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24.01.2018 | Politik | Nachrichten

Kranke Pflege? Ein Film mit Alexander Jorde

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Kurz vor der Bundestagswahl schlug Alexander Jorde in der ARD-Wahlarena Alarm. Der Pflege-Azubi kritisierte Kanzlerin Angela Merkel vor laufender Kamera. Jetzt hat er, gemeinsam mit der Autorin Nicole Rosenbach, einen Film gedreht. Die Doku ist heute Abend im WDR zu sehen. Wir haben vorab mit dem 21-Jährigen gesprochen: Ist seine Kritik noch aktuell, was hält er von den Sondierungsgesprächen – und hat sich Angela Merkel noch mal bei ihm gemeldet?

Alexander Jorde © WDR

Herr Jorde, Ihr Film, der heute ab 22:10 Uhr im WDR läuft, trägt den Titel: „Kranke Pflege – Alexander Jorde kämpft für einen Neustart“. Wie krank ist denn die Pflege?

Die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte werden immer schlechter. Das liegt vor allem am Personalmangel. Und natürlich hat der Personalmangel auch Folgen für Patienten. Je mehr Menschen ich als Pfleger betreue, umso weniger kann ich den Einzelnen versorgen.

Das größte Problem ist also der Personalmangel?

Ja, der Personalmangel ist die Hauptursache für viele andere Schwierigkeiten. Wenn es zu wenige Pflegekräfte gibt, fehlt denen, die da sind, die Zeit für ihre Patienten. Vielleicht wird die Körperpflege nicht richtig durchgeführt, vielleicht werden Medikamente zu spät verabreicht, vielleicht finden Prophylaxen nicht statt. Und ganz allgemein: Menschen machen unter Stress mehr Fehler.

Außerdem verstärkt sich das Problem selbst. Unter den aktuellen Bedingungen sind viele Pflegekräfte psychisch und physisch total überlastet. Ein Großteil schafft es nicht bis zur Rente. Die meisten verlassen doch nach nicht einmal zehn Jahren ihren Beruf wieder. Das zeigt, wie schlecht die Zustände sind.

Wie könnte ein Neustart für die Pflege aussehen?

Die Pflege ist ein Beruf, der besondere Anforderungen mit sich bringt. Der Job ist sowohl körperlich als auch geistig sehr, sehr belastend. Was könnte die Pflege attraktiver machen? Ein Vorschlag von mir wäre es, die Arbeitszeit zu reduzieren. In Norwegen sind 33,5 Stunden Standard für eine Vollzeitstelle.

Außerdem müsste man die Pflegekräfte besser bezahlen. Es ist doch paradox: Wir haben das Gesundheitswesen privatisiert, also nach marktwirtschaftlichen Prinzipien organisiert. Es besteht im Moment eine Riesennachfrage nach Krankenpflegepersonal, aber ein sehr geringes Angebot. Eigentlich müsste der Preis, also das Gehalt, doch enorm hoch sein. Aber das ist einfach nicht der Fall.

Und darüber hinaus?

Das Ansehen des Berufs in der Gesellschaft sollte sich verbessern. Ich glaube, viele Leute haben ein falsches Bild von der Pflege. Die denken, wir arbeiten den Ärzten zu und begleiten Menschen zur Toilette. Aber da steckt ja viel mehr hinter. Wenn man sich eine Intensivfachpflegekraft anschaut, dann sieht man, wie komplex dieser Beruf eigentlich ist. Man trägt eine äußerst hohe Verantwortung und muss dabei Veränderungen des Patienten schnell erkennen und entsprechend reagieren. Davon hängen Menschenleben ab. Für mich ist eine Pflegekraft genauso ein Facharbeiter wie der Facharbeiter bei VW – nur dass der Pfleger die Hälfte verdient, aber das Doppelte an Verantwortung trägt.

Herr Jorde, wir kennen Sie aus der ARD-Wahlarena. Da haben Sie Angela Merkel ganz schön in die Ecke gedrängt. Hat sich die Kanzlerin eigentlich noch einmal bei Ihnen gemeldet?

Nein, von Frau Merkel habe ich nichts mehr gehört. Auch sonst von niemandem aus der CDU.

Trotzdem ist das Schlagwort „Pflege“ im Wahlkampf und den Koalitionsverhandlungen präsent gewesen. Freut Sie das?

Ein bisschen. Aber die Freude hält sich in Grenzen. Denn das Thema hat immer noch nicht die Präsenz, die es eigentlich haben müsste. Pflege ist ja nicht irgendein Randthema. Das kann theoretisch jeden Menschen in Deutschland betreffen. Ich kann heute auf dem Weg zur Arbeit verunglücken und brauche dann den Rest meines Lebens Unterstützung. Ich glaube, das ist den meisten Menschen gar nicht klar.

Aber immerhin steht im Sondierungspapier etwas zu Personaluntergrenzen. Und, was für mich sehr wichtig ist: Das soll für alle bettenführenden Stationen gelten. Leider wird bei den Verhandlungen über die Untergrenzen aber wieder niemand am Tisch sitzen, der Ahnung von Pflege hat. Das machen Krankenkassen und Krankenhäuser unter sich aus. Und am Ende des Tages wollen beide Geld sparen. Ob der Pflegerat, der DBfK oder eine in zustande kommende Pflegekammer – irgendjemand aus der Pflege sollte da beteiligt sein.

Wie hat der Auftritt Ihr Leben verändert? Machen Sie Ihre Ausbildung weiter?

Ich bin immer noch ganz normaler Auszubildender im Krankenhaus, im zweiten Lehrjahr. Bei mir hat sich nicht viel verändert. Klar, es war schön, bei der Doku mitzumachen. Aber ich peile jetzt keine Medienkarriere an.

Warum sollen wir heute Abend Ihren Film einschalten?

Zum einen ist der Film spannend für alle, die nicht so viel mit Pflege zu tun haben. Und für Pflegekräfte ist es hoffentlich interessant, Alternativen zu sehen. Wir sind für die Doku nach Norwegen gereist und haben uns dort umgesehen. Es schmerzt wahrscheinlich jede Pflegekraft in Deutschland, zu sehen, wie schön und wie gut es da läuft. Wenn man in Oslo die Uniklinik betritt, eine der größten Kliniken Europas, bemerkt man gleich die schöne, sehr fröhliche Atmosphäre dort. Man sieht, dass die Pflegekräfte richtig Spaß an ihrem Beruf haben. Die kommen wirklich gerne zur Arbeit. Und die Gründe dafür kann ich gut nachvollziehen. Dort müssen die Mitarbeiter nur fünf Patienten betreuen. Die kennen jeden Patienten sehr gut und gehen individuell auf jeden ein. In Deutschland dagegen ist eine Pflegekraft im Schnitt für 13 Patienten zuständig. Da sieht man kaum,  wie sich jemand entwickelt. Diesen Unterschied haben wir im Film herausgearbeitet. Das macht den Film, glaube ich, ansehenswert.

Mehr zum Film "Kranke Pflege - Alexander Jorde kämpft für einen Neustart" finden Sie auf der Website des WDR. Den ganzen Film können Sie in der WDR-Mediathek anschauen.

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