Zusammenfassung
Als um 1900 in Breslau ein gewisser Dr. Ferdinand Sauerbruch1 sich anschickte, auf Betreiben seines Lehrers Mikulicz2 eine Unterdruckkammer zur Vermeidung des „schädlichen Pneumothorax“ zu konstruieren, wurde dies alsbald als Geburtsstunde der modernen Thoraxchirurgie apostrophiert, inzwischen jedoch von Historikern als einer der bestdokumentierten Irrwege der Chirurgie der Jahrhundertwende enttarnt.
Daß andererseits die damalige Zeit aber für die richtige Lösung reif war, zeigt die fast zeitgleiche Erfindung Franz Kuhns3 und Samuel Melzers4, die einen Trachealtubus mit Dichtungscuff zur Überdruckbeatmung des Patienten konstruierten und damit Operationen am eröffneten Thorax problemlos ermöglichten.
Ohne die historische Bedeutung Sauerbruchs posthum zu schmälern, darf getrost behauptet werden, daß die Entwickung der Thoraxchirurgie von da an einen ziemlich deutschen Verlauf nahm: Obschon im Vergleich zum genial einfachen Beatmungstubus Melzers ein technisches Desaster und im Alltagsbetrieb nie praktikabel, wurde die Unterdruckkammer aufgrund des Nimbus ihres Schöpfers zunächst einmal weltberühmt, zumal Sauerbruch sich beharrlich weigerte, die Methode Melzers überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. So lange, bis Kuhn und Melzer an die eben erst gegründete Rockefeller University nach New York auswanderten, die unter experimenteller Mitwirkung von Alexis Carrel alsbald zum ersten thoraxchirurgischen Zentrum Nordamerikas wurde, mit Melzer als erstem Präsidenten der heute hochgeachteten AATS (American Association of Thoracic Surgeons).
Dies dürfte für einige Zeit der letzte transatlantische Know-how-Transfer in Sachen Thorax in Ost-West-Richtung gewesen sein, und als Sauerbruch Jahre später mit seiner per Schiff angelandeten Unterdruckkammer in New York eintraf, war er vielleicht der erste, sicher aber nicht der letzte„German Geheimrat“, aus dessen Mund man höflich vernahm, was man selbst schon viel besser wußte und unbekümmert erfolgreich praktizierte.
Über eine kurze Zwischenstation im Lenox Hill Hospital Museum landete die Unterdruckkammer alsbald auf einem Schrottplatz der Lower East Side in New York.
Sauerbruch in good old Germany hielt noch Jahre an seiner Methode fest, wie wir bei seinem genialen Schüler Nissen5 nachlesen können, übrigens nicht aus technischem Unvermögen, sondern aus politischem Kalkül: Die Intubationsnarkose würde alsbald einen eigenen Mann zu ihrer Durchführung benötigen — dieser gefürchteten Aufsplitterung der Chirurgie mußte man eisern begegnen! Nissen gelang zwar 1931 weltweit noch die erste Pneumonektomie — alle weiteren Pioniertaten der onkologischen Thoraxchirurgie bis zur ersten erfolgreichen Lungentransplantation (s. unten) fanden von dort an jedoch in den USA statt. Sauerbruch hatte etwas Entscheidendes auf den Weg gebracht — sich selbst aber den weiteren Erfolg verwehrt.
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Literatur
Delarue N C, Eschapasse H (1985) Lung cancer. Int. trends in gen. thorac. surgery. Saunders, Philadelphia
Drings P, Vogt-Moykopf I (Hrsg) (1991) Thoraxtumoren — Diagnostik-Staging — gegenwärtiges Therapiekonzept. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Heberer G, Schildberg F W, Sunder-Plassmann L, Vogt-Moykopf I (1991) Lunge und Mediastinum. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Hoogstraten B, Addis B J, Hansen H H, Martini N, Spiro S G (1988) Lung tumors. Int. Union Against Cancer. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
Shields T W (1994) General thoracic surgery. Williams & Wilkins, Baltimore London
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Sunder-Plassmann, L. (2001). Thorax, Lunge und Mediastinum. In: Allgöwer, M., et al. Chirurgie. Springer Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-06245-6_17
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