Zusammenfassung
Die Klinische Ethik ist eine relativ junge Disziplin: die Kernphase ihrer institutionellen Entwicklung liegt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seither sind die ethischen Herausforderungen und potenziellen Konfliktfelder, die der modernen Medizin innewohnen, stetig gewachsen. Die rasante Ausweitung der Möglichkeiten sowohl der wissenschaftlich-forschenden als auch der klinisch-therapeutischen Medizin lässt beständig neue, bisher nicht gekannte Handlungsspielräume entstehen, die einer ethischen Reflexion bedürfen. Auch die zunehmende Pluralität der Werte in unserer weitgehend säkularisierten Gesellschaft, der steigende Einfluss juristischer Normen, die Verknappung finanzieller, personeller und zeitlicher Ressourcen sowie die wachsenden Autonomiebestrebungen immer besser informierter Patienten erhöhen den Bedarf an ethischer Orientierung in der Medizin (vgl. Rippe 1999, Vogd 2006).
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Notes
- 1.
Grundlegend zur Klinischen Ethik u. a. Steinkamp u. Gordijn (2003), Hick (2007), Vollmann et al. (2009), Jonsen et al. (2010).
- 2.
Umso irritierender, dass die zentrale Rolle des Patienten in der Klinischen Ethik(beratung) durchaus nicht so eindeutig definiert zu sein scheint, wie zu erwarten wäre, vgl. in diesem Kontext u. a. Neitzke (2009).
- 3.
Im Folgenden wird vor allem die Entwicklung von Ethikberatung in Krankenhäusern untersucht. Zur Ethikberatung in anderen medizinisch-pflegerischen Bereichen vgl. ▶ Kap. 11, 12, 13.
- 4.
Ansätze früherer Entwicklungen sollen damit keineswegs unterschlagen werden. Als früher und gelungener Versuch, die Medizinethik ans Krankenbett und vice versa auch die Klinik in die Medizinethik zu bringen, kann der ab 1935 in mehreren Auflagen erschienene „Ärzte-Knigge“ des Leipziger Internisten Seyfarth gelten, Seyfarth (1935). Zum historischen Kontext siehe u. a. Frewer (2000) sowie Bruns (2009). Für die 1980er Jahre wären auch die publizierten Fallstudien des Zentrums für Medizinische Ethik in Bochum zu nennen.
- 5.
Hervorhebung im Original.
- 6.
Sass (1988). Ein Kapitel des Buches beschäftigt sich auch mit den Formen von Ethikberatung, wobei die Differenzierung zwischen „Ethikkommission“ und „Ethikkomitee“ nicht stringent ist, vgl. ebd., S. 72–89.
- 7.
Dies mag u. a. damit zu tun haben, dass die Wahrheitsfähigkeit normativer Aussagen zu praktischen Problemen nach gängiger philosophischer Auffassung zweifelhaft bleiben muss, so lange solche Aussagen nicht letztbegründbar sind. Der Beschäftigung mit Anwendungsproblemen haftet deshalb in der Philosophie nicht selten etwas Unseriöses an.
- 8.
Für einen Überblick über die Vielfalt der Ende der 1990er Jahre in Deutschland in Erprobung befindlichen Ethikberatungsmodelle siehe Reiter-Theil u. Illhardt (1999). Vgl. auch Illhardt et al. (1998), Reiter-Theil (1998) sowie Kettner (1999).
- 9.
Allerdings weisen Beauchamp u. Childress im Vorwort dieser neuesten Ausgabe ihrer „Principles of Biomedical Ethics“ ausdrücklich darauf hin, dass auch das Prinzip der Autonomie stets im Kontext anderer Prinzipien, wie etwa der Fürsorge, zu betrachten sei und keineswegs eine automatische Vorrangstellung genieße.
- 10.
Diese Konsumfreiheit könnte viele von Krankheit betroffene Menschen eher verunsichern und überfordern. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass es zukünftig einen vermehrten Bedarf an unabhängiger und autonomiefördernder Patientenberatung geben wird. In dieser Perspektive erscheint der mündige Patient vorerst eher als eine Idealvorstellung, für manche ist er gar nur ein „Mythos“, vgl. Stollberg (2008).
- 11.
Deutscher Evangelischer Krankenhausverband und Katholischer Krankenhausverband (1997). Die Empfehlung enthält u. a. eine Modellsatzung für Klinische Ethikkomitees.
- 12.
Andere Beratungsformen, etwa im betriebswirtschaftlichen oder technischen Bereich, existierten auch in Krankenhäusern bereits deutlich früher, siehe hierzu Wolf u. Dörries (2001).
- 13.
Die Aufbauphase des Klinischen Ethikkomitees an der Medizinischen Hochschule Hannover wurde durch ein von der DFG gefördertes Forschungsprojekt „Klinische Ethik-Komitees“ (2001–2003) am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen unter Leitung von Matthias Kettner begleitet.
- 14.
Zum Konsultationsdienst in Marburg vgl. Gerdes u. Richter (1999).
- 15.
Seit Gründung eines Zentrums für Human- und Gesundheitswissenschaften Anfang der 1990er Jahre ist es im dritten Anlauf nicht gelungen, eine dort eingerichtete Professur für Ethik in der Medizin nachhaltig zu besetzen.
- 16.
Neben dem in Hannover angesiedelten Qualifizierungsprogramm „Ethikberatung im Gesundheitswesen“ sei außerdem auf den Fernlehrgang „Berater/in für Ethik im Gesundheitswesen“ in Nürnberg hingewiesen.
- 17.
Ethik in der Medizin (1999),11(4), Journal of Medical Ethics (2001), 27(suppl 1), Medicine, Health Care and Philosophy. A European Journal (2003), 6(3). Siehe auch weitere Themenhefte in den Folgejahren sowie das insgesamt auf Klinische Ethikberatung fokussierte Publikationsorgan HealthCare Ethics Committee (HEC) Forum.
- 18.
Viele der in dieser Studie befragten Klinik- und Pflegedirektoren betrachteten bestehende Einrichtungen wie etwa die Klinikseelsorge, die (Forschungs-)Ethikkommissionen oder auch die regelmäßige Chefarztvisite als den primär geeigneten Ort für die Erörterung ethischer Fragen.
- 19.
Schneiderman ist es in seiner Studie gelungen, die Auswirkungen von Ethikberatung u. a. anhand intensivmedizinischer Parameter zu quantifizieren. Gerade weil sich die Erfolge von gelungener Ethikberatung nicht immer empirisch darstellen lassen, kommt ihrer Evaluation durch Pflegende und Ärzte (evtl. auch durch Patienten) entscheidende Bedeutung zu. Vgl. hierzu u. a. Chen u. Chen (2008), Kobert et al. (2008), Pfäfflin et al. (2009), Schildmann u. Vollmann (2010), Simon (2010). Einen weiteren Ansatz zur besseren Evaluation stellt die vergleichende Fallbetrachtung und -kommentierung durch verschiedene Ethikkomitees bzw. Beratungsgremien dar, vgl. dazu Bruns u. Frewer (2010).
- 20.
Vgl. die entsprechenden Passagen bzw. Fragen in den Qualitätshandbüchern von KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen) oder proCumCert (offizielle, koordinierte Qualitätsinitiative konfessioneller Krankenhäuser). Siehe auch Anmerkung 21. In den USA macht die Joint Commission for Accreditation of HealthCare Organizations bereits seit 1991/92 das Vorhandensein einer Ethikberatung zur Bedingung für die Akkreditierung von Krankenhäusern.
- 21.
Die dem Bereich „Krankenhausführung“ zugeordnete Vorgabe lautet wörtlich: „Im Krankenhaus werden ethische Problemstellungen systematisch berücksichtigt.“ KTQ-Katalog 5.0 für Krankenhäuser, Punkt 5.4.1.
- 22.
http://www.ktq.de/Zertifizierte-Einrichtungen.169.0.html, zuletzt aufgerufen am 29.06.2011.
- 23.
Ergebnisse laut elektronischem Verzeichnis: http://dkg.promato.de/runtime/cms.run/doc/Deutsch/5/proxy/dkv/search/results/show/1/name/asc.html, zuletzt recherchiert am 29.06.2011.
- 24.
Hier wäre etwa zu klären, ob ein Ethikkomitee, das nur einmal im Jahr oder nur bei Bedarf zu einer Sitzung zusammenkommt, die ihm zugedachte Funktion überhaupt erfüllen kann.
- 25.
Zum methodischen Hintergrund siehe Dillman et al. (2009).
- 26.
Die Fallzahlen wurden nicht als Größenkriterium herangezogen, da bei diesen Angaben nicht immer eindeutig zwischen ambulanten und stationären Fällen unterschieden wird – und nur letztere wären im Rahmen dieser Untersuchung als primär relevant für die Ethikberatung eingeschätzt worden. Die Fallzahl der gefundenen Kliniken wurde jedoch gleichwohl stets mit erhoben.
- 27.
Hier definiert als „Gremium zur Lösung ethischer Konflikte im Rahmen der klinischen Patientenversorgung“.
- 28.
Handelte es sich um Universitätskliniken, wurde auch in der Rechtsmedizin angefragt, da diese Abteilungen häufig in den (Forschungs-)Ethikkommissionen engagiert sind und mitunter auch über die Existenz Klinischer Ethikkomitees informiert sind.
- 29.
Quelle: Online-Datenbank der Deutschen Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG), Stand am 31. März 2011. Die auf den Internetseiten der jeweiligen Kliniken angegebenen Bettenzahlen weichen mitunter von diesen Angaben ab.
- 30.
Am Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin am Klinikum der LMU München existiert ein spezieller Konsiliardienst für Fragen am Lebensende, der sich jedoch ausdrücklich nicht als Ethikberatung begreift.
- 31.
Nach Sulilatu ist eine gewisse Bürokratisierung Klinischer Ethikkomitees nicht nur unumgänglich, sondern Teil ihrer Institutionalisierung und Funktionalität innerhalb einer Klinik, ebd., S. 297, 304.
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http://dkg.promato.de/runtime/cms.run/doc/Deutsch/5/proxy/dkv/search/results/show/1/name/asc.html, zuletzt recherchiert am 29.06.2011
http://www.ethikberatung.uni-goettingen.de/?zeige=einrichtungen.php&rubrik=Einrichtungen, zuletzt aufgerufen am 29.06.2011
http://www.ktq.de/Zertifizierte-Einrichtungen.169.0.html, zuletzt aufgerufen am 29.06.2011
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Bruns, F. (2012). Ethikberatung und Ethikkomitees in Deutschland. In: Frewer, A., Bruns, F., May, A. (eds) Ethikberatung in der Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-25597-7_3
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