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2016 | OriginalPaper | Buchkapitel

25. Selbst und Selbstaktualisierung

verfasst von : Univ. Prof. Dr. phil. Dipl. Psych. Andreas Kruse

Erschienen in: Demenz und Palliative Geriatrie in der Praxis

Verlag: Springer Vienna

Zusammenfassung

Die Demenzerkrankung berührt das Selbst zutiefst. Doch bleibt es auch bei weit fortgeschrittener Demenz in einzelnen Qualitäten bestehen, wobei es notwendig ist, sich nicht ausschließlich auf die kognitiven Qualitäten zu konzentrieren. Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, bewusst angenommene Abhängigkeit, Mitverantwortung und Selbstaktualisierung nehmen in den verschiedenen Schweregraden der Demenz verschiedenartige Gestalt an. Diese fünf Kategorien bilden den Kern des guten Lebens im Alter. Die Selbstaktualisierung (als Sinnerleben des Menschen) kann als Kern auch der anderen vier Kategorien verstanden werden. Denn in der – vielleicht nur rudimentären – Erhaltung von Selbstständigkeit und Selbstverantwortung sowie in der Bereitschaft, Hilfe anderer bewusst anzunehmen, spiegeln sich immer Aspekte des Selbst wider. Auch fortgeschritten demenzkranke Menschen können Lebensqualität, z. B. Glück und Freude, empfinden und haben somit Potenzial zur Selbstaktualisierung.
Fußnoten
1
William James differenziert bereits 1890 zwischen „material“, „social“ und „spiritual self“ sowie zwischen „self as known“ und „self as knower“, George Herbert Mead unterscheidet 1934 in seinem Hauptwerk „Mind, Self and Society“ zwischen einem erkennenden „I“ und einem jeweils erkannten „Me“; Charles Horton Cooley prägte 1902 den Begriff des „looking-glass self“, der ebenso wie jener des „situational self“ (McCall & Simmons 1978) oder die Theorie der sozialen Identität (Tajfel 1981) die hervorgehobene Bedeutung sozialer Situationen für die Aktualisierung unterschiedlicher Bereiche des Selbst betont.
 
2
Deutlich wird dies auch am Beispiel so genannter possible selves, die nach Hazel Markus als kognitive Komponenten von Hoffnungen, Ängsten, Zielen und Bedrohungen anzusehen bzw. als motivationaler, evaluativer und interpretativer Kontext gegenwärtiger Sichtweisen des Selbst zu berücksichtigen sind (Markus & Nurius 1986).
 
3
Übersetzung durch den Verfasser: Niemand ist eine Insel, in sich selbst vollständig; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinentes, ein Teil des Festlands. Wenn ein Erdklumpen vom Meer fortgespült wird, so ist Europa weniger, gerade so als ob es ein Vorgebirge wäre, als ob es das Landgut deines Freundes wäre oder dein eigenes. Jedes Menschen Tod ist mein Verlust, denn ich bin Teil der Menschheit; darum verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt; sie schlägt dir selbst.
 
4
Übersetzt: Ich habe mich stets bemüht, das Tun der Menschen weder zu belachen noch zu beweinen, auch es nicht zu verabscheuen, sondern es zu begreifen.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Selbst und Selbstaktualisierung
verfasst von
Univ. Prof. Dr. phil. Dipl. Psych. Andreas Kruse
Copyright-Jahr
2016
Verlag
Springer Vienna
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-7091-1851-1_25