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Die ungleichheitstheoretische Rahmung zielgruppenspezifischer Primärprävention

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Das Präventionsdilemma
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Zusammenfassung

Obwohl bereits durch Erkenntnisse aus dem sozial-epidemiologischen Forschungskontext (siehe oben 2.1) der Nexus von sozialstrukturellen und krankheitsauslösenden Faktoren als hinlänglich bestätigt angesehen werden kann, findet diese Diskussion in dem benachbarten Bereich der Prävention nur wenig Berücksichtigung. Das gilt im Besonderen für den Einfluss von Faktoren sozialer Ungleichheit auf das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen und damit auf die Bedingungen zielgruppenadäquater Primärprävention. Ist der Topos soziale Ungleichheit auch Gegenstand der epidemiologischen Forschung (Gardemann 2002: 890), hat, wie bereits von Mielck/Satzinger/Helmert (1995: 45) zur Mitte der 1990er Jahre konstatiert wurde, eine diesbezügliche Problemsensibilisierung weder in den Gesundheitswissenschaften als Gesamtdisziplin noch in der öffentlichen Diskussion oder bei den gesundheitspolitischen Akteuren stattgefunden.

„Der Zusammenhang von Gesundheit und sozialer Lage ist Allgemeingut. Umstritten bleibt in Wissenschaft und Politik, welche Mechanismen dafür verantwortlich [...] sind.”

Dieter Borders & Heinz-Harald Abholz Welches Kapital ist gut für die Gesundheit?

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Literatur

  1. Allein wissenssoziologisch soll hier angemerkt werden, dass die besondere Bedeutung bei der Durchsetzung des individualisierungstheoretischen Konsensus seit Beginn der 1980er Jahre dabei den Vertretern dreier Generationen der so genannten „Münchner Schule“ — 1. Kreckel, Beck, Hradil; 2. Berger, Hitzler; 3. Sopp, Michailow — in der Nachfolge Karl Martin Bottes zugemessen wird (Dangschat 1998 ). Tatsächlich ist his heute die Orientierung in der Fachsektion..Soziale Ungleichheit und Sozialstrukturanalyse innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Soziologie von diesem Paradigmenwechsel inhaltlich wie personell bestimmt.

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  2. Häufig auch unter der Bezeichnung „epistemologisches Subjektmodell“ zusammengefasst: erstmals bei Treiber/Groeben 1981; vgl. auch Lerner 1982; Magnusson/Allen 1983. Besonderen Anteil an dieser Entwicklung hatte das sozialökologische Forschungsparadigma und damit verbunden eine zunehmende analytische Differenzierung, die zwischen horizontal strukturierten Sozialisationsagenturen und -feldern, proximalen und distalen Sozialisationseffekten sowie bereichsspezifischen Beteiligungsformen Heranwachsender zu unterscheiden erlaubte (in der deutschsprachigen Diskussion insbesondere Vaskovics 1982; Schneewind/Beckmann/Enger 1983; Steinkamp 1991; Grundmann/Löscher 2000).

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  3. Klaus Hurrelmann (1989: 110) verleiht diesem schwierigen disziplinären Verhältnis noch Ende der 1980er Jahre Ausdruck, wenn er sich selbst als „`psychology-oriented sociologist’“ bezeichnet. Von der „Konkurrenz” zwischen der Tendenz nach eher soziologisch und im Gegensatz dazu eher psychologisch orientierten Ansätzen ist die Sozialisationsforschung bis heute geprägt.

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  4. Die Lebenslauf-oder Lebensverlaufsforschung (etwa Hurrelmann 1976; Kohli 1991; Elder 2000) sowie in der Folgezeit die Biografieforschung und das Konzept der Lebensführung (als Auswahl die Beiträge in Hoerning/Alheit 2000; Krüger/Marotzki 1999; Kudera/Voß 2000; Vof3/Weihrich 2001) sind, neben der eigenständigen Etablierung von Kindheits-und Jugendforschung, wichtige Ergänzungen der Sozialisationsthematik, die aus einer originär sozialwissenschaftlichen und nicht der psychologischen Perspektive heraus formuliert wurden.

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  5. So auch Heinz Walter in einer der zentralen Positionsbestimmungen der Sozialisationsforschung in den 70er Jahren: „Nach einer Phase fast lückenloser Gleichschaltung mit den ‘Normen und Werten’ eines diktatorischen Regimes und deren Konsequenzen konnte die entscheidende Sozialisations-Frage nicht mehr jene nach den Bedingungen eines möglichst reibungslosen sozialen Ein-und Anpassens sein. Diese mußte, wenn nicht abgelöst, so doch wenigstens ergänzt werden durch die Frage nach der Entwicklung eines Widerstandpotentials gegenüber Überredung und sozialem Druck.“ (Walter 1973: 23)

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  6. Hiermit ist im Besonderen die Kritik an den empirisch unterkomplexen, monokausalen Analysemodellen innerhalb der schichtspezifischen Sozialisationsforschung verbunden. Die zirkuläre soziale Reproduktion eines gesellschaftlichen Status quo sowie die Annahme eines milieu-oder schichtkonformen „Sozialcharakters“ (Riesman) stehen fur diese Verkürzungen stellvertretend. Nach Schärfe und Konsequenz dieser Kritik lassen sich etwa die Positionen von Abrahams/Sommerkorn (1976) und Bertram (1982), die schichtspezitische Annahmen gänzlich verabschieden, von der Oevermanns (1976) unterscheiden, der fir die konstruktive Weiterentwicklung unter Beibehaltung des Paradigmas eintritt.

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  7. Michael Vester und Daniel Gardeurin (2001: 219) behaupten analog, dass die Vorstellung erodierter Ungleichheitsverhältnisse in den westlich-modernen Gesellschaften, in denen die „sozialen Zusammenhänge nun von den Individuen in freien Schöpfungsakten autonom konstruiert würden“, rückblickend als „späte Strafe für die Sünden eines vulgärmaterialistischen Determinismus” der 1970er Jahre anzusehen ist.

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  8. Hierzu grundlegend Dangschat 1998; Endruweit 2000; Geißler 1996; Hartmann 1995, 1996; Kreckel 1998; Ritsert 1998; Vester 1998. Auf eine detailliertere Wiedergabe der kritischen Auseinandersetzung mit dem Individualisierungsparadigma muss hier jedoch verzichtet werden. Klaus Eder hat sehr früh auf die Umorientierung in der Ungleichheitsforschung kritisch reagiert, aus der Not, Indikatoren von Klassenlagen kumulativ zu erweitern, eine Tugend zu machen, nämlich die Autlösung der Strukturen in individualisierte Existenzformen vorzunehmen (Eder 1989: 347). Ansätze, die die „Blauäugigkeit“ (Dangschat 1998) individualisierungstheoretischer Ansätze für die Phänomene strukturierter sozialer Ungleichheit kritisieren, rekurrieren häufig (und nicht zufällig) auf die ungleichheitstheoretischen Untersuchungen Pierre Bourdieus (siehe unten 3.3). Rainer Geißler (1998) kritisiert, dass Entstrukturierungsansätze nur ein Glied in der Reihe wellenförmig auftauchender Ansätze seit den 1950er Jahren darstellen, die periodisch wiederkehrend das Ende der Klassengesellschaft ankündigen. Reinhard Kreckel (1998) subsumien das Entstrukturierungsparadigma postmodernen Denkfiguren, die sich entlang der Leitbegriffe „Differenzierung” und „Individualisierung“ anschicken, das Phänomen strukturierter sozialer Ungleichheit zu annullieren.

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  9. Mittlerweile liegen eine Reihe von Darstellungen vor, die in die begrifflichen und theoretischen Grundlagen der bourdieuschen Sozialthcorie einfiihren (Engler/Krais 2004; Schmeiser 1986; Liebau 1987; Müller 1992; Schwingel 1993, 1995; Ilerz 1996 sowie die Beiträge in den Sammelveröffentlichungen von Bittlingmayer et al. 2002; Liebau/Müller-Rolli 1985; Eder 1989; Gebauer/Wulf 1993; Mörth/Fröhlich 1994). Der Diskussionsstand erlaubt also den hier vorgenommenen selektiven Zugriff auf eine verdichtete Darstellung von Forschungsergebnissen.

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  10. Dispositionen werden hier wie im Anschluss begrifflich nach dem französischen Originalausdruck verwendet. Die Übersetzung als „Einstellung` birgt das Missverständnis, damit eine Unverrückbarkeit nahezulegen, die bei Bourdieu nicht beabsichtigt ist: Dispositionen meinen „eine geschaffene, historisch-persönliche Grammatik, die sich nur im Verhältnis zu einer geordneten Wirklichkeit realisiert.“ (Egger/Pfeuffer/Schultheis 1996 )

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  11. Kaum ein Text Bourdieus entlässt den Leser aus dieser erkenntnistheoretischen Reflexion, die Grundlage des praxeologischen Ansatzes darstellt. Als kohärente Darstellungen seiner erkenntnis-und wissenschaftstheoretischen Fundierung, auf die hier zurückgegriffen werden soll, gelten vor allem Entwurf einer Theorie der Praxis (Bourdieu 1976: Teil Il) und Sozialer Sinn (Bourdieu 1987: Buch I; instruktiv zudem Bourdieu 1970a und 1992b; sekundär Wacquant 1996 ).

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  12. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang bereits sehr früh von einer „zur Tugend erhobenen Notwendigkeit’ (Bourdieu 1976: 168; ähnlich Bourdieu 1987: 100f.) der Existenzbedingungen. Das darf nicht mit der späteren Formulierung des Notwendigkeitsgeschmacks als Merkmal lediglich der Volksklasse in Die feinen Unterschiede gleichgesetzt werden. „Aus der Not eine Tugend“ machen ebenso sehr die mittlere und die herrschende Klasse, wenn sie danach streben. ihren sozialen Status zu verbessern oder zu erhalten. Es macht gerade die Stärke der bourdieusehen Soziologie aus, den Eintluss der sozialstrukturellen Einbettung auf die Ethiken der alltäglichen Lebensführung und damit die sublimen Mechanismen der Reproduktion ungleicher Lebenslagen herauszuarbeiten (M. WEBERS Arbeiten stehen auch hier als Erklärungsansatz im Hintergrund). Das Leben in einem bescheidenen Eigenheim einer Neubausiedlung etwa erscheint für die Volksklasse als moralische Vervollkommnung, den Angehörigen des etablierten Bürgertums dagegen als soziale Erniedrigung. Sie streben daher nach mehr, repräsentieren durch ihren Lebensstil (Altbauvilla /-wohnung), den man sich erst einmal leisten können muss, soziale Distanz — die mittlere und die Volksklasse hingegen bescheiden sich.

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  13. Ein altes aristotelisch-thomistisches Prinzip der Vermittlung, wie Bourdieu verklausuliert (Bourdieu 1992a: 29 ). Im Hahituskonzept, in allen ethnologischen und soziologischen Arbeiten Bourdieus präsent, kehrt die Integration unterschiedlicher, häufig grundsätzlich entgegengesetzter Erklärungsansätze und Erkenntnisweisen einmal mehr wieder. Analog zur Begründung der praxeologischen Erkenntnisweise bezieht sich die im Habitus angelegte Vermittlung auf die Dichotomie zwischen subjektlosem Strukturalismus und strukturloser Subjektphilosophie. Bereits bei HEGEL, HUSSIiRL, M. WEHER, DURKHEIM, MAUSS und PANOFSKY wird der Habitusbegriff verwendet, jedoch mit einer von Bourdieu unterschiedenen Bedeutungszuschreibung.

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  14. Der Habitus ist auch nicht, wie häufig vereinfachend, auf die Bedeutung des französischen „habitude ` (Gewohnheit/Gewohnheitshandeln) zu verkürzen. Zur Verdeutlichung eines angemessenen terminologischen Verständnisses sei darauf verwiesen, dass Bourdieu für die Beschreibung jener den Habitus charakterisierenden Eigenschaften ursprünglich die Bezeichnung „Bildung“ vorgeschlagen hat. Er nimmt diesen Begriff aber aufgrund missverständlicher Bedeutungszuschreibungen nicht in Gebrauch: „Liefe dieser überbestimmte Begriff nicht Gefahr, falsch verstanden zu werden, und ließen die Bedingungen seiner Gültigkeit sich vollständig bestimmen, so wäre ‘Bildung’ (culture), ein Begriff der sich sowohl auf das Prinzip der objektiven Regelmäßigkeiten wie auf das Vermögen des Handelnden als System verinnerlichter Modelle anwenden läßt, dem Begriff ’Habitus’ vorzuziehen.” (Bourdieu 1970b: 41)

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  15. Formulierungen wie diese waren immer Grund für hartnäckige Missverständnisse in der Bourdieurezeption. Für den Vorwurf jedoch, mit dem Habituskonzept würden Persönlichkeitscigenschaften zwangsweise homogenisiert, etwa im Sinne struktur-deterministischer Vorstellungen eines klassenspezifischen „Sozialcharakters“ (Riesman), findet sich in den Arbeiten Bourdieus kein Ansatzpunkt. Die Behauptung, Bourdieu sei lediglich Theoretiker der sozialen Reproduktion, hat weder in der methodologischen Anlage des Habituskonzepts noch in den empirischen Befunden eine Basis. Die wichtigsten Arbeiten haben so in der deutschsprachigen Diskussion darunter leiden müssen, unter das Negativverdikt reproduktionstheoretischer Ansätze zu fallen (so bei Zinnecker 2002). Das gilt im Besonderen für die verhaltene Resonanz in der deutschsprachigen Sozialisationsforschung (Bauer 2002b ).

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  16. Diesbezüglich sehr konstruktiv in der Weiterentwicklung das Konzept der „Habitusmetamorphosen“, das die hannoveraner Arbeitsgruppe interdisziplinäre Sozialfinschung um Michael Vester seit geraumer Zeit einsetzt (Vester et al. 2001).

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  17. Hier wie im Folgenden erfolgt bei der Darstellung der bourdieuschen Bildungssoziologie vielfach der Bezug auf Untersuchungen, die werkgeschichtlich hinter Die feinen Unterschiede zurückweisen: So Die Illusion der Chancengleichheit (Bourdieu/Passeron 1971) und eine Reihe von Aufsätzen, die in den deutschsprachigen Sammelveröffentlichungen Titel rnccl Stelle (Bour-dieu et al. 1981) sowie Grundlagen einer Theorie der symbolischen Gewalt (Bourdieu/Passeron 1973) enthalten sind (vgl. auch die jüngste Kompilation älterer Arbeiten in Bourdieu 2001 ).

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  18. Diese Diagnose ist his heute Ergebnis und Gegenstand der Industrie-und Arbeitssoziologie geblieben (Beck 1999; Sennett 1998; Überblick bei Bittlingmayer 2001)

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  19. Auf der Ebene der Führungskräfte insbesondere die Ersetzung des Bildungskapitals mit naturwissenschaftlich-technischer Ausrichtung, das auch außerhalb der Hochschulen erworben werden konnte, durch ökonomisch-politisch ausgerichtetes Wissen, das zur Ausübung administrativer Tätigkeiten „befähigt’ und eine universitäre Ausbildung zur Voraussetzung macht (Bourdieu/Boltanski/de Saint Martin 1981: 28 ff.).

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  20. Wobei auch das Risiko in Kauf genommen wird, das einzelne für die Reproduktion der Führungspositionen vorherbestimmte Angehörige der oberen Mittel-und Oberschicht dem schulischen Reproduktionsmodus „zum Opfer fallen“, das heißt, nicht die geforderten Leistungskriterien erfüllen (Bourdieu/Passeron 1971; Bourdieu 2004). Diese von Bourdieu hervorgehobene legitimatorische Funktion des Bildungssystems für die Reproduktion sozialer Ungleichheit wird in der neueren Bildungsforschung häufig unterschätzt, wenn man dem Bildungswesen lediglich eine neutrale technische oder bloße Qualifikationsfunktion unterstellt (als wichtige Ausnahme Titze 1998).

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Bauer, U. (2005). Die ungleichheitstheoretische Rahmung zielgruppenspezifischer Primärprävention. In: Das Präventionsdilemma. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93541-0_4

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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