Zusammenfassung
In den Lehrlingsgruppen setzt die reflektierte Auseinandersetzung mit berufsbiografischen Orientierungsmustern erst dann ein, wenn die Jugendlichen bereits im Berufsalltag stehen.
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Anmerkungen
Die Beobachtung dieser markanten Adoleszenzkrise und ihrer milieuspezifischen Ausprägungen und Verschärfungen kann wichtige Aufschlüsse geben über die Ober repräsentanz gerade dieser Altersphase (der berufstätigen Jugend) in der Kriminalstatistik.
Den Begriff der “Re-Orientierung” habe ich deshalb gewählt, weil in der Entscheidungsphase ja bereits Orientierungen an der beruflichen Zukunft im Diskurs “aufflackern” - wenn auch illusionäre und teilweise recht diffuse.
Wobei sich hier aber geschlechtsspezifische Unterschiede abzeichnen. Es sind hier wiederum die weiblichen Gymnasiasten, die sich mehr offenhalten (vgl. dazu auch die Ausführungen zur Geschlechtstypik).
Wenn ich hier die Begriffe “deduktiv” und “induktiv” verwende, so ist dies “metaphorisch” gemeint, also nicht wörtlich zu nehmen.
Dort, wo eine “Aufstiegsorientierung” in anderen Gruppen uns begegnet, steht sie - im Vergleich zur “Wies’n”- Gruppe - nicht im Focus, ist marginal, wie in den Gruppen “Steppe” und “Umweg”, ist aber in jedem Fall von dem Wunsch her zu verstehen, den bisherigen - frustrierenden bis unerträglichen - Arbeitsalltag zu verlassen.
Besonders interessant ist der Fall der Gruppe “Umweg”, die die Weiterbildung eben als eine Art “Umweg”, als vorübergehende Flucht aus dem Arbeitsalltag versteht. Denn diese Jugendlichen, die sich auf der Berufsaufbauschule (BAS) befinden, gehen davon aus, daß sich nach erfolgreicher Weiterbildung für sie eigentlich gar nichts ändern wird.
Wie jegliches Ilandeln ist auch biografisch relevantes Handeln aus phänomenologisch-soziologischer Sicht als ein Ineinandergreifen von Weil-und Um-zu-Motiven zu verstehen. Nach Alfred Schütz (1974) sind Weil-Motive jene Erlebnisse, die ihrerseits die Um-zu-Motive, die gedankenexperimentellen Handlungsentwürfe motivieren. Zur Unterscheidung von Um-zu-Motiv und Weil-Motiv heißt es bei Schütz: “Dieser Sachverhalt kann auch durch die These ausgedrückt werden, daß die modo futuri exacti als abgelaufen entworfene Handlung, an welcher das Ilan= dein orientiert ist, für den Handelnden Motiv (nämlich ‘Um-zu-Motiv’) ist” (S.117) und weiter unten: “Indessen das Um-zu-Motiv, ausgehend vom Entwurf, ie Konstituierung der Handlung erklärt, erkärt das echte Weil-Motiv aus vorhergegangenen Erlebnissen die Konstituierung des Entwurfes selbst” (S.123).
Die Konsumthematik ist im Unterschied zu den Gymnasiastengruppen in allen Lehrlingsgruppen von Bedeutung. Während sie jedoch in den individuell-existentiell orientierten Gruppen im Rahmen der Frage nach den “eigentlichen” Bedürfnissen abgehandelt wird, geht es in den gemeinschaftlich orientierten und finanziell vergleichsweise schlechter gestellten Gruppen um die Frage der finanziellen Absicherung von zentralen Konsumbedürfnissen.
Innerhalb dieses Entwicklungsprozesses befindet sich die “Wies’n” in der Phase der Neu-Orientierung, wie auch die Bänkla“-Gruppe die am Übergang von Negations-phase und Phase der Neu-Orientierung steht. Dieser für alle Lehrlinge gültige Entwicklungsprozeß erhält aufgrund milieutypischer Besonderheiten seine spezifische Ausprägung: die Phase der Neuorientierung wird hier zu einer Phase der Aufstiegs-und zugleich der stereotypen Normalitätsorientierung. Demgegenüber befindet sich die ”Mauer“-Gruppe in der Phase der Suspendierung berufsbiografisch relevanter Selbstverortung und ist - dieser Phase entsprechend - eine gemischtgeschlechtliche Gruppe.
Mit der “Indexikalität” von Äußerungen oder Begriffen ist gemeint, daß diese Äußerungen oder Begriffe nur unter denjenigen verständlich sind, die einen Erfahrungsraum, im Sinne von Mannheim (1980): einen “konjunktiven” Erfahrungsraum teilen, innerhalb dessen dieser Sprachgebrauch eingeübt wird; was grundsätzlich gesehen für alle natürlichen Sprachen gilt. Allerdings sind manche Äußerungen mehr als andere an spezifische, je besondere Erfahrungsräume gebunden und im unmittelbaren Verstehen auf Eingeweihte beschränkter. Sie sind somit von “höherer” Indexikalität als andere. Zum Begriff der Indexikalität siehe vor allem: Garfinkel 1976 und 1973 sowie Garfinkel und Sacks 1976.
Am Thema Religion scheint, da es ein vom spezifischen existentiellen Hintergrund weitgehend gelöstes Thema ist, Generationstypisches auch dort noch behandelt zu werden, wo ansonsten die Generationstypik weit hinter Milieutypischcs zurücktritt.
Wie kontrastiv dazu in der “Prairie”-Gruppe, in der dieselbe Frage zu individuell-existentiellen Reflexionen führt (“Was hab’i’davon, wenn i’g’sund sterb”; (Prairie, Zukunft, 1.15–16)
Vgl. dazu: Barbara Iiackner und Margit Sippel-Erlbacher, Zur weiblichen Entwicklungstypik: Stadien der Adoleszenzentwicklung bei weiblichen Lehrlingen; in: Werner Mangold, Ralf Bohnsack, 1988, Kollektive 1’,ientierungen in Gruppen von Jugendlichen, Forschungsbericht für die deutsch Forschungsgemeinschaft, Erlangen. Hackner und Sippel-Erlbacher haben in Erweiterung des dieser Arbeit zugrundeliegenden Samples noch weitere Gruppen von weiblichen Lehrlingen einbezogen und auf dieser Grundlage eine Entwicklungstypik erstellt.
Letzteres steht weniger im Focus der hier behandelten beiden Gruppen, die, wie Hackner und Sippel-Erlbacher (1988) herausgearbeitet haben, sich noch in der “Beziehungsphase” und noch nicht in der ‘Planungsphase“ befinden, in der die Ausgestaltung des eigenen zukünftigen Hauses zum konkreten Problem wird.
So bemerkt zum Beispiel A in der “Haus”-Gruppe (Focussierungsmetapher Verwandtschaft, 4.22–24): “die ganze Verwandtschaft streitet, jeder geht auf’n andern los und wir wohnen alle auf an Eck (.)”.
Die strukturelle Verantwortungslosigkeit der Männer hat A bereits vorher zu Beginn der Passage dort zum Ausdruck gebracht, wo es um die Empfängnisverhütung ging.
Diese Parallelisierung ist typisch für die Diskursorganisation der jungen Frauen, vor allem der weiblichen Lehrlinge in den Themenbereichen, in denen es um die Geschlechtsrollenbeziehung geht, wie dies ja im Focus dieser Gruppen steht. Dies verweist auf eine strukturidentische Erfahrungsbasis. Dort, wo die Erfahrungsbasis nicht nur strukturidentisch, sondern identisch ist (sie sich also auf dieselben Erlebnissituationen beziehen), ist die Diskursorganisation nicht nur parallelisierend, sondern auch interdependent, d.h. die eine nimmt der anderen “das Wort aus dem Mund” und setzt die begonnene Darstellung bruchlos fort, wie z.B. in der oben zitierten Sequenz.
Vgl. dazu wiederum die Ausführungen von Hackner und Sippel-Erlbacher (1988)
Bei den weiblichen Jugendlichen, sowohl den Lehrlingen als auch den Gymnasiastinnen, ist die biografische Selbstverortung über die Identifikation mit der Mutter vermittelt. Dies kommt aber typischerweise nur dort zum Tragen, wo die weiblichen Jugendlichen unter sich ihre Wirklichkeit entfalten können, also in den geschlechtshomogenen und nicht in den gemischten Gruppen.
Am spielt seit der “ersten Klasse”, also seit ca. 10 Jahren Klavier und neuerdings auch Schlagzeug, Cm spielt seit 5 Jahren Klavier, aber auch Gitarre. Bw hat 5 Jahre Klavier gespielt, allerdings vor 3 Jahren aufgehört. D spielt Blockflöte.
Siehe zu diesem Begriff: Schütze 1981.
Da es hier in dieser prozeßhaften Betrachtung der jungen Frauen nicht um das Erwachsenendasein, sondern das Erwachsenwerden als Prozeß geht, richtet sich das Augenmerk der Kritik auf den negativen Gegenhorizont derjenigen, von denen man am ehesten erwarten könnte, daß sie sich noch entwickeln: auf Gleichaltrige. Von daher wird es plausibel, daß - ungewöhnlicherweise - hier nicht Erwachsene als negativer Gegenhorizont erscheinen. In jedem Fall wäre es im Zuge der Überprüfung der Generationstypik wichtig gewesen, diese “Clique”, die hier als negativer Gegenhorizont erscheint, in unser Sample einzubeziehen. Dies scheiterte allerdings an mangelnder Bereitschaft. Wie im weiteren Verlauf der Passage (Focussierungsmetapher) zum Ausdruck kommt, haben wir es mit Außenseitern zu tun, zumindest, was ihre Stellung in der Klassengemeinschaft anbetrifft (Entwicklungsland, Focussierungsmetapher, 4.21–26)
Aw möchte Akkordeonlehrerin, 13w Fotografin werden, und Cw hat die Absicht, Medizin zu studieren
Derartige moralische Bedenken wären eher dem Rahmen der Elterngeneration adäquat
Die in komparativer Analyse der Gruppen “Band” und “Entwicklungsland” bereits herausgearbeiteten geschlechtsspezifischen Unterschiede lassen sich somit noch einmal fallintern validieren
Um hier noch einmal das Verfahren der Typengenerierung zu verdeutlichen: Wir können generationstypische Gemeinsamkeiten nur herausarbeiten, indem wir von bildungsmilicutypischen Unterschieden abstrahieren. Umgekehrt werden bildungsmilicutypische Kontraste jedoch klarer, wenn wir uns beim Vergleich an Konstanten anlehnen können, also an generationstypische Gemeinsamkeiten. Dies ist das Prinzip des Kontrasts in der Gemeinsamkeit
Die “Insel”-Gruppe stammt, wie bereits dargelegt, aus einem eingemeindeten Dorf am Rande von Frankenstadt, welches allerdings keine Homogenität im Sinne des weit von der Kleinstadt entfernten Dorfes der Gruppen “Bänkla” und “Garten” aufweist
Es zeichnet sich hier also eine Kritik dieser Generation an den “Alternativen” ab: deren Auseinandersetzung mit der Zwangsmoral ist oder war auf eine Verweigerung gerichtet, hinter der - aus der Sicht dieser jungen Generation - das, worum es eigentlich geht, das Authentische zurücktritt. Jene, die “Alternativen”, bleiben damit ebenso dogmatisch und fassadenhaft wie ihre Gegner der älteren Generation. Derjenige, der am entschiedendsten seine Kritik gegenüber dieser demonstrativen Verweigerung zum Ausdruck bringt (Bm), zeichnet sich durch eine exzentrische Frisur und gelegentlich durch eine weiße Ratte auf der Schulter aus
Da der Religionsthematik hier in der “Insel” eine focussierte Bedeutung zukommt, was sich daran zeigt, daß sie in die Focussierungsmetapher mit eingeht, sowie an der Länge und Dichte der Religionspassage, beziehe ich die Religionspassage in die generationstypische Betrachtung mit ein. Auch in der anderen Gruppe, die durch eine individuell-existentielle Selbstverortung gekennzeichnet ist, der “Prairie”, hat die Religionsthematik eine focussierte Bedeutung - in der besonderen Ausprägung der Auseinandersetzung mit dem Teufel
Generalisierter anderer verstanden im Sinne des “generalized other” bei G.H. Mead
Eine Auseinandersetzung mit dem Teufel finden wir auch in der “Orient”-Gruppe, auf die ich weiter unten in generationstypischer Betrachtung noch eingehen werde. Die “Prairie”- und die “Orient”-Gruppe haben einen engen Bezug zu der unter Hauptschülern und Lehrlingen verbreiteten “Black-Metal”-Musik, einem Zweig des “Heavy-Metal”. In den Texten der “Black-Metal”-Musik spielt eine gewisse Form des Satanskultes eine Rolle
Der konkurrierenden Diskursorganisation in der “Insel”- und der kommentierenden in der “Prairie”-Gruppe steht die eher kontinuierliche, d.h. die gemeinsam eine Proposition ausspinnende Diskursorganisation in der “Mauer”- und der “Wies’n”Gruppe gegenüber
Die Bezugnahme auf die Eltern ist im Unterschied zu der auf die ältere Generation hier durch YI fremdinitiiert (Orient, Zukunft, 5.32–34)
Vgl. zum Begriff der “Generationsverhältnisse” oder “generationellen Verhältnisse” die klärenden Hinweise von Matthes (1985) in einer Auseinandersetzung mit Mannheim
Die Väter sind heute tätig in der Verwaltung eines Großbetriebs, im käufmännischen Bereich, in der Versicherungsbranche und als selbständiger Geschäftsmann. Eine der Frauen führt gemeinsam das Geschäft mit ihrem Mann, eine weitere ist Hausfrau, die anderen sind in der kirchlichen Verwaltung und als medizinisch-technische Assistentin tätig
Vorher haben sie, wie Ew es nennt, “keinen Nenner” gefunden (Zwischendrin, Generationsunterschied II, 9.13)
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© 1989 Leske + Budrich, Opladen
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Bohnsack, R. (1989). Zu einer Typologie biografischer Orientierungen in jugendlichen Gruppen. In: Generation, Milieu und Geschlecht. Biographie und Gesellschaft, vol 8. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97196-8_3
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