1 Einleitung
2 Methodisches Vorgehen
Erste Akteursgruppe (n = 13) direkt beteiligt | Zweite Akteursgruppe (n = 8) mittelbar beteiligt und/oder betroffen |
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Forschende Ärzt*innen/Forscher*innen (n = 5) | Nicht-forschende Ärzt*innen (n = 2) |
Expert*innen für IT-Infrastrukturen (n = 8) | Vertreter*innen für Patienteninteressen (n = 2) |
Politikakteure (n = 2) | |
Vertreter*innen des regulatorischen Tätigkeitsfelds (n = 1) | |
Vertreter einer Institution des nationalen Gesundheitssystems (n = 1) |
3 Ergebnisse
3.1 Handlungspraktiken der Sekundärdatennutzung im Spannungsfeld zwischen Forschung und Versorgung
„[Diese Studien] umspannen auch immer mehr Ethikkommissionen. […] Das dauert Jahre, und das ist nicht übertrieben, bis man bei einer Studie alle Zentren an Bord hat.“ (ID12, Experte IT-Infrastrukturen)
„[D]as ist das Gravierende, einen Flickenteppich. […] Wenn Sie also übergreifende Verbundstrukturen einrichten […], die länderübergreifend sind, haben die immer mehrere, am Ende bis zu 17 Datenschutzrechtsordnungen im Spiel. […] Das macht es natürlich außerordentlich schwierig, weil das heißt, man muss für jedes Land eine eigene Rechtslage berücksichtigen.“ (ID11, Vertreter des regulatorischen Tätigkeitsfelds)„Mit diesem Bescheid [der Ethikkommissionen] fällt es viel einfacher, wenn es oft gar nicht nötig wäre zu fragen […]. Denn [die klinischen Partner] fühlen sich stets in einer Grauzonenfalle, ob die nun kooperieren dürfen mit den Daten oder nicht. Das heißt, lieber lassen sie die Daten ohne Nutzung liegen, zum Schaden des Patienten, anstatt selber noch in Haftungsfallen zu geraten.“ (ID17, Experte IT-Infrastrukturen)
„Wenn ein Patient sagt, vor zehn Jahren, er gibt sein Tumorgewebe frei, […] ist es dann auch in Ordnung damit Single-Cells-Sequencing zu machen, was es noch nicht gab? […] So ähnlich denke ich auch, dass so ein Einverständnis […] zukünftige Fragestellungen nicht komplett antizipieren kann.“ (ID1, Forschender Arzt/Forscher)
„Also wir machen ein molekulares Tumorboard und wenn [forschende Ärzte] ähnliche Patienten suchen… was ist mit denen passiert, wie war das Outcome, haben die noch ein zwei Jahre überlebt? Kann man da dies oder jedes Medikament nehmen? Ist das Versorgung? Ist das Forschung? Unsere Ärzte sagen, das ist Forschung. Ich würde sagen, aus meiner naiven Perspektive, das ist Versorgung.“ (ID2, Experte IT-Infrastruktur)
„Es ist eigentlich immer so, dass die Fragestellungen ganz klar aus der unmittelbaren Krankenversorgung kommen […]. Natürlich gehen die dann unterschiedlich weit in die Forschung. […] Bei uns ist das wirklich sehr eng verzahnt. Das ist dann wieder dieser Graubereich, wo ich mich immer wieder unsicher fühle.“ (ID18, Forschender Arzt/Forscher)
3.2 Erwartungen und Hoffnungen auf den Nutzen durch die Forschung mit klinischen Daten
„Das Potenzial besteht in allen vier Bereichen, das ist ganz offensichtlich. Und da jetzt einen Schwerpunkt zu setzen macht auch keinen Sinn, weil die sich gegenseitig ergänzen und insofern wirklich nebeneinander betrieben werden müssen.“ (ID6, Vertreter für Patienteninteressen)
„Eine Verknüpfung von Gesundheitsdaten ist natürlich grundsätzlich eine riesige Ressource ist, ein riesiger Schatz für die Forschung.“ (ID12, Experte IT-Infrastrukturen)
„Man hat sehr viel Hoffnung. […] Die Evidenz dazu ist ja oft noch relativ limitiert, weil es noch so neu ist.“ (ID19, Politikakteur)
„Den Nutzen zu beurteilen, das kann ich nicht. Gerade bei diesen Big Data Konzepten, sogar die Fachleute tun sich da schwer. […] Ob das jetzt so weit wie die Traumversprechungen von Big Data geht, kann ich nicht beurteilen, da bin ich auch eher skeptisch. Aber das muss ja gar nicht sein. Nutzen fängt ja nicht erst bei der Revolution an, sondern schon auf kleiner Flamme.“ (ID11, Vertreter des regulatorischen Tätigkeitsfelds)
„Das Potenzial ist natürlich, dass man nicht nochmal Daten erheben muss. Das ist auch ein Nutzen für den Patienten. […] Also sozusagen ein Gebot der Datensparsamkeit und der Ökonomie.“ (ID9, Forschender Arzt/Forscher)
„Potenziale sind natürlich, dass wir hier mit Real World Data das Krankheitsgeschehen und auch das Versorgungsgeschehen, so wie es in der tatsächlichen Praxis ist, abbilden können. Und nicht im Labor, an einer klinischen Studie sind, wo wir eine Unterrepräsentation der älteren Patienten haben.“ (ID9, Forschender Arzt/Forscher).
„Also bekommt jemand, der einen Herzinfarkt hatte oder eine chronische Lungenerkrankung, das Chemotherapeutikum oder ist man da lieber schonender oder macht weniger. […] Also Begleiterkrankungen, die die Behandlung entscheidend beeinflussen.“ (ID9, Forschender Arzt/Forscher)
„Sie haben eine Aussage zur Qualität der klinischen Versorgung, sie können natürlich sehr schön auch Vergleiche machen zwischen den einzelnen Krankenhäusern, den Leistungserbringern.“ (ID9, Forschender Arzt/Forscher)
„Damit meine Erkrankung, meine Daten, meine Therapie anderen fremden Menschen oder der Entwicklung der Therapie helfen kann.“ (ID10, Vertreter für Patienteninteressen)
„[Der] Patient denkt: Vielleicht ist meine Krankheit für was gut […]. Ich glaube das trägt viele: einfach in der Bewältigung der Krankheit.“ (ID10, Vertreter für Patienteninteressen)
3.3 Wahrgenommene Risikopotenziale und aktuelle Hindernisse der Sekundärdatennutzung
„[Eine], aus meiner Sicht, viel zu konservative Interpretation dieses Gesetzes, die eigentlich eher von Datenschützern dominiert wird, als von den Anwendern. […] Da das Gesetz – die Interpretation des Gesetzes – es immer nur darum geht, Risikominimierung zu betreiben, aber nicht Patientennutzen im Vordergrund stehen zu haben.“ (ID1, Forschender Arzt/Forscher)
„Die [Risiken] einzuschätzen ist auch sehr schwierig, man braucht eigentlich auch technische Expertise.“ (ID11 Vertreter des regulatorischen Tätigkeitsfelds)
„[…] Wenn man sich die Besetzung dieser Ethikkommission ansieht, […] sind das vielleicht nicht die richtigen Leute, […] die die ethischen Aspekte dieser Technologie beurteilen können. Also weder vom Datenschutz her, noch von anderen ethischen Aspekten.“ (ID19 Politikakteur)
„Aus dem Bottom-Up ‚Datenklamüseln‘ kriegst du immer irgendwelche Korrelationen raus. Und vergisst auf Theorie und Kausalität zu schauen. Das macht was mit der medizinischen Forschung, das nicht in Ordnung ist.“ (ID19 Politikakteur)
„[W]enn da kein sicherer Nutzen ist, würde ich die Risikobewertung deutlich strenger machen. Das ist aber, glaube ich, etwas, wo wir alle gemeinsam interprofessionell die Regeln machen müssen, bevor es zu spät ist.“ (ID18 Forschender Arzt/Forscher)
„Wir reden viel über anonymisierte Daten und da fehlt so ein bisschen die Ehrlichkeit, einfach zuzugeben, dass man medizinische Daten, insbesondere wenn man darauf medizinisch forschen will, nicht anonymisieren kann.“ (ID21, Vertreter von Institutionen des Gesundheitssystems)
„[W]enn zum Beispiel eine amerikanische Gruppe die Daten analysieren will, sollte das nicht über Clouds gehen, wo es kritische Zugriffe geben kann. Sondern die Datenanalyse sollte in einem System stattfinden, das aus europäischer Sicht adäquat ist.“ (ID1, Forschender Arzt/Forscher)
„Wenn es eine kommerzielle Auswertungsmöglichkeit gibt, dann wird die auch in Anspruch genommen. Also insofern denke ich ist die Skepsis, die in Deutschland und Europa sehr weit verbreitet ist, auch absolut berechtigt.“ (ID6, Vertreter für Patienteninteressen)
„Letztendlich braucht man kooperative Modelle mit den Firmen.“ (ID1, Forschender Arzt/Forscher)
„Ich halte das Risiko von Hackerangriffen auf Gesundheitsdaten eher für gering. Vielleicht mag ich falsch liegen, man guckt ja immer in Glaskugeln.“ (ID21, Vertreter von Institutionen des Gesundheitssystems)
„[D]iese Software hat eine Cloud-Lösung, vor allem die USA waren betroffen, dann ist das auf irgendeinem Server gelandet und ein Whistleblower hat offenbar davon erzählt […]. Dann waren ein paar Millionen Datensätze einfach so, ohne Login, ohne irgendwas, ohne Schutz im Netz verfügbar.“ (ID2, Experte IT-Infrastrukturen)
„[A]lso ich glaube, das ist noch ein weiter Weg diese klinischen Versorgungsdaten so qualitativ aufzuarbeiten, dass die wirklich für die Forschung nutzbar sind und keine Fehlschlüsse daraus gezogen werden dann.“ (ID12, Experte IT-Infrastrukturen)
„Ich glaube die Leute haben einfach Angst um den Schutz ihrer Privatsphäre. Dass sie sich preisgeben und daraus einen Nachteil bekommen. Man gebrandmarkt oder stigmatisiert wird, dass es doch offiziell wird, welche Krankheit man hat.“ (ID10, Vertreter für Patient*inneninteressen)
[Dass] eben die Hautfarbe bei bestimmten Dingen eine Rolle spielen kann, zumindest bei einem Datensatz.“ (ID2, Experte IT-Infrastrukturen)
„Wir wissen jetzt schon, […] dass Patienten, die einen multiresistenten Erreger haben, später und schlechter in eine Reha aufgenommen werden. […] Deshalb denke ich, dass wir da Kollateralschäden zu befürchten haben, wahrscheinlich kennen wir noch gar nicht alle, die da auftreten […].“ (ID18 Forschender Arzt/Forscher)
„Also gerade im Machine Learning bekommen Sie ja ‚böse Sachen‘ im Zweifelsfall raus. […]
„Ich muss auch dazu sagen, dass viele skeptisch sind – nicht weil sie Forschung nicht unterstützen würden – das hat einen ganz einfachen Grund: Weil das [Dokumentieren für Forschungszwecke] die Arbeit verändert, wie zum Beispiel eine andere Dateneingabe zu machen. [M]an darf nicht mehr das Programm verwenden, sondern muss das verwenden – damit sind dann Kosten verbunden.“ (ID14, nicht-forschender Arzt)
„Oder wir stochern in den Datenpools und können dann nachweisen, dass der Kollege, bei dem stirbt jeder fünfte Patient, der macht bestimmt schlechte Versorgung. Solche Dinge, das sind so die Ängste.“ (ID4, Experte IT-Infrastrukturen)
„Grundkonflikt ist ja immer der, dass diese Daten als Kapital angesehen werden […]. Und wie man Interessenausgleich schafft zwischen den Personen, die direkt am Patienten arbeiten und diese Daten erheben, und denen, die einen wissenschaftlichen Benefit davon haben.“ (ID1, Forschender Arzt/Forscher)
„Patientendaten [werden] von vielen vielleicht noch als eine Art geistiges Eigentum betrachtet werden, was man nicht gerne teilt. Was man klassischerweise, als es noch auf Papierform war, auch aus Gründen des Berufsethos, schützen musste.“ (ID16, Politikakteur)
„[Die] Gefahr ist halt, dass wenn ich größere Datenpools habe, Fremde – und sei es nur der Kollege aus der Nachbarklinik – mit meinen Daten von meinen Patienten irgendwelche Paper publiziert. Und wenn möglich dann noch falsche Aussagen trifft oder zu Dingen publiziert, wo ich eigentlich dazu forsche, ohne mich vorher zu fragen. […] Das ist auch je nach Fachgebiet sehr, sehr unterschiedlich.“ (ID4, Experte IT-Infrastrukturen)
„Patienten-…die sind eh gebrannt und traumatisiert von ihrer Geschichte […]. Wenn man denen dann einen Zettel gibt, wo draufsteht ‚ich gebe meine Daten frei‘. Ich glaube, die unterschreiben erst mal einfach alles, ohne dass sie wirklich aufgeklärt sind.“ (ID10, Vertreter für Patient*inneninteressen)
„Wenn ich krank bin, habe ich ein berechtigtes Interesse daran, dass mir geholfen wird […]. Jetzt könnte man fragen, ist das dann eine Zwangslage, in der ich mich befinde?“ (ID4, Experte IT-Infrastrukturen)
„Risiken sehe ich insbesondere in der öffentlichen Akzeptanz. […] Und dafür bedürfte es eben auch eines öffentlichen Diskurses, der nicht von oben runter stattfindet, sondern auf einer horizontalen Ebene abläuft.“ (ID6, Vertreter für Patient*inneninteressen)
„Der ‚Gläserne Mensch‘. Das ist, glaube ich, die große Sorge.“ (ID10, Vertreter für Patient*inneninteressen)
„Also grundsätzlich habe ich ganz große Bedenken, dass man es nicht schafft, die Bevölkerung so ins Boot zu holen, dass Benefit und Risiken vernünftig abgewogen werden können, auch von dem Einzelnen.“ (ID12, Experte IT-Infrastrukturen)
„Also das ist sicherlich bei der Konzeption von Projekten […] oder von Einwilligungsformularen eine große Hürde, an einen Patienten und dessen Wünsche und Bedürfnisse ranzukommen.“ (ID16, Politikakteur)
„[Auf] der anderen Seite würde [das Bekanntwerden eines Datenmissbrauchs] wahrscheinlich ganz massive Empörungen in der Öffentlichkeit auslösen.“ (ID6, Vertreter für Patient*inneninteressen)
„Und sehe aber auch wirklich die Notwendigkeit, dass die Leute, die dann wirklich mit den Daten und dem Datenmanagement zu tun haben, auch eine vernünftige Struktur aufbauen, dass es überhaupt keine Ansatzpunkte gibt, dass man da Ängste aufbauen müsste.“ (ID12, Experte IT-Infrastrukturen)