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Erschienen in: Heilberufe 2/2022

01.02.2022 | Nebenwirkungsmanagement | Pflege Kolleg Zur Zeit gratis

Übelkeit und Erbrechen müssen nicht sein

verfasst von: Matthias Naegele

Erschienen in: Heilberufe | Ausgabe 2/2022

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Zusatzmaterial online: Zu diesem Beitrag sind unter https://​doi.​org/​10.​1007/​s00058-022-2209-2 für autorisierte Leser zusätzliche Dateien abrufbar.
Update antiemetische Therapie Wenn es durch eine Krebstherapie zu Übelkeit und Erbrechen kommt, kann das sehr belastend sein. Dabei können 70-80% des Erbrechens mit moderner Prophylaxe verhindert werden. Bei Übelkeit liegt der Erfolg zwar niedriger, trotzdem stellt sich die Frage, ob unter leitliniengerechter Prophylaxe die Furcht davor überhaupt noch gerechtfertigt ist? Lesen Sie, wie Vorbeugung funktionieren kann.
Übelkeit und Erbrechen können einen deutlichen Einfluss auf die Lebensqualität und den Ernährungsstatus der Patient*innen haben. Im schlimmsten Fall führen diese zu Therapieverzögerungen oder -abbrüchen und haben so eine Auswirkung auf das Outcome.
Übelkeit und Erbrechen sind zwei unterschiedliche Symptome, die als Folge einer medikamentösen Krebsbehandlung einzeln oder gemeinsam auftreten können. Man spricht hier auch von Chemotherapie induzierter Übelkeit (Nausea) und Erbrechen (Emesis oder Vomitus), kurz CINE oder CINV genannt. Nausea ist dabei definiert als eine Störung, die durch ein mulmiges Gefühl und/oder den Drang zum Erbrechen gekennzeichnet ist, während Emesis den reflexartigen Vorgang des Ausstoßens des Mageninhalts durch den Mund kennzeichnet. Während der Schweregrad der Emesis an der Häufigkeit der Episoden pro Tag bestimmt werden kann, ist Nausea wesentlich subjektiver und vermutlich kein einzelnes Symptom, sondern eine Sammlung aus einer ganzen Reihe von Symptomen wie Würgen, Appetitlosigkeit, Verdauungsstörungen, Geschmacksveränderungen, Schwindel, Blähungen, Reflux, Konzentrationsstörungen, Fatigue oder Ruhelosigkeit. Nausea kann dabei im Kopf-Hals-Bereich, Sternum, mittleren, unteren Abdomen oder am ganzen Körper empfunden werden. Diese Unterschiede in der Empfindung von Nausea sind vermutlich der Grund, weshalb Nausea oft schwieriger behandelbar ist als Emesis (Tab. 1).
Tab. 1
: Verschiedene Schweregrade von Nausea und Emesis
 
Grad 1
Grad 2
Grad 3
Grad 4
Grad 5
Nausea
Appetitlosigkeit ohne Änderung der Essgewohnheiten
Orale Aufnahme verringert ohne erheblichen Gewichtsverlust, Dehydration oder Unterernährung
Unzureichende orale Kalorien oder Flüssigkeitsaufnahme; Sonden-, parenterale Ernährung oder Krankenhausaufenthalt indiziert
  
Emesis
Keine Intervention notwendig
Ambulante IV-Hydratation; medizinische Intervention angezeigt
Sonden-, parenterale Ernährung oder Krankenhausaufenthalt indiziert
Lebensbedrohliche Konsequenzen
Tod
Quelle: CTCAE-Kriterien 5.0

CINE verstehen

CINE kann im Wesentlichen in drei verschiedene Erscheinungsformen unterteilt werden: die akute, die verzögerte und die antizipatorische CINE.
Akute CINE: Sie tritt innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Applikation der medikamentösen Krebstherapie auf. Pathophysiologisch wird die Entstehung der akuten CINE über den peripheren Entstehungsweg erklärt. Durch die medikamentöse Krebstherapie kommt es zur Zerstörung enterochromaffiner Zellen im Gastrointestinal-Trakt und dadurch zur Freisetzung des Botenstoffes Serotonin (5-HT3). Durch die Bindung von Serotonin an den 5HT3-Rezeptoren eines Ausläufers des Vagus-Nervs entsteht CINE.
Verzögerte CINE: Diese Form tritt zwischen zwei und fünf Tagen nach der Chemotherapie auf. Sie entsteht über den zentralen Weg durch eine Reizung des Brechzentrums in der Area Postrema des Gehirns. Dieser Bereich hat die Aufgabe, auf toxische Stoffe im Blut möglichst schnell zu reagieren. Dies führt zur Ausschüttung des Botenstoffes Substanz P, welcher durch Bindung an den Neurokinin (NK1)-Rezeptoren ebenfalls CINE auslösen kann.
Antizipatorische CINE: Diese dritte Form kann zeitlich unabhängig von der Chemotherapie-Applikation auftreten und basiert auf einem Lerneffekt aus vorherigen schlechten Erfahrungen. Pa-tient*innen mit antizipatorischer CINE können auch schon beim Betreten der Station Übelkeit verspüren oder Erbrechen aufgrund der Erinnerung an die schlechten Erfahrungen der letzten Therapie.
Für die Entstehung von CINE gibt es eine Reihe von individuellen Risikofaktoren (z.B. weibliches Geschlecht, jüngeres Alter, bereits bekannte Reisekrankheit, Schwangerschaftserbrechen, bereits durchgemachte CINE, Ängstlichkeit). Chronischer Alkoholkonsum dagegen reduziert das Risiko für CINE.
Der Risikofaktor, der die medikamentöse antiemetische Prophylaxe leitet, ist das sogenannte emetogene Potential der medikamentösen Krebstherapie. Dieses beschreibt dessen Fähigkeit, ohne antiemetische Prophylaxe CINE auszulösen. Unterschieden werden hier
  • die hoch emetogene Krebstherapie, die ohne Antiemese in über 90% der Fälle CINE auslösen würde,
  • die moderat emetogene Krebstherapie (30-90%),
  • die gering emetogene Krebstherapie (10-30%) und
  • die minimal emetogene Krebstherapie (unter 10%).
In der Guideline der Multinational Association for Supportive Care in Cancer (MASCC) werden die verschiedenen medikamentösen Krebstherapien diesen Risikogruppen zugeteilt. Die am häufigsten angewandten hoch emetogenen Therapien sind Cisplatin und Kombinationen aus Anthrazyklinen und Cyclophosphamid. Zu den moderat emetogenen zählen u.a. die restlichen Platin-Derivate und die Anthrazykline allein. Die Gruppe der gering emetogenen ist am größten und umfasst u.a. die Taxane oder 5-FU. Minimal emetogen sind beispielsweise die Vincaalcaloide oder die Immuntherapien Nivolumab und Pembrolizumab.
Tab. 2
: Vereinfachte Darstellung der medikamentösen Antiemese bei akuter CINE
Hoch emetogen
5HT3-RA
und
Dexamethason
und
NK1-RA
Moderat emetogen
5HT3-RA
und
Dexamethason
  
Gering emetogen
5HT3-RA
oder
Dexamethason
oder
Dopamin-RA
Minimal emetogen
Keine Prophylaxe empfohlen

So wirken antiemetische Medikamente

Im Wesentlichen werden diese unterschiedlichen Wirkstoffgruppen zur Antiemese eingesetzt:
  • Die 5HT3-Rezeptor-Antagonisten, zu erkennen an der Endung "*setron" (z.B. Ondansetron = Zofran®). Sie blockieren die 5-HT3-Rezeptoren am vagalen Afferent, so dass Serotonin hier nicht mehr binden und keine CINE auslösen kann. Um dies wirkungsvoll tun zu können, werden Serotonin-Antagonisten vor der medikamentösen Krebstherapie gegeben. Mit den 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten wird hauptsächlich die akute CINE verhindert. Der neuste Wirkstoff aus dieser Wirkstoff-Gruppe, Palonosetron, wirkt deutlich stärker und länger. Hier genügt die einmalige Gabe als i.v.-Bolus für vier bis fünf Tage.
  • Die NK1-Rezeptor-Antagonisten, zu erkennen an der Endung "*pitant" (z.B. Aprepitant = Emend®) blockieren die NK1-Rezeptoren und verhindern hauptsächlich die verzögerte CINE. Damit dies gelingt, wird zum Beispiel Aprepitant ebenfalls vor der medikamentösen Krebstherapie und an den zwei darauffolgenden Tagen gegeben. Der neuste NK1-Rezeptor-Antagonist Netupitant wirkt deutlich stärker und länger. Hier genügt die einmalige Gabe ebenfalls für vier bis fünf Tage.
  • Die Kombination aus Netupitant und Palonosetron (Akynzeo®) ist mit einer einmalig eingenommenen Kapsel die aktuell stärkste Antiemese, die bei hoch emetogener medikamentöser Krebstherapie eingenommen werden kann. In Kombination mit 5-HT3- und NK1-Rezeptor-Antagonisten werden Kortisonpräparate - meist Dexamethason - gegeben. Dieses hat ebenfalls eine antiemetische Wirkung und verstärkt zudem die antiemetische Wirkung der anderen Medikamente.
  • Dopamin-Antagonisten wie Metoclopramid (z.B. Paspertin®) werden bei leicht emetogenen Therapien oder Olanzapin (Zyprexa®) bei bestehender CINE trotz optimaler Prophylaxe eingesetzt.
Die Kombination dieser antiemetisch wirksamen Präparate sollte nach den Vorgaben von Leitlinien erfolgen. Zu empfehlen sind hier die MASCC-Guideline, die S3-Leitlinie "Supportive Therapie in der Onkologie" oder die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie. Bei hoch emetogener medikamentöser Krebstherapie wird die Kombination aus 5-HT3- und NK1-Rezeptor-Antagonisten zusammen mit Dexamethason empfohlen. Zum Schutz vor verzögerter Übelkeit wird an den Folgetagen zusätzlich ein NK1-Rezeptor-Antagonist und Dexamethason präferiert. Bei Medikamenten mit mittlerem emetogenen Potential (z.B. Doxorubicin, Oxaliplatin) ist vorbeugend eine Kombination von 5-HT3-Rezeptor-Antagonist und Dexamethason einzusetzen. Bei der Wahrscheinlichkeit einer verzögerten Übelkeit soll zusätzlich ein NK1-Rezeptor-Antagonist verabreicht werden. Bei Medikamenten mit geringem Risiko (z.B. Docetaxel, Paclitaxel) kann entweder Dexamethason, ein 5-HT3-Rezeptor-Antagonist oder Metoclopramid eingesetzt werden. Bei minimal emetogener medikamentöser Krebstherapie wird keine vorbeugende Antiemese empfohlen. Sollten diese Maßnahmen nicht zum gewünschten Erfolg führen, kann Olanzapin als Medikament der Wahl eingesetzt werden. Für den nächsten Therapie-Zyklus muss das Antiemese-Schema angepasst werden. Zudem ist zu überprüfen, ob die Übelkeit oder das Erbrechen möglicherweise andere Ursachen als die medikamentöse Krebstherapie haben könnte.

Nichtmedikamentöse Therapien als Ergänzung

Die antizipatorische CINE wird am besten durch eine leitliniengerechte Antiemese in den ersten Therapiezyklen vermieden. So kann kein "Lerneffekt" entstehen. Bei Auftreten empfehlen sich neben Benzodiazepinen vor allem nicht-medikamentöse Strategien, insbesondere Verhaltensbasierte Interventionen, aber auch Akupressur und Akupunktur. Vor allem Entspannungsübungen wie die progressive Muskelentspannung spielen hier eine wichtige Rolle. Ein breites Angebot bietet die Website des Instituts für komplementäre und integrative Medizin des Unispital Zürich (www.​mbm-usz.​ch/​krebs).
Kommt die Akupressur als nicht-medikamentöse Maßnahme zum Einsatz, liegt der relevante Druckpunkt P6 ca. drei Finger über der Falte zwischen Hand und Arm (Abb. 1). Alternativ kann zum Drücken des Akupressur-Punktes ein Sea-Band verwendet werden. Auch die Akupunktur - zum Beispiel am Ohr - kann eine nützliche Maßnahme sein. In klinischen Studien erwiesen ist die Wirksamkeit von Ingwer in jeder Form. Sie ist vergleichbar mit der Wirkung der Serotonin-Antagonisten.
Eine wichtige Strategie in der pflegerischen Beratung ist das Lenken der Erwartungen der Patient*innen in die "richtige" Richtung. Was man erwartet, wird mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auch passieren. Und wenn man an die Wirksamkeit einer Maßnahme glaubt, wird diese auch mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eintreten. Diesbezüglich sollte die Erwartungshaltung der Patient*innen bezüglich CINE und Wirksamkeit der Antiemese möglichst zu einer positiven gelenkt werden.
Eine Übersicht über die gebräuchlichsten Antiemetika und die Einnahmeschemata finden Sie über das HEILBERUFE eMag auf springerpflege.de
Die Literatur finden Sie über das HEILBERUFE eMag auf springerpflege.de.

Pflege einfach machen

Die leitliniengerechte Antiemese-Therapie von CINE ist die wichtigste und wirksamste Prophylaxe, um Übelkeit und Erbrechen zu verhindern oder zu lindern.
Die pflegerische Beratung kann und sollte die Erwartungshaltung der Patient*innen positiv beeinflussen.
Sollte CINE auftreten, sind neben der Anpassung der Antiemese die nicht-medikamentösen Maßnahmen vielversprechend.

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Metadaten
Titel
Übelkeit und Erbrechen müssen nicht sein
verfasst von
Matthias Naegele
Publikationsdatum
01.02.2022
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Heilberufe / Ausgabe 2/2022
Print ISSN: 0017-9604
Elektronische ISSN: 1867-1535
DOI
https://doi.org/10.1007/s00058-022-2209-2

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