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Das Paradigma kompetenzbasierter Primärprävention

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Das Präventionsdilemma
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Zusammenfassung

Die Auseinandersetzung über die Einrichtung primärpräventiver Maßnahmen im Kindheits- und Jugendalter nimmt in zweifacher Hinsicht einen hohen Stellenwert ein. Zum einen in praktisch-politischer Hinsicht, aus einer (sozial-) staatlichen Perspektive. Prävention im Sinne von personaler oder gruppenbezogener Vorbeugung nimmt eine hohe gesellschaftliche Funktion ein. Sie verringert gesellschaftliche Folgeprobleme, das heißt, soziale Kosten. Das gilt sowohl für die Krankheitsprävention, die die aktuelle Diskussion noch immer ganz vorrangig bestimmt, als auch für allgemeinere Formen des abweichenden, auffälligen Verhaltens, etwa im Anwendungsradius der Gewaltprävention.1 Die heutige Relevanz des Präventionsparadigmas erfasst zum anderen den Bereich der wissenschaftlichen Analyse. Im Mittelpunkt steht die Untersuchung möglicher Antezedenzbedingungen, vorbeugender Schutz- sowie zusätzlich belastender Risikofaktoren. Wissenschaftliches respektive Expertenwissen ist grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung von Präventionstechniken, ihrer Implementierung sowie einer ständigen Nutzen- und Wirksamkeitsanalyse.2

„Zunächst kommt es aber darauf an, den Blick für das Problem zu schärfen: Krankheit bei uns allen ist nicht anonym wirkender Zufall, sondern Krankheit ist Reaktionsmöglichkeit des erlebenden Individuums in hilfloser Lage.“

Alexander Mitsciierlich, Krankheit als Konflikt

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Literatur

  1. Selbst-und fremdschädigende Verhaltensweisen Heranwachsender werden gleichsam erst dann als soziale Kosten bewertet, wenn sie durch Präventionsmaßnahmen in ihrer Entstehung eingeschränkt oder generell als vermeidbar angesehen werden können.

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  2. Wissensproduktion und -verwertung im Bereich der Disziplinen, die das Präventionsparadigma heute bedienen, sind damit nah an praktischen gesellschaftlichen Erfordernissen orientiert. Diese gestiegene „Anwendungsorientierung“ erfasst mit zunehmender Tendenz auch sozialwissenschaftliche Disziplinanteile. Die Bedeutung der Kompetenzförderung fir die Prävention erfordert selbst bei einem originär medizinischen Handlungsfeld wie der Krankheitsprävention die enge Verzahnung mit einem nicht-medizinischen Begriffs-und Erkenntnisapparat.

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  3. In übereinstimmenden Konzeptionen national-und suprastaatlicher Organisationen (vgl. etwa WHO 1985, 1986; BMG 1993). Nach Rolf Stuppardt (2001) umfassten die Aufwendungen Ihr präventive Maßnahmen im Gesundheitswesen (einschließlich Vorsorge und Früherkennung durch die GKV) 1998 nur 4,2% aller öffentlichen und privaten Gesundheitsausgaben. Stuppardt verweist jedoch bei Berechnungen eines enormen Einsparungspotenzials durch gesundheitsvorbeugende Maßnahmen auf das begleitende Dilemma, dass das Gesundheitswesen ein, in volkswirtschaftlicher Perspektive, wachstumsrclevanter Faktor geworden ist, der die Behandlung von Krankheiten stärker als die Krankheitsvermeidung benötigt („Eine Spirale ohne Ende“). Effizienz-und Gewinnkriterien der kurativen Medizin unterminieren damit gezielte Präventionsstrategien im Gesundheitssektor.

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  4. Mit Kühn/Rosenbrock ( 1994: 35f.) lässt sich dabei noch die terminologische Differenz zwischen Prtn’emion und Gesundheitsforderung genauer aufklären: Das „traditionelle“ Denkmuster der Prävention verfolgt der Tendenz nach ein sehr spezifisches Ideal der zu verhindernden Krankheit. Die konzeptionelle Ausrichtung der neueren Gesundheitsförderung (die sog. Ottawa-Charta von 1986 als maßgeblicher Impulsgeber, siehe unten 1.3) beruht dagegen auf krankheitsunspezifischen Theorien des Missverhältnisses zwischen belastenden Risiko-und unterstützenden Schutzfaktoren in der allgemeinen Pathogenese. Die Stärkung individueller und sozialer Ressourcen zur Belastungsbewältigung führt demnach dazu, dass die Erkrankungswahrscheinlichkeit insgesamt absinkt. Ansätze zur individuellen Kompetenzsteigerung („Sense of Coherence” nach Antonovsky, Selbstwirksamkeitserwartungen nach Bandura) können als der inhaltliche Kern einer programmatischen Neuorientierung durch das Konzept der Gesundheitsförderung in der Präventionsforschung angesehen werden (Schäfer 2002 ).

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  5. Wobei verhältnispräventive Maßnahmen, gerade weil sie zumeist kollektiv durchgeführt werden und auf administrativen Regelungen beruhen, stets dem Misstrauen gegenüber staatlicher Regulierung begegnen (Kühn/Rosenbrock 1994: 37). Für die Zeit des ausgehenden deutschen Kaiserreiches bis zur Weimarer Republik lässt sich dies besonders in den staatlichen Versuchen zur Sozialdisziplinierung (Erhaltung/Optimierung der Arbeitskraft durch Senkung der Morbiditäts/Mortalitätsrate) erkennen (Schmiedebach 2002; Weindling 2002). Der überaus ambivalente Charakter von Prävention im Dienste staatlicher Kontrolle wird an einer Extremsituation, dem Übergang der sozialhygienischen zur rassenhygienischen/eugenischen Bewegung im Nationalsozialismus deutlich (am Beispiel der Euthanasie vgl. u.a. Ley 2002; Schmuhl 1987). chischen Bedingungen (Veranlagung, Temperament, Anforderungen des Körpers, psychische Bedürfnisse und Antriebe, Selbstwertgefühl) und den äußeren Lebensbedingungen der sozialen und natürlichen Umwelt (Familie, Freundschaftsgruppe, schulische Situation, Arbeitssituation, Wohnumwelt, ökologische • Lebensbedingungen).“ (Hurrelmann 2002a: 10 )

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  6. Das Risikofaktorenkonzept hat seine Ursprünge•in der sozialmedizinischen und epidemiologischen Forschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und bezog sich anfangs ausschließlich auf den Bereich der chronisch-degenerativen Erkrankungen (Stössel/Troschke 1986; Steinkamp 1993 ). Erst durch Einbeziehung des Schutzfaktorenmodells ist das Spektrum der Krankheitssymptomatik sowie der begleitenden Therapie-bzw. Vorbeugemaßnahmen urn eine sozialwissenschaftliche Perspektive erweitert worden.

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  7. Obwohl hier und später immer wieder betont werden soll, dass es sich dabei um einen grundsätzlichen Trend, nicht um einen unveränderlichen Gegensatz in der Präventionsforschung und Praxis handelt. Weder soll auf dieser Grundlage behauptet werden, dass sich verhältnispräventive (strukturorientierte) und verhaltenspräventive (subjektorientierte) Ansätze der Gesundheitsförderung in der Praxis strikt trennen lassen (etwa in dem Zusammenspiel von Gesundheitsgesetzgebung und Gesundheitskampagnen) noch, dass aktuell lediglich Ansätze der Verhaltensprävention umgesetzt würden.

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  8. Gleichsam als Effekt der Zäsur in der deutschsprachigen sozialhygienischen Forschung nach 1945 wurde diese Entwicklung mit dem Neubeginn der Gesundheitswissenschaften seit den 1960er Jahren wie im Zeitraffer nachgeholt.

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  9. Das gilt vor allem für den angloamerikanischen Sprachraum: zum „Health-Belief-Model“ vgl. Rosenstock 1966; Becker 1974; Becker et al. 1974; zu gesundheitlichen Kontrollüberzeugungen (.,Health Locus of Control”) vgl. Wallston/Wallston/Vellis 1987; im Rahmen der Gesundheitsförderung vgl. vor allem das salutogenetische Modell nach Antonovsky (1997 [1987]). Antonovsky betont die Bedeutung eines individuellen Kohärenzsinns („sense of coherence“), der als eine Art „catch-all-term” für die Zusammenfassung vielgestaltiger gesundheitlicher und allgemeiner Lebenskompetenzen angesehen werden kann (vgl. Bengel/Strittmatter/Willmann 1998; Schäfer 2002; Schüffel et al. 1998).

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  10. Hierzu erläuternd (Silbereisen 1999: 71): „Entwicklung ist kein Widerfahrnis ohne unser Zutun. Im Gegenteil, die aktive Rolle der Person bei ihrer Entwicklung zu beachten, gehört mittlerweile zum Standard. Gerade bei jugendlichem Risikoverhalten muß man davon ausgehen, daß es in die entscheidenden Veränderungen dieses Lebensabschnitts eingebunden ist, nämlich das Bemühen um die Lösung einer Vielzahl von gesellschaftlich und kulturell beeinflussten Entwicklungsaufgaben.“

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  11. Ohne hier ausführlich zu erörtern, dass ein Ausweich-beziehungsweise Vermeidungshandeln Heranwachsender nicht nur als evasives, sondern auch als depressives oder aggressives Störungsbild auftreten kann (hierzu typologisch umfassender Petermann 2003).

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  12. Neben der Stärkung der Nicht-Konsumenten können als weitere Aufgaben in der Suchtprävention die allgemeine Verringerung des Substanzkonsums sowie die Bereitstellung von Flilfeangeboten (individuell/sozial) hei Konsumausstieg genannt werden (Hurrelmann 2002a ). Diese Maßnahmen überschreiten jedoch den lediglich primärpräventiven Anwendungsbereich, der hier wie im Folgenden im Mittelpunkt steht (hierzu der aktuellste Überblick in Franzkowiak/Schlömer 2003).

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  13. Wobei der Elementar-und Primarstufenbereich ebenso wie die Sekundarstufe II selbstverständlich nicht gänzlich ausgeschlossen bleiben (Glöckner 1997, 1999; Priebe et al. 1993; Rutishauser 1997; Sczepannek 2001). Der Einsatz suchtpräventiver Programme wird hier jedoch in einem nur geringerem Umfang realisiert (Petermann et al. 1997). Dabei bleibt festzuhalten, dass dieser verspätete Einsatz der schulischen Suchtprävention kontrafaktisch, das heißt, der wissenschaftlichen Beurteilung entgegengesetzt erfolgt. Befunde zum sinkenden Einstiegsalter beim Konsum-einstieg (30% der I leranwachsenden machen erste Raucherfahrungen in der Primarstufe) sowie im Besonderen das Wissen darüber, dass sich der Kompetenzautbau im Sekundarstufenbereich bereits dem irreversiblen Bereich nähert, müssten ein früheres Einsetzen der schulischen Suchtprävention eigentlich erzwingen (siehe auch unten 5. 2 ).

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  14. Eine separate Programmdarstellung soll hier nicht erfolgen. Zum einen aus Platzgründen, zum anderen, weil auf entsprechende Überblicksdarstellungen bereits in ausreichendem Umfang zurückgegriffen werden kann (Die Drogenbeauttragte der Bundesregierung 2003a,b; Hanewinkel/Wiborg 2003). Für den Bezugsrahmen schulischer Suchtprävention sei hier nur noch beispielhaft verwiesen auf Bäuerle 1996; Bäuerle/lsrael/Rasel 2001; Bloom 1996; Blum 2002; Bühringer 2001; Fischer 2000, 2001, 2002; Franz 2000; Franzkowiak/Schlömer 2003; Freitag 1999; Hollederer/Böleski 2002; Hüllinghorst 2000; Hurrelmann/Leppin/Petermann 2000; Jerusalem 1997; Kähnert/Freitag/Hurelmann 1998; Kammerer/Rummrich 2001; Kolip 1999a; Kröger/Reese 2000; Künzel-Böhmer/Bühringer/Janik-Konecny 1993; Leppin/Kolip/Hurrelmann 1996; Müller/Schmidt/ReilJig/Petermann 2001; Niebaum 2001; Petermann 1999. 2002; Petermann/Reißig 1998; Petermann/Roth 2002; Reschke/Peterrnann/Weyandt 1998; Schmidt/Hurrelmann 2000; Walden et al. 1998; WHO 1997.

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  15. Gegenüber der weiterverbreiteten Auffassung aber, dass Prävention durch Furchtappelle vollständig wirkungslos sei, vertreten Barth/Bengel (1998) eine wichtige gegenteilige Position. Eine strikt personbezogene Methode der Abschreckung, die Furchtinduktionen in eine umfassende Erörterung jugendlicher Vorbeugestrategien einbettet, kann danach gerade in der Primärprävention deutliche suchtprotektive Effekte auf das Risikoverhalten erzeugen (hierzu auch die Ergebnisse der Metanalysen zur schulischen Suchtprävention in Hanewinkel/Wiborg 2003 ).

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  16. Vgl. Aßhauer/Hanewinkel 2000; Barkholz/Homfeld 1994; Jehle 2001; Jerusalem 1997; Kröger 1999; Kröger/Reese 2000; Leppin/Kolip/Hurrelmann 1996; Schwarzer/Buchwald 2002. Als die drei im deutschen Sprachraum verbreitetesten skill-beziehungsweise kompetenzbasierten Konzeptionen können das sogenannte „Soester Programm zur Suchtprävention“ (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung NRW 1991), ALF („Allgemeine Lebenskompetenzen und Fertigkeiten”, vgl. Walden et al. 1998) sowie die von der deutschen Lions-Quest Organisation angebotenen Unterrichtsmaterialen „Erwachsen werden” genannt werden (Wilms/Wilms 2000, siehe auch unten Kapitel 4 die ausführlichere Explikation von „Erwachsen werden“).

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  17. Dabei muss angemerkt werden, dass die von Hanewinkel/Wiborg so bezeichneten außercurricularen, peer-und elternbezogenen Komponenten der Definition nach zwar Tiber den Personenbereich hinausgehen können (mesostrukturelle Komponenten im Sinne settingbezogener Strategien). Die Einbeziehung strukturbezogener Ansätze mit Eltern-, Gemeinde-oder Medienkomponente stellt jedoch nur eine häufig wiederholte Forderung dar. Sie findet in der Realität allenfalls in Modellprojekten Entsprechung, bildet aber nur den Normalfall und nicht die Regel innerhalb der schulischen Suchtprävention ab.

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Bauer, U. (2005). Das Paradigma kompetenzbasierter Primärprävention. In: Das Präventionsdilemma. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-93541-0_2

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-93541-0_2

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

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