Regeln lauten: 1. Vielseitig essen, 2. Reichlich Getreideprodukte und reichlich Kartoffeln, 3. Gemüse und Obst – Nimm 5 am Tag, 4. Täglich Milch- und Milchprodukte, ein- bis zweimal in der Woche Fisch; Fleisch, Wurstwaren sowie Eier in Maßen, 5. Wenig Fett und fettreiche Lebensmittel, 6. Zucker und Salz in Maßen, 7. Reichlich Flüssigkeit, 8. Schmackhaft und schonend zubereiten, 9. Nehmen Sie sich Zeit, genießen Sie Ihr Essen, 10. Achten Sie auf Ihr Gewicht und bleiben Sie in Bewegung. Diese Regeln beziehen neben Nahrungsmitteln und Inhaltsstoffen auch Zubereitungsarten, die Art des Verzehrs sowie Fragen des Gewichts und der Bewegung mit ein (Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. 2012).
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Hier sei auf die kontroversen Diskussionen um den Einfluss des Körpergewichts auf die Morbidität und Mortalität von Menschen, bekannt als »obesity-paradox« (Flegal et al. 2005; Hainer u. Aldhoon-Hainerová 2013) oder auch um die Evidenzbasiertheit der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für eine kohlenhydratreiche, fett- und cholesterinarme Ernährung (Scholl u. Schneider 2015) verwiesen.
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Es liegen unterschiedliche theoretische Ansätze zur Beschreibung sozialer Ungleichheiten vor. Die im Folgenden genannten empirischen Studien verwenden unterschiedliche Begriffe wie sozialökonomischer Status oder Schicht. Schichtungsmodelle nutzen in der Regel die Indikatoren Einkommen, Bildung und/oder Beruf oder daraus gebildete Schicht-Indizies zur statistischen Messung der sozialen Ungleichheit, manchmal werden die Indikatoren auch einzeln erhoben.
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Die Herkunftskultur von Individuen ist ein wichtiger Faktor im Ernährungshandeln, doch ist die Forschungslage zu den kulturspezifischen Einflüssen bislang äußerst dünn. Es liegen einige kleinere, regionale Studien zum Zusammenhang von Ernährung und Migration vor, die zeigen, dass Personen mit Migrationshintergrund eher den aktuellen Ernährungsempfehlungen entsprechen würden als Personen ohne Migrationshintergrund. Einen Überblick über die Datenlage auch für den europäischen Raum liefert der Endbericht »Ernährungsverhalten von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund«, der eine Sonderauswertung des bundesweiten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) ist (vgl. Kleiser et al. 2010). Die Ernährungsmuster in Bezug auf Gesundheit unterscheiden sich nicht nur entlang der unterschiedlichen Herkunft der untersuchten Kinder und Jugendlichen, sondern auch das Alter und Geschlecht sowie insbesondere der soziale Status haben einen signifikanten Einfluss.
- 5.
Einen dezidierten Überblick zur Ernährungssituation (Verzehrdaten, Lebensmittelverbrauch sowie Nährstoff- und Energieversorgung) in Deutschland liefern ebenfalls die im vierjährigen Rhythmus herausgegebenen Ernährungsberichte der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Der aktuelle Bericht von 2012 enthält eine Sonderauswertung zum Lebensmittelverzehr aus den Daten der Zweiten Nationalen Verzehrsstudie (Deutsche Gesellschaft für Ernährung 2012).
- 6.
Pierre Bourdieu hat in seinem Werk »Die feinen Unterschiede« dargestellt, dass auch der Geschmack kein individuelles Merkmal darstellt, sondern sich im Geschmack Zugehörigkeiten zu bestimmten Gruppen oder Klassen ausdrücken. Bourdieu arbeitet zwei gegensätzliche Geschmacksorientierungen heraus: dem aus Luxus und Freizügigkeit geborenen Geschmack der oberen Klassen und dem aus (Not-)wendigkeit geborenen Geschmack der unteren Klassen (Bourdieu 1997, S. 289).
- 7.
Die gesündere Ernährung der Beschäftigten wird in der Regel anhand eines durchschnittlich erhöhten Obst- und Gemüseverzehrs sowie einer Reduktion der Fettaufnahme operationalisiert. Die in den Interventionsstudien beobachteten Effekte auf die gesündere Ernährung sind jedoch nur von kleiner Reichweite und können oft nur mit geringer bis moderater Evidenz bestätigt werden. Darüber hinaus leiden die untersuchten Interventionsstudien unter methodischen Mängeln. Diese sind insbesondere durch die Vielfalt der Programme begründet, aber auch durch fehlende Kontrollgruppen sowie das Fehlen objektiver Parameter. Da die Änderung des Ernährungsverhaltens insbesondere über das Selbstreporting der Beschäftigten erfolgt, sind die Ergebnisse darüber hinaus mit der gebotenen Vorsicht zu bewerten.
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Mense, L. (2016). Bedeutung von gesunder Ernährung im Rahmen Betrieblicher Gesundheitsförderung. In: Badura, B., Ducki, A., Schröder, H., Klose, J., Meyer, M. (eds) Fehlzeiten-Report 2016. Fehlzeiten-Report, vol 2016. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-49413-4_12
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