Zusammenfassung
Die Phylogenie ist unter den biologischen Disziplinen heute diejenige, deren logischer Charakter am heftigsten umstritten ist. Der Enthusiasmus, mit dem sie von Haeckel begründet und den großen Biologen der Darwinschen Aera in ihren Hauptzügen systematisch ausgebaut wurde, wich schon in der nächsten Forschergeneration einer tiefen, ernüchternden Skepsis, einem Mißtrauen, das noch weit in unsere Tage hinein wirksam ist, und von dem sie sich immernoch nicht wieder erholen zu können scheint. Jedenfalls wird man Mühe haben, seit Beginn unseres Jahrhunderts eine phyletiśche Großtat zu nennen, die ebenbürtig den Leistungen Haeckels, Fr. Müllers, Haackes, Weismanns, v. Wettsteins, Gegenbaurs, Langs, Copes, Fürbringers, Boulengers, Osborns und wie die geistvollen Forscher jener an originellen Gestalten so reichen Epoche der Biologie sonst noch heißen, an die Seite gestellt werden könnte. Diese Forschergeneration lebte mit Haeckel in der Überzeugung: „Die synthetische, genealogische Systematik der Zukunft wird mehr als alles andere dazu beitragen, die verschiedenen isolierten Zweige der Zoologie in einem natürlichen Mittelpunkte in der wahren Naturgeschichte zu sammeln und zu einer umfassenden geschichtlichen Gesamtwissenschaft vom Tierleben zu vereinigen“(19022, S. 11).
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Literatur
Unter „Moneren“sind hier rein genealogische bzw. phylogenetische Begriffe verstanden, nämlich die letztermittelbaren Eltern einer genealogischen Reihe.
Über die schematische Darstellung genealogischer Verhältnisse vgl. auch O. Hertwig (1917) und K. Lewin (1920). Hier, wo es uns auf Phylogenie und nicht auf Genealogie ankommt, genügt die gegebene Darstellung des einfachsten genealogischen Falles (Verhältnis eines Individuums zu den Eltern usw). Im übrigen haben genealogische Spezialitäten für die Phylogenie wegen der ungeheuren Lückenhaftigkeit des fossilen Materials nur sehr geringe praktische Bedeutung. Und selbst wenn die ganze Paläontologie — im günstigsten Falle — lauter Fälle wie die Steinheimer Planorbis geliefert hätte, könnten wir wohl deren Phylogenie, dagegen nicht unmittelbar ihre Genealogie erschließen. Das hindert natürlich wieder nicht, daß sich die Grundbegriffe der Phylogenie logisch aus Genealogie ableiten.
Nach den Ergebnissen der Vererbungslehre über Mutationen und Fluktuationen ist das nicht mehr so sicher, wie Döderlein 1902 noch annehmen durfte. — Johannsens Buch erschien ja erst 1903. — Hier aber, wo es uns nur auf begriffliche Möglichkeiten und mögliche Begriffe ankommt, dürfen wir diese Fiktion ohne weiteres machen.
Auch ein ontogenetisches Stadium ist als Phylon ein selbständig-reales Individuum, da es ja dann nicht mehr nur als Stadium, sondern als reales Abbild eines ausgestorbenen, aber fossil bisher nicht gefundenen Organismus fungiert.
Wenn Spemann (1915, S. 75) gegen diese Ausführungen O. Hertwigs bemerkt, es käme ja nur darauf an, wieviel,,sich aus diesen [sc. den,sichtbaren aktuellen Ausgestaltungen‘der vergleichenden Anatomie] auf die erwachsenen Formen der Vorfahren schließen läßt“, so trifft das O. Hertwig im Grunde gar nicht, denn dieser Autor hatte ja nur behauptet, daß sich nicht alles aus diesen schließen läßt.
Man vgl. etwa C. E. v. Baer (1828), S. 224.
Man vgl. hierzu auch folgende Bemerkung Bütschlis über das Verhältnis von vergleichender Anatomie und Paläontologie: „Im ganzen darf man daher wohl sagen, daß die vergleichende Anatomie mehr zum Verständnis der fossilen Reste beigetragen hat als umgekehrt letztere zur Aufklärung der vergleichend-anatomischen Probleme“. (1910 – 21, S. 5.) Ähnlich auch v. Wettstein (1898, S. 27, 28.)
Palingenese ist hier immer identisch mit unvollständiger Phylogenese.
Ich habe diesen Prinzipien die Namen derjenigen Autoren gegeben, die den in ihnen enthaltenen Gedankengängen am nächsten stehen.
Die hier auftauchende Frage, ob die phyletische Entwicklung nicht statt kontinuierlich gequantelt gedacht werden muß, ist bei dem gegenwärtigen Stand unserer phylogenetischen und vererbungswissenschaftlichen Kenntnisse noch nicht spruchreif.
In einer Monographie über „Aristoteles als theoretischen Biologen“gedenke ich ausführlicher auf diesen Gegenstand zurückzukommen.
In ähnlichen Gedankengängen bewegt sich neuerdings auch Dacqué, wenn er (1921, S. 4) meint:,,Entwicklung, Anpassung, Zweckmäßigkeit, Stammbaum sind vor allem solche Symbole, welche es uns ermöglichen sollen, das in seinem zeit- und raumlosen Wesen dem verstandesmäßigen Denken unzugängliche, schöpferisch-organische Werden und Sein in die Sphäre kausaler Anschauungsform hereinzunehmen, als deren Gegenstand die konkreten Objekte, die Formen, erscheinen.“
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Meyer, A. (1926). Logik der Phylogenie. In: Logik der Morphologie im Rahmen einer Logik der gesamten Biologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-50733-5_7
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-642-50733-5_7
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