Zusammenfassung
Der Wunsch, Herzchirurg zu werden, stieß während meiner chirurgischen Ausbildung bei meinen Lehrern auf Verwunderung, ich hatte bereits während der experimentellen Arbeiten zu meiner Dissertation „Feuer gefangen“, war begeistert von der unmittelbaren Reaktion des Herzens auf jegliche Änderung der hämodynamischen Bedingungen. Die Steuerung der Pumpfunktion des gesunden und des kranken Herzens unterliegt faszinierenden Gesetzmäßigkeiten, deren Verständnis und gezielte Einflußnahme eine ständige Herausforderung darstellt. Heute liegt eine Zeit spektakulärer Pionierleistungen und rasanter technischer Entwicklungen in der Herzchirurgie hinter uns. Noch 1882 hatte Billroth im Namen seiner Fachkollegen eine Operation am Herzen als„Prostitution der chirurgischen Kunst“ und„chirurgische Frivolität“ bezeichnet! Dem zum Trotz gelang dem Frankfurter Chirurgen Ludwig Rehn 1896 die erste erfolgreiche Versorgung einer Herzstichverletzung. Damit wurde eine Entwicklungsphase eingeleitet, die 1953 zu der ersten „offenen“ Herzoperation mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine führte, 1961 zum orthotopen Herzklappenersatz, 1964 zur Venenbypassoperation und 1967 zur Herztransplantation. Das ist Geschichte! Wer das Fach Herzchirurgie heute wählt, um durch bahnbrechende Innovationen schnellen Ruhm zu erlangen, könnte enttäuscht werden. Herzchirurgische Eingriffe sind zur Routine geworden, und die Spektakularität der „Gründerjahre“ ist dem Streben nach Optimierung der Ergebnisse und Ausweitung der Indikationen gewichen. Der herzchirurgische Alltag ist von den chirurgisch-technischen Anforderungen einerseits und von der Beeinflussung der pathophysiologischen Zusammenhänge andererseits geprägt. Darin unterscheidet sich die Chirurgie des Herzens nicht von der der Viszeralorgane oder des Skelettsystems. Dennoch gibt es zwei Besonderheiten, die die Herzchirurgie von anderen chirurgischen Disziplinen unterscheidet:
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Das Herz kann nach einer Korrektur nicht zum Abschluß der Heilungsphase vorübergehend ruhiggestellt werden oder einige Tage in Atonie verharren. Die Korrektur muß so durchgeführt werden, daß nach Beendigung der extrakorporalen Zirkulation die Pumpfunktion sofort und in vollem Umfang wieder hergestellt ist. Damit nicht genug. Die Korrektur muß auch innerhalb einer bestimmten Zeit erfolgreich beendet sein, da sonst eine Wiederbelebung des ischämisch stillgestellten Herzens nicht mehr möglich ist. Daraus ergibt sich die erste Besonderheit: Der Herzchirurg arbeitet immer unter Zeitdruck!
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Aufgrund der sofortigen vollen Beanspruchung des Herzens zeigt sich jedes Problem der Korrektur oder der Myokard-protektion schon beim Versuch der Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine. Das ist die zweite Besonderheit: In der Herzchirurgie werden Erfolg und Mißerfolg dem Chirurgen so unmittelbar aufgezeigt, wie in kaum einer anderen Disziplin.
Dieser Besonderheiten sollte sich jeder junge Mediziner bewußt sein, bevor er den Entschluß zur Herzchirurgie faßt, denn sie verlangen ein großes Maß an persönlichem Einsatz und Durchhaltevermögen. Auf der anderen Seite ist das wissenschaftliche Potential in der Herzchirurgie groß und bietet genügend Betätigungsfelder: die Weiterentwicklung der Chirurgie der angeborenen Herzfehler, der minimal-invasiven Verfahren, eines dauerhaften mechanischen Herzersatzes, alternativer Verfahren zur Transplantation und einer „idealen“ Herzklappe, sowie die Erforschung der Langzeitprotektion des Herzens und der tiefgreifenden Einwirkungen der extrakorporalen Zirkulation auf den Organismus. „Ausgetretene Pfade haben mich nie gereizt“, soll Ludwig Rehn einmal gesagt haben. Der Pfad der Herzchirurgie wurde in diesem Jahrhundert schon ausgetreten, aber bis zur Entwicklung einer Schnellstraße ist noch ein weiter Weg, auf dem innovative und einsatzfreudige Mediziner heute nicht minder gefragt sind als vor 100 Jahren.
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Lange, R. (2001). Herzchirurgie. In: Allgöwer, M., et al. Chirurgie. Springer Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-06245-6_18
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