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Erschienen in: HeilberufeScience 3-4/2022

Open Access 17.08.2022

Selbstbestimmung und Gesundheitszustand – eine Pfadanalyse in der kardiologischen Rehabilitation

verfasst von: Valentina Mitgutsch, Harald Stummer

Erschienen in: HeilberufeScience | Ausgabe 3-4/2022

Zusammenfassung

Hintergrund

Selbstbestimmung ist zu einem essenziellen Bestandteil der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen geworden, insbesondere in der medizinischen Rehabilitation. Die Aktivierung von Patientinnen und Patienten gilt dabei als der zuverlässigste Indikator für die Fähigkeit der Personen, ihre Gesundheit selbstständig zu managen. Nur wenige Studien haben versucht, die Rolle psychosozialer Faktoren bei der Förderung der Aktivierung von Patientinnen und Patienten zu bewerten, keine von ihnen im Rahmen der medizinischen Rehabilitation.

Zielsetzung

Ziel dieser Querschnittstudie ist es, die Auswirkungen der Aktivierung von Patientinnen und Patienten auf den wahrgenommenen Gesundheitszustand sowie die Auswirkungen von Motivation und Qualität der Beziehung zwischen Behandelnden und Rehabilitationsteilnehmenden auf die Aktivierung von Patientinnen und Patienten in der kardialen Rehabilitation zu testen.

Methode

Mittels Fragebogen werden 128 Patientinnen und Patienten in der kardiologischen Rehabilitation zur Aktivierung, zum Gesundheitszustand, zu ihrer Motivation und zur Qualität der Rehabilitationsteilnehmende-Behandelnde-Beziehung befragt. Zur Überprüfung der vorgeschlagenen Hypothesen wird eine Pfadanalyse verwendet.

Ergebnisse

Bezugnehmend auf das operationalisierte Modell bestätigen die Ergebnisse, dass die Aktivierung der Patientinnen und Patienten einen signifikanten Einfluss auf ihren wahrgenommenen Gesundheitszustand hat. Darüber hinaus erweisen sich psychosoziale Aspekte wie die Bereitschaft zur Veränderung und die Qualität der Rehabilitationsteilnehmenden-Behandelnden-Beziehung als Faktoren, die den Grad der Aktivierung von Patientinnen und Patienten beeinflussen.

Schlussfolgerung

In Übereinstimmung mit früheren Untersuchungen zeigen die Ergebnisse dieser Studie, wie wichtig die Aktivierung von Patientinnen und Patienten für die Verbesserung der Versorgungsqualität ist. Die Ergebnisse liefern einen theoretischen Beitrag zu Teilen des Modells der Selbstbestimmung in der medizinischen Rehabilitation.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Abkürzungen
AB
Änderungsbereitschaft
EQ-5D
European Quality of Life 5 Dimensions
H
Hypothese
KHK
Koronare Herzkrankheit
PAM
Patient Activation Measurement
PAREMO
Fragebogen für Patientinnen und Patienten zur Erfassung der Reha-Motivation
PRA
Patient Reactions Assessment
SK
Skepsis
VAS
Visuelle Analogskala

Einleitung

Die Selbstbestimmung, auch Autonomie von Patientinnen und Patienten genannt, hat sich zu einem essenziellen Bestandteil der Gesundheitsversorgung und in weiterer Folge der medizinischen Rehabilitation entwickelt (Chan 2002; Welti 2008; Pohontsch et al. 2011; Gandjour 2014) und wird gleichsam durchaus kritisch diskutiert (Geisler 2004). Aufgrund der Auswirkungen der Rehabilitationsbehandlung auf den Lebensstil der behandelten Person (Cardol et al. 2002) lässt sich das Prinzip der Autonomie von Patientinnen und Patienten in der medizinischen Rehabilitation als das Treffen von eigenen Entscheidungen in Bezug auf die eigene Rehabilitationsbehandlung beschreiben. Dabei gilt es, Einflussfaktoren wie gesellschaftlich-rechtliche und strukturelle Rahmenbedingungen oder den individuellen Hintergrund (z. B. soziales Umfeld, Ressourcen) zu berücksichtigen. Diese Einflüsse wurden in einem Modell zur Selbstbestimmung in der medizinischen Rehabilitation zusammengefasst (Senin und Meyer 2019). Selbstbestimmung kann dabei situationsbezogen unterschiedliche Ausprägungen (fehlend bis weitgehend) annehmen und hängt von einem Wechselspiel zwischen Rehabilitationsteilnehmenden und Behandelnden ab, welches wiederum durch unterschiedliche interne (z. B. Motivation des Rehabilitationsteilnehmenden) und externe Faktoren (z. B. Verhalten und Einstellungen von Behandelnden) beeinflusst wird, die sich wiederum wechselseitig beeinflussen und zur Aktivierung von Rehabilitationsteilnehmenden genutzt werden können (Senin und Meyer 2019).
Insbesondere dem Beteiligungs- und Kommunikationsverhalten wird in der Rehabilitation zunehmend mehr Bedeutung beigemessen (Cardol et al. 2002), damit Rehabilitationsteilnehmenden den Behandelnden Informationen, die für ihre individuelle Behandlung benötigt werden, mitteilen (Löfman et al. 2008). Die aktive Beteiligung von Patientinnen und Patienten in der Gesundheitsversorgung gilt mittlerweile als verlässlicher Prädiktor für die Bereitschaft und Fähigkeit, die eigene Gesundheit autonom zu managen (Greene et al. 2015). Vielversprechend sind auch die Ergebnisse aus dem niedergelassenen Bereich, die Auswirkungen durch die aktive Beteiligung von Patientinnen und Patienten auf Outcome-Parameter zeigen (Hibbard et al. 2015).
Bisherige Studien betrachteten für die Messung der Wirksamkeit beteiligender Maßnahmen Outcome-Parameter (z. B. Blutdruckwerte) oder auch Zufriedenheitswerte (z. B. mit dem Rehabilitationsaufenthalt) gegen Ende der Rehabilitation (Glattacker et al. 2013; Stamm-Balderjahn et al. 2016). Bei Rehabilitationsteilnehmenden mit chronischen Rückenschmerzen konnten zwar verbesserte Zufriedenheitswerte gegen Ende der Rehabilitation erzielt werden, die objektiven Ergebnisparameter veränderten sich jedoch nicht (Glattacker et al. 2013). Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine randomisierte kontrollierte Studie mit kardiovaskulären Patientinnen und Patienten im ambulanten Bereich, die keine wesentlichen Effekte durch die Beteiligung fördernder Maßnahmen auf das Outcome der Rehabilitation feststellen konnte (Stamm-Balderjahn et al. 2016). Das theoretische Modell zur Selbstbestimmung in der medizinischen Rehabilitation legt jedoch nahe, die Betrachtung auf psychometrische Variablen zu erweitern (Senin und Meyer 2019). Für die auf eine nachhaltige Lebensstilmodifikation abzielende stationäre kardiologische Rehabilitation (Bjarnason-Wehrens et al. 2007) liegen qualitative Ergebnisse vor (Mitgutsch und Stummer 2020), die den Einfluss von der Motivation des Rehabilitationsteilnehmenden und der empfundenen Beziehungsqualität mit Behandelnden auf das Beteiligungsverhalten des Rehabilitationsteilnehmenden nahelegen. Letzterer kommt im Modell eine besondere Bedeutung für die Selbstbestimmung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation zu (Senin und Meyer 2019). Bezüglich der Motivation haben Ergebnisse bestätigt, dass die individuelle Zusammensetzung von Einstellungen und Antriebsfaktoren zur Selbstdeterminierung der eigenen Gesundheit mit dem Beteiligungsniveau der Patientinnen und Patienten assoziiert sind (Smith et al. 1995). Des Weiteren ermittelten mehrere Studien, dass Behandelnden, die als gesprächsoffen, emotional unterstützend und leicht zugänglich wahrgenommen werden, das Beteiligungsverhalten der Patientinnen und Patienten positiv beeinflussen (Barello et al. 2015; Graffigna et al. 2016; Brenk-Franz et al. 2017). Die beschriebenen kausalen Beziehungen wurden jedoch bislang noch nicht für den Rehabilitationsbereich untersucht.
Bestehende Literatur wurde in Form einer strukturierten Recherche in den Online-Datenbanken MEDLINE, CINAHL, Academic Search Elite und PsycInfo identifiziert sowie themenspezifisch in der Verlagsdatenbank von Thieme zu Die Rehabilitation ergänzt. Aufgrund der Ergebnisse aus der vorliegenden Literatur kann ein Gesamtmodell operationalisiert werden, das Teile des Modells zur Selbstbestimmung in der medizinischen Rehabilitation (Senin und Meyer 2019) abbilden soll. Es wird vermutet, dass sich die Motivation der Rehabilitationsteilnehmenden darauf auswirkt, wie aktiv sie sich in die Rehabilitationsbehandlung einbringen. Ausschlaggebend dafür könnten einerseits die Bereitschaft, den eigenen Lebensstil nachhaltig zu verändern, und andererseits die Einstellung gegenüber der Rehabilitationsleistung sein. Letztere könnte auch Auswirkungen auf den subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand haben. Eine weitere zugrunde liegende Annahme ist, dass die Fähigkeit der Behandelnden, die proaktive Rolle des Rehabilitationsteilnehmenden im Behandlungsprozess zu legitimieren, ebenso Auswirkungen auf deren tatsächliche Beteiligung haben könnte. In Abb. 1 sind die zugrunde liegenden Annahmen als operationalisiertes Modell der Selbstbestimmung dargestellt.
Zusammenfassend werden folgende Hypothesen überprüft:
H1
Der Grad der aktiven Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden wirkt sich auf den subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand aus.
H2
Die Skepsis1 gegenüber der Rehabilitationsbehandlung beeinflusst die aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden.
H3
Die Skepsis gegenüber der Rehabilitationsbehandlung wirkt sich auf den subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand aus.
H4
Die Bereitschaft zur Veränderung beeinflusst die aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden.
H5
Der Grad der wahrgenommenen Beziehungsqualität zwischen Behandelnden und Rehabilitationsteilnehmenden wirkt sich auf die aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden aus.

Methoden

Studiendesign und Datenerhebung

Zielpopulation dieser monozentrischen Querschnittstudie waren stationäre kardiologische Rehabilitationsteilnehmende. Die Rehabilitationsteilnehmenden wurden zu Beginn ihres Rehabilitationsaufenthaltes mündlich informiert und gebeten, an der vollstrukturierten schriftlichen Fragebogenerhebung teilzunehmen. Vor der Studienteilnahme erhielten sie eine mündliche und schriftliche Information zur Studie. In die Datenerhebung bei Rehabilitationsende wurden in einem 4‑monatigen Erhebungszeitraum konsekutiv alle Rehabilitationsteilnehmenden bis zur Erreichung der angestrebten Stichprobengröße von 120 Teilnehmenden (ermittelt mittels G*Power für Regressionsanalysen mit d = 0,8) einbezogen. Einschlusskriterien waren die Volljährigkeit der Person sowie ausreichende Deutschkenntnisse und kognitive Fähigkeiten. Die Stichprobe beinhaltete n = 128 stationäre kardiologische Rehabilitationsteilnehmende.

Befragungsinhalte und Messinstrumente

Im Rahmen der vollstrukturierten schriftlichen Befragung wurden als Zielparameter die Einstellung zur Rehabilitation der Rehabilitationsteilnehmenden und die Qualität der Beziehung zwischen Behandelnden und Rehabilitationsteilnehmenden definiert. In weiterer Folge wurden deren Auswirkungen auf die aktive Beteiligung der Rehabilitationsteilnehmenden und deren Einschätzung ihres Gesundheitszustandes ermittelt. Dafür wurden folgende standardisierte Erhebungsinstrumente eingesetzt:
Fragebogen für Patientinnen und Patienten zur Erfassung der Reha-Motivation (PAREMO) (Nübling et al. 2005) – Als wesentliche Einflussvariablen wurden die Bereitschaft der Rehabilitationsteilnehmenden, das gesundheitsbezogene Verhalten zu ändern, sowie die Einstellung der Rehabilitationsteilnehmenden hinsichtlich des Rehabilitationserfolgs betrachtet. Hierfür wurden 2 Dimensionen des PAREMO (Skepsis – PAREMO-SK und Änderungsbereitschaft – PAREMO-AB) mit jeweils 3 Items herangezogen (Nübling et al. 2005). Die weiteren 4 Dimensionen flossen aufgrund von Redundanzen mit anderen Fragebogenitems (z. B. körperbedingte Einschränkungen oder Informationsstand bezüglich Rehamaßnahme) und aufgrund theoretischer Überlegungen anhand der Ergebnisse einer vorangegangenen Interviewbefragung (Mitgutsch und Stummer 2020) nicht in die Erhebung ein. Ein weiterer relevanter Aspekt für diese Entscheidung war, die Länge des ohnehin umfangreichen Fragebogens nicht noch weiter auszudehnen.
Patient Reactions Assessment (PRA) (Brenk-Franz et al. 2016) – Als weiterer Prädiktor wurde die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Erwartungen im Sinne der Orientierung an Rehabilitationsteilnehmenden angenommen. Voraussetzung dafür ist, dass die Behandelnden diese fortlaufend ermitteln, Veränderungen erkennen und entsprechend reagieren. Um die Beziehungsqualität hinsichtlich der einzelnen Teilaspekte Information (PRA 01, 05, 10, 11, 14), Affektivität (PRA 02, 04, 07, 08, 13) und Kommunikation (PRA 03, 06, 09, 12, 15) aus Sicht der Rehabilitationsteilnehmenden zu beurteilen, wurde mit der deutschen Version des Patient Reactions Assessments (PRA) ein etabliertes Instrument mit 15 Fragen genutzt (Brenk-Franz et al. 2016).
Patient Activation Measurement (PAM) (Djalali und Steurer-Stey 2014) – Als primäre Zielgröße wird die aktive Beteiligung der Rehabilitationsteilnehmenden herangezogen. Das Beteiligungsverhalten kann mit dem von Hibbard und Mahoney für Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen entwickelten PAM in 4 unterschiedlichen Graden des Empowerment und Selbstmanagements gemessen werden (Hibbard and Mahoney 2010). Betrachtet werden dabei die aktive Auseinandersetzung mit der Erkrankung sowie das Einnehmen einer aktiven Rolle im Rahmen der Behandlung. Glauben an die Bedeutung einer aktiven Rolle (PAM 01-03), Zuversicht und Wissen für aktive Handlungen (PAM 04-08), aktives Handeln (PAM 09-11) und gesundheitsrelevantes Verhalten (PAM 12-13) in kritischen Situationen als Ausdruck der Selbstbestimmung im Rahmen der medizinischen Rehabilitation werden mit der deutschen Version des Patient Activation Measurement (PAM) mit 13 Fragen gemessen (Hibbard et al. 2005; Brenk-Franz et al. 2013).
European Quality of Life 5 Dimensions visuelle Analogskala (EQ-5D VAS) (Herdman et al. 2011) – Die Bewertung der Lebensqualität wird als Sekundärgröße herangezogen, um den subjektiven Behandlungserfolg zu ermitteln. Hierfür wird die visuelle Analogskala des EQ-5D (EQ-5D VAS) als etabliertes Instrument im deutschsprachigen Raum verwendet (Schöffski und von der Schulenburg 2011).
Als mögliche Störgrößen wurden die soziodemografischen Variablen Alter und Geschlecht, ein Wechsel der hauptbehandelnden Person während der Rehabilitation sowie der Wunsch zur Beteiligung des Rehabilitationsteilnehmenden, welcher mithilfe der Degner-Skala zur Erfassung des individuell gewünschten Grades der Partizipation (Degner et al. 1997) abgebildet wurde, ermittelt.

Statistische Verfahren

Die Datenanalyse wurde in 5 Schritten mit SPSS V26 und AMOS V26 durchgeführt. Zunächst wurden die soziodemografischen Charakteristika der Studienteilnehmenden deskriptiv analysiert. Als zweiter Schritt der Analyse wurden die psychometrischen Eigenschaften der Instrumente im Hinblick auf ihre Reliabilität mittels Cronbachs α geprüft. Ein Wert über 0,6 wurde als akzeptabel eingestuft. Zusätzlich wurden die Gesamtergebnisse der einzelnen Skalen hinsichtlich Schiefe und Kurtosis bewertet, um die Annahmen der nachfolgenden Analysen zu prüfen. In einem weiteren Schritt wurden die Ergebnisvariablen (Skalenwerte des PAM und EQ-5D VAS) auf geschlechter- und altersspezifische sowie behandlungsrelevante Unterschiede hin mittels t-Test geprüft. Für die erlebte Einschränkung durch die Erkrankung wurde die univariate ANOVA eingesetzt. Im vierten Schritt wurden die Korrelationen zwischen den berücksichtigten Variablen ermittelt. Nachdem jedes Instrument einen metrischen Ergebniswert hervorbringt, wurde der lineare Korrelationskoeffizient r berechnet und mittels Signifikanztest geprüft. Im letzten Schritt wurde eine Pfadanalyse anhand eines Strukturgleichungsmodells mit den beobachteten Variablen mittels Maximum-Likelihood-Schätzverfahren implementiert, um die Beziehungen zwischen den berücksichtigten Variablen zu prüfen und das hypothetisierte Modell zu evaluieren. Im Modell wurden die Variable Skepsis (PAREMO20-SK) als exogen, die Variablen Änderungsbereitschaft (PAREMO20-AB) und Behandelnde-Rehabilitationsteilnehmende-Beziehung (PRA-D) als Mediatoren und die Variablen aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden (PAM) und Gesundheitszustand (EQ-5D VAS) als endogen definiert. Messfehler wurden mittels separater Faktoren zur expliziten Modellierung invalider Komponenten spezifiziert. Die Modellgüte wurde mittels Chi-Quadrat-Test und RMSEA ermittelt, wobei ein nichtsignifikanter Chi-Quadrat-Wert sowie ein RMSEA < 0,05 als akzeptabel eingeschätzt wurden. Als inkrementelle Messgrößen wurden der CFI und NFI mit einem Wert > 0,9 herangezogen. Berücksichtigt wurden PNFI und PCFI mit einem Wert > 0,05 für ein akzeptables Modell.

Ergebnisse

Studienstichprobe

In die Analyse gingen Daten von n = 128 Rehabilitationsteilnehmenden mit einem Altersdurchschnitt von 61 Jahren (±11,2) ein. Insgesamt waren 95 Männer (74,2 %) und 27 Frauen (21,1 %) Teil der Stichprobe (k. A.: n = 6; 4,7 %). Der Großteil der Rehabilitationsteilnehmenden war zum Zeitpunkt der Befragung bereits in Pension (n = 57; 44,5 %) und lebte in einer Partnerschaft (n = 98; 76,6 %). Bezüglich der Erfahrung mit Rehabilitationsmaßnahmen bestand Heterogenität in der Gruppe (einer bis 6 Aufenthalte). Die Hälfte (n = 64; 50,0 %) hatte bereits vor dem aktuellen Rehabilitationsaufenthalt an einer Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen. Über zwei Drittel der Erwerbstätigen gaben an, sofort nach Abschluss der Rehabilitation ins Erwerbsleben zurückkehren zu wollen. Die Einschränkungen aufgrund der Herz-Kreislauf-Erkrankung wurden von den Rehabilitationsteilnehmenden unterschiedlich wahrgenommen (sehr stark 4,7 %; stark 18,0 %; mittelmäßig 37,5 %; leicht 25,8 %; gar keine 9,4 %). Insgesamt litten 58 Personen (45,3 %) an einer Herzinsuffizienz. 45 Personen (35,2 %) gaben an, sich aufgrund einer anderen Erkrankung stärker eingeschränkt zu fühlen. 46 Rehabilitationsteilnehmende (35,9 %) hatten das Abschlussgespräch mit einer anderen Ärztin oder einem anderen Arzt als das Aufnahmegespräch. Ein Drittel (n = 43; 33,6 %) bevorzugte eine gemeinsame Entscheidungsfindung hinsichtlich der Behandlung (Ärztin bzw. Arzt und Patientin bzw. Patient entscheiden gemeinsam). In Tab. 1 sind die soziodemografischen und behandlungsrelevanten Daten gelistet.
Tab. 1
Zusammenfassung der Stichprobencharakteristika. (Eigene Darstellung)
Variablen
Werte
Fehlend
Alter (in Jahren)
M = 60,6; SD = ±11,2
6,3 %
Geschlecht
4,7 %
Männlich
74,2 %
Weiblich
21,1 %
Erwerbstätigkeit
3,9 %
Arbeitende
7,8 %
Angestellte
29,7 %
Selbstständige
1,6 %
Beamte
6,3 %
Arbeitslose
3,9 %
Pensionierte
44,5 %
Befristet Pensionierte
0,8 %
Sonstiges
1,6 %
Familienstand
4,7 %
Ledig
7,0 %
Verheiratet
70,3 %
Sonstige Partnerschaft
6,3 %
Geschieden/getrennt lebend
5,5 %
Verwitwet
6,3 %
Rehabilitationserfahrung
3,1 %
Ja
50,0 %
Nein
46,9 %
X. Rehabilitationsaufenthalt
0,8 %
1. Rehabilitationsaufenthalt
50,0 %
2. Rehabilitationsaufenthalt
33,6 %
3. Rehabilitationsaufenthalt
9,4 %
4. Rehabilitationsaufenthalt
2,3 %
5. Rehabilitationsaufenthalt
2,3 %
6. Rehabilitationsaufenthalt
1,6 %
Geplanter Return-to-Work
7,0 %
Sofort nach Reha
33,6 %
Innerhalb von einem Monat
10,2 %
Innerhalb von 3 Monaten
2,3 %
Innerhalb von 6 Monaten
0,8 %
Überhaupt nicht
3,9 %
Nicht anwendbar
42,2 %
Einschränkungen aufgrund der KHKa
4,7 %
Sehr stark
4,7 %
Stark
18,0 %
Mittelmäßig
37,5 %
Leicht
25,8 %
Gar keine
9,4 %
Herzinsuffizienz
6,3 %
Ja
45,3 %
Nein
48,4 %
Einschränkungen aufgrund einer anderen Erkrankung
4,7 %
Ja
35,2 %
Nein
60,2 %
Abschlussgespräch mit einem anderen Arzt
13,3 %
Ja
35,9 %
Nein
50,8 %
Bevorzugte Form der Behandlungsentscheidung
14,8 %
Selbst entscheiden u. B. der ärztlichen Meinung
17,2 %
Ärztin/Arzt entscheidet u. B. der Meinung von Patient/Patientin
28,1 %
Ärztin/Arzt und Patientin/Patient gemeinsam
33,6 %
Ärztin/Arzt soll entscheiden
3,1 %
Selbst entscheiden
3,1 %
aKHK koronare Herzkrankheit
Die psychometrischen Messgrößen (PAREMO-SK, PAREMO-AB, PRA, PAM, EQ-5D VAS) zeigten mit einem Cronbachs α in einer Bandbreite von 0,69 bis 0,85 eine akzeptable bis gute Reliabilität. Für weitere Analysen wurden die Werte zu Schiefe und Kurtosis von PRA und PAM außerhalb des definierten Grenzbereichs [−2; +2] berücksichtigt. Mittelwert, Standardabweichung und der Reliabilitätsindex der berücksichtigten psychometrischen Variablen können Tab. 2 entnommen werden.
Tab. 2
Zusammenfassung der psychometrischen Variablen. (Eigene Darstellung)
Psychometrische Variablen
M
SD
Cronbachs α
Schiefe
Kurtosis
PAREMO-SK
4,69
1,904
0,686
1,402
1,849
PAREMO-AB
9,3
1,833
0,725
−0,487
−0,324
PRA
63,72
9,894
0,718
0,563
3,280
PAM
43,83
5,486
0,852
−1,314
3,341
EQ-5D VAS
80,02
13,508
a
−1,023
1,351
aNur ein Fragebogenitem
PAREMO Fragebogen für Patientinnen und Patienten zur Erfassung der Reha-Motivation, SK Skepsis, AB Änderungsbereitschaft, PRA Patient Reactions Assessment, PAM Patient Activation Measurement, EQ-5D European Quality of Life 5 Dimensions, VAS visuelle Analogskala

Mittelwertsunterschiede soziodemografischer und behandlungsrelevanter Faktoren

Um zu ermitteln, ob sich in Bezug auf die Ergebnisvariablen PAM und EQ-5D VAS signifikante Unterschiede durch Geschlecht, Alter, einen Wechsel der hauptbehandelnden Person, eine vorliegende Herzschwäche oder die bevorzugte Form der Behandlungsentscheidung ergeben, wurde ein t-Test durchgeführt. Auswirkungen durch die erlebte Einschränkung durch die Herz-Kreislauf-Erkrankung wurden mittels einer univariaten ANOVA geprüft. Das Geschlecht und die bevorzugte Vorgehensweise bei Behandlungsentscheidungen zeigten Auswirkungen auf die PAM-Werte, während das Alter, eine vorliegende Herzschwäche und die erlebte Einschränkung einen signifikanten Effekt auf die Werte der visuellen Analogskala des EQ-5D aufwiesen. Die Auswirkungen eines Wechsels der hauptbehandelnden Person auf die EQ-5D-VAS-Werte sowie der Herzinsuffizienz auf die PAM-Werte lagen knapp über dem definierten Signifikanzniveau. Die Ergebnisse der Unterschiedsanalyse können Tab. 3 entnommen werden.
Tab. 3
PAM und EQ-5D-VAS-Werte für soziodemografische und behandlungsrelevante Faktoren. (Eigene Darstellung)
Variablen
M PAM
M EQ-5D VAS
p PAM
p EQ-5D VAS
Geschlecht
0,027
0,348
Männlich
43,09
79,54
Weiblich
45,85
82,42
Alter
0,597
0,037
< 65 Jahre
43,53
82,06
≥ 65 Jahre
44,15
76,25
Arztwechsel
0,762
0,066
Ja
43,89
78,09
Nein
44,21
82,94
Herzinsuffizienz
0,057
0,000
Ja
42,79
74,96
Nein
44,81
84,52
Bevorzugte Form der Behandlungsentscheidung
0,019
0,730
Partizipativ
44,25
80,86
Nicht partizipativ
39,29
79,14
Einschränkung durch KHKa
0,965
0,000
Stark
43,6
72,23
Mittel
43,8
78,78
Leicht
43,98
85,65
aKHK koronare Herzkrankheit
PAM Patient Activation Measurement, EQ-5D European Quality of Life 5 Dimensions visuelle Analogskala

Korrelationen der berücksichtigten Variablen

PAREMO-SK zeigte eine signifikante negative Korrelation mit dem EQ-5D VAS. PAREMO-AB und PRA wiesen eine signifikante positive Korrelation mit PAM auf. PAM zeigte zusätzlich eine positive Korrelation mit EQ-5D VAS. Tab. 4 berichtet die linearen einseitigen Korrelationskoeffizienten zwischen den psychometrischen Variablen.
Tab. 4
Lineare Korrelationskoeffizienten der psychometrischen Variablen. (Eigene Darstellung)
Psychometrische Variablen
PAREMO-SK
PAREMO-AB
PRA
PAM
EQ-5D VAS
PAREMO-SK
−0,001
0,113
−0,54
−0,215**
PAREMO-AB
−0,001
0,101
0,173*
−0,003
PRA
0,113
0,101
0,231**
0,058
PAM
−0,54
0,173*
0,231**
0,218*
EQ5D VAS
−0,215**
−0,003
0,058
0,218*
*Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 einseitig signifikant
**Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 einseitig signifikant
PAREMO Fragebogen für Patientinnen und Patienten zur Erfassung der Reha-Motivation, SK Skepsis, AB Änderungsbereitschaft, PRA Patient Reactions Assessment, PAM Patient Activation Measurement, EQ-5D European Quality of Life 5 Dimensions, VAS visuelle Analogskala
Aufgrund der im Rahmen dieser Untersuchung zu prüfenden Hypothesen und anhand der ermittelten Korrelationen zwischen den psychometrischen Variablen wurde ein Strukturgleichungsmodell aufgestellt, um die Verbindungen zwischen den Variablen zu prüfen.

Pfadanalyse

Die Beziehungen zwischen Skepsis (PAREMO-SK) und Änderungsbereitschaft (PAREMO-AB) der Rehabilitationsteilnehmenden, ihrer Wahrnehmung von der Fähigkeit der Behandelnden, auf ihre Bedürfnisse und Erwartungen einzugehen (PRA), ihre aktive Beteiligung im Rahmen der Behandlung (PAM) sowie ihre Einschätzung ihres Gesundheitszustandes (EQ-5D VAS) wurden mithilfe eines Strukturgleichungsmodells getestet. Abb. 2 zeigt das finale Modell mit den zugehörigen Pfadkoeffizienten.
Das Modell konnte mit einem Chi-Quadrat-Test von 0,24 (p = 0,62) als akzeptabel eingeschätzt werden. Alle Parameter zur Einschätzung der Modellgüte waren ebenso akzeptabel (RMSEA = 0,00 [LO90 = 0,00; HI90 = 0,19; PCLOSE = 0,676]; GFI = 0,99). Die angepasste Modellgüte lag über 0,90 (AGFI = 0,99). Die inkrementellen (NFI = 0,99; CFI = 1,00) und sparsamen Werte (PNFI = 0,10; PCFI = 0,10) bestätigten die Adäquatheit und Konsistenz des Modells. Die Hypothesen H1 und H3–H5 konnten verifiziert werden. Die Evaluation der Änderungsindizes ergab keine Änderungen an der Modellstruktur, jedoch waren einige Pfadkoeffizienten nicht signifikant. Aus diesem Grund wurde die Hypothese H2 verworfen. In Tab. 5 werden alle standardisierten Pfadkoeffizienten, Standardfehler, die Grenzwerte des Konfidenzintervalls (95 %) und zugehörige p-Werte berichtet.
Tab. 5
Standardisierte Pfadkoeffizienten, inkl. Standardfehlern, Grenz- und p-Werten. (Eigene Darstellung)
Variablen
Koeffizienten
Standardfehler
Untere Grenze
Obere Grenze
p-Wert
PAREMO-SK → PAR-AB
−0,006
0,088
−0,178
0,186
0,990
PAREMO-SK → PRA
0,112
0,155
−0,224
0,421
0,419
PAREMO-SK → PAM
−0,072
0,093
−0,237
0,144
0,580
PAREMO-SK → EQ5D
−0,194
0,099
−0,444
−0,026
0,026
PAREMO-AB → PRA
0,081
0,085
−0,1
0,241
0,410
PAREMO-AB → PAM
0,149
0,078
0,011
0,311
0,044
PAREMO-AB → EQ5D VAS
−0,035
0,088
−0,183
0,157
0,826
PRA → PAM
0,20
0,103
−0,007
0,385
0,054
PAM → EQ5D VAS
0,202
0,085
0,013
0,359
0,024
PAREMO Fragebogen für Patientinnen und Patienten zur Erfassung der Reha-Motivation, SK Skepsis, AB Änderungsbereitschaft, PRA Patient Reactions Assessment, PAM Patient Activation Measurement, EQ-5D European Quality of Life 5 Dimensions visuelle Analogskala
Die Richtung der Pfeile in Abb. 2 impliziert die Auswirkungen von einer Variablen auf eine andere. Die standardisierten Pfadkoeffizienten variierten zwischen −1 und +1. Die Variablen PAREMO-SK und PAREMO-AB wirken sich sowohl direkt als auch indirekt auf die Ergebnisvariable PAM aus; die Variable PRA weist nur direkte Effekte aus. Alle Variablen zeigen Effekte auf die Sekundärvariable EQ-5D VAS, PAREMO-SK und PAREMO-AB direkt und indirekt, PRA indirekt und PAM direkt. Die standardisierten direkten, indirekten und die sich daraus ergebenden Gesamteffekte auf die Variable PAM (s2 = 25,393; p < 0,05) und die Sekundärvariable EQ-5D VAS (s2 = 155,857; p < 0,05) werden in Tab. 6 gezeigt.
Tab. 6
Standardisierte Effekte auf die Ergebnisvariable PAM und die Sekundärvariable EQ-5D. (Eigene Darstellung)
 
Direkter Effekt
Indirekter Effekt
Gesamteffekt
PAM
PAREMO-SK
−0,072
0,021
−0,051
PAREMO-AB
0,149
0,016
0,165
PRA
0,2
0
0,2
EQ-5D VAS
PAREMO-SK
−0,194
−0,01
−0,204
PAREMO-AB
−0,035
0,033
−0,002
PRA
0
0,04
0,04
PAM
0,202
0
0,202
PAREMO Fragebogen für Patientinnen und Patienten zur Erfassung der Reha-Motivation, SK Skepsis, AB Änderungsbereitschaft, PRA Patient Reactions Assessment, PAM Patient Activation Measurement, EQ-5D European Quality of Life 5 Dimensions, VAS visuelle Analogskala

Diskussion

Der vorliegende Beitrag kann einen Beitrag zur Debatte zu Determinanten der aktiven Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden leisten. Primäres Ziel war, die Verbindung zwischen der aktiven Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden und dem Gesundheitszustand in der kardiologischen Rehabilitation zu überprüfen. Im Gegensatz zum niedergelassenen Bereich (Greene und Hibbard 2012; Hibbard et al. 2015) konnte diese Verbindung in der Rehabilitation bislang nicht verifiziert werden (Glattacker et al. 2013; Stamm-Balderjahn et al. 2016). Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass die aktive Beteiligung der Rehabilitationsteilnehmenden mit dem wahrgenommenen Gesundheitszustand in Verbindung steht. Frauen und Personen, die bevorzugt gemeinsam mit hauptbehandelnden Personen über ihre Rehabilitationsbehandlung entscheiden, beteiligen sich aktiver an ihrer Gesundheit. Ob Personen eine partizipative Entscheidungsfindung bevorzugen, wirkt sich laut den vorliegenden Ergebnissen jedoch nicht auf den wahrgenommenen Gesundheitszustand gegen Ende des Rehabilitationsaufenthaltes aus. Sie ergänzen somit die Ergebnisse früherer Studien zum Einsatz partizipativer Instrumente in der Entscheidungsfindung, die bislang keine Auswirkung auf die Outcome-Parameter der Rehabilitationsleistung feststellen konnten (Glattacker et al. 2013; Stamm-Balderjahn et al. 2016). Ältere Personen und auch jene Rehabilitationsteilnehmende, bei denen eine Herzschwäche vorliegt oder die Einschränkungen durch die Herzkreislauferkrankung als stark empfinden, zeigen schlechtere Werte in Bezug auf die Einschätzung ihres Gesundheitszustandes.
Ein weiteres Ziel der Analyse war, die Rolle von psychosozialen Aspekten, wie beispielsweise von der Änderungsbereitschaft der Rehabilitationsteilnehmenden und die wahrgenommene Qualität der Beziehung zwischen Behandelnden und Rehabilitationsteilnehmenden im Hinblick auf die aktive Beteiligung der Rehabilitationsteilnehmenden aufzuzeigen. Dem lag die Annahme zugrunde, dass nicht nur extrinsische Faktoren wie demografische und krankheitsbezogene Aspekte Einfluss auf die aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden haben. Unter der Annahme, dass „die intrinsische Motivation eines Rehabilitanden [sic!] [bzw. einer Rehabilitationsteilnehmenden] als notwendige Voraussetzung für selbstbestimmtes Verhalten im Rahmen einer medizinischen Rehabilitationsbehandlung angesehen werden [kann]“ (Senin und Meyer 2019), wurde die Rolle der Rehabilitationsmotivation für die aktive Beteiligung eines Rehabilitationsteilnehmenden in Form der Änderungsbereitschaft des Rehabilitationsteilnehmenden und seiner Skepsis gegenüber der Rehabilitationsleistung untersucht. Diese Beziehung konnte hinsichtlich der Änderungsbereitschaft verifiziert werden. Bei der Skepsis gegenüber der Rehabilitationsleistung wurden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand, jedoch nicht auf die Beteiligungsbereitschaft, deutlich. Die Verbindung zwischen Skepsis und Änderungsbereitschaft konnte entgegen früherer Studien (Thies et al. 2008) für das Setting der stationären kardiologischen Rehabilitation nicht verifiziert werden.
Zusätzlich wurde die Prädiktorenrolle der wahrgenommenen Beziehungsqualität zwischen Behandelnden und Rehabilitationsteilnehmenden zur Erhaltung der aktiven Beteiligung rehabilitationsteilnehmendenseitig untersucht. Diese Beziehung konnte ebenso aufgrund der vorliegenden Ergebnisse wie in anderen Studien (Becker und Roblin 2008; Barello et al. 2015; Graffigna et al. 2016; Brenk-Franz et al. 2017) bestätigt werden. Hierbei ist nicht nur die Fähigkeit der Behandelnden, Rehabilitationsteilnehmende zum Selbstmanagement und zur Beibehaltung von Maßnahmen zur Lebensstilmodifikation zu motivieren, sondern auch deren Akzeptanz gegenüber der Rolle von Rehabilitationsteilnehmenden als aktive Partnerinnen und Partner im Prozess entscheidend (Batalden et al. 2016).
Zusammenfassend konnte die vorliegende Studie folgende Hypothesen für die stationäre kardiologische Rehabilitation verifizieren:
H1
Der Grad der aktiven Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden wirkt sich auf den subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand aus.
H3
Die Skepsis gegenüber der Rehabilitationsbehandlung wirkt sich auf den subjektiv wahrgenommenen Gesundheitszustand aus.
H4
Die Bereitschaft zur Veränderung beeinflusst die aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden.
H5
Der Grad der wahrgenommenen Beziehungsqualität zwischen Behandelnden und Rehabilitationsteilnehmenden wirkt sich auf die aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden aus.
Die Hypothese H2 (Die Skepsis gegenüber der Rehabilitationsbehandlung beeinflusst die aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden.) konnte anhand der Studienergebnisse nicht bestätigt werden.
Als Stärke und gleichzeitig Limitation dieser Studie kann die Fokussierung auf die stationäre kardiologische Rehabilitation betrachtet werden. Während andere Studien zur Partizipation im Rehabilitationsbereich mehrere Indikationen betrachten, wurde hier bewusst der Schwerpunkt auf eine Indikation gesetzt. Dadurch konnte der Zusammenhang zwischen der aktiven Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden mit dem Gesundheitszustand bei der Rehabilitation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die insbesondere auf das Selbstmanagement zur Lebensstilmodifikation abzielt (Bjarnason-Wehrens et al. 2007), herausgearbeitet werden. Das Modell zur Selbstbestimmung in der medizinischen Rehabilitation von Senin und Meyer (2019) zielt jedoch auf alle Indikationen ab. Kritisch ist auch die mangelnde Repräsentativität der Studienergebnisse zu sehen, jedoch wurden lediglich die Beziehungen zwischen den Variablen untersucht, wofür keine vollständige Repräsentativität gegeben sein muss. Die Repräsentativität wird auch durch das monozentrische Design hinsichtlich der Beziehungsqualität zwischen Behandelnden und Rehabilitationsteilnehmenden eingeschränkt, da hierzu keine Vergleichswerte aus anderen Einrichtungen vorliegen. Des Weiteren wurde in dieser Studie die formale Mediation zwischen den ausgewählten Variablen untersucht. Im Rahmen der Studie wurden keine Maßnahmen zur Manipulation der abhängigen Variablen des konzipierten Modells gesetzt. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass einige der Variablenbeziehungen umgekehrt gerichtet sind, z. B. dass der Gesundheitszustand Auswirkungen auf die aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden hat oder die aktive Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden deren Skepsis reduzieren kann. Demzufolge sollten weiterführende Längsschnittstudien zur Überprüfung der kausalen Beziehungen durchgeführt werden.
In dieser Studie wurden die aus der Theorie abgeleiteten Hypothesen und die aufgestellten Verbindungen zwischen den Variablen in einem Gesamtmodell bestätigt. Weitere Studien sollten durchgeführt werden, um die Evidenz dieser Verbindungen zu erhöhen und auch eine reverse Kausalität in Form von Längsschnittstudien zu untersuchen. Beispielsweise könnten weitere Forschungsvorhaben darauf abzielen, die Zusammenhänge zwischen der Autonomie von Rehabilitationsteilnehmenden bzw. Selbstbestimmung und der Rehabilitationsmotivation sowie der Behandelnde-Rehabilitationsteilnehmende-Beziehung zu untersuchen. Rehabilitationsteilnehmende, die sich aktiv an ihrer Behandlung beteiligen und sich darin bestärkt fühlen, entwickeln womöglich daraus eine höhere Motivation für die Rehabilitation und bewerten evtl. auch die Beziehungsqualität hinsichtlich der einzelnen Teilaspekte Information, Affektivität und Kommunikation durch die Behandelnden positiver. Die aufgezeigte Verbindung zwischen der aktiven Beteiligung der Rehabilitationsteilnehmenden mit dem wahrgenommenen Gesundheitszustand bestätigt die Bedeutsamkeit von zur Verfügung gestellter Zeit und von Bemühungen, um Rehabilitationsteilnehmende in ihren Fähigkeiten zu bestärken und zu aktivieren, ihre Behandlung selbst managen und auch effektiv beibehalten zu können (Cott 2004).
Die vorliegende Studie zeigt, dass die Fähigkeit von Behandelnden, die Autonomie der Rehabilitationsteilnehmenden im Behandlungsprozess zu fördern, sie in der Übernahme einer aktiven Rolle innerhalb der Rehabilitationsleistungen unterstützt und somit ihren Gesundheitszustand positiv beeinflussen kann. Unterschiedliche Verhaltensweisen von Behandelnden und Patientinnen und Patienten hinsichtlich ihrer Selbstbestimmung wurden zwar beschrieben (Mitgutsch und Stummer 2020), jedoch besteht weiterer Forschungsbedarf darin, welche Verhaltensweisen der Behandelnden zur Erzielung der aktiven Beteiligung von unterschiedlichen Rehabilitationsteilnehmendentypen besonders förderlich sind. Die dafür erforderliche Einstellung ist keine Selbstverständlichkeit, da die Aktivierung und Förderung von Rehabilitationsteilnehmenden als aktive Partnerin bzw. aktiver Partner in der Behandlung bedingt, dass patriarchalisch orientierte Konzepte in der Beziehung zwischen Behandelnden und Rehabilitationsteilnehmenden hinterfragt werden.
Anhand der vorliegenden Ergebnisse ist eine Cluster-Analyse von Hauptkomponenten in Verbindung mit der aktiven Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden als weiterer Schritt naheliegend. Einzubindende Variablen wären hierbei das Geschlecht, die wahrgenommenen Einschränkungen durch die Erkrankung Herzinsuffizienz, die bevorzugte Form der Entscheidungsfindung, die Qualität der Behandelnde-Rehabilitationsteilnehmende-Beziehung und die Bereitschaft zur Veränderung. Um effektive Maßnahmen zur Erhöhung der aktiven Beteiligung von Rehabilitationsteilnehmenden in der stationären kardiologischen Rehabilitation zu entwickeln, sollten diese auf jene Personen abzielen, die auch eine Bereitschaft zur gemeinsamen Besprechung und Entscheidungsfindung für ihre Behandlung zeigen. Nichtsdestotrotz sollte auch auf jene Rehabilitationsteilnehmende, die sich aufgrund des Wunschs nach Fremdbestimmung oder stärkerer krankheitsbedingter Einschränkungen weniger aktiv einbringen, typgerecht eingegangen werden (Mitgutsch und Stummer 2020).
Nicht zuletzt ist das überprüfte Modell ein Versuch zur Operationalisierung von Teilen des theoretischen Modells zur Selbstbestimmung in der stationären medizinischen Rehabilitation (Senin und Meyer 2019) und soll ein Anstoß für weitere Überlegungen zur theoretischen Schärfung sein. Weiterführender Forschungsbedarf besteht einerseits in der empirischen Überprüfung und Einbindung in das operationalisierte Modell der noch nicht betrachteten Faktoren im theoretischen Modell. In zukünftigen Studien könnte anhand der verwendeten Instrumente ein eigenes, deutlich kürzeres Instrument zur Messung des Selbstbestimmungsgrades eines Rehabilitationsteilnehmenden entwickelt werden. Die dafür erforderlichen Items gilt es vorab noch zu überprüfen. Weitere Forschungsmöglichkeiten ergeben sich auch aufgrund der Parallelitäten mit der ICF. Die einzelnen Komponenten könnten zur Beschreibung von persönlichen und Umweltfaktoren genutzt werden. Des Weiteren sollte die Bedeutung der Rolle der Behandelnden zur Förderung der Selbstbestimmung in der Praxis reflektiert werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

V. Mitgutsch war zum Zeitpunkt der Erhebung in der teilnehmenden Klinik beschäftigt. V. Mitgutsch und H. Stummer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Ethische Standards

Die gegenwärtige Studie wurde von der Ethikkommission für das Land Niederösterreich (Kennzeichen GS1-EK-4/625-2020) genehmigt.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Fußnoten
1
Gemäß Nübling et al. (2005) stellt Skepsis eine der Dimensionen von Rehamotivation dar und wird als die vom Rehabilitationsteilnehmenden „erwartete Erfolgswahrscheinlichkeit der Rehabilitationsbehandlung“ beschrieben.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Bjarnason-Wehrens, B., Held, K., Hoberg, E., Karoff, M., & Rauch, B. (2007). Deutsche Leitlinie zur Rehabilitation von Patienten mit Herz-Kreislauferkrankungen (DLL-KardReha)CrossRef Bjarnason-Wehrens, B., Held, K., Hoberg, E., Karoff, M., & Rauch, B. (2007). Deutsche Leitlinie zur Rehabilitation von Patienten mit Herz-Kreislauferkrankungen (DLL-KardReha)CrossRef
Zurück zum Zitat Brenk-Franz, K., Hunold, G., Galassi, J. P., Tiesler, F., Herrmann, W., Freund, T., Steurer-Stey, C., Djalali, S., Sönnichsen, A., Schneider, N., & Gensichen, J. (2016). Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung – Evaluation der deutschen Version des Patient Reactions Assessment Instruments (PRA-D). ZFA Zeitschrift für Allgemeinmedizin, 92, 103–108. https://doi.org/10.5167/uzh-132556.CrossRef Brenk-Franz, K., Hunold, G., Galassi, J. P., Tiesler, F., Herrmann, W., Freund, T., Steurer-Stey, C., Djalali, S., Sönnichsen, A., Schneider, N., & Gensichen, J. (2016). Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung – Evaluation der deutschen Version des Patient Reactions Assessment Instruments (PRA-D). ZFA Zeitschrift für Allgemeinmedizin, 92, 103–108. https://​doi.​org/​10.​5167/​uzh-132556.CrossRef
Zurück zum Zitat Degner, L. F., Sloan, J. A., & Venkatesh, P. (1997). The control preferences scale. Can J Nurs Res, 29, 21–43.PubMed Degner, L. F., Sloan, J. A., & Venkatesh, P. (1997). The control preferences scale. Can J Nurs Res, 29, 21–43.PubMed
Zurück zum Zitat Nübling, R., Kriz, D., Herwig, J., Wirtz, M., Fuchs, S., Hafen, K., Töns, N., & Bengel, J. (2005). Patientenfragebogen zur Erfassung der Reha-Motivation (PAREMO-20) Nübling, R., Kriz, D., Herwig, J., Wirtz, M., Fuchs, S., Hafen, K., Töns, N., & Bengel, J. (2005). Patientenfragebogen zur Erfassung der Reha-Motivation (PAREMO-20)
Zurück zum Zitat Schöffski, O., & von der Schulenburg, J. M. G. (2011). Gesundheitsökonomische Evaluationen (4. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer. Schöffski, O., & von der Schulenburg, J. M. G. (2011). Gesundheitsökonomische Evaluationen (4. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer.
Zurück zum Zitat Thies, S., Lehmann, C., Kriz, D., Nübling, R., & Mehnert, A. (2008). Patientenfragebogen zur Erfassung der Reha-Motivation (PAREMO-20) – Testtheoretische Überprüfung und Validierung an einer Stichprobe von Krebspatienten unterschiedlicher Diagnosegruppen. Die Rehabilitation, 47, 308–318. https://doi.org/10.1055/s-2008-1076709.CrossRefPubMed Thies, S., Lehmann, C., Kriz, D., Nübling, R., & Mehnert, A. (2008). Patientenfragebogen zur Erfassung der Reha-Motivation (PAREMO-20) – Testtheoretische Überprüfung und Validierung an einer Stichprobe von Krebspatienten unterschiedlicher Diagnosegruppen. Die Rehabilitation, 47, 308–318. https://​doi.​org/​10.​1055/​s-2008-1076709.CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Selbstbestimmung und Gesundheitszustand – eine Pfadanalyse in der kardiologischen Rehabilitation
verfasst von
Valentina Mitgutsch
Harald Stummer
Publikationsdatum
17.08.2022
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
HeilberufeScience / Ausgabe 3-4/2022
Elektronische ISSN: 2190-2100
DOI
https://doi.org/10.1007/s16024-022-00374-2

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