Zusammenfassung
„Die Lücke fühlend, welche für das Studium der Zoologie aus dem bisherigen Mangel an einer Geschichte derselben entsteht, beschloß ich, mich an die Lösung dieser Aufgabe zu wagen und wählte zu meinem Gesichtspunkte das Wesentliche und gleichsam den Mittelpunkt derselben, die Darstellung aller Systeme, welche von Aristoteles an bis jetzt ans Licht getreten sind.“ Diese von Spix (1811) geschriebenen Sätze beleuchten blitzartig die seitdem vollzogene Wandlung des biologischen Interesses. Vor hundert Jahren noch das „Wesentliche“ der zoologischen Forschung, ist die Systematik heute zu ihrem Stiefkind herabgesunken. Gegenwärtig konzentriert sich das Hauptinteresse der Biologen auf die allgemeinen, formphysiologischen und allenfalls noch phylogenetischen und betriebsphysiologischen Probleme unserer Wissenschaft. Es macht sich allerdings allmählich eine heilsame Reaktion gegen allzu kritiklos betriebenes allgemeines Theoretisieren in der Biologie bemerkbar. Immer mehr bricht sich die Überzeugung Bahn, daß es nicht genügt, zur Lösung allgemeiner Fragen gute, experimentell prüfbare Probleme und Methoden zu besitzen; mehr als in der Physik und Chemie spielt in der Biologie das Objekt mit seiner Tücke eine ausschlaggebende Rolle.
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Literatur
Driesch drückt in scharfer, der Phylogenie wenig günstiger Form ähnliche Gedanken aus, wenn er sagt: „Das Problem der Systematik ist durchaus unabhängig von der Stellung zur Deszendenztheorie. Die Frage nach dem Sosein, der Einzelausprägung der Naturdinge und nach seiner Bedeutung bleibt aber als solche bestehen, ganz gleichgültig, ob alle Spezies als erschaffen oder als auseinander nach heute unbekannten Prinzipien der Umwandlung hervorgegangen betrachtet werden. Die Verschiedenheit des Soseins ist doch in beiden Fällen gleichermaßen da ! Begriffe sind zeitlos, und insofern das Sosein der Spezies durch Begriffe dargestellt wird, ist auch dieses Sosein zeitlos — trotz aller Deszendenzlehre, die wir selbst für eine wahrscheinliche Hypothese halten. Was würde wohl ein Chemiker sagen, wenn man ihm zumuten würde, nur diejenigen Verbindungen systematisch zu verwerten, welche unter den biologischen Bedingungen von heute dauernd stabil wären! Für ihn gibt es sogar Verbindungen, die er noch nie darstellte. Mit dem Problem des ,es gibt‘ in diesem Sinne allein hat es Systematik zu tun. Das übersieht meist die heutige systematische Forschung . . . und deshalb darf man mit Recht sagen, daß die Deszendenztheorie die Systematik verdorben habe“ (19102, S. 54/55). Diese Äußerung geht natürlich viel zu weit. Im Ernst möchte wohl niemand mehr die Fülle wertvoller historischer Erkenntnis entbehren, die wir der Erforschung des phyletischen Systems der Organismen verdanken. Man muß sich nur darüber klar werden, daß sie etwas ganz anderes will und ist als die diagnostische Systematik und diese daher auch nicht ersetzen kann.
Man denke etwa an Hilberts (1915/17) Weltgleichungen, die aber noch mehrere Empirismen verwenden.
Also ein Idealempirisma cf. Ad. Meyer : Kontingenzerscheinungen ... 1926.
Daß Haeckel’s oben wiedergegebene Ansicht deshalb noch nicht falsch ist, werden wir sehr bald bei Betrachtung des „Phytons“ sehen. Haeckel dachte eben nicht diagnostisch, sondern phyletisch.
B. Erdmann orientiert 1894 das Kriterium der Artrealität an dem Bilde der mechanistischen Physik. Dies Kriterium ist für unsere Zwecke zu eng, da es höchstens auf die physikalischen Naturkonstanten anwendbar ist.
Wenn Baur (1922, 5/6, S. 33/34) meint: „Der Begriff Individuum ist ja bei der Mehrzahl der Pflanzen wegen der spontanen vegetativen Vermehrung oder der doch künstlich leicht möglichen Teilung und Vermehrung durch Stecklinge gar nicht aufrechtzuerhalten“, so hat er natürlich recht, meint aber nicht den Begriff Individuum, sondern den davon verschiedenen der Person. Selbst wenn die meisten Pflanzen Kolonien usw. von Personen sind, sind sie darum doch individuell verschieden. Wie könnte es sonst eine Systematik der Pflanzen geben ?
Die formal-logischen Eigenschaften und Gesetze aller apriorisch möglichen genetischen Reihen sind in ausgezeichneter Weise erforscht von K. Lewin (1922).
Sie sind vortrefflich zusammengestellt bei Plate (1914). Zur Geschichte des Artbegriffes vergleiche man Uhlmann (1913), eine gediegene, wenn auch nicht vollständige Arbeit. Die ältere Literatur findet sich bei Besnard (1864).
Aus „Taxonomie“ abgeleitet.
Wenn die genannten Autoren eine solche Beschränkung für nötig gehalten haben, scheint mir die „reine Linie“ einen logisch unberechtigten maßgeblichen Einfluß dabei ausgeübt zu haben.
Natürlich muß man unter Gen nicht nur substantielle Gebilde, seien es auch Enzyme, verstehen, wie man heute gewöhnlich tut. Der größte Teil aller „Gene“ wird vielmehr rein dynamischen Charakter haben, bloße Systembedingung im Sinne der Physik sein, einem Begriffe, dem Baurs „Reaktionsnorm“ wohl am nächsten kommt.
Auch die Existenz von Individuen, die karyotisch-isogen, plasmatisch heterogen sind, wäre logisch zu beachten.
Eine sehr ansprechende Studie über Geschichte und Bedeutung des Kontingenzbegriffes hat Troeltsch (1913) gegeben.
Wir unterscheiden demnach zwei Arten von Kontingenz: i. Kont in -genz innerhalb einer einzelnen Theorie (Empirismen-Kontingenz) und 2. Kontingenz von zwei oder mehr Theorien gegeneinander (Theorien-Kontingenz). Unser gleich zu entwickelnder Satz von der Kontingenz stellt die Verbindung zwischen beiden Arten der Kontingenz her.
Auf diese Frage komme ich in einer beabsichtigten ,,Logik der Theorien“ zurück. Man vgl. auch meine Probevorlesung: ,,Kontingenzerscheinungen an naturwissenschaftlichen Theorien“ = Symposion, Bd. 1, Heft 3, 1926.
Die Empirismen-Kontingenz bietet weiter keine besonderen Probleme mehr.
Eine universale Kritik des Naturalismus als metaphysisches System gab Eucken (1888), während der Ideenkomplex des Historismus in Troeltsch (1922/23) seinen kongenialen Meister gefunden hat. Man vgl. auch Nietzsches berühmte, geistvolle Fanfare (1873/74).
Vgl. hierzu besonders die Forschungen der modernen Wahrscheinlichkeitstheoretiker v. Kries (1886), Marbe (1916 – 19) und Czuber (1923).
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Meyer, A. (1926). Logik der Systematik. In: Logik der Morphologie im Rahmen einer Logik der gesamten Biologie. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-50733-5_4
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