In den Ausführungen zur Stärkung der Pflegebereitschaft im Rahmen des PflegeVG wurde bereits darauf hingewiesen, dass es im Diskussionsprozess zur Einführung der Pflegeversicherung als Konsens galt, Angehörige und andere informell Pflegende zumindest soweit zu honorieren und/oder zu entlasten, damit häusliche Pflege eher wahrscheinlicher als unwahrscheinlicher würde. In diesem Zusammenhang haben wir auch die entsprechenden „aktivierenden Unterstützungsmaßnahmen“ (vgl. Evers 1998:8ff) zur Stärkung des informellen Pflegepotentials dargestellt und bewertet (vgl. Kapitel 1.3.4). Dadurch wurde durch die Einführung der Pflegeversicherung ein „auf Eigenverantwortung basierendes vorgelagertes Sicherungssystem“ (vgl. Articus 2003:260) implementiert, welches man mit Kaufmann als „die sozialpolitische Entdeckung des informellen Sektors“ (vgl. Kaufmann 1997:9) bezeichnen kann. Doch als wüsste der Gesetzgeber ebenso gut um die „Grenzen ökonomischer Mittel“ und um die „Reichweite des Rechts“ (vgl. ebenda, S. 109), appelliert er darüber hinaus, gleichsam auf einer moralischen Ebene, an das Leitbild einer „neuen Kultur des Helfens“, die Dietz (vgl. 2002:135) als den „großtönende(n) Prolog der Pflegeversicherung“ bezeichnet. Lassen wir noch einmal Norbert Blüm zur Einführung der Pflegeversicherung zu Wort kommen: „Es geht bei der Pflegeversicherung nicht nur darum, ein bisschen Geld unter die Leute zu bringen, sondern um eine neue Antwort auf neue Fragen. Es geht um eine Sozialpolitik aus der Nähe. Wir brauchen eine Sozialpolitik aus der Nachbarschaft (…) Ich glaube, dass die großen Institutionen, so unverzichtbar und wichtig sie auch sind, Gefahr laufen, zu einer kalten Verteilungsmaschine zu werden, wenn wir nicht eine Infrastruktur nachbarschaftlicher Hilfen, Hilfen aus der Nähe, aufbauen. (…) Diese Pflegeversicherung soll einen Anschub für eine nachbarschaftliche Sozialpolitik, für eine neue Kultur des Helfens geben. Es bleibt die Familie, die dabei gestützt wird, die Familie als Schule der Solidarität“ (Rede Norbert Blüms, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, bei der Verabschiedung des Pflegeversicherungsgesetzes; in: Das Parlament, 44/Nr. 12-13; S. 2, 1995).
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Rights and permissions
Copyright information
© 2009 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Dammert, M. (2009). Eigenverantwortung und Gemeinsinn als Reformoption für eine andere Sozialstaatlichkeit. In: Angehörige im Visier der Pflegepolitik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91535-7_3
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-91535-7_3
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-16658-2
Online ISBN: 978-3-531-91535-7
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)